JudikaturJustiz8Ob9/13a

8Ob9/13a – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj T***** S*****, vertreten durch Dr. Ulrike Bauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Dr. Franz Amler, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 123.854,15 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2012, GZ 11 R 80/12h 29, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Mit der Zurechnung eines Gehilfen auf Seiten eines schuldlos Geschädigten iSd § 1304 ABGB, konkret mit der Frage, ob das Verschulden eines Gehilfen einen Mitverschuldenseinwand des Schädigers rechtfertigt, hat sich der Oberste Gerichtshof in jüngerer Zeit schon wiederholt befasst. Dabei wurde die „Gleichbehandlungsthese“ für maßgebend erachtet und jenen Lehrmeinungen der Vorzug gegeben, die für eine „Gleichbehandlung“ von Schädiger und Geschädigtenseite eintreten (siehe zum Meinungsstand Schörghofer , Gehilfenzurechnung auf Geschädigtenseite, Zak 2009/379, 246). In der Entscheidung 4 Ob 204/08s vertrat der Oberste Gerichtshof dazu die Auffassung, dass für das geltende Recht allein die „Gleichbehandlungsthese“ methodisch vertretbar sei. Im Fall einer deliktischen Schädigung könne dem Geschädigten, den kein eigenes Verschulden treffe, das für den Schadenseintritt mitwirkende Verschulden von Personen, denen der Geschädigte seine Güter bewusst überantwortet habe (Bewahrungsgehilfen), jedenfalls dann nicht wie eigenes Verschulden angerechnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 1315 ABGB nicht vorliegen würden. In der Entscheidung 1 Ob 1/09t wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, dass sich der Geschädigte, der im Rahmen eines Schuldverhältnisses vom anderen Vertragspartner geschädigt werde, als Mitverschulden anrechnen lassen müsse, wenn sein Erfüllungsgehilfe durch eine von ihm zu vertretende Sorglosigkeit gegenüber den Gütern seines Geschäftsherrn den Schaden mitverursacht habe. Für die Beurteilung, wer Gehilfe sei, sei § 1313a ABGB entsprechend heranzuziehen. Gehe es um eine Schädigung bei der Vertragserfüllung durch den anderen Vertragspartner, so komme als Gehilfe auf Seiten des Geschädigten nur eine Person in Betracht, die dieser im Zusammenhang mit dem Erfüllungsvorgang herangezogen und damit betraut habe, dabei die Interessen des Geschädigten zu wahren. Nach der herrschenden Judikatur müsse sich der Geschädigte ein Verschulden von Gehilfen dann zurechnen lassen, wenn diese Pflichten oder Obliegenheiten verletzten, die ihn vereinbarungsgemäß oder nach der Verkehrsübung selbst treffen würden. In der Entscheidung 6 Ob 217/10w (vgl auch 9 Ob 240/08d) führte der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob der vom Geschädigten mit der Schadensbeseitigung Beauftragte („Herstellungsgehilfe“) diesem zuzurechnen sei, aus, dass die Zurechnung von Gehilfenverhalten auf Geschädigtenseite im ABGB nicht ausdrücklich geregelt sei. Nach herrschender Ansicht sei das Verschulden von Hilfspersonen auf Seiten des Geschädigten, den kein eigenes Verschulden treffe, nicht schlechthin bedeutungslos. Der Geschädigte müsse sich das mitwirkende Verschulden solcher Personen im Rahmen schuldrechtlicher Sonderverbindungen entsprechend § 1313a ABGB entgegenhalten lassen. Der Senat teile die herrschende Lehre, dass sich der Geschädigte das Verhalten des Herstellungsgehilfen nicht zurechnen lassen und daher nur vertreten müsse, den Herstellungsgehilfen nicht ordnungsgemäß ausgewählt zu haben. Schließlich wurde auch in der Entscheidung 8 Ob 21/11p von der „Gleichbehandlungsthese“ ausgegangen.

1.2 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht die notwendige Folge der gebotenen Gleichbehandlung von Schädiger und Geschädigtenseite somit darin, dass in beiden Fällen zwischen einer Schädigung im Schuldverhältnis und einer Schädigung außerhalb eines solchen zu unterscheiden ist. Im ersten Fall besteht für beide Seiten eine rechtliche Sonderbeziehung, die eine auf Erfüllung und Sorgfalt ausgerichtete Vertrauenslage des Kontaktpartners begründet und besonders schutzwürdig ist, weshalb dem Geschädigten das Verhalten seiner Gehilfen in der Regel analog § 1313a ABGB zugerechnet wird. Außerhalb eines Schuldverhältnisses muss sich der künftig Geschädigte das Verschulden einer Hilfsperson nur dann analog § 1315 ABGB wie eigenes Verschulden anrechnen lassen, wenn die Hilfsperson habituell untüchtig ist oder der Geschädigte deren Gefährlichkeit kennt, sowie bei Auswahl oder Überwachungsverschulden.

Der erkennende Senat hält die dargestellten Grundsätze weiterhin für zutreffend. Anders als im deutschen BGB (§ 254 Abs 2; vgl dazu Oetker in MünchKomm BGB 5 § 254 Rz 126) fehlt im ABGB eine ausdrückliche Regelung der Gehilfenzurechnung auf Geschädigtenseite. Mit § 1304 ABGB wird somit primär nur das Verschulden des Geschädigten selbst berücksichtigt (vgl Sagerer , Glosse zu 4 Ob 204/08s, ÖZW 2009, 75 [78]). Im österreichischen Recht findet sich eine Gehilfenzurechnung auf Geschädigtenseite nur in sondergesetzlichen Bestimmungen (zB § 7 Abs 2 EKHG, § 15 AtomHG 1999, § 11 PHG). Entgegen der Ansicht von Dullinger (Mitverschulden des Gehilfen, JBl 1990, 20 [91]; dieselbe, Zum Mitverschulden von Gehilfen bei Haftung ex delicto, JBl 1992, 407) sind diese sondergesetzlichen Anordnungen aufgrund ihrer Qualifikation als leges speciales nicht mit Bezug auf das allgemeine Schadenersatzrecht analogiefähig (vgl Sagerer aaO 78). Für die „Verschärfungsthese“ (siehe Schörghofer aaO 246), wonach die Gehilfenzurechnung auf Geschädigtenseite weiter gehe als jene auf Schädigerseite und sich der Geschädigte das Verhalten seiner Bewahrungsgehilfen (Personen, denen er sein Gut freiwillig anvertraut hat oder derer er sich zur Wahrnehmung seiner vertraglichen Gläubigerobliegenheiten bedient) nicht etwa nur im Schuldverhältnis, sondern schlechthin in jedem Fall zurechnen lassen müsse, steht damit keine taugliche Rechtsgrundlage zur Verfügung.

2. Im Anlassfall macht der Kläger Schadenersatzansprüche aus der Verletzung des mit seiner Mutter abgeschlossenen Behandlungsvertrags, der zu seinen Gunsten Schutzwirkungen entfacht, geltend. Der Klagsvertreter im Vorprozess hat im Verhältnis zur Beklagten keine Obliegenheiten des Klägers aus dem Behandlungsvertrag erfüllt. Eine Zurechnung des Verhaltens des Rechtsanwalts nach § 1313a ABGB kommt damit nicht in Betracht. Der Kläger müsste sich ein Verschulden daher nur unter den Voraussetzungen des § 1315 ABGB anrechnen lassen. Das Berufungsgericht hat dazu ohne korrekturbedürftige Fehlbeurteilung darauf hingewiesen, dass die Beklagte eine Gehilfenzurechnung iSd § 1315 ABGB nicht geltend gemacht habe, sodass eine Anspruchskürzung wegen eines Mitverschuldens nicht in Betracht komme.

3.1 Die Ausführungen der Beklagten, wonach die Bestimmungen der ZPO über die Parteien auch auf deren Bevollmächtigte zu übertragen seien und das Verschulden des Rechtsvertreters dem Verschulden der Partei gleichstehe, beziehen sich in erster Linie auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und damit auf die prozessualen Auswirkungen eines Fehlverhaltens des Rechtsanwalts.

In der Entscheidung 6 Ob 156/08x hat der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob kraft Prozessrechtsverhältnisses auch eine materiell rechtliche Sonderbeziehung anzunehmen sei, dargelegt, dass § 408 ZPO eine Haftung der Partei für mutwillige Prozessführung vorsehe. Im Bereich der Mutwillensstrafen könne es keinem Zweifel unterliegen, dass Fehler des Rechtsanwalts der Partei zuzurechnen seien.

Zudem wurde in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf die deutsche Rechtslage aus § 408 ZPO abgeleitet, dass die Partei auch im Rahmen der Haftung für rechtsmissbräuchliche Prozesshandlungen für Fehler ihres Rechtsanwalts einstehen müsse. Die ZPO statuiere weitgehende Wahrheits und Vollständigkeitspflichten, die zumindest auch dem Schutz der Gegenpartei dienten. Würde man hier keine Zurechnung des Verschuldens annehmen, so würde der Schutz der Gegenpartei weitgehend leerlaufen. Dazu komme, dass von der Gegenpartei regelmäßig nicht beurteilt werden könne, inwieweit unrichtige Prozessbehauptungen auf einem Fehler des Rechtsanwalts oder einer fehlerhaften Informationserteilung durch seine Mandanten beruhten. Dazu ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine rechtsmissbräuchliche Prozessführung iSd § 1295 Abs 2 ABGB eine Schadenersatzpflicht begründen kann. Dies ist bei bewusst unrichtigen Prozessbehauptungen oder dann der Fall, wenn der eigene Prozessstandpunkt erkennbar für aussichtslos gehalten werden musste (1 Ob 71/09m; 1 Ob 227/11f). Dabei ist zugunsten des „Schädigers“ ein milder Maßstab anzulegen, weil grundsätzlich jeder Partei zugestanden werden muss, ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen (vgl 8 ObA 43/08v). Der Geschädigte hat daher im Einzelnen qualifiziert darzulegen, weshalb bestimmte rechtliche Standpunkte des Gegners als jedenfalls aussichtslos erscheinen mussten.

3.2 Auch diese Voraussetzungen für eine (Mit )Verschuldenszurechnung sind im Anlassfall nicht gegeben.

Im gegebenen Zusammenhang ist klarzustellen, dass die außerordentliche Revision nur mehr auf die Inanspruchnahme des (passiv nicht legitimierten) Krankenanstaltenverbands im Vorverfahren Bezug nimmt. Die Beklagte stützt sich in ihrem Rechtsmittel dabei (neben § 1313a ABGB) auf § 408 ZPO. Zur Frage der Prozessführung gegen den Krankenanstaltenverband hat sich die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren auf eine mutwillige Vorgangsweise durch den Rechtsanwalt des Klägers im Vorprozess allerdings nicht berufen. Auch auf eine (von vornherein) erkennbar aussichtslose Prozessführung hat sie sich nicht berufen. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die Anfrage des Vertreters des Klägers vom 9. 12. 2002 zur Passivlegitimation unbeantwortet gelassen hatte und sie auch noch im vorliegenden Verfahren die Ansicht vertrat, dass der Krankenanstaltenverband ab 1. 1. 2002 die Rechte und Pflichten des bisherigen Rechtsträgers des Krankenhauses übernommen habe.

4. Insgesamt vermag die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.