JudikaturJustiz9Os41/84

9Os41/84 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 1984

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 1984 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Lurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Maria A wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems/Donau als Jugendschöffengericht vom 1. Feber 1984, GZ 8 Vr 1028/83-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, der Angeklagten Maria A, des gesetzlichen Vertreters Monika A, und des Verteidigers Dr. Pitzelberger zu Recht erkannt:

Spruch

I. Gemäß § 290 Abs. 1 StPO wird aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der Unterlassung der Hilfeleistung nach Par 95 Abs. 1 (erster Fall) StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Für die laut den unberührt gebliebenen Punkten 1, 3 und 4 des Schuldspruches der Angeklagten weiterhin zur Last liegenden Straftaten, nämlich die Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB und der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 Z 3, Abs. 3 StGB sowie das Vergehen der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs. 1 StGB wird die Angeklagte gemäß §§ 28, 129 StGB, 11 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 (fünfzehn) Monaten verurteilt.

II. Der Ausspruch über die Anrechnung der Vorhaft wird aus dem Ersturteil übernommen.

III. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten wird, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 286 Abs. 1 StGB richtet, verworfen.

IV. Im übrigen wird die Angeklagte mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde ebenso wie mit ihrer Berufung auf die obige Entscheidung verwiesen.

V. Gemäß § 390 a StPO fallen ihr auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 11. Februar 1967 geborene Maria A (zu 1) des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 Z 3 und Abs. 3

StGB, (zu 2) des Vergehens der Unterlassung der Hilfeleistung nach § 95 Abs. 1 StGB, (zu 3) des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs. 1 StGB und (zu 4) des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128

Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat sie - zusammengefaßt wiedergegeben - in der Nacht vom 13.

April 1983 und später wissentlich Sachen (Zigaretten, Lebensmittel und Heurigenkonsumationen) mit Bereicherungsvorsatz an sich gebracht, die mit Geld bezahlt wurden, das aus einem von Erich B und Manfred C begangenen Raub stammte (1), in der gleichen Nacht in Krems-Stein es bei einem Unglücksfall dadurch vorsätzlich unterlassen, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, daß sie, nachdem sie erfahren hatte, daß Erich B und Manfred C den Taxilenker Wilhelm D überfallen, beraubt und dabei möglicherweise nur schwer verletzt und nicht getötet hatten, weder das Rote Kreuz noch einen Arzt noch die Gendarmerie noch sonst jemanden, der für Hilfe sorgen hätte können, von den Gegebenheiten verständigte (2), in derselben Nacht in Krems-Stein und sodann während einer Fahrt in Richtung Schiltern dadurch, daß sie weder die Gendarmerie noch sonst jemanden zur Hilfeleistung geeigneten anrief und daß sie nicht auf Manfred C und Erich B einwirkte, den von ihnen gefaßten Plan, Wilhelm D zu ermorden, falls er noch am Leben sein sollte, aufzugeben, es mit dem Vorsatz, daß vorsätzlich eine mit einer ein Jahr Freiheitsstrafe übersteigenden Strafe bedrohte Handlung begangen werde, unterlassen, ihre unmittelbar bevorstehende Ausführung zu verhindern, wonach der Mord tatsächlich begangen wurde (3) und in der Nacht zum 15. August 1983 in Schönberg/Kamp in Gesellschaft mehrerer Beteiligter zum Nachteil des Hubert E einen Einbruchsdiebstahl (Eindringen in das Gebäude mittels eines nachgemachten Schlüssels) begangen, bei dem Sachen im Gesamtwert von rund 6.300 S erbeutet wurden (4).

Nur gegen die Schuldsprüche wegen der Vergehen nach § 95 Abs. 1 und nach § 286 Abs. 1 StGB richtet sich die nominell auf die Z 4 und 9 lit. a des Par 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Einen Verfahrensmangel im Sinne des erstangeführten Nichtigkeitsgrundes erblickt die Beschwerdeführerin in der Abweisung der von ihrem Verteidiger in der Hauptverhandlung beantragten Ergänzung des psychiatrischen Gutachtens, welche zum Beweis dafür dienen sollte, daß ihre Dispositionsfähigkeit anläßlich der erwähnten Unterlassungsdelikte unter dem Eindruck des ihr von Manfred C und Erich B berichteten Tatgeschehens im Zusammenwirken mit ihrer leichten intellektuellen Minderbegabung und der gefühlsmäßigen Bindung an Manfred C aufgehoben gewesen sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Für einen derart tiefgreifenden psychischen Ausnahmezustand der Angeklagten in der Tatnacht hat das Verfahren nämlich keine wie immer gearteten Anhaltspunkte erbracht:

Nach dem (in der Hauptverhandlung verlesenen) psychiatrischen Sachverständigengutachten ON 36

(welchem das Jugendschöffengericht uneingeschränkt gefolgt ist; vgl. III/S 81

und S 86) bestehen hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsstruktur keine gravierenden Abweichungen von der Norm; insbesondere liegt kein Entwicklungsrückstand vor, der ihre Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit nennenswert hätte beeinträchtigen können (vgl. III/S 33 f). Ungeachtet einer etwas unter dem Durchschnitt liegenden intellektuellen Ausstattung ist bei ihr keine forensisch relevante Verstandesschwäche gegeben (vgl. III/S 30 f).

Darüber hinaus konnten auch keine Hinweise auf eine abnorme Abhängigkeit im Sinne einer Hörigkeit der Angeklagten gegenüber ihrem Freund Manfred C gefunden werden und liegt ihre Beeinflußbarkeit durchaus im Rahmen der Norm (III/S 34). Damit ist aber der Sachverständige - der Beschwerde zuwider - ohnehin auf die Bindung der Angeklagten an Manfred C eingegangen. Eine detaillierte Erörterung jener Wirkung, welche der - bei der Exploration im übrigen keineswegs unerwähnt gebliebene (vgl. III/S 24) - Bericht von C und dessen Freund über das soeben an Wilhelm D begangene Gewaltverbrechen auf die Angeklagte ausgeübt hat, war nicht einmal auf Grund ihrer eigenen Verantwortung indiziert; daß sie - wie in der Beschwerde behauptet wird - auf Grund dieses Berichtes sehr entsetzt und sehr ängstlich war, weil sie mit einer Verfolgung ihres Freundes wegen der Tat rechnete (III/S 67), ist keineswegs eine abnorme und schon gar nicht eine für die völlige Aufhebung der Dispositionsfähigkeit sprechende Reaktion auf eine solche Mitteilung.

Rechtliche Beurteilung

Da nach dem Gesagten mithin Verteidigungsrechte der Angeklagten durch die Abweisung des genannten Antrages nicht geschmälert wurden, war ihre Nichtigkeitsbeschwerde insoweit zu verwerfen. Aus Anlaß der allein gegen den Schuldspruch zu Punkt 2 des Urteilssatzes gerichteten Rechtsrüge hat sich der Oberste Gerichtshof allerdings davon überzeugt, daß das Urteil insoweit an einer von der Beschwerdeführerin nicht relevierten, von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit (§ 281 Abs. 1 Z 10 StPO) leidet:

Ausgehend nämlich davon, daß der Vorsatz der Angeklagten (den sie

erst während des Kaffeehausbesuches mit C und B auf Grund der von

diesen geäußerten Zweifel am Tode des Wilhelm D gefaßt haben kann),

die zur Rettung des D offensichtlich erforderliche Hilfeleistung zu

unterlassen, spätestens während der kurz darauf unternommenen

Autofahrt in Richtung Schiltern in den Entschluß mündete, die

Ermordung des verletzten Taxifahrers durch ihre Begleiter nicht zu

verhindern und somit nicht nur bloß in qualitativer, sondern auch in

zeitlicher Hinsicht die unmittelbare Vorstufe letzteren

Tatentschlusses darstellte, war es rechtlich verfehlt, der

Angeklagten das mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder Geldstrafe

bis zu 360 Tagessätzen bedrohte Vergehen der Unterlassung der

Hilfeleistung nach Par 95 Abs. 1 (erster Fall) StGB neben der nach §

286 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren bedrohten

Unterlassung der Verhinderung des Mordes anzulasten. Kann doch der

Unwert der erstgenannten, auf Versagung der Hilfeleistung und nicht

notwendigerweise auch auf Tötung des Unfallsopfers abzielenden

Unterlassung vom Unterlassungsdelikt nach § 286 Abs. 1 StGB in

ähnlicher Weise mitumschlossen sein, wie im Tötungsdelikt (§§ 75,

76, 86

StGB) eine als bloße Vorstufe hiezu aufzufassende konkrete

Individualgefährdung (etwa § 82 StGB) oder Verletzung (§ 83 StGB)

des nämlichen Menschen aufzugehen vermag (vgl. EvBl. 1979/71 = JBl.

1979, 157 = RZ 1979/4 = ÖJZ-LSK 1979/3-7 zu § 82 StGB; Burgstaller

in Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 6, S 34 f; Leukauf-Steininger 2 , RN 66, 67 zu § 28

StGB, RN 33 zu § 75 StGB, RN 21 zu § 82 StGB), sofern - wie vorliegend - die Tatobjekte ident sind und es sich um ein einheitliches Tatgeschehen handelt. (Dem Unterschied zwischen Real- und Idealkonkurrenz kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu, weil auch im engen Konnex stehende realkonkurrierende Taten als einheitliches Geschehen zu beurteilen sind / Burgstaller a. a.0. Anm. 33 zu S 30 und S 23/ .) Da sonach die Unterlassung der Hilfeleistung zur Unterlassung der Verhinderung des Mordes vorliegend im Verhältnis materieller ('stillschweigender') Subsidiarität steht und mithin ein Fall scheinbarer Konkurrenz vorliegt, war der Schuldspruch wegen Vergehens nach § 95 Abs. 1 (erster Fall) StGB rechtlich verfehlt, weshalb in amtswegiger Wahrnehmung des bezeichneten Nichtigkeitsgrundes spruchgemäß zu entscheiden und der genannte Schuldspruch auszuschalten war. Die auf diesen Punkt bezogene Nichtigkeitsbeschwerde ist damit gegenstandslos geworden und war die Angeklagte damit auf die getroffene Entscheidung zu verweisen.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle vermerkt, daß bezüglich der von der Angeklagten gleichfalls nicht relevierten Frage, ob ihr der Entschuldigungsgrund nach § 286 Abs. 2 Z 1 StGB zustatten komme, kein Anlaß zu einer Maßnahme nach § 290 Abs. 1 StPO gefunden wurde. Selbst wenn man nämlich davon ausgehen wollte, daß zwischen der Angeklagten und Manfred C eine Lebensgemeinschaft bestand - was nach den Akten angesichts dessen, daß die Angeklagte erst 15 Jahre alt war als sie in die Wohnung des C zog sowie nach den sonst aktenkundigen Umständen des Zusammenlebens sehr zweifelhaft erscheint - war es ihr nach den auf ihrem Geständnis beruhenden Konstatierungen des Erstgerichtes jedenfalls leicht und ohne sich oder einen Angehörigen der Gefahr eines beträchtlichen Nachteils auszusetzen möglich, durch direkte persönliche Einwirkung auf C und B zu versuchen, die geplante Mordtat zu verhindern. Unter diesem Aspekt und angesichts dessen, daß alle vom Erstgericht angenommenen Ausführungshandlungen von einem einheitlichen Vorsatz der Angeklagten umfaßt waren, kommt ein Freispruch vom Anklagevorwurf einer von mehreren (gleichwertigen) Schuldkomponenten nicht in Betracht (vgl. SSt. 33/21) und kann demnach dahingestellt bleiben, ob auch hinsichtlich der unterbliebenen Anzeige bei der Gendarmerie Zumutbarkeit gegeben war.

Bei der durch die Maßnahme nach § 290 Abs. 1 StPO erforderlich gewordenen Neubemessung der Strafe wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen und die mehrfache Qualifikation des Diebstahls, wogegen als mildernd das Geständnis der Angeklagten, der geringe Wert der verhehlten Sachen, ihre intellektuelle Minderbegabung und ihre gefühlsmäßige Bindung an den Angeklagten C in Betracht gezogen wurden.

Ausgehend hievon erschien das gefundene Strafmaß dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen und dem Verschulden der Angeklagten angemessen. Einer bedingten Strafnachsicht nach § 43 Abs. 2 StGB konnte aus generalpräventiven Erwägungen und deshalb nicht näher getreten werden, weil im Hinblick darauf, daß die Angeklagte rund vier Monate nach ihrer im Zusammenhang mit dem Mord an Wilhelm D gesetzten Tat in Gesellschaft des Manfred C und anderer Personen abermals straffällig wurde und einen Einbruchsdiebstahl beging (Punkt 4 des Urteilssatzes), künftiges Wohlverhalten bei bloßer Androhung der Strafvollziehung nicht gewährleistet erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.