JudikaturJustiz8Ob95/23p

8Ob95/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. I*, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. F*, vertreten durch die Schneeweiss Weixelbaum Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Ehescheidung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Juli 2023, GZ 42 R 102/23w 21, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin und der Beklagte sind österreichische Staatsbürger und schlossen am 1. 9. 1998 vor dem Standesamt Wien Hietzing die Ehe. Ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt befand sich in Wien, wo die Klägerin nach wie vor wohnt. Am 19. 8. 2022 brachte der hier Beklagte beim Bezirksgericht Luzern eine auf Art 114 ZGB gestützte Scheidungsklage ein. Nach dem in der Schweiz geltenden Art 114 ZGB kann ein Ehegatte die Scheidung verlangen, wenn die Ehegatten mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben. Mit der beim Erstgericht am 7. 9. 2022 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Ehescheidung nach § 49 EheG, weil der Beklagte eine ehebrecherische Beziehung eingegangen sei und das alleinige Verschulden an der Zerrüttung verantworte.

[2] Das Erstgericht wies die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin Folge und verwarf die vom Beklagten erhobene Einrede der Streitanhängigkeit.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

[4] 1. Auch ein im Ausland anhängiges Verfahren stellt nach ständiger Rechtsprechung – außerhalb des Anwendungsbereichs von Art 20 Brüssel IIb VO – nach den Regeln über die Rechtshängigkeit ein Prozesshindernis dar, wenn die ausländische Entscheidung im Inland anerkennungsfähig wäre und vollstreckt werden könnte, wie dies hier aufgrund des Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags zwischen Österreich und der Schweiz vom 16. 12. 1960, BGBl 125/1962 zutrifft (RIS Justiz RS0120264). Durch die Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit sollen einander widersprechende Entscheidungen in ein und derselben Sache verhindert werden (8 Ob 18/08t).

[5] 2. Der gleiche Streitgegenstand liegt aber nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch hinsichtlich des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagsgrundes, mit jenem des Vorprozesses identisch ist (RS0039347; RS0041229). Die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu verneinen, wenn in einer zweiten Scheidungsklage zusätzliches Vorbringen zum Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung erstattet wird und es nach dem anzuwendenden materiellen Recht auf das Verschulden dieses Ehegatten ankommt (RS0123717). Die in der Schweiz wegen einer zwei Jahre übersteigenden häuslichen Trennung erhobene Scheidungsklage steht daher der beim Erstgericht eingebrachten und auf das Verschulden des Beklagten gestützten Scheidungsklage nicht entgegen.

[6] 3. Auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 Ob 116/11h, wonach eine in Tunesien wegen Zerrüttung der Ehe eingebrachte Scheidungsklage einer inländischen auf Verschulden gestützten Scheidungsklage entgegensteht, kann sich der Beklagte nicht berufen, weil in diesem Verfahren die vom allgemeinen Streitgegenstandsbegriff abweichende Auslegung des Art 14 des Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrags zwischen Österreich und der Tunesischen Republik, BGBl 305/1980, unstrittig war. Auch enthält der Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag zwischen Österreich und der Schweiz keine vergleichbare Regelung.

[7] 4. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Rechtssätze
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