JudikaturJustiz9Os111/86

9Os111/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Oktober 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Horak, Dr.Lachner und Dr.Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Kastner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Christine W*** und Rene Alfred P*** wegen des Verbrechens des Quälens und Vernachlässigens eines Unmündigen und Wehrlosen nach § 92 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 dritter Fall StGB, P*** als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB, über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen der beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14.Februar 1986, GZ 5 c Vr 2970/84-43, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Christine W*** wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil hinsichtlich dieser Angeklagten, gemäß § 290 Abs. 1 StPO aber auch in Ansehung des Angeklagten Rene Alfred P*** (sohin zur Gänze) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Angeklagte P*** mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Angeklagte W*** mit ihrer Berufung werden auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Christine W*** und Rene Alfred P*** des Verbrechens des Quälens und Vernachlässigens eines Unmündigen und Wehrlosen nach § 92 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 dritter Fall StGB, P*** als Beteiligter nach § 12 (dritter Fall) StGB schuldig erkannt.

Darnach haben sie in Wien, und zwar

I. "Christine W*** in der Zeit von Oktober 1978 bis 7.März 1984

1. ihrer am 14. März 1973 geborenen Tochter Michaela W***, die ihrer Fürsorge unterstand, das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und wegen einer schweren Erkrankung des Nervensystems, nämlich des "Rett-Syndroms", wehrlos war, insbesondere dadurch, daß sie sie nicht ausreichend ernährte und sie nicht der unbedingt erforderlichen ärztlichen Behandlung zuführte, körperliche und seelische Qualen, nämlich insbesondere einen durch hochgradige Unterernährung auftretenden Darminfekt sowie Schmerzen durch Wunden von zahlreichen Aufliegegeschwüren, zugefügt, wobei die Tat den Tod der Michaela W*** zur Folge hatte;

2. ihre Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber ihrer am 14.März 1973 geborenen Tochter Michaela W*** gröblich vernachlässigt, indem sie insbesondere trotz Wissens um die schwere Erkrankung des Kindes es unterließ, für ärztliche Hilfe und Betreuung zu sorgen und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, deren Gesundheit und körperliche sowie geistige Entwicklung beträchtlich geschädigt, wobei die Tat den Tod der Michaela W*** zur Folge hatte;

II. Rene Alfred P*** in der Zeit von Dezember 1983 bis 7.März 1984 dadurch zu der zu Punkt I genannten Tat der Christine W*** beigetragen, daß er (als deren Lebensgefährte), obwohl er um die schwere Krankheit der Michaela W*** wußte, es unterließ, auf die Kindesmutter Christine W*** einzuwirken und diese zu veranlassen, dem Kind Michaela W*** die erforderliche ärztliche Versorgung zukommen zu lassen, wobei die Tat den Tod der Michaela W*** zur Folge hatte".

Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ergriffen.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs. 1 Z 5, 9 lit. a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Christine W*** kommt Berechtigung zu.

Zu Recht wirft die Mängelrüge (Z 5) dem Erstgericht vor, den Urteilsgründen sei nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Verfahrensergebnisse es annehme, daß die Beschwerdeführerin ihrer schwer kranken - schon im Alter von fünf Jahren spindeldürren" (US 32) - Tochter überhaupt mehr Nahrungsmittel hätte einflößen können und ob bzw. in welchem Ausmaß das Kind bereit und in der Lage war, Nahrung aufzunehmen.

Denn bei der auf die Gutachten der beiden Sachverständigen Univ.Prof.Dr.R*** (ON 16 iVm S 277 f, 369, 400 f) und Dr.M*** (ON 9 und 13 iVm S 278 f, 381) gestützten Konstatierung, die allgemeine Abmagerung des Kindes sei auf eine ungenügende Zufuhr von Nährsubstanzen zurückzuführen gewesen (US 13), woraus das Erstgericht den Schluß zog, die Angeklagte habe ihre Tochter nicht ausreichend ernährt (US 43), unterblieben Erörterungen darüber, welchen Einfluß die schwere Verlaufsform der bei dem Kind seit dem ersten Lebensjahr bestehenden unheilbaren Nervenkrankheit (Rett-Syndrom) - bei der neben einem Organschwund des Gehirns eine Gruppe von Krankheitszeichen gleichzeitig auftritt (vgl. S 153 f., 203) - auf die Nahrungsaufnahme und deren Verwertung hatte und ob für die Angeklagte demzufolge überhaupt die Möglichkeit bestand, dem Kind mehr oder andere, insbesondere ausreichende Nährsubstanzen enthaltende Nahrung einzuflößen. Hiezu wäre der Schöffensenat abgesehen von der durch die Angaben des Mitangeklagten P*** gestützten Verantwortung der Angeklagten, das Kind mehrmals am Tag (mit gesondert zubereiteter breiiger Nahrung) gefüttert zu haben, bis es den Kopf zur Seite drehte (vgl. S 49, 53, 137, 140, 268, 276, 361, 370, 376, 380), vor allem deshalb gehalten gewesen, weil nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr.M*** bei Michaela W*** schon durch die (sich in einer schweren Verlaufsform manifestierenden - vgl. S 154) Grundkrankheit (Rett-Syndrom) "große Gewichtsverluste auftraten" (S 157), die Pflege des Kindes und auch die "Beibringung von Nahrung äußerst schwierig war" (S 158) und trotz des Ergebnisses der Leichenöffnung, wonach sich im Magen nur ein Teelöffel Flüssigkeit befand und eine Vertrocknung vorgelegen habe (US 43), insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen eines Darminfekts nicht ausgeschlossen werden könne, daß das Kind auch vor seinem Ableben noch gefüttert wurde, die "Speisereste" jedoch nicht behalten werden konnten (S 279). Aber auch der (weitere) Hinweis dieses Sachverständigen, wonach "längere Zeit hindurch eine ungenügende Nahrungsaufnahme stattgefunden hat" (vgl. S 279), gibt für sich allein (noch) keinen Aufschluß darüber, ob diese durch eine (quantitativ oder qualitativ) nicht ausreichende Ernährung (Nahrungszufuhr) ausgelöst wurde bzw. ob eine ungenügende Nahrungsaufnahme angesichts der krankheitsbedingten (schon Jahre hindurch bestehenden extremen) Magerkeit sowie der Schwierigkeiten bei der Verabreichung der Nahrung für die Angeklagte auch erkennbar gewesen ist.

Tragfähige Feststellungen in diese Richtung, aber auch hinsichtlich des für die Annahme des Zufügens von Qualen (nach § 92 Abs. 1 StGB) wesentlichen Gesamtverhaltens des Kindes insbesondere dahin, ob und woran für die Angeklagte - nach deren Verantwortung (vgl. insbesondere S 138) ihre Tochter, obwohl diese (genug) gegessen habe, im Lauf der Jahre immer mehr abgemagert sei, weshalb sie "die starke Magerkeit als zum Krankheitsbild" gehörig angesehen habe - erkennbar war, daß das Kind nicht nur die selbst bei ordnungsgemäßer Betreuung eines Kranken auftretenden Schmerzen hatte, sind vor allem deshalb von entscheidungswesentlicher Bedeutung, weil das Erstgericht das zur Verwirklichung des Tatbestandes nach § 92 Abs. 1 StGB erforderliche (vorsätzliche) Zufügen von Qualen sowohl durch einen zufolge hochgradiger Unterernährung aufgetretenen Darminfekt als auch durch die pflichtwidrige Unterlassung der Beiziehung eines Arztes, und zwar zwecks Behandlung der zahlreichen schmerzhaften Aufliegegeschwüre als verwirklicht ansah und aus der zuletzt bezeichneten Unterlassung überdies die Herbeiführung einer beträchtlichen Schädigung der Gesundheit sowie der körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes sowie demzufolge auch das Vorliegen des Tatbestands nach § 92 Abs. 2 StGB als erwiesen annahm. Die in Rede stehende Unterlassung kann indes (nur) entweder den Tatbestand nach Abs. 2 oder - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 2 StGB (vgl. Leukauf-Steininger Kommentar 2 § 92 RN 5) - jenen nach Abs. 1 des § 92 StGB, nicht aber beide Tatbestände in Idealkonkurrenz verwirklichen. Der Deliktsfall nach Abs. 1 stellt sich nämlich im Verhältnis zu Abs. 2 als lex specialis dar, bei der dem schon im Tatverhalten ("Quälen") gelegenen besonders hohen Schuldgehalt das Fehlen des Erfordernisses besonderer (über das mit der Tathandlung begrifflich verbundene Zufügen von Qualen hinausgehender) Tatfolgen (im Sinn des Abs. 2) entspricht (vgl. EvBl. 1985/18). Berechtigt ist die Beschwerde aber auch, soweit sie Begründungs- bzw. Feststellungsmängel in Ansehung der subjektiven Tatseite des der Angeklagten W*** angelasteten Quälens und Vernachlässigens eines Unmündigen (Fakten I/1 und 2) reklamiert. Zwar enthält das Ersturteil Passagen, wie etwa, der körperliche Verfall des Kindes sei durch den von der Angeklagten gewollten Mangel an ärztlicher Hilfe in Ansehung der von Michaela W*** in der Zeit von der letzten ärztlichen Behandlung (im Jahr 1978) bis zu ihrem Tod (am 7.März 1984) "zwangsläufig" auftretenden, von der Angeklagten jedoch in Abrede gestellten (S 270, 359) Kinderkrankheiten - in Ansehung derer das Erstgericht allerdings die Frage der Erkennbarkeit des Auftretens von Kinderkrankheiten für die Angeklagte angesichts der Schwere der Grundkrankheit unerörtert ließ - und dadurch erlittene Schmerzen und Qualen immer stärker geworden (US 12, 19), sowie die beiden Angeklagten haben "zumindest billigend in Kauf genommen, daß ihre Unterlassungen und ihr Verhalten dem völlig wehrlosen Kind Michaela W*** gegenüber eine gröbliche Vernachlässigung darstellt und dadurch dem wehrlosen und bedauernswerten Kind lange fortdauernde und sich wiederholende Schmerzen und Leiden zugefügt" (US 20, 21).

Im Gegensatz dazu bringt jedoch das Urteil an anderer Stelle zum Ausdruck, daß die Angeklagte - die neben einem weiteren (gesunden) ehelichen Kind in der Folge noch (bis zu drei) Pflegekinder betreute - seit 1979, insbesondere durch ihre Ehescheidung derart viele eigene Probleme hatte, daß sie sich um die Behandlung ihres schwerst behinderten Kindes Michaela "nicht mehr hat kümmern können" (US 11, 12) bzw. "überfordert" war (US 40), mit den Aufgaben, die sie sich selbst stellte, "nicht zu Recht kam" (US 41) und daß dem wehrlosen Kind "bewußt oder unbewußt ausreichende Ernährung oder Pflege verweigert worden ist" (US 46 iVm S 213).

Solcherart lassen aber die Urteilsgründe in Ansehung der

subjektiven Tatseite verschiedene (Fahrlässigkeit jedenfalls nicht

ausschließende) Deutungen zu; demzufolge fehlt es an tragfähigen

Feststellungen über ein (zumindest bedingt) vorsätzliches Zufügen

von körperlichen und seelischen Qualen (Abs. 1) bzw. hinsichtlich

des Deliktsfalles nach Abs. 2 über den hier erforderlichen

(gleichfalls zumindest bedingten) Vorsatz, der sich sowohl auf die

tatbestandsmäßige Pflichtwidrigkeit als auch auf jene Umstände

erstrecken muß, die - im Hinblick darauf, daß sie ein krasses,

geradezu auf einen Charaktermangel beim Täter hinweisendes

Mißverhältnis zwischen seinem Verhalten und dem im konkreten Fall

von ihm erwarteten Maß an Fürsorge oder Obhut offenbaren - deren

Gröblichkeit ausmachen. Nur zur Herbeiführung der tatbildlichen

Schädigung des Schutzbefohlenen (und - wie hier - im Falle des

Eintritts des qualifizierenden Erfolges zu dessen Zurechnung) genügt

Fahrlässigkeit (vgl. ÖJZ-LSK 1979/87, 88 = EvBl. 1979/179,

ÖJZ-LSK 1984/21 = EvBl. 1984/104; 10 Ou 106/84; Leukauf-Steininger

aaO § 92 RN 9, 11 und 12).

In Ansehung der der Angeklagten W*** in diesem Zusammenhang angelasteten Unterlassung einer ärztlichen Behandlung der bei Michaela W*** aufgetretenen Aufliegewunden hätte es - von der Beschwerde gleichfalls zu Recht gerügt - angesichts des Umstands, daß bei dem Kind schon während seines stationären Aufenthaltes bzw. bei Vorstellungen in der Ambulanz in den Jahren 1976 bis 1978 in dem vom Sachverständigen Univ.Prof.Dr.R*** geleiteten Neurologischen Krankenhaus der Stadt Wien-Rosenhügel "frische und abgeheilte Geschwüre" vorhanden waren (US 15), die nach der Darstellung der Angeklagten (vgl. US 38, 41, 42) "gekommen und wieder zurückgegangen", von ihr mit Salben (offensichtlich "Bepanthen" und "Nebacetin" - vgl. S 269, 370) behandelt worden seien und im Krankenhaus (bloß) gebessert werden konnten (US 42 iVm S 201), auch Feststellungen dahingehend bedurft, ob bzw. in welchem Umfang die Angeklagte ärztlicherseits (im Krankenhaus) über eine allfällige Hintanhaltung bzw. zweckdienliche Behandlung derartiger (durch die Immobilität des Kindes bedingter) Aufliegegeschwüre unterrichtet worden ist und was sie gegen die Folgen der Krankheit unternahm (vgl. insbesondere S 145, 201, 269, 362, 368, 369, 371). Das Schöffengericht hätte sich demnach, um mängelfrei davon ausgehen zu können, daß der Angeklagten bewußt war, das Kind werde trotz einer Behandlung (mit Salben) durch sie infolge der Nichtbeiziehung eines Arztes an heftigen, durch ärztliche Versorgung vermeidbaren Schmerzen leiden, auch in dieser Beziehung mit ihrer Verantwortung auseinandersetzen müssen, wonach sie nicht bemerkte, daß das Kind dadurch bedingte Schmerzen hatte (S 362, 365). Der durch die Nichterörterung der dahingehenden - für die Frage, ob die Angeklagte (auch hiedurch) das Kind vorsätzlich gequält (Abs. 1) hat, essentiellen - Umstände im eben aufgezeigten Umfang unterlaufene Begründungsmangel stünde zwar der Annahme nicht entgegen, daß die Angeklagte im Hinblick auf Umfang und Schwere der Aufliegegeschwüre durch die Unterlassung der Beiziehung eines Arztes vorsätzlich immerhin ihre (naturgemäß bei weitem nicht auf das Hintanhalten von Schmerzen beschränkte) Fürsorgepflicht gröblich vernachlässigt (Abs. 2) hat. Eine solche Beurteilung wäre durch die Urteilsfeststellung, daß sie die letztlich doch als zumindest zweckmäßig erkannte ärztliche Versorgung der (eitrigen) Aufliegegeschwüre unterließ - woraus ein geradezu einen Charaktermangel offenbarendes krasses Mißverhältnis zwischen dem von ihr allgemein zu erwartenden Maß an Fürsorge und ihrem inkriminierten wirklichen Verhalten abgeleitet werden kann - durchaus gerechtfertigt.

Nichtsdestoweniger kommt aber auch eine Unterstellung des hier in Rede stehenden Tatverhaltens der Angeklagten unter § 92 Abs. 2 StGB nach den Urteilsgründen deswegen nicht in Betracht, weil diese in tatsachenmäßiger Beziehung ersichtlich von der (wie dargestellt nur mangelhaft begründeten) Annahme eines dadurch begangenen Quälens (Abs. 1) ausgehend, im Hinblick auf die eingangs dargelegte Spezialität des Deliktsfalls nach § 92 Abs. 1 StGB gegenüber jenem nach dessen Abs. 2 nicht mit der gebotenen Deutlichkeit erkennen lassen, ob das Kind hiedurch nicht immerhin (vor seinem Tod) zumindest einen (solcherart fahrlässig herbeigeführten und) damit kausal zusammenhängenden beträchtlichen Schaden an seiner Gesundheit erlitten hatte.

Die von der Angeklagten W*** zutreffend gerügten

Begründungs- und Feststellungsmängel in Ansehung sowohl des Schuldspruchs wegen § 92 Abs. 1 (Faktum I/1) als auch Abs. 2 StGB (Faktum I/2), die gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen auch zugunsten des insoweit der Beteiligung nach §§ 2, 12 dritter Fall StGB schuldig erkannten Mitangeklagten P*** (Faktum II) wahrzunehmen waren, dessen Nichtigkeitsbeschwerde nicht in diese Richtung zielt, machen eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich, sodaß auch insoweit nach Anhörung der Generalprokuratur schon in nichtöffentlicher Sitzung wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO), ohne daß es dazu erforderlich wäre, auf das (weitere) Beschwerdevorbringen der beiden Angeklagten einzugehen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Schöffengericht bei Beurteilung des der Angeklagten W*** angelasteten Verhaltens als (pflichtwidrige) Unterlassung, der Beiziehung eines Arztes, wie bereits eingangs dargelegt wurde, zu beachten haben, daß diese Unterlassung (der Beiziehung eines Arztes nur) entweder den Tatbestand nach § 92 Abs. 2 StGB oder - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 2 StGB - jenen nach § 92 Abs. 1 StGB, nicht aber beide Tatbestände in Idealkonkurrenz verwirklichen kann. In Ansehung sowohl der nach Abs. 2 tatbestandsmäßigen als auch der nach Abs. 3 qualifizierenden Folgen des der Angeklagten angelasteten Verhaltens ist dessen Kausalität nach den für eine Erfolgszurechnung bei Unterlassungen geltenden Grundsätzen zu prüfen. Darnach kommt es insoweit (im Sinn der herrschenden Äquivalenztheorie) darauf an, ob der betreffende Erfolg - im gegebenen Fall mithin der Tod des Kindes oder, bei einer Beurteilung des maßgebenden Täterverhaltens nur nach dem Grundtatbestand des § 92 Abs. 2 StGB, zumindest eine beträchtliche Gesundheitsschädigung - mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit weggedacht werden muß, wenn man die vom Täter pflichtwidrig unterlassene Handlung, hier also die rechtzeitige Beiziehung eines Arztes, hinzudenkt (vgl. Leukauf-Steininger aaO. Vorbem. zu § 1 RN 23; Nowakowski im WK Vorbem. zu § 2 Rz. 28; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 86).

Hiebei ist allerdings zum einen ausschließlich auf den nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft zu erwarten gewesenen - in den Gutachten der beiden Sachverständigen Niederschlag findenden (vgl. S 158 f, 213, 277, 400) - Normalverlauf im Krankheitsgeschehen (unter Ausschluß rein theoretisch in Betracht kommender, jedoch konkret nicht indizierter Möglichkeiten) und zum anderen auf den Erfolg in seiner ganz konkreten Gestalt abzustellen, sodaß schon eine bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters mit praktischer Gewißheit vorauszusehen gewesene, nicht bloß ganz unerhebliche Verzögerung des Eintritts der jeweiligen Tatfolge zur Annahme einer Kausalität genügt (vgl. ÖJZ-LSK 1977/326; RZ 1977/23; Leukauf-Steininger aaO RN 21, Nowakowski aaO Rz. 24). In Ansehung des Angeklagten P*** hinwieder, dessen Tatbeitrag (§§ 2, 12 dritter Fall StGB) das Erstgericht darin erblickte, daß er als Lebensgefährte der Angeklagten W*** (seit Dezember 1983), obwohl er von der schweren Krankheit der Michaela W*** Kenntnis hatte und ihm das Kind wiederholt zur vorübergehenden Beaufsichtigung und Pflege anvertraut war (vgl. US 24 f, 25 f), es unterließ, "auf die Kindesmutter einzuwirken, den qualvollen Zustand des hilflosen Kindes durch entsprechende Nahrungszufuhr, intensivierte Pflege und ärztliche Hilfe wenigstens zu mildern" (US 25 f) und hiedurch "diese gröbliche Vernachlässigung seiner Pflichten (Garantenpflichten) billigend in Kauf genommen hat" (US 26, 56 f), wird, sofern nicht eine psychische Beteiligung durch ein aktives Einwirken des Angeklagten P*** auf die Mitangeklagte W*** angenommen werden kann, zu berücksichtigen sein, daß durch die vom Erstgericht konstatierte (rund dreimonatige) Lebensgemeinschaft allein eine (spezifisch rechtsgutbezogene) persönliche Erfolgsabwendungspflicht begründende Garantenstellung (Obhutsgarantie) des Angeklagten P***, der das Kind nach der Aktenlage offensichtlich nur fallweise während einer kurzfristigen Abwesenheit der Angeklagten W*** von der Wohnung - den Urteilsannahmen zufolge durch "Füttern" und Spielen (vgl. US 24, 52) - betreut hat, und dem solcherart eine bloß den konkreten Lebensverhältnissen gerecht werdende faktische beschränkte Aufsicht über das Kind oblag, noch nicht begründet werden kann (vgl. hiezu Kienapfel "Die Garantenpflichten (§ 2 StGB)" in EvBl. 1975 S 13 ff, 80 ff). Im vorliegenden Fall ließe jede andere Auslegung in Überspannung des Pflichtgedankens außer Betracht, daß schlichtes Untätigwerden überhaupt erst bei Verletzung einer in der Rechtsordnung verankerten spezifischen Erfolgsabwendungspflicht jenes Maß an rechtsfeindlicher Willensenergie offenbaren kann, das den positiv tätig werdenden Beteiligten kennzeichnet, demnach der Tatbestandsverwirklichung durch (aktives) Tun gleichwertig ist und darum die Bestrafung wegen Beteiligung an der Haupttat kriminalpolitisch rechtfertigt.

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