JudikaturJustiz9Ob6/04d

9Ob6/04d – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Januar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Prof. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI Waltraud R*****, Handelsvertreterin, *****, vertreten durch Dr. Gerald Herzog ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf und Dr. Gernot Murko, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen EUR 160.196,14 sA, Rechnungslegung und Feststellung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 15. Oktober 2003, GZ 5 R 155/03h-7, mit dem der Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 20. August 2003, GZ 22 Cg 143/03a-3, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit ihrer beim Landesgericht Klagenfurt (ohne Beifügung des Zusatzes “als Arbeits- und Sozialgericht”) eingebrachten Klage begehrt die Klägerin unter Berufung auf einen Handelsvertretervertrag die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von EUR 160.196,14 sA, Rechnungslegung über sämtliche fakturierte Geschäftsfälle im ehemaligen Vertragsgebiet und die Feststellung, dass der Klägerin für Aufträge, die 2004 von Kunden der Klägerin direkt an die Beklagte oder einen von ihr Bevollmächtigten erteilt werden, eine nachträgliche Provision in Höhe von 10 % des an den Kunden fakturierten und gezahlten Betrags gebühre. Im Zuge von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Streitteilen über die Höhe der der Klägerin gebührenden Provision habe die Beklagte gegen die Klägerin unberechtigte Vorwürfe erhoben und in der Folge (ohne Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes) die sofortige Auflösung des Vertragsverhältnisses erklärt. Der Klägerin stehe daher der mit dem Leistungsbegehren geltend gemachte Betrag zu, der sich aus offenen Provisionen, Verdienstentgang und dem Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG zusammensetze. Im Hinblick auf ihre Provisionsansprüche aus nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zustande gekommenen oder noch zustande kommenden Geschäfte habe sie auch Anspruch auf die geforderte Rechnungslegung und die mit Punkt 3 des Klagebegehrens begehrte Rechnungslegung.

Der nach der Geschäftsverteilung beim angerufenen Gericht für allgemeine streitige Zivilsachen zuständige Richter hielt auf Grund einer telefonischen Rücksprache mit dem Klagevertreter fest, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis gestanden sei und dass das von der Klägerin bei der Beklagten erzielte Einkommen im Wesentlichen die einzige Existenzgrundlage der Klägerin gewesen sei.

Noch vor Zustellung der Klage an die Beklagte sprach daraufhin das Erstgericht mit Beschluss vom 20. 8. 2003 aus, dass die Rechtssache in die Zuständigkeit des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht falle. Das Klagevorbringen und die ergänzenden Angaben des Klagevertreters seien dahin zu werten, dass die Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person iSd § 51 ASGG zu qualifizieren sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Rekursgericht einen von der Beklagten gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhobenen Rekurs zurückgewiesen und ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichthofs sei die Gerichtsbesetzung nur dann auf Grund der Angaben in der Klage zu prüfen, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen und die für die Besetzung maßgebenden Tatsachen zusammenfallen. Sei dies nicht der Fall, sei auch auf die Behauptungen des Beklagten Bedacht zu nehmen. Daraus habe der Oberste Gerichtshof in 5 Ob 1/01k geschlossen, dass der Beklagte einem im Vorverfahren ohne seine Anhörung ergangenen Besetzungsbeschluss nur dann mit Rekurs anfechten könne, wenn die vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs geltend gemachten Tatsachen mit den für die Gerichtsbesetzung maßgebenden Tatsachen zusammenfallen, weil dann auf Grund der Klageangaben zu entscheiden sei und deren Schlüssigkeitsprüfung auch den Beklagten binde. Sei diese Voraussetzung jedoch nicht gegeben, stehe dem Beklagten gegen einen a limine gefassten Besetzungsbeschluss kein Rechtsmittel zu, weil ihm Einwendungen gegen eine nicht dem Gesetz entsprechende Gerichtsbesetzung zustehen, mit denen er sich nur vor dem Erstgericht ausreichend Gehör zu verschaffen vermöge, sodass ihn der allein auf Grund der Angaben des Klägers gefällte Beschluss ohnehin nicht binde. Dieser Rechtsauffassung schließe sich das Rekursgericht an. Sie führe hier zur Zurückweisung des Rekurses, weil die anspruchsbegründenden Tatsachen mit den für die Besetzung maßgebenden Tatsachen nicht ident seien. Aus der Behauptung, zwischen den Streitteilen habe ein Handelsvertretervertrag bestanden, der vertragswidrig aufgelöst worden sei, könne nämlich für sich allein für die Frage der Gerichtsbesetzung nichts gewonnen werden.

Die Beklagte werde daher ihre Einwände gegen den sie nicht bindenden Besetzungsbeschluss gegenüber dem Erstgericht zu erheben haben, das darüber als Arbeits- und Sozialgericht zu entscheiden haben werde.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil zur hier zu beurteilenden Frage eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Rekursgerichtes aufzuheben und dem Erstgericht die geschäftsordnungsgemäße Bearbeitung der Klage aufzutragen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem von der zweiten Instanz angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Richtig ist, dass nach der älteren Rechtsprechung Beschlüsse nach § 37 Abs 3 ASGG unabhängig davon als anfechtbar erachtet wurden, ob sie a limine oder erst nach Zustellung der Klage an den Beklagten über Parteienantrag ergingen (Arb 10.986; 8 ObA 134/98h). Diese Rechtsprechung stand im (bewussten) Gegensatz zur Judikatur zu § 40a JN, nach der a limine gefasste Beschlüsse über die Verfahrensart, in der der Rechtsschutzantrag zu behandeln ist, für den Beklagten nicht bindend sind und von ihm daher nicht angefochten werden können (5 Ob 567/84; 1 Ob 709/84; vgl auch SZ 27/335 [Judikat 61]; Ballon in Fasching² I § 40a JN Rz 10). Die Abweichung von der zuletzt zitierten Rechtsprechung wurde - der damals herrschenden Auffassung entsprechend - damit begründet, dass die Entscheidung nach § 37 Abs 3 ASGG ausschließlich auf Grund des Klagevorbringens zu erfolgen habe (EvBl 1990/90; 9 Ob 113/94; 8 ObA 119/89b), sodass die Grundsätze des Judikats 61, das dem Beklagten vor Streitanhängigkeit ein Anfechtungsrecht versage, nicht übertragbar seien. Da ohnedies nur auf Grundlage der Behauptungen des Klägers zu entscheiden und ein Gegenvorbringen nicht zu beachten sei, reiche es zur Wahrung der Rechte des Beklagten aus, ihm die Darlegung seiner abweichenden Rechtsauffassung in einem dem Neuerungsverbot unterliegenden Rekurs zu ermöglichen (so insbesondere 8 Ob 134/98h).

Nach nunmehr herrschender Rechtsprechung ist aber die Frage der Besetzung - so wie die Frage der Zuständigkeit - (nur) dann allein auf Grund der Klagebehauptungen zu prüfen, wenn die die Besetzung (bzw Zuständigkeit) begründenden Tatsachen zugleich auch Anspruchsvoraussetzung sind. Ist dies nicht der Fall, ist auch auf Gegenvorbringen des Beklagten Bedacht zu nehmen (SZ 72/142; 9 ObA 123/00d; 5 Ob 1/01k; 9 ObA 68/03w; 9 ObA 86/03t).

Damit ist aber - wie in 5 Ob 1/01k zutreffend ausgeführt wird - der tragende Grund für die Abweichung von den Grundsätzen des Judikats 61 weggefallen, sodass eine Harmonisierung der Rechtsprechung zu § 37 ASGG mit jener zu § 40a JN erforderlich ist. Nach der zitierten Entscheidung des 5. Senats ist ein a limine gefasster Besetzungsbeschluss daher dann vom Beklagten anfechtbar, wenn die anspruchsbegründenden Klageangaben mit den besetzungsrelevanten Tatsachen zusammenfallen, weil nur dann allein auf Grund der Klageangaben zu entscheiden sei und die Entscheidung auch den Beklagten binde. Bei Auseinanderfallen der anspruchsbegründenden und der besetzungsrelevanten Tatsachen stehe hingegen dem Beklagten gegen einen a limine gefassten Beschluss kein Rechtsmittel zu, weil ihm Einwendungen gegen eine nicht dem Gesetz entsprechende Gerichtsbesetzung zustehen, mit denen er sich nur vor dem Erstgericht ausreichend Gehör verschaffen könne, sodass ihn der allein auf Grund der Klageangaben gefasste Beschluss nicht binden könne.

Die damit vom 5. Senat gewonnene Lösung führt jedoch zu keiner vollständigen Harmonisierung mit der Rechtsprechung nach § 40a JN, nach der a limine gefasste Beschlüsse generell unanfechtbar sind. Sie bringt überdies - wie die Revisionsrekurswerberin geltend macht - Abgrenzungsprobleme mit sich, die im Einzelfall die Frage nach der Zulässigkeit des Rekurses von schwierigen Wertungsfragen abhängig machen und damit den vor die Wahl der geeigneten Vorgangsweise gestellten Beklagten vor beträchtliche Probleme stellen können.

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es daher sachgerecht, nach dem Wegfall des tragenden Argumentes für die Sonderbehandlung des Besetzungsbeschlusses nach § 37 ASGG die Frage der Anfechtbarkeit solcher Beschlüsse nach den allgemeinen, durch die Grundsätze des Judikats 61 bestimmten Regeln zu beantworten. Demnach ist zu berücksichtigen, dass - wie der Senat zuletzt in 9 Ob 4/99z ausführte - vor Streitanhängigkeit zwischen dem Kläger und dem Beklagten noch kein Verfahren anhängig ist, sodass der Beklagte in diesem Stadium keine Parteistellung hat. Solange der Beklagte am Verfahren nicht beteiligt ist, kann aber eine Gerichtsentscheidung ihm gegenüber nicht bindend sein.

Dies bedeutet, dass auch Besetzungsbeschlüsse nach § 37 ASGG, die vor Zustellung der Klage gefasst werden, den Beklagten - so wie Beschlüsse nach § 40a JN - nicht binden und von ihm nicht angefochten werden können. Darauf, ob die anspruchsbegründenden und die besetzungsrelevanten Tatsachen zusammenfallen, kommt es dabei nicht an. Diese Frage ist nur dafür entscheidend, welche Einwände der Beklagte im nach Zustellung der Klage eingeleiteten Verfahren erheben kann. Zu solchen Einwänden gegen eine seiner Ansicht nach nicht gesetzmäßige Besetzung ist er jedenfalls berechtigt, wobei er allerdings bei Zusammenfallen der anspruchsbegründenden und der besetzungsrelevanten Tatsachen auf rechtliche Ausführungen beschränkt ist. Auch in diesem Fall - wie auch dann, wenn wegen des Auseinanderfallens der anspruchsbegründenden und der besetzungsrelevanten Tatsachen auf von ihm vorgebrachte Tatsachen Bedacht zu nehmen ist - muss über seine Einwände mit (anfechtbarem) Beschluss entschieden werden.

Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung, nach der a limine gefasste Besetzungsbeschlüsse vom Beklagten nicht angefochten werden können, erweist sich daher die von der zweiten Instanz vorgenommene Zurückweisung des Rekurses des Beklagten als zutreffend, sodass dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels gründet sich auf die §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Klägerin ist zurückzuweisen, weil Rechtsmittel gegen einen Beschluss nach § 37 ASGG nicht zweiseitig sind. Daran hat sich auch - wie der Oberste Gerichtshof bereits mit eingehender Begründung klargestellt hat - durch die Entscheidung des EGMR vom 6. 2. 2001 “Beer gegen Österreich” nichts geändert (9 ObA 69/03w; 9 ObA 86/03t).

Rechtssätze
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