JudikaturJustiz8Ob95/11w

8Ob95/11w – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Horätin Dr. Tarmann Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Gabriela G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang List, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Dr. Reinhard Schanda, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 75.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. Juli 2011, GZ 18 R 97/11k 11, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 17. März 2011, GZ 2 C 1544/10k 7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte betreibt auf mehr als 500 m weit vom Grundstück der klagenden Grundeigentümerin entfernten Grundstücken drei Windkraftanlagen. Der Genehmigung des Betriebs dieser drei Windkraftanlagen mit Bescheid der zuständigen Landesregierung vom 18. 3. 2003 gingen zwei Verhandlungen am 28. 11. 2002 und am 12. 3. 2003 voraus, in denen auch Fragen der Lärmemission und des Schattenwurfs Gegenstand waren. Die Klägerin erhielt allerdings keine persönliche Ladung zu diesen Verhandlungen. Auch wurde bloß die zweite Verhandlung an der Amtstafel der Gemeinde der Klägerin angeschlagen, und zwar nur eine Woche davor. An der Verhandlung am 12. 3. 2003 nahm die Klägerin nicht teil.

Die Klägerin übermittelte, nachdem ihr der Bescheid vom 18. 3. 2003 nicht zugestellt wurde, erst am 9. 9. 2003 einen „Einspruch“ an die Landesregierung, in dem sie sich darauf stützte, dass sie im Bewilligungsverfahren übergangen worden sei. Die Landesregierung forderte die Klägerin daraufhin auf, klarzustellen, ob es sich bei ihrer Eingabe um einen Devolutionsantrag iSd Art 12 Abs 3 B VG, einen Wiederaufnahmeantrag oder einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand handle. Mit ihrer Eingabe vom 30. 9. 2003 wies die Klägerin unter anderem darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Verhandlung am 12. 3. 2003 nicht gegeben gewesen und sie nicht ausreichend von der Verhandlung benachrichtigt worden sei. Sie erhob in dieser Eingabe auch inhaltliche Einwendungen.

Mit Bescheid vom 11. 11. 2003 gab die Landesregierung dem „Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der mündlichen Verhandlung am 12. 3. 2003“ nicht Folge.

Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit wies in weiterer Folge den gegen diesen Bescheid erhobenen Devolutionsantrag der Klägerin gemäß Art 12 Abs 3 B VG als unbegründet ab. Die Anberaumung der mündlichen Verhandlung sei zwar zu kurzfristig und daher mangelhaft erfolgt; da die Klägerin aber keinen Vertagungsantrag gestellt habe, sei dieser Mangel saniert. Da die Klägerin weder vor noch in der Verhandlung begründete Einwendungen erhoben habe, habe sie gemäß § 10 Abs 2 NÖ ElWG 2001 iVm § 42 Abs 1 AVG ihre Parteistellung verloren.

Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Bescheid des Bundesministers auf. Die Präklusionswirkung iSd § 42 Abs 1 erster und zweiter Satz AVG setze eine „doppelte“ Kundmachung der mündlichen Verhandlung voraus, die hier nicht erfolgt sei. Die Eingabe der Klägerin stelle nicht bloß einen Wiedereinsetzungsantrag, sondern auch eine Berufung dar, habe die Klägerin doch auch auf einen „Devolutionsantrag iSd Art 12 Abs 3 B VG“ verwiesen. Der Bundesminister habe daher den Bescheid über die Wiedereinsetzung aufzuheben und über die Berufung zu entscheiden.

In weiterer Folge wies der Bundesminister mit Bescheid vom 5. 6. 2009 den Wiedereinsetzungsantrag ab und sprach aus, dass der Bescheid der Landesregierung über die Abweisung der Wiedereinsetzung gemäß Art 12 Abs 3 B VG außer Kraft trete. Da eine Zuständigkeit des Bundesministers zur Entscheidung über die vom Verwaltungsgerichtshof als solche qualifizierte „Berufung“ nicht existiere, sei eine verfassungskonforme Umsetzung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs nicht möglich. Das Verwaltungsverfahren falle daher aufgrund des Antrags einer übergangenen Partei gemäß § 8 AVG iVm § 41 AVG in ein Stadium zurück, für das die Zuständigkeit der Landesregierung gegeben sei.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage zuletzt, die Beklagte schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, ortsunübliche Immissionen, „nämlich akustische und schwingungstechnische Tief und Hochfrequenzen, deutlich hörbarer Impulston, Schattenwurf und Discoeffekt (Flimmereffekt)“ auf der Liegenschaft der Klägerin zu bewirken. Der Bewilligungsbescheid vom 18. 3. 2003 habe der Klägerin gegenüber keine Rechtswirksamkeit. Von der Anlage der Beklagten gingen die im Klagebegehren angeführten Immissionen auf die Liegenschaft der Klägerin aus, die ortsunüblich seien und die ortsübliche Benützung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigten.

Die Beklagte wendete vor allem ein, dass der Genehmigungsbescheid nicht aufgehoben und unverändert in Kraft sei. Dem Begehren der Klägerin stehe daher § 364a ABGB entgegen. Im Übrigen werde die ortsübliche Benützung des Grundstücks der Klägerin nicht beeinträchtigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gegen den Bescheid der Landesregierung stehe kein ordentliches Rechtsmittel offen, sondern nur ein Devolutionsantrag nach Art 12 Abs 3 B VG. Auch der VwGH habe interpretiere man sein Erkenntnis verfassungskonform die Eingabe der Klägerin in diesem Sinn interpretiert. Dementsprechend sei bis zur Entscheidung des Bundesministers in der Sache selbst der Bewilligungsbescheid aufrecht. Da damit eine bewilligte Anlage iSd § 364a ABGB vorliege, bestehe das Unterlassungsbegehren nicht zu Recht.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge, hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurück. In der Sache selbst führte es aus, dass nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs berücksichtige man dessen offensichtlichen Willen - von einem rechtzeitig erhobenen Devolutionsantrag iSd Art 12 Abs 3 B VG auszugehen sei. Diesem komme nach § 3 des Ausführungsgesetzes zu Art 12 Abs 3 B VG aufschiebende Wirkung zu. Ein Ausschluss der aufschiebenden Wirkung sei durch den Bundesminister nicht verfügt worden. Die Anlagengenehmigung sei jedenfalls gegenüber der Klägerin rechtsunwirksam. Mangels wirksamer Anlagengenehmigung sei daher eine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten Ansprüche erforderlich und deshalb die Rechtssache an das Erstgericht zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen.

Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob der Entzug von Licht, der sich in einem sich bewegenden Schattenwurf und in einem damit in Verbindung stehenden Flimmereffekt auswirke, einer nach § 364 ABGB untersagbaren positiven Immission gleichzuhalten sei. Zudem bestehe ein in der Rechtsprechung noch nicht erörtertes Spannungsverhältnis zwischen § 3 BGBl 62/1926 (Festlegung der aufschiebenden Wirkung des Devolutionsantrags) und Art 12 Abs 3 B VG.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts erhobene Rekurs der Beklagten ist iSd §§ 519 iVm 502 ZPO zulässig, aber nicht berechtigt.

I. Zufolge § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grundstück ausgehenden Immissionen insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Ausmaß überschreiten und die ortsübliche Benützung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen.

Dieses Recht wird aber von § 364a ABGB für den Fall eingeschränkt, dass „die Beeinträchtigung durch eine Bergwerksanlage oder eine behördlich genehmigte Anlage“ erfolgt. Insoweit wird der beeinträchtigte Nachbar auf einen Ersatzanspruch verwiesen.

II.1. Der erkennende Senat hat sich jüngst ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die Einschränkung des § 364a ABGB auch nach Bewilligungsverfahren zum Tragen kommt, in denen dem beeinträchtigten Nachbarn keine Parteistellung zuerkannt wird. Der erkennende Senat vertrat dazu die Auffassung, dass bei verfassungs- und europarechtskonformer Interpretation im Falle einer mangelnden Beteiligungsmöglichkeit des betroffenen Nachbarn keine „behördlich genehmigte Anlage“ iSd § 364a ABGB vorliegt und dem beeinträchtigten Nachbarn daher der Untersagungstatbestand des § 364 ABGB unter den dort genannten Voraussetzungen zusteht (8 Ob 128/09w = JBl 2011, 234, zust Wagner , = RdU 2001/1 zust Bergtaler/Schulev-Steindl/Kerschner ).

II.2.a Hier ist sowohl aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs als auch aufgrund jener des Bundesministers davon auszugehen, dass der Klägerin sehr wohl Parteistellung im Verwaltungsverfahren zukommt, dass sie aber am Verfahren nicht entsprechend beteiligt wurde („übergangene Partei“).

II.2.b. Gegenüber der „übergangenen Partei“ entfaltet der Bescheid keine Rechtswirkungen (vgl etwa Hengstschläger/Leeb , Kommentar zum AVG, § 8 Rz 20; Stolzlechner/Wendl/Bergtaler , Gewerbliche Betriebsanlagen 3 , 209 uva).

II.2.c. Zu § 364a ABGB wird in der Lehre vertreten, dass die im Bewilligungsverfahren „übergangene Partei“ auch weiter ihren Anspruch nach § 364 Abs 2 ABGB geltend machen kann (so etwa Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 364a Rz 178; Wagner , Betriebsanlage im zivilen Nachbarrecht, 190 f; Stolzlechner/Wendl/Bergtaler aaO, 244 ua).

II.2.d. Dem schließt sich auch der erkennende Senat an. Dies entspricht dem bereits in der Entscheidung zu 8 Ob 128/09w zum Ausdruck gebrachten Ansatz, dass eine „behördlich genehmigte Anlage“ eben nur dort vorliegen kann, wo eine effektive Berücksichtigung der Interessen des Nachbarn im Genehmigungsverfahren gegeben ist (RIS Justiz RS0010682). Auch wurde ja bereits ausgesprochen, dass eine behördlich genehmigte Anlage erst dann vorliegen kann, wenn die behördliche Genehmigung in Rechtskraft erwachsen ist (RIS Justiz RS0010669). Hier ist aber offensichtlich noch nicht einmal eine wirksame Zustellung des Bescheids an die Klägerin erfolgt.

Mangels Wirksamkeit des Bescheids gegenüber der Klägerin kann sich die Beklagte daher nicht auf § 364a ABGB berufen, sodass sich die vom Rekursgericht als wesentlich erachtete Frage, ob die Festlegung einer aufschiebenden Wirkung des Devolutionsantrags durch § 3 des BG BGBl 62/1926 in einem Spannungsverhältnis zu Art 12 Abs 3 B VG steht, gar nicht stellt.

III. Zum Inhalt der Unterlassungsbegehren werden Einwendungen der Beklagten nicht aufrechterhalten (vgl auch RIS Justiz RS0117853). Der Oberste Gerichtshof hat auch keine Bedenken gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach es möglich ist, dass ein Entzug von Licht, der sich in einem rotierenden Schattenwurf und damit in Verbindung stehenden Flimmereffekten auswirkt, vergleichbar einer Immission unter § 364 ABGB fallen kann, hat doch der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass bewusste Veränderungen der natürlichen Verhältnisse, die die ortsübliche Nutzung des Nachbargrundstücks in vergleichbarer Weise wesentlich beeinträchtigen, auch erfasst sein können (RIS-Justiz RS0010637; 3 Ob 553/84; vgl zur Abgrenzung zur bloß negativen Immission etwa Kerschner/E . Wagner in Klang 3 ; § 364 Rz 178 ff; Eccher in KBB 3 § 364 Rz 6; kritisch Spielbüchler in Rummel ABGB 3 § 364 Rz 10). Schließlich hat der Gesetzgeber auch in § 364 Abs 3 ABGB den Lichtverhältnissen auf einem Grundstück besondere Bedeutung zugemessen. Dies ist auch für einen von einem Windrad ausgehenden „Flimmer Discoeffekt“ denkbar.

IV. Dem Rekurs war nicht Folge zu geben.

V. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Rechtssätze
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  • RS0126291OGH Rechtssatz

    20. Januar 2012·2 Entscheidungen

    Allgemein und gerade unter dem Aspekt des verfassungs‑ und europarechtlichen Grundrechtsschutzes kommt der Interpretation unter dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung besondere Bedeutung zu. Auch die Bestimmungen der §§ 364 und 364a ABGB sind iVm den Verwaltungsbestimmungen zu interpretieren, auf die § 364a ABGB im Ergebnis verweist. Wenn der Gesetzgeber ein allgemeines Recht (§ 364 ABGB) ausformt und im Rahmen von Verfahren nach individualisierten Kriterien (§ 364a ABGB iVm Verwaltungsverfahren) Eingriffe zulässt, so bedarf dies der Möglichkeit der Überprüfung und Beteiligung an diesen Verfahren durch die betroffenen Inhaber der Rechte. Das öffentliche Interesse am Umweltschutz und die privaten Rechte der Anrainer (§ 364 ABGB) stellen unterscheidbare Aspekte dar. Die Prüfung dieser Aspekte kann gemeinsam in einem (Verwaltungsverfahren) erfolgen, oder getrennt in verschiedenen Verfahren (Gericht und Verwaltungsbehörde). Ob in die Rechte nach § 364 ABGB tatsächlich eingegriffen werden soll, kann nur aus der gemeinsamen Interpretation der verwaltungsrechtlichen Bestimmungen iVm § 364a ABGB abgeleitet werden. Ob in diesem Verwaltungsverfahren nur die öffentlichen rechtlichen Interessen beurteilt werden sollen oder auch die privaten Rechte der Anrainer, ergibt sich daraus, ob diese in dem Verwaltungsverfahren Parteistellung (§ 8 AVG) haben. Nur im letzteren Fall ist davon auszugehen, dass es sich auch um eine „genehmigte Anlage“ aufgrund einer „behördlichen Verhandlung“ im Sinne der für den Individualrechtsschutz maßgeblichen Bestimmung des § 364a ABGB handelt.