JudikaturJustiz9ObA155/11a

9ObA155/11a – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon. Prof. Dr. Kuras als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** L*****, vertreten durch Dr. Roland Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch die Steinacher Partner Rechtsanwalt GmbH in Salzburg, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert 10.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 24. Oktober 2011, GZ 11 Ra 82/11z 25, womit der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Arbeits-und Sozialgericht vom 28. Juli 2011, GZ 32 Cga 7/11m 18, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung der mit Schreiben der Beklagten vom 22. 12. 2010 ausgesprochenen Kündigung des Klägers wegen verpönter Motive und Sozialwidrigkeit. Die Beklagte wendete die verspätete Einbringung der Anfechtungsklage ein und beantragte deren Zurückweisung, im Übrigen deren Abweisung mangels Begründetheit der Klage.

Das Erstgericht wies nach Durchführung einer mündlichen Streitverhandlung mit gesondert ausgefertigtem Beschluss den Antrag der Beklagten auf Zurückweisung der Klage ab. Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Beklagten und die Rekursbeantwortung des Klägers zurück. Das Erstgericht habe über die von der Beklagten erhobene Einrede der Nichteinhaltung der Kündigungsanfechtungsfrist nicht abgesondert, sondern zusammen mit der Hauptsache verhandelt. Der Rekurs der Beklagten gegen den dennoch abgesondert über die Einrede ausgefertigten Beschluss, der inhaltlich der Verwerfung einer Prozesseinrede entspreche, sei daher unzulässig. Gegen die Rekursentscheidung sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig, weil zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Entscheidung über die Einrede der Verfristung der Kündigungsanfechtungsklage nach § 105 ArbVG abgesondert anfechtbar sei, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Antrag der Beklagten auf Zurückweisung der Klage stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, den Revisionsrekurs der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig (§ 528 Abs 1 ZPO); er ist jedoch nicht berechtigt.

Im Revisionsrekursverfahren geht es ausschließlich um die Frage der Zulässigkeit des Rekurses der Beklagten gegen die Abweisung des Antrags der Beklagten auf Zurückweisung der Kündigungsanfechtungsklage wegen verspäteter Erhebung der Klage durch den Kläger. Das Rekursgericht verneinte zutreffend die Zulässigkeit des Rekurses (§ 528a iVm § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Die wesentlichen Gründe sind wie folgt zusammenzufassen:

Der Betriebsinhaber hat vor jeder Kündigung eines Arbeitnehmers den Betriebsrat zu verständigen, der nach § 105 Abs 1 ArbVG in der bis 31. 12. 2010 maßgebenden Fassung vor der ArbVG Novelle BGBl I 2010/101 (siehe dazu § 264 Abs 23 ArbVG) innerhalb von fünf Arbeitstagen hiezu Stellung nehmen kann. Hat der Betriebsrat innerhalb der Frist des § 105 Abs 1 ArbVG keine Stellungnahme abgegeben, so kann der Arbeitnehmer innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung diese bei Gericht selbst anfechten (§ 105 Abs 4 ArbVG in der am 1. 1. 2011 in Kraft getretenen Fassung der ArbVG Novelle BGBl I 2010/101, die gemäß § 264 Abs 4 ArbVG auf eine Kündigung anzuwenden ist, die wie vom Kläger behauptet nach dem 31. 12. 2010 zugegangen ist).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass es sich bei der Frist zur gerichtlichen Anfechtung einer Kündigung um eine prozessuale Frist handelt und daher ein Vergleich mit den Fristen des § 534 ZPO zur Einbringung der Nichtigkeits und Wiederaufnahmsklage, die ebenfalls prozessualer Natur sind, angebracht ist (9 ObA 349/98h mwN; RIS Justiz RS0052033 ua). Hier wie dort liegt es daher im Zweifelsfall am Kläger, Umstände, aus denen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, darzulegen. In analoger Anwendung des § 543 ZPO sind verspätete Anfechtungsklagen zurückzuweisen. Diese Analogie gebietet aber auch die Konsequenz, dass es sich bei der Einhaltung der Frist um eine besondere Prozessvoraussetzung handelt, deren Vorliegen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist (9 ObA 349/98h ua).

§ 260 Abs 1 und 3 und § 261 ZPO behandeln die Erledigung bestimmt bezeichneter Prozessvoraussetzungen. Danach hat in diesen Fällen eine mündliche Verhandlung stattzufinden. Verhandelt das Erstgericht über diese Einreden in Verbindung mit der Hauptsache, so ist die Entscheidung, mit der diese abgewiesen werden, nicht besonders auszufertigen, sondern in die in der Hauptsache ergehende Entscheidung aufzunehmen. In diesem Fall kann der Ausspruch über die geltend gemachte Prozesseinrede nur mit dem gegen die Entscheidung in der Hauptsache offenstehenden Rechtsmittel bekämpft werden. Wird der die Prozesseinrede abweisende Beschluss entgegen § 261 Abs 1 oder 2 ZPO besonders ausgefertigt und den Parteien zugestellt, so macht ihn dies nicht abgesondert anfechtbar (6 Ob 82/98x; RIS Justiz RS0037005, RS0040207, RS0040295 ua).

Die Prozessvoraussetzung der Einhaltung der Frist des § 105 Abs 4 ArbVG ist zwar nicht in § 261 ZPO ausdrücklich angeführt, sie unterliegt aber ebenfalls dieser Regelung. Prozessvoraussetzungen sind verfahrensrechtliche Voraussetzungen der Zulässigkeit einer sachlichen Behandlung und Entscheidung. Darunter fallen nicht nur die in § 239 Abs 3 ZPO namentlich angeführten Prozesshindernisse, sondern auch noch andere Fälle (arg „sonstige Prozessvoraussetzungen“), deren Fehlen zur Ablehnung einer Sachentscheidung und damit zur Zurückweisung der Klage führt, und zwar unabhängig davon, ob sie auf Antrag oder von Amts wegen wahrgenommen werden (vgl 6 Ob 82/98x; 9 ObA 349/98h ua).

Der Vorteil einer abgesonderten Verhandlung samt abgesonderter Ausfertigung und damit selbständiger (sofortiger) Bekämpfbarkeit wird vor allem darin gesehen, dass bei offenbar begründeten Prozesseinreden ein kostenverursachendes Verhandeln in der Hauptsache vermieden und auch bei strittigen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der strittigen Prozessvoraussetzung durch eine Vorwegentscheidung und deren Überprüfbarkeit im Instanzenzug unnötiger Prozessaufwand hintangehalten werden kann. Dem Gesetz liegt damit wohl auch der Gedanke zugrunde, dass nicht gleichzeitig eine aufwendige Erörterung auch der Hauptsache und eine Verzögerung durch den Instanzenzug in der Frage des Vorliegens der Prozessvoraussetzung gegeben sein soll (vgl 8 Ob 108/09d ua). Ob abgesondert verhandelt wird, liegt im Ermessen des Erstgerichts (§§ 189 Abs 2, 260 Abs 1 ZPO).

In der Frage, wie diese abgesonderte Verhandlung über die Einrede abzuführen ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits dargelegt, dass der Ausdruck „abgesonderte Verhandlung“ im § 260 Abs 1 bzw § 261 Abs 2 ZPO im Zusammenhalt mit § 189 ZPO zu beurteilen ist. Diese Bestimmung sieht im Abs 1 ausdrücklich die Möglichkeit der Beschränkung der Verhandlung nicht bloß auf einzelne „Streitpunkte“, sondern auch auf „selbständige Angriffs oder Verteidigungsmittel“ vor, worunter nach Abs 2 auch die Einreden über das Fehlen von Prozessvoraussetzungen fallen. Dies hat mit einem wenngleich unanfechtbaren (§ 192 Abs 2 ZPO) Beschluss zu erfolgen. Es ist wesentlich für die Parteien, darüber Klarheit zu haben, ob der Beschluss über die Verwerfung der Einrede selbständig anfechtbar ist oder nicht. Über eine etwaige Absonderung muss daher „mit hinreichender Deutlichkeit“ Beschluss gefasst worden sein (vgl 8 Ob 108/09d ua), woran es jedoch vorliegendenfalls mangelt. Das Erstgericht kündigte zwar einen „Verhandlungstermin zur Thematik Rechtzeitigkeit der Klagseinbringung“ an, beschränkte aber auch in der Folge die Verhandlung nicht auf die Prozesseinrede, sondern verhandelte die Einrede gemeinsam mit der Hauptsache.

Die Revisionsrekurswerberin macht nun auch gar nicht geltend, dass das Erstgericht ohnehin abgesondert verhandelt habe. Sie meint nur zur Begründung der Zulässigkeit ihres Rekurses, dass prozessökonomische Gesichtspunkte und baldige Rechtssicherheit für die abgesonderte Anfechtungsmöglichkeit sprechen. Dabei übersieht sie allerdings, dass diese Überlegungen dafür ausschlaggebend sein können, dass vom Erstgericht abgesondert verhandelt wird; sie sind aber in der Frage der gesonderten Anfechtbarkeit kein Ersatz für das Fehlen einer abgesonderten Verhandlung. Wurde wie im vorliegenden Fall nicht abgesondert verhandelt, dann hat das Rekursgericht den Rekurs der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

Rechtssätze
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