JudikaturJustiz9Ob9/17i

9Ob9/17i – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr in der Rechtssache der klagenden Partei W***** R*****, vertreten durch Gradischnig Gradischnig Rechtsanwälte GmbH in Villach, gegen die beklagte Partei B***** AG, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 9.018,71 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 30. November 2016, GZ 2 R 217/16p 28, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 21. September 2016, GZ 16 C 1516/15v 24, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 9.018,71 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 10. 2015 zu zahlen sowie die mit 5.440,04 EUR (darin 707 EUR Barauslagen, 788,84 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.215,48 EUR (darin 202,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.195,88 EUR (darin 1.362 EUR Barauslagen, 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin eröffnete im Jahr 1983 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein Girokonto, das sie bis 1993 laufend bediente. Als sie im April/Mai 1993 nach Deutschland übersiedelte, war das Konto „praktisch auf Null gestellt“. Nach der Übersiedlung gab sie der Beklagten ihre neue Adresse in Deutschland bekannt, erhielt den letzten Kontoauszug jedoch im Frühjahr 1993, als sie noch in Österreich war. Die Klägerin löste das Konto nie auf und beauftragte auch nie jemanden damit. Es steht fest, dass von 1993 bis 1998 vom Finanzamt 9.018,70 EUR (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) sowie bis 30. 6. 1997 monatlich „zumindest 2.000 ATS, wahrscheinlich jedoch 2.500 ATS“ (Unterhaltsvorschüsse) auf das Konto überwiesen wurden. Die Klägerin hatte für das Konto auch zwei Daueraufträge eingerichtet. Einer diente der Abdeckung der Miete von monatlich 1.000 ATS für eine von ihrer Mutter bewohnten Wohnung, die 1995 gerichtlich aufgekündigt und am 9. 2. 1996 geräumt wurde (wobei kein Mietzinsrückstand festgestellt werden konnte). Wie lange der Dauerauftrag zugunsten der Stadtgemeinde S***** als Vermieterin durchgeführt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Die Stadtgemeinde zahlte der Klägerin letztlich im Frühjahr 2016 ein Guthaben in Höhe von 2.769,42 EUR aus, das jedenfalls Mietüberzahlungen bis zum Jahr 1998 beinhaltete. Darüber hinausgehende Überzahlungen an die Stadtgemeinde waren nicht feststellbar. Der zweite Dauerauftrag diente der Deckung der Kosten einer Selbstversicherung der Klägerin in Höhe von monatlich 960 ATS, die jedenfalls in der Zeit von 1. 1. 1994 bis 30. 6. 1995 bestand. Gesicherte Feststellungen, wie lange aufgrund dieses Dauerauftrags Zahlungen an die Sozialversicherung erfolgten, konnten nicht getroffen werden. Außer einer Behebung im Sommer 1994 in Höhe von 4.000 oder 5.000 ATS erfolgten keine weiteren Behebungen der Klägerin von diesem Konto. Eine Stornierung der Daueraufträge durch die Klägerin erfolgte nicht. Dennoch ist nicht feststellbar, dass die Daueraufträge oder allenfalls Einzugsermächtigungen so lange durchgeführt wurden, bis das Konto letztlich den Saldo Null aufwies. Unstrittig wurde das Konto von der Beklagten einseitig geschlossen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, wann die Schließung erfolgte.

Nach ihrer Rückkehr nach Österreich begehrte die Klägerin mit Mahnklage vom 11. 9. 2015 von der Beklagten die Zahlung von 9.018,71 EUR sA. Im zweiten Rechtsgang errechnete sie aus den Kontoaus und -eingängen ein Guthaben in Höhe von 11.242,50 EUR, sodass der Klagsbetrag jedenfalls vorhanden sein müsse. Sie habe das Konto nie aufgelöst und das Guthaben nie abgehoben.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Zum Konto seien keinerlei Unterlagen mehr verfügbar. Jedenfalls sei mit den Überweisungen entweder ein Negativsaldo abgedeckt oder die Gutbuchungen durch Behebungen oder Lastschriften bis zum Zeitpunkt der Schließung aufgebraucht worden. Zum die Mietwohnung betreffenden Dauerauftrag erwog die Beklagte, die Klägerin habe offensichtlich bis Ende Juni 1995 von der Familienbeihilfe und den Unterhaltvorschusszahlungen leben müssen, sodass der Dauerauftrag mangels Kontodeckung nicht durchgeführt werden habe können und ein Mietzinsrückstand entstanden sei, der zur Kündigung und Räumung sowie zur Abdeckung der Räumungs- und Exekutionskosten vom Dauerauftrag geführt haben, wie überhaupt die beiden Daueraufträge so lange durchgeführt worden seien, bis am Konto kein Guthaben mehr bestanden habe, was spätestens Ende 2002 der Fall gewesen sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es errechnete Gesamteingänge von 17.521,42 EUR und Abzüge (Behebungen; Rückzahlung des Guthabens) von insgesamt 3.568,78 EUR. Der Klägerin sei daher der Nachweis gelungen, dass jedenfalls ein positiver Saldo von 13.952,64 EUR am Konto vorhanden gewesen sei. Die Beklagte habe Ausgänge von 4.360,87 EUR definitiv nachgewiesen, sodass zumindest 9.592,27 EUR am Konto verblieben sein mussten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die diesbezüglichen Abbuchungen von der Beklagten zu einem Zeitpunkt gestoppt worden seien, als sich noch ein Guthaben, etwa in Höhe des Klagsbetrags, am Konto befunden habe. Die entsprechenden Negativfeststellungen gingen zu ihren Lasten. Die Revision sei zur Frage der Behauptungs und Beweislast hinsichtlich der Höhe des – auch von der Durchführung nicht stornierter Daueraufträge abhängigen – Saldos auf einem vom Kreditinstitut einseitig geschlossenen Girokonto, für das keine Unterlagen mehr vorhanden seien, zulässig.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt , weil – ungeachtet der besonderen Umstände des vorliegenden Falles – Korrekturbedarf zur vom Berufungsgericht angenommenen Beweislastverteilung besteht.

1. Der Girovertrag ist eine Vereinbarung zwischen einer Bank und einem Kontoinhaber, durch die sich die Bank verpflichtet, ihr aufgetragene Leistungen, die dem bargeldlosen Zahlungsverkehr dienen, also die Gutschrift eingehender Beträge, die Besorgung von Überweisungen, die Entgegennahme von Einzahlungen auf das Konto und die Leistung von Zahlungen zu Lasten des Kontos durch buchmäßige Umschreibungen zu bewirken (RIS Justiz RS0032931). Es geht sohin um die Verrechnung gegenseitiger Forderungen und Leistungen in eine buchhalterisch zusammengefasste Form, bei der der sich ergebende Saldo eine Forderung des einen Partners gegen den anderen darstellt. Die Bank übernimmt durch den Kontoführungsvertrag die Verpflichtung, in regelmäßigen Zeitabständen Rechnungsabschlüsse durchzuführen, den Saldo zu ermitteln und mit dem Anbot auf einvernehmliche Feststellung dem Kunden bekannt zu geben (RIS Justiz RS0052409; 9 Ob 39/11t). Der Bekanntgabe des Saldos wird im Ergebnis im Regelfall nur deklarative Wirkung zugemessen (RIS Justiz RS0115012). Mangels eines anerkannten Saldos trifft den Kläger zwar die Behauptungs und Beweislast dafür, wie sich der geltend gemachte kausale Saldo errechnet (RIS Justiz RS0037955 [T4], zuletzt 4 Ob 197/15x). Das bedeutet aber nicht, dass der Beklagte Gegenforderungen, die in diesem Saldo nicht berücksichtigt wurden, nicht geltend machen müsste (RIS Justiz RS0037955 [T3]).

2. Im vorliegenden Fall wurde in Ermangelung einer Kommunikation zwischen den Streitteilen ab dem Frühjahr 1993 zwar formal kein Saldo mehr festgestellt (zum Begriff des festgestellten Saldos s nur Apathy in Apathy/Iro/Koziol , Bankvertragsrecht II 2 Rz 2/40 ff). Der Klägerin ist es jedoch gelungen, die für die Errechnung des Saldobetrags und damit für die Ermittlung des kausalen Saldos maßgeblichen Kontoeingänge und Abhebungen unter Beweis zu stellen. Nach der genannten Rechtsprechung sind im Saldo nicht berücksichtigte Gegenforderungen hingegen vom anderen Streitteil geltend zu machen.

3. Zur hier streitgegenständlichen Frage, wen in diesem Zusammenhang die Beweislast für die Beendigung eines Dauerabbuchungsauftrags trifft, ist zunächst festzuhalten, dass es für die Forderungsverrechnung und Saldoermittlung nicht auf das Vorhandensein des Dauerabbuchungsauftrags als solchen, sondern auf dessen tatsächliche Durchführung durch die beauftragte Zahlstelle (Beklagte) ankommt, da erst durch die Durchführung eine zur Verringerung des Saldos geeignete Verrechnungsposition geschaffen wird. Mit der Durchführung der Abbuchungsaufträge war hier die Beklagte beauftragt. Sie wäre daher auch dafür beweispflichtig gewesen, dass die Abbuchungen tatsächlich so lange durchgeführt wurden, bis das Guthaben der Klägerin durch die entsprechenden Abgänge aufgebraucht war und der Saldo Null betrug.

4. Nicht zu verkennen ist, dass ein nicht stornierter Dauerabbuchungsauftrag bei gewöhnlicher Geschäftsgebarung in der Regel für ein Weiterlaufen der Abbuchungen sprechen wird, wodurch es zwangsläufig auch zum Aufbrauch eines sonst nicht verwendeten Kontoguthabens kommen kann. Auf eben diesen Umstand konnte hier aber auf faktischer Ebene nicht geschlossen werden, weil das Konto der Klägerin zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt von der Beklagten einseitig geschlossen wurde und dafür auch andere Gründe als ein aufgebrauchtes Guthaben denkbar sind.

5. Da sich die Revision der Klägerin danach als berechtigt erweist, war ihr Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens unter Berücksichtigung der Einwendungen der Beklagten auf § 41 ZPO, hinsichtlich der Rechtsmittelverfahren auf den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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