JudikaturJustiz9Ob49/17x

9Ob49/17x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte und Hofrätinnen Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Thomas Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Mag. Andrea Strodl, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, wegen 41.540 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 11.800 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juni 2017, GZ 16 R 86/17k 120, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7. April 2017, GZ 62 Cg 62/13p 116, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 652,80 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Kosmetikerin. Sie erzählte der Klägerin von einer Behandlungsmöglichkeit mit sog „Fettweg“ Spritzen und sagte ihr, dass sie sich diese selbst setzen könne. Die Beklagte dürfe diese Behandlung zwar nicht machen, weil sie keine medizinische Ausbildung habe, sie meinte aber, dass sie dies könne, die Behandlung bereits mehrfach bei sich selbst und anderen angewandt habe und das Ergebnis gut gewesen sei. Sie zeigte der Klägerin auch Fotos, worauf diese einer Behandlung durch die Beklagte zustimmte. Als Entgelt wurden 200 EUR vereinbart.

Die Beklagte hatte früher bei einem Allgemeinmediziner mit Schwerpunkt Schönheits-behandlungen beim Setzen derartiger Spritzen assistiert. Sie erklärte der Klägerin, dass bei dieser Behandlung Schwellungen und Blauverfärbungen eintreten können und dass sie eine Zeit lang Schmerzen verspüren könnte. Über weitere Risiken wurde die Klägerin nicht aufgeklärt, etwa dass das Präparat vom Hersteller nicht für eine solche Behandlung zugelassen ist, dass Abszesse und Narben und Unregelmäßigkeiten der Hautflächen entstehen können, Irritationen von Hautnerven durch die Injektionen oder den Entzündungsprozess bis zu Monate anhaltende Schmerzen und Gefühlsstörungen bewirken können sowie dass Fehler zu Infektionen, Zysten, starken lokalen Fettgewebenekrosen oder Hautnekrosen führen können. Im Fall einer Aufklärung hätte die Klägerin einer Behandlung nicht zugestimmt.

Am 27. 8. 2012 führte die Beklagte schließlich die Behandlung der Klägerin durch, ob entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst, kann nicht festgestellt werden.

Die Klägerin verspürte bereits bei der Behandlung Schmerzen, ihre Oberschenkel verfärbten sich blau und violett. In den Folgetagen entwickelten sich entzündete Schwellungen, wovon eine aufplatzte und ein drei Zentimeter tiefes Loch hinterließ. Aufgrund der Komplikationen blieben an den behandelten Stellen Narben und zwei Verhärtungen zurück. Das Gewebe ist schlaff und weist Unebenheiten und Dellen auf. Die Verhärtung ließ die Klägerin operativ sanieren. Für die Korrektureingriffe musste sie 7.100 EUR bezahlen. Dessen ungeachtet sind die optischen Folgen noch nicht vollständig beseitigt. Die Klägerin litt als Folge der Komplikation auch an seelischen Schmerzen. Insgesamt (körperlich und seelisch) erlitt sie 16,25 Tage starke, 28,25 Tage mittelstarke und 116 Tage leichte Schmerzen.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage die Zahlung von 41.540 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für die Folgen der Behandlung. Sie sei von der Beklagten nicht über mögliche Folgen und Komplikationen aufgeklärt worden. Die Behandlung sei auch fehlerhaft vorgenommen worden. Ihr stehe daher Schmerzengeld von 25.000 EUR, Kosten für Korrekturoperationen von 14.190 EUR, Verunstaltungs-entschädigung von 2.000 EUR und für Heilbehelfe und Generalunkosten 350 EUR zu. Spätfolgen seien nicht auszuschließen, weshalb sie ein Interesse an der Feststellung der Haftung der Beklagten habe.

Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass sie die Klägerin ohnehin darauf hingewiesen habe, dass sie über keine medizinische Ausbildung verfüge. Diese habe dennoch in die Behandlung eingewilligt, um sich die Kosten bei einem Facharzt zu ersparen. Die Behandlung sei von der Beklagten lege artis durchgeführt worden und die Klägerin umfassend über eintretende Nebenwirkungen und Komplikationen aufgeklärt worden. Da die Klägerin sich in Kenntnis der Tatsache, dass die Beklagte keine Spritzen setzen dürfe, auf die Behandlung eingelassen habe, treffe sie ein erhebliches Mitverschulden. Als Gegenforderung wandte die Beklagte 200 EUR, die von ihr an die Klägerin zurückbezahlten Behandlungskosten, ein.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung als zu Recht bestehen, bzw die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin 22.266,67 EUR sA sowie die Kosten des Verfahrens zu zahlen. Weiters stellt es fest, dass die Beklagte der Klägerin zu zwei Drittel für zukünftige Schäden aus der Behandlung haftet. Das Mehrbegehren der Klägerin wies es ab.

Rechtlich führte es aus, dass die Beklagte nach § 1299 ABGB für den Mangel der medizinischen Fähigkeiten und Kenntnisse zu haften habe, die die durchgeführte Behandlung erfordere. Es treffe die Beklagte gleich einen Arzt die Pflicht, über Risiken und Komplikation aufzuklären. Da die Klägerin mangels einer solchen Aufklärung nicht wirksam in die Behandlung einwilligen habe können, hafte die Beklagte für die daraus entstandenen Schäden. Allerdings treffe denjenigen, der dem vermeintlichen Sachverständigen das Geschäft überlasse, ein Mitverschulden, wenn er von der Unerfahrenheit desselben wusste oder wissen hätte müssen. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin sei daher nach § 1304 ABGB zu reduzieren. Da die Beklagte den Eindruck erweckt habe, sachkundig zu sein, sei das Verschulden im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten der Beklagten aufzuteilen. Als Schmerzengeld sei ein Betrag von 25.000 EUR angemessen, für die Verunstaltung 1.000 EUR. Weiters stehe der Klägerin der Ersatz der Kosten der Korrekturoperation sowie der Heilbehelfe von 150 EUR und der Unkosten von 150 EUR zu. Der sich so ergebende Betrag von 33.400 EUR sei aufgrund des Mitverschuldens der Klägerin um ein Drittel zu reduzieren. Die Beklagte habe dagegen keinen Anspruch auf Rückforderung des von ihr zurückerstatteten Entgelts. Der Klägerin seien daher 22.266,67 EUR sA zuzusprechen. Auch die Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden sei mit zwei Drittel festzustellen.

Das Berufungsgericht gab der nur von der Klägerin erhobenen Berufung, die sich gegen die Annahme eines Mitverschuldens von einem Drittel richtete und eine Zahlung von insgesamt 33.400 EUR sowie eine Feststellung der Haftung für sämtliche Folgeschäden forderte, nicht Folge. Es führte aus, dass ein Nichtarzt, der eine ärztliche Behandlung vornehme, über das Fehlen seiner Qualifikation aufzuklären habe. Dieser Pflicht habe die Beklagte entsprochen. Als Nichtärztin treffe sie aber keine ärztliche Aufklärungspflicht. Da die Beklagte darauf aufmerksam gemacht habe, dass ihr die erforderlichen Fähigkeiten fehlten und die Klägerin dennoch die Leistung begehrt habe, habe die Klägerin das Risiko bezüglich des Versagens übernommen und daher keinen Anspruch auf Ersatz. Die Beklagte haftet daher nicht für allfällige Schäden.

Die Revision ließ das Berufungsgericht aufgrund des Antrags der Klägerin nach § 508 Abs 3 ZPO nachträglich zu, da Rechtsprechung zur Reichweite der Aufklärungspflicht eines Nichtarztes bei Durchführung von Ärzten vorbehaltenen Tätigkeiten fehle.

Die Klägerin begehrt mit ihrer gegen die Berufungsentscheidung erhobenen Revision den Zuspruch von weiteren 11.133,33 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftige Schäden aus der Behandlung.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagte hat bei der Klägerin eine Behandlung durch das Setzen von Spritzen vorgenommen, es handelt sich dabei um einen Eingriff in die körperliche Integrität. Grundsätzlich begeht jemand, auch wenn er nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft einen anderen behandelt, eine rechtswidrige Körperverletzung, sofern diese Behandlung ohne dessen Einwilligung erfolgt. Daraus wurde im Bereich der Arzthaftung gefolgert, dass für nachteilige Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichenden Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten der Arzt selbst dann haftet, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RIS Justiz RS0026783; RS0038485). Aufgabe ärztlicher Aufklärung ist es, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern und ihn in die Lage zu versetzen, die Tragweite seiner Zustimmung zum Eingriff zu überblicken. Eine Einwilligung kann vom Patienten nur dann wirksam abgegeben werden, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS Justiz RS0026499).

Richtig hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass nach der Rechtsprechung ein Nichtarzt, der eine ärztliche Behandlung vornimmt, jedenfalls über das Fehlen seiner ärztlichen Qualifikation aufzuklären hat, ansonsten eine allfällige Einwilligung in die Behandlung unwirksam ist (RIS Justiz RS0026783 [T8]). Daraus lässt sich jedoch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die Aufklärung über das Fehlen der ärztlichen Qualifikation dazu führt, dass das Risiko einer nicht fachgerechten Leistung ausschließlich beim Vertragspartner liegt. Das wird allenfalls dort anzunehmen sein, wo ausdrücklich auch auf das Fehlen der Fähigkeiten zur Erbringung der Leistung hingewiesen wird, kann hier aber dahingestellt bleiben. Im Gegensatz dazu hat die Beklagte nur darauf verwiesen, dass ihr die ärztliche Befugnis fehlt, zugleich aber herausgestrichen, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für die Durchführung der Behandlung zu haben. Nach § 1299 ABGB gibt derjenige, der ohne Not freiwillig ein Geschäft übernimmt, dessen Ausführung eigene Kunstkenntnisse oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß erfordert, dadurch zu erkennen, dass er sich den notwendigen Fleiß und die erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse zutraut. Er muss daher den Mangel derselben vertreten. Da die Beklagte behauptet hat, die für die Erbringung der angebotenen Leistungen erforderlichen Fähigkeiten zu besitzen, hat sie auch für diese einzustehen. Das betrifft aber nicht nur die Ausführung, sondern auch die für eine wirksame Einwilligung zur Behandlung erforderliche Aufklärung. Eine solche ist hier nicht ausreichend erfolgt. Ohne eine ordnungsgemäße Aufklärung liegt aber keine wirksame Einwilligung, sondern vielmehr eine rechtswidrige Körperverletzung vor, für deren Folgen die Beklagte der Klägerin grundsätzlich zu haften hat.

§ 1299 ABGB letzter Satz sieht nun vor, dass demjenigen, der von der Unerfahrenheit des Vertragspartners wusste oder bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit hätte wissen können, zugleich ein Versehen zur Last fällt. Der Gläubiger, der sich sorgfaltswidrig auf das Geschäft eingelassen hat, hat sich sein Verhalten als Mitverschulden anrechnen zu lassen. Es kommt zu einer Schadensteilung nach § 1304 ABGB ( Reischauer in Rummel ³ § 1299 Rz 11)

Im vorliegenden Fall war der Klägerin bekannt, dass es sich um eine Behandlung handelt, die eine medizinische Ausbildung voraussetzt, über die die Beklagte nicht verfügte. Sie wusste weiters, dass die Behandlung einen körperlichen Eingriff erfordert (bei dem Behandlungstermin wurden an jedem Oberschenkel ca 15 Stiche gesetzt), der zu einer internen körperlichen Reaktion führen sollte. Auch wenn das Setzen von Spritzen mitunter auch von Laien vorgenommen wird, erfolgt dies üblicherweise nur nach ärztlicher Anordnung oder unter ärztlicher Aufsicht. Aufgrund der Gesamtumstände ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin hätte erkennen können, dass die Beklagte als Kosmetikerin nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für eine solche Behandlung verfügt und nicht befähigt ist, die angebotenen Leistungen zu erbringen. Dass sie sich dessen ungeachtet auf die Behandlung eingelassen hat, muss sie sich nach § 1299 ABGB zurechnen lassen. Dem Erstgericht ist aber auch darin zuzustimmen, dass das überwiegende Verschulden bei dem liegt, der behauptet, die entsprechenden Fähigkeiten zu besitzen. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten der Beklagten.

Davon ausgehend ist aber die Revision der Klägerin nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei steht für die Revisionsbeantwortung aber nur der einfache Einheitssatz zu. Umsatzsteuer wurde nicht verzeichnet.

Rechtssätze
6
  • RS0026473OGH Rechtssatz

    18. Oktober 2022·3 Entscheidungen

    Ein ärztlicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist nur insoweit vertragsmäßig und nicht rechtswidrig, als die Einwilligung des Patienten reicht. Der Arzt muss sich vor jedem Eingriff der klaren, auf zutreffenden Vorstellungen über die Art und Folgen des Eingriffs beruhenden Einwilligung des Patienten versichern. Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt voraus, dass dieser das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs in seinen Grundzügen erkannt hat. Dabei ist nicht der innere Wille, sondern der erklärte Wille des Patienten maßgebend. Maß und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten wird mitbestimmt von dem Grad der Gefährlichkeit des Eingriffs in die körperliche Integrität. Der Arzt hat die Verpflichtung, die Entschließungsfreiheit des Patienten über einen Eingriff grundsätzlich zu achten. Soweit die mit der Einholung der Einwilligung verbundene Aufklärung - auch über mögliche schädliche Folgen der Therapie - die Stimmung oder sogar das Allgemeinbefinden herabdrückt, handelt es sich um unvermeidbare Nachteile, die in Kauf genommen werden müssen. Die Aufklärungspflicht des Arztes über mögliche schädliche Folgen der Therapie gehört gerade mit zum ärztlichen Beruf, der die Persönlichkeit und die körperliche Integrität nicht außer acht lassen darf. Diese Grundsätze gelten auch bei psychisch Kranken. Die Aufklärungspflicht, die den Ärzten hinsichtlich der Therapie obliegt, ist keine rein ärztliche, der Weisungspflicht entzogene Angelegenheit. Dem Vorstand eines Krankenhauses obliegt daher insoweit eine Leitung und Aufsichtspflicht, für deren Verletzung der Unternehmer einzustehen hat. Eine ohne angemessene ärztliche Aufklärung und ohne Einwilligung vorgenommene Elektroschockbehandlung ist nach den in der Literatur erkennbaren Angaben, vor allem im Hinblick auf die unterschiedliche Beurteilung ihrer Folgen nicht als harmloser Eingriff anzusehen, sondern widerrechtlich. BGH vom 10.07.1954, VI ZR 45/54; Veröff: NJW 1956,1106; hiezu Neidhardt, Behandlungsrecht des Arztes und ärztliche Aufklärungspflicht in der Sicht des Arztes und des Juristen. NJW 1956,1097