JudikaturJustiz9ObA13/07p

9ObA13/07p – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. August 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Umfahrer und Dr. Klaus Mayr als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Maria C*****, vertreten durch Dr. Sabine Berger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Ralf Staindl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 902,56 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Oktober 2006, GZ 11 Ra 79/06a-10, womit über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. Juli 2006, GZ 20 Cga 40/06v-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 902,56 brutto sA zu zahlen, wird abgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 177,98 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin EUR 29,66 Umsatzsteuer) und die mit EUR 389,09 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 87 Umsatzsteuer) zu ersetzen."

Die klagende Partei ist ferner schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 250,02 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 41,67 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war Reinigungskraft bei der Beklagten. Sie befand sich vom 25. 1. 2005 bis zum 4. 9. 2005 im Krankenstand. Mit Schreiben vom 18. 7. 2005 wurde sie von der Beklagten wegen dauernder Dienstunfähigkeit entlassen.

Die Klägerin, die ua die Klageforderung bereits am 9. 9. 2005 außergerichtlich geltend gemacht hatte, begehrte mit ihrer am 22. 2. 2006 eingebrachten Klage EUR 902,56 brutto an Entgeltfortzahlung in voller Höhe für die Zeit vom 20. 7. bis zum 11. 8. 2005 und für den 15. 8. 2005 sowie in halber Höhe für die Zeit vom 12. 8. 2005 bis zum 4. 9. 2005.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe den der Klägerin zustehenden Entgeltfortzahlungsanspruch bis 19. 7. 2005 erfüllt. Darüber hinaus stehe der Klägerin auf Grund der berechtigten Entlassung nichts zu. Zudem sei der geltend gemachte Anspruch nach § 21 des anzuwendenden Kollektivvertrages für Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung für das Bundesland Salzburg (in der Folge: Kollektivvertrag) verfallen.

§ 21 des Kollektivvertrages hat - soweit hier von Interesse - folgenden Wortlaut:

„(1) Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen bei sonstigem Verfall innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden mündlich oder schriftlich geltend gemacht werden.

....

(3) Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis hat bei sonstigem Verfall innerhalb eines Jahres nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden des Anspruches zu erfolgen.

(4) Ersatzansprüche wegen vorzeitigem Austritt oder vorzeitiger Entlassung eines Arbeitnehmers müssen binnen sechs Monaten ab dem Austritt bzw Entlassungstag gerichtlich geltend gemacht werden."

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es wertete die Entlassung als unberechtigt. In diesem Fall kollidiere der Anspruch nach § 5 EFZG mit dem schadenersatzrechtlichen Anspruch nach § 1162b ABGB, auf den § 21 Abs 4 des Kollektivvertrages abstelle. Die in diesen Bestimmungen genannte Frist sei auf den Anspruch nach § 5 EFZG nicht anzuwenden. Die Klageforderung sei daher nicht verfallen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die Revision zulässig sei.

Es billigte die Auffassung des Erstgerichtes, dass die Entlassung der Klägerin ihrem Anspruch nach § 5 EFZG nicht entgegenstehe, zumal die Berechtigung der Entlassung vom Arbeitgeber nicht schlüssig behauptet und auch nicht erwiesen sei. Der Anspruch sei auch nicht verfallen:

Die Klägerin habe ihren Anspruch binnen der sechsmonatigen Frist des § 21 Abs 1 des Kollektivvertrages schriftlich geltend gemacht; die gerichtliche Geltendmachung sei innerhalb der Jahresfrist des Abs 3, jedoch außerhalb der sechsmonatigen Frist des Abs 4 dieser Bestimmung erfolgt. Entscheidend sei daher, ob es sich beim Anspruch der Klägerin um einen Ersatzanspruch „wegen vorzeitiger Entlassung" oder um einen sonstigen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis handle. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes treffe Letzteres zu: § 5 EFZG gehe als speziellere Norm dem § 29 AngG bzw dem § 1162b ABGB vor, sodass der Anspruch der Klägerin kein Anspruch aus der unberechtigten Beendigung sondern ein Anspruch auf Erfüllung der Entgeltfortzahlungsverpflichtung wie beim aufrechten Arbeitsverhältnis sei. Auf diesen Anspruch sei daher die Frist des § 1162d ABGB bzw die auf „Ersatzansprüche" wegen vorzeitiger Entlassung abstellende Regelung des § 21 Abs 4 des Kollektivvertrages nicht anwendbar. Dadurch werde es vermieden, Entgeltansprüche für den Zeitraum einer etwaigen Kündigungsentschädigung und Entgeltansprüche für den Zeitraum nach der fiktiven Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich ihrer Rechtsnatur unterschiedlich zu charakterisieren. Soweit der von der Beklagten zitierten Entscheidung 9 ObA 396/97v Gegenteiliges zu entnehmen sei, sei ihr nicht zu folgen. Die Klage sei daher rechtzeitig eingebracht worden. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass von einer unberechtigten Entlassung der Klägerin auszugehen ist. Auf dieser Grundlage sind folgende Überlegungen anzustellen:

Der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts bleibt nach § 5 EFZG für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer gewahrt, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet, wenn der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG gekündigt wird, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen wird oder den Arbeitgeber ein Verschulden am vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers trifft. Zweck dieser Bestimmung ist es, den auf dem Arbeitsvertrag beruhenden Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, der nur besteht, so lange das Arbeitsverhältnis aufrecht ist, auch über die rechtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus zu wahren. Für die Frage der Entgeltleistung wird in diesem Fall die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ohne den Hinderungsgrund fingiert; die vereinbarte Arbeit gilt als geleistet. Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Arbeitsverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst (RIS-Justiz RS0109426; zuletzt 9 ObA 115/05k).

Der von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 396/97v liegt ein Sachverhalt zugrunde, der mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar ist. Es trifft aber zu, dass in dieser Entscheidung ganz allgemein zur Rechtsnatur des Anspruchs nach § 5 EFZG Stellung genommen wird: Zum einen wird ausgeführt, dass Ansprüche nach § 5 EFZG aus dem Titel des Arbeitsverhältnisses gebühren. In weiterer Folge wird zum anderen die Meinung vertreten, dass ein Anspruch nach § 5 EFZG für einen Zeitraum, der über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigte Entlassung hinausgeht, ein Anspruch wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei, also eine „Kündigungsentschädigung", die der Ausschlussfrist des § 1162d ABGB unterliege.

Diese Entscheidung wurde von Cerny/Kallab (Entgeltfortzahlungsgesetz4, § 5 Anm 7) mit den auch vom Berufungsgericht angeführten Argumenten kritisiert. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 5 EFZG gehe als speziellere Norm dem Anspruch auf Schadenersatz nach § 29 AngG und nach § 1162b ABGB vor. Es handle sich gerade nicht um einen Anspruch aus der Beendigung, sondern um die Erfüllung der Entgeltfortzahlungsverpflichtung durch den Arbeitgeber wie beim aufrechten Arbeitsverhältnis. Trotz dieser Kritik ist aber im Ergebnis an der in der Vorentscheidung 9 ObA 396/97v vertretenen Auffassung festzuhalten, dass der - wie hier - durch eine unberechtigte Entlassung ausgelöste Anspruch nach § 5 EFZG der Ausschlussfrist des § 1162d ABGB unterliegt.

Auch die Entscheidung 9 ObA 396/97v geht davon aus, dass der Anspruch nach § 5 EFZG ein Erfüllungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis ist. Die weiters geäußerte Annahme, dass dieser Erfüllungsanspruch im Fall einer unberechtigten Entlassung seine Rechtsnatur ändert und nun formell als Kündigungsentschädigung (und damit als Schadenersatzanspruch) zu qualifizieren ist, ist allerdings in der Tat nicht überzeugend. Ebenso wenig kann aber übersehen werden, dass der Anspruch nach § 5 EFZG, soweit er von der Frage der Berechtigung der Entlassung abhängig ist, im Hinblick auf die Fristen der §§ 1162d AGBG bzw 34 AngG wertungsmäßig der von § 1162d ABGB erfassten Kündigungsentschädigung völlig gleichzuhalten ist. In beiden Fällen geht es um jenes Entgelt, das der Arbeitnehmer erhalten hätte, hätte der Arbeitgeber ihn nicht unberechtigt entlassen. Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung läuft daher auf eine Ungleichbehandlung wertungsmäßig völlig vergleichbarer Ansprüche hinaus, für die keine Rechtfertigung erkennbar ist. § 1162d ABGB (bzw § 34 AngG) strebt für die von ihm erfassten entlassungsabhängigen Ansprüche eine rasche Klarstellung an und will damit ganz offenkundig den Beweisproblemen entgegenwirken, die sich regelmäßig im Zusammenhang mit der Frage der Berechtigung der Entlassung mit zunehmendem Zeitablauf ergeben. Die in der Regel strittigen Sachverhalte, die für die Beurteilung der Berechtigung einer Entlassung maßgebend sind, sollen rasch geklärt werden. Dass der Gesetzgeber dabei den der Kündigungsentschädigung wertungsmäßig völlig vergleichbaren Anspruch nach § 5 EFZG - soweit er von der Berechtigung der Entlassung abhängig ist - von diesem Grundsatz ausnehmen wollte, kann nicht angenommen werden. Insofern ist vielmehr von einer planwidrigen Lücke auszugehen, die durch die analoge Anwendung des § 1162d (bzw des § 34 AngG) auch auf derartige Ansprüche zu schließen ist.

Dass § 1162d ABGB (bzw § 34 AngG) auf von der Berechtigung der Entlassung abhängige Abfertigungsansprüche nicht analog angewendet wird (Arb 10.097; SZ 59/180; Krejci in Rummel³ § 1162d Rz 5; Pfeil in Schwimann³ § 1162d Rz 7), steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Anders als der entlassungsabhängige Anspruch nach § 5 EFZG, der - wie oben gezeigt - dem Anspruch auf Kündigungsentschädigung wertungsmäßig völlig gleichgelagert ist, ist nämlich der Anspruch auf Abfertigung, der über Jahre „angespart" wird, mit den von § 1162d ABGB bzw § 34 AngG erfassten Ansprüchen nicht vergleichbar, sodass insoweit eine Gleichbehandlung mit der Kündigungsentschädigung nicht geboten ist. Der Oberste Gerichtshof hält daher daran fest, dass der aus einer unberechtigten Entlassung resultierende Anspruch nach § 5 EFZG von der Ausschlussfrist des § 1162d ABGB erfasst ist.

Nichts anderes gilt für die in § 21 Abs 4 des Kollektivvertrages normierte sechsmonatige Frist. Mit der zitierten Bestimmung wollten die Kollektivvertragsparteien - wie ja auch die Vorinstanzen offenkundig annehmen - die Regelung des § 1162d ABGB nachvollziehen. Es ist daher geboten, sie in gleicher Weise auszulegen wie die Bestimmung des § 1162d ABGB. Die Beklagte hat sich daher zu Recht darauf berufen, dass die Klageforderung auch von dieser Bestimmung des Kollektivvertrages erfasst wird.

Da die Klägerin mit ihrer Klage die sechsmonatige Frist des § 1162d ABGB bzw des § 21 Abs 4 des Kollektivvertrages nicht eingehalten hat, erweist sich daher das Klagebegehren als nicht berechtigt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher wie im Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die von der Beklagten für das Berufungs- und das Revisionsverfahren verzeichneten Pauschalgebühren waren ihr nicht zuzusprechen, weil das Rechtsmittelverfahren in Arbeitsrechtssachen bei einem Rechtsmittelinteresse bis EUR 1.450 gemäß Anm 5 zu TP2 bzw Anm 5 zu TP3 GGG gebührenfrei ist.

Rechtssätze
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