JudikaturJustiz8Ob22/22a

8Ob22/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. April 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* GmbH, *, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 25.370 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2021, GZ 13 R 138/21s 29.1, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 23. 3. 2015 bei der Autohaus K* GmbH einen Audi A6 Avant 3.0 TDI zum Preis von 77.900 EUR, wobei sie eine Anzahlung von 7.000 EUR leistete und einen Gebrauchtwagen eintauschte, für den ihr weitere 7.000 EUR auf den Kaufpreis angerechnet wurden. Darüber hinaus verpflichtete sich die Klägerin, bis zur Auslieferung des Fahrzeugs den restlichen Kaufpreis zu bezahlen oder eine verbindliche Kredit- oder Leasingfinanzierung nachzuweisen.

[2] Die Klägerin schloss daraufhin mit der N* Leasinggesellschaft mbH Co KG einen Leasingvertrag, mit dem sie sich verpflichtete, weitere 13.000 EUR direkt an die Autohaus K* GmbH und 60 monatliche Leasingraten von jeweils 703,69 EUR, insgesamt also 42.221,40 EUR an die Leasinggesellschaft zu bezahlen.

[3] N ach A b lauf des Leasingvertrags erwarb die Klägerin im November 2020 das Fahrzeug von der Leasinggesellschaft zu dem im Leasingvertrag vereinbarten Restwert von 13.125,55 EUR , obwohl sie mittlerweile Kenntnis von de m gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin erhobenen Vorwurf der Abgasmanipulation hatte. Die Klägerin wäre nicht verpflichtet gewesen, das Fahrzeug nach dem Auslaufen des Leasingvertrags zu erwerben, doch lag der Marktwert des Fahrzeugs weit über dem vereinbarten Restwert.

[4] Die Klägerin begehrt 25.370 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden, die der Klägerin aus de m im Fahrzeug verbauten unzulässigen Emissionskontrollsystem entstehen w e rden. Die Beklagte habe vorsätzlich Fahrzeuge in Verkehr gebracht, die weder typengenehmigungsfähig noch zulassungsfähig gewesen seien. B ei Kenntnis diese r Manipulationen hätte d ie Klägerin für ihr Fahrzeug einen um 30 % verminderten Kaufpreis bezahlt, was auch dem objektiven Minderwert entspreche. Die B eklagte hafte für diesen Schaden, weil sie eine listige Irreführung verantworte und den T atbestand des Betrugs verwirklicht habe.

[5] Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren wegen Unschlüssigkeit ab, weil die Klägerin als bloße Leasingnehmerin weder Eigentum am Neufahrzeug erworben noch den dafür vereinbarten Kaufpreis bezahlt habe, weshalb ein allfälliger Vermögensschaden nicht anhand des Kaufpreises für das Neufahrzeug berechnet werden könne.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Leasingnehmer aus der Wertminderung des Leasingobjekts Schadenersatzansprüche ableiten kann, wenn es sich um ein bloßes Finanzierungsleasing handelt.

[7] Mit ihrer Revision strebt die Klägerin eine Abänderung des Urteils des Berufungsgerichts dahin an, dass ihrem Zahlungsbegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen.

[10] Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden (RIS Justiz RS0037780). Die Vorinstanzen berufen sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 Ob 53/20i, welche die Klage einer Leasingnehmerin betraf, die wegen angeblicher Abgasmanipulationen den Ersatz von 30 % des Neuwagenkaufpreises begehrte, obwohl sie das Fahrzeug erst nach Ablauf der fünfjährigen Leasingsvertragsdauer erworben hatte. Der Oberste Gerichtshof erachtete die Abweisung des Klagebegehrens wegen Unschlüssigkeit als vom den Gerichten gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum gedeckt, weil die Leasingnehmerin das Fahrzeug aufgrund der gewählten Vertragskonstruktion gerade nicht als Neuwagen erworben hatte. Diese Entscheidung ist aber nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar.

[11] Nach dem Vorbringen in der Klage und den Feststellungen des Erstgerichts hat die Klägerin ja hier – anders als bei der Vorentscheidung – das Neufahrzeug im eigenen Namen von der Autohaus K* GmbH zum Preis von 77.900 EUR erworben und den Leasingvertrag mit der N* Leasinggesellschaft mbH Co KG erst nachträglich zur Finanzierung des Kaufpreises abgeschlossen. Durch ihr Vorbringen, dass sie bei Kenntnis der behaupteten Manipulationen für das Fahrzeug 30 % weniger bezahlt hätte, hat die Klägerin – auch wenn der Kaufpreis über einen Leasingvertrag finanziert wurde – einen eigenen Schaden behauptet, der Grundlage eines Ersatzanspruchs sein kann.

[12] Im Verfahren 10 Ob 44/19x hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof (Rs C 145/20) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

[13] „1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Abl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

[14] 2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus?

[15] 3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?“

[16] Im Verfahren 10 Ob 44/19x wurde bereits ausgesprochen, dass die Beurteilung der Vertragswidrigkeit nicht nur im Verhältnis zum Vertragspartner, sondern auch für die Beurteilung der Haftung der Fahrzeugherstellerin relevant ist, weil der (dortige) Kläger seinen Schaden im Wesentlichen aus dem Erwerb eines nicht dem Vertragsinhalt entsprechenden Fahrzeugs und dem Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, konkret eines „Thermofensters“, ableitete.

[17] Auch im vorliegenden Fall sieht die Klägerin ihren Schaden im Erwerb eines zwar typengenehmigten, aber dennoch nicht den (unions )rechtlichen Bestimmungen entsprechenden Fahrzeugs. Die Beantwortung der im Verfahren 10 Ob 44/19x an den EuGH herangetragenen Vorlagefragen ist daher auch im vorliegenden Fall für die Beurteilung des Eintritts eines Schadens der Klägerin relevant.

[18] Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).

Rechtssätze
4
  • RS0133010OGH Rechtssatz

    28. Juni 2023·3 Entscheidungen

    Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG-Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann? 2. Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von vornherein aus? 3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte? EuGH C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen