JudikaturJustiz7Ob69/23g

7Ob69/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Sole als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik Wehrle Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2023, GZ 1 R 167/22v 20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. August 2022, GZ 53 Cg 33/21f 11, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei die mit 876,46 EUR (darin enthalten 146,08 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist eine zur Unterlassungsklage nach § 28 KSchG berechtigte Institution (§ 29 KSchG).

[2] Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen im gesamten Bundesgebiet. Sie verwendet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern i n Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Er und Ablebensversicherung, Pensionsversicherung und Ablebensrisikoversicherung folgende – im Revisionsverfahren noch gegenständliche – Klauseln:

§ 6 Wann können Sie den Versicherungsvertrag kündigen und den Rückkauf beantragen?

[...]

(2) Für die Er und Ablebens bzw Pensionsversicherungen vor Beginn der Pensionszahlung gilt:

a) im Falle der Kündigung I hres Versicherungsvertrages erhalten Sie als Rückkaufswert den um einen Abzug verminderten aktuellen Wert der Deckungsrückstellung Ihres Versicherungsvertrages zuzüglich Gewinnbeteiligung. [Der Abzug beträgt:

– bei Versicherungsverträgen gegen laufende Prämien in den ersten drei Jahren 5 %, danach verringert sich der Abzug pro Jahr um einen halben Prozentpunkt bis hin zum Erreichen des Mindestabzugs von 2 % der Deckungsrückstellung ( Klausel 7 )].

[...]

§ 6a Wann können Sie den Versicherungsvertrag in eine prämienfreie Versicherung umwandeln?

[...]

[ (2) Bei einer Prämienfreistellung wird nach den geschäftsplanmäßigen Bestimmungen für die restliche Versicherungsdauer auf Grundlage des Rückkaufswertes (siehe § 6 Abs 2 bzw 3) eine verminderte Versicherungssumme (bei Er und Ablebens und Ablebensrisikoversicherungen) bzw eine verminderte Jahrespension (bei Pensionsversicherungen) ermittelt ( Klausel 8 ) ]. Wenn diese Versicherungssumme bzw Jahrespension 200 EUR überschreitet wird der Vertrag rückgekauft.

§ 17 Was gilt bei Verpfändung, Abtretung oder Vinkulierung?

[...]

[ (2) Abtretungen (Zessionen) der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an Dritte sind nur mit Zustimmung des Versicherers wirksam ( Klausel 17 ) ].“

[3] Der Kläger strebt mit seinem Unterlassungsbegehren an, der Beklagten die Verwendung dieser drei oder sinngleicher Klauseln zu verbieten und ihr zu verbieten, sich auf diese zu berufen. Die Klauseln würden gegen gesetzliche Verbote sowie gegen die guten Sitten verstoßen und seien für den Verbraucher gröblich benachteiligend und intransparent. Weiters erhob der Kläger ein Urteilsveröffentlichungsbegehren.

[4] Die Beklagte wendet ein, die Klauseln stünden mit dem Gesetz und den guten Sitten i m Einklang. Sie seien nicht gröblich benachteiligend und ausreichend klar formuliert.

[5] Das wesentliche Vorbringen beider Parteien zu den einzelnen Klauseln wird – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – bei der Behandlung der jeweiligen Klauseln dargestellt.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der Klauseln 7 und 8 statt und wies jenes bezüglich der Klausel 17 ab.

[7] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren betreffend aller noch strittigen Klauseln statt. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen wird bei den jeweiligen Klauseln wiedergegeben.

[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil hinsichtlich der Klausel 7 noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege, Allgemeine Versicherungsbedingungen aber regelmäßig einen großen Personenkreis betreffen.

[9] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Klagebegehren hinsichtlich dieser drei Klauseln abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision; hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[12] 1. F olgende Grundsätze im Verbandsprozess sind maßgeblich:

[13] 1.1  Der Unterlassungsanspruch nach § 28 Abs 1 KSchG richtet sich gegen die gesetz und sittenwidrigen Vertragsbestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern (2 Ob 1/09z, vgl auch RS0121188).

[14] 1. 2 Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (A GB ) oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Ein Abweichen vom dispositiven Recht wird unter Umständen schon dann eine „gröbliche“ Benachteiligung des Vertragspartners sein können, wenn sich für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung ergibt. Dies ist jedenfalls anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht, wenn also keine sachlich berechtigte Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm des nachgiebigen Rechts vorliegt (RS0016914 [T3, T4, T6]). Die Beurteilung, ob eine Klausel den Vertragspartner gröblich benachteiligt, orientiert sich am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs für den Durchschnittsfall gilt (RS0014676 [T7, T13, T43]).

[15] 1. 3 Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig sind oder von ihm jedenfalls festgestellt werden können. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit der formellen Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169 [T2]). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher – durch ein unzutreffendes oder auch nur ein unklares Bild seiner vertraglichen Position oder – ein unrichtiges Bild der Rechtssache vermitteln (vgl RS0115219 [T14, T21]; RS0121951 [T4]).

[16] 1. 4 Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RS0016590). Das der Klausel vom Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beigelegte Verständnis ist im Verbandsprozess nicht maßgeblich (RS0016590 [T23]). Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klauseln kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess nicht möglich ist (RS0038205).

2. Zu den Klauseln 7 (§ 6 Abs 2 lit a Unterpunkt 2 AGB) und Klausel 8 (§ 6a Abs 2 AGB):

„7. Der Abzug beträgt: – bei Versicherungsverträgen gegen laufende Prämie in den ersten drei Jahren 5 %, danach verringert sich der Abzug pro Jahr um einen halben Prozentpunkt bis zum Erreichen des Mindestabzugs von 2 % der Deckungsrückstellung.

8. Bei der Prämienfreistellung wird nach den geschäftsplanmäßigen Bestimmungen für die restliche Versicherungsdauer auf der Grundlage des Rückkaufswertes (siehe § 6 Abs 2 bzw 3) eine verminderte Versicherungssumme (bei Er- und Ablebens- und Ablebensrisikoversicherungen) bzw eine verminderte Jahrespension (bei Pensionsversicherungen) ermittelt.“

[17] Der Kläger macht hinsichtlich Klausel 7 einen Verstoß gegen § 176 Abs 4 VersVG und § 6 Abs 3 KSchG geltend, da nach dem dispositiven Recht der Versicherer nicht berechtigt sei, im Falle eines Rückkaufs (oder einer Prämienfreistellung) einen Abzug zu verrechnen. Vielmehr setze ein Abzug voraus, dass er vereinbart und angemessen sei. Ein Abzug sei nur dann angemessen, wenn es sachlich gerechtfertigte Gründe gäbe, die den Abzug dem Grunde und der Höhe nach rechtfertigen. Dies sei nicht der Fall. In der Klausel seien auch keine sachlich gerechtfertigten Gründe angeführt, wegen derer der Abzug berechnet werde, weshalb sie intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG sei und gegen § 176 Abs 4 VersVG verstoße. So sehe die Klausel 7 in Frühstornofällen einen mehr als doppelt so hohen Stornoabzug gemäß § 176 Abs 4 VersVG als in späteren Jahren vor (5 % vom bereits angesparten Deckungskapital in den ersten drei Jahren, im vierten Jahr 4,5 % und im fünften Jahr 4 %), weshalb der Abzug wirtschaftlich offensichtlich auch den Zweck habe, im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht amortisierte Anfangskosten abzudecken. Mit dem Abschluss des Vertrags zusammenhängende Kosten würden aber keinen Stornoabzug gemäß § 176 Abs 4 VersVG rechtfertigen. Die Klausel sei daher nichtig gemäß § 879 Abs 1 ABGB. Da die Klausel 8 auf § 6 Abs 2 der Versicherungsbedingungen verweise, sei sie aus denselben Gründen unzulässig.

[18] Die Beklagte bestritt. Die Klausel 7 regle den nach § 176 Abs 4 VersVG zulässigen Stornoabzug. Die Staffelung des Stornoabschlags in den ersten 10 Jahren sei keine Umgehung von § 176 Abs 5 VersVG. Die Auflösung langfristiger Kapitalanlagen könne Zinsverluste, manchmal sogar Vertragsstrafen ergeben. Die Verrechnung eines Stornoabschlags diene auch der Antiselektion. Mit der Kündigung eines jeden Versicherungsvertrags sei auch eine Verkleinerung des Versichertenkollektivs verbunden, wodurch die relative Schwankung des Risikos größer werde. Ein vorteilhafter vorzeitiger Ausstieg aus den Verträgen gehe somit unweigerlich zu Lasten derer, die ihre Verträge einhalten wollen. Um diesen „ vorteilhaften“ Ausstieg einiger Versicherungsnehmer „auszubalancieren“, werde der Stornoabschlag verrechnet.

[19] Das Erstgericht erachtete die Klausel als unzulässig. Sie sehe keine verhältnismäßige Berücksichtigung, sondern eine Staffelung nach Prozenten vor, wobei der Versicherungsnehmer durch eine Kündigung in den ersten drei Jahren überproportional stark belastet wäre. Die Regelung laufe § 176 Abs 5 VersVG zuwider.

[20] Das Berufungsgericht erachtete die Klausel ebenfalls für unzulässig. § 176 VersVG besitze eine besondere Relevanz in Zusammenwirken mit dem Kündigungstatbestand des § 165 VersVG. Da die Verpflichtung einer verhältnismäßigen Verteilung § 176 Abs 4 VersVG nicht zu entnehmen sei , werde die Einschätzung des Erstgerichts nicht geteilt, wonach die Klausel gegen § 176 Abs 5 VersVG verstoße, weil sie keine verhältnismäßige Berücksichtigung, sondern eine Staffelung nach Prozenten vorsehe. Dennoch sei die Klausel unzulässig. Weder aus § 176 Abs 4 VersVG, noch aus § 6 Abs 3 KSchG folge, dass der Versicherer die Gründe für den Stornoabzug in der Vereinbarung anführen müsse . Der Stornoabzug sei aber nur dann zulässig, wenn er angemessen sei. Angemessenheit bedeute, dass der Abzug dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt sein müsse. Zur Angemessenheit der H öhe des Stornoabzugs seien im Ersturteil mangels Vorbringens der Beklagten keine Feststellungen getroffen worden . Dies gehe aufgrund der Beweislastverteilung zu Lasten der Beklagten. Mangels feststehender Angemessenheit verstoße die Klausel gegen § 176 Abs 4 VersVG.

[21] Die Beklagte argumentiert in ihrer Revision, der gewählte Stornoabzug sei angemessen. Bei der Angemessenheit sei primär zu berücksichtigen, ob und inwieweit der Abzug in einem oder mehreren sachlichen Gründen Deckung finde. Die Argumente der mit vorzeitiger Beendigung langfristiger Veranlagungen verbundenen Kosten und der Antiselektion w ü rden wiederholt. Au ch die Abdeckung der tatsächlich entstehenden Mehrkosten (Bearbeitungskosten) sei eine sachliche Rechtfertigung. Nur sekundär sei zu prüfen, ob die Höhe des Stornoabzugs nicht objektiv unangemessen sei. Dies sei nicht der Fall. Der verrechnete, auf Erfahrungswerten der letzten Jahrzehnte resultierende Abzug sei so gering, dass er keinen Versicherungsnehmer von der Kündigung abhalte. Die Angemessenheit werde auch dadurch belegt, dass in den 1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre Stornoabzüge von 10 % üblich und bis 1994 auch aufsichtsrechtlich genehmigt gewesen seien . Auch das deutsche Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen habe die Angemessenheit eines 10 % igen Stornoabzugs bejaht.

[22] 2. 1 Die Beklagte rügt als Mangelhaftigkeit des Berufungsgerichts, dass das Fehlen von Vorbringen zur Angemessenheit der Höhe des Stornoabzugs nicht erörtert worden sei.

[23] 2. 2.1 Nach § 182a ZPO hat das (Berufungs )Gericht das Sach und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (RS0037300 [T46]). Es darf daher die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie nicht aufmerksam gemacht wurden (RS0037300).

[24] Nach der herrschenden Rechtsprechung bedarf es aber keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu beurteilen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auch die Verpflichtung nach § 182a ZPO kann nicht bezwecken, das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens zu zwingen, dessen Schwächen der Prozessgegner aufzeigte (RS0122365).

[25] 2.2.2 Dies ist hier der Fall. Der Kläger verwies – wie sein bereits vorangestelltes Vorbringen zeigt – ausdrücklich auf die Unangemessenheit des Stornoabzugs infolge fehlender sachlicher Rechtfertigung und darauf, dass die Klauseln 7 und 8 gegen § 176 Abs 4 VersVG und § 6 Abs 3 KSchG verstoßen würden.

[26] Die Beklagte bestritt die Verpflichtung zur Angabe von sachlichen Gründen für den Stornoabzug und berief sich zu seiner Rechtfertigung – dem Grunde nach – auf die Gefahr der Antiselektion und die Kosten der Auflösung langfristiger Kapitalanlagen. Zur Frage der Angemessenheit der Höhe des Stornoabzugs erstattete sie im erstgerichtlichen Verfahren kein Vorbringen.

[27] 2.2.3 Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht ist gegeben, wenn dieses von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung abgeht, oder wenn es ohne Beweiswiederholung Feststellungen aufgrund der in erster Instanz aufgenommenen Beweise ergänzt (RS0043057 [T5]), ebenso wenn das Berufungsgericht seine rechtliche Beurteilung unter Abweichung von Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts und ohne Durchführung einer Beweiswiederholung trifft (RS0043057 [T13]).

[28] Entgegen der Ansicht der Beklagten traf das Berufungsgericht keine Negativfeststellung zur Angemessenheit der Höhe des Stornoabzugs unter Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, sondern legte zugrunde, dass das Erstgericht zu dieser Frage mangels Vorbringens der Beklagten keine Feststellungen getroffen hat.

[29] 2.3.1 § 176 VersVG lautet:

„(1) Wird eine Kapitalversicherung für den Todesfall, die in der Art genommen ist, da ss der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers zur Zahlung des vereinbarten Kapitals gewiss ist, durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung aufgehoben, so hat der Versicherer den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert zu erstatten.

[...]

(3) Der Rückkaufswert ist nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik aufgrund der Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung zu berechnen. Prämienrückstände werden vom Rückkaufswert abgesetzt.

(4) Der Versicherer ist zu einem Abzug nur berechtigt, wenn dieser vereinbart und angemessen ist.

(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen.“

[30] 2.3.2 Der Versicherer ist nach dieser Bestimmung daher zu einem Abzug berechtigt, wenn dieser vereinbart und angemessen ist (sogenannter Stornoabzug). Die Rechtfertigung des Abzugs erblickte der historische Gesetzgeber in der Verhinderung einer Antiselektion: ohne einen solchen Abzug werde das Ausscheiden der Versicherungsnehmer erheblich erleichtert, und es bestehe die Gefahr, dass der Gesamtbestand der Versicherungen in einer die Leistungsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigenden Weise verschlechtert wird. Eine solche Gefahr drohe vor allem dann, wenn gute Risiken aus dem Gesamtbestand ausscheiden und die schlechten Risiken darin verbleiben. Ferner ist an die mit dem Rückkauf verbundenen Kosten zu denken: dies betrifft zum einen die Bearbeitungskosten der Kündigung, die jedoch nur dann einen Abzug rechtfertigen dürften, wenn diese Kosten höher sind als jene, die im Versicherungsfall anfielen. Hingegen scheint ein Stornoabschlag gerechtfertigt, wenn die Vertragsbeendigung zu höheren Stückkosten für die verbleibenden Verträge führt, oder wenn der Versicherer dadurch Nachteile liquidieren muss. Wie sich aus Abs 5 ergibt, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Abschlusskosten bereits bei der Bemessung des Rückkaufswerts berücksichtigt werden, wobei bei einem „Frühstorno“ – einer Vertragsbeendigung innerhalb der ersten fünf Jahre – die dort vorgesehenen Berechnungsregeln anzuwenden sind. Im Zusammenhang mit den Kosten des Versicherers ist auch das in der Lehre erörterte Kapitalmarktrisiko zu sehen. Günstigere Veranlagungsmöglichkeiten können zu einer massenweisen Abwanderung der Versicherungsnehmer führen, wodurch die Fixkosten auf den – geringen – verbliebenen Bestand umgelegt werden müssen (vgl S chauer in Fenyves/Perner/Riedler VersVG [4. Lfg] § 176 Rz 34 f).

[31] 2.3.3 Der Stornoabzug muss vertraglich vereinbart sein. Die Vereinbarung in den AVB genügt. Sie setzt auch eine Übereinkunft über die Abzugshöhe voraus, was aber nicht notwendigerweise im Sinn eines bestimmten Betrags zu verstehen ist. Keine wirksame Vereinbarung liegt aber vor, wenn die Höhe des Stornoabzugs mangels konkreter Vereinbarung völlig unbestimmt ist (7 Ob 233/06z, 7 Ob 6/07v, 7 Ob 263/07p).

[32] 2.3.4 Der vereinbarte Stornoabzug muss angemessen, das heißt im Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt sein. Die Beweislast für die Angemessenheit trägt der Versicherer (siehe zur insoweit vergleichbaren deutschen Rechtslage § 169 Abs 5 VVG: Mönnich in Langheid/Wandt , Münchener Kommentar VVG 2 § 169 Rn 119 f; Winter in Bruck/Möller VVG 9 § 169 Rz 129f; Reiff in Prölss/Martin , V ersicherungsvertragsgesetz 31 Rn 58 f, Schauer aaO § 176 Rz 36).

[33] 2.3.5 Der Versicherungsnehmer wird in der Regel durch die prozentuale Angabe, aus der er – wie hier – rechnerisch ohne Mühe den Abzug ermitteln kann, über die Höhe des bei Kündigung erfolgenden Stornoabzugs informiert ( Reiff aaO Rn 58).

[34] 2.3.6 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Beklagte zwar Gründe, die den Stornoabzug an sich rechtfertigen sollen und damit Vorbringen zur Angemessenheit dem Grunde nach erstattet hat. Gründe für die Angemessenheit und somit die sachliche Rechtfertigung seiner Höhe hat die Beklagte hingegen im erstgerichtlichen Verfahren nicht genannt und den Beweis der Angemessenheit der Höhe damit nicht angetreten. Selbst in der Revision wird noch völlig offen gelassen, aus welchen Gründen die konkrete Staffelung des Stornoabzugs bei Kündigung gerechtfertigt sein soll. Damit ist zugrunde zu legen, dass die gewählte Vertragsgestaltung § 176 Abs 4 VersVG verletzt und sich damit als gesetzwidrig erweist. Die Klausel ist schon aus diesem Grund nichtig im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB. Es bedarf daher weder eines weiteren Eingehens auf das Verhältnis der Klausel zu § 176 Abs 5 VersVG, noch ob sie sachliche Rechtfertigungsgründe zusätzlich anzuführen hat.

[35] 2.4 Da die Klausel 8 auf § 6 Abs 2 der Versicherungsbedingungen verweist, ist sie aus denselben Gründen unzulässig. Die Unzulässigkeit der Bestimmung auf die verwiesen wird, führt zwingend zur Unzulässigkeit der verweisenden Bestimmung (RS0122040).

3. Zu Klausel 17:

„§ 17 Abs 2: Abtretungen (Zessionen) der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an Dritte sind nur mit Zustimmung des Versicherers wirksam.

[36] Der Kläger erachtet die Klausel als gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Auch eine Abtretung an einen gemäß § 29 KSchG klagsbefugten Verband wäre von einer Zustimmung des Versicherers abhängig, ebenso wenn die Ansprüche gegen den Versicherer dem Grunde oder der Höhe nach endgültig festgestellt seien.

[37] Die Beklagte bestreitet und bringt vor, die Abtretung oder Verpfändung der Ansprüche werde lediglich beschränkt.

[38] Das Erstgericht erachtete die Klausel als zulässig. Der Oberste Gerichtshof habe Zessionsbeschränkungen in AVB's wiederholt als zulässig beurteilt, diene doch das Abtretungsverbot dem Interesse des Versicherers zu verhindern, dass Personen, die zur (direkten) Geltendmachung des Versicherungsanspruchs nicht legitimiert seien, eine solche Legitimation erlangen.

[39] Das Berufungsgericht erachtete die Klausel als unzulässig. Ein Zessionsverbot mit dem gegenständlichen Wortlaut sei schon deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, weil es auch eine Abtretung zur Geltendmachung an einen in § 29 KSchG genannten Verband verhindere. Die Klausel enthalte keine Parameter, nach denen eine Zustimmung zu erteilen wäre. Eine sachliche Rechtfertigung werde nicht vorgebracht. Damit verstoße sie gegen § 879 Abs 3 ABGB.

[40] Die Beklagte argumentiert in der Revision , die Abtretung oder Verpfändung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag werde durch die Klausel gerade nicht verboten, sondern nur von der Zustimmung abhängig gemacht. Die Klausel sei zulässig. Wenn sogar vertragliche Zessionsverbote zulässig seien, müsse dies auch für Zustimmungserfordernisse gelten.

[41] 3.1 Der Oberste Gerichtshof hat Zessionsbeschränkungen, die in Allgemeinen Versicherungsbedingungen enthalten sind, bereits wiederholt als zulässig beurteilt (7 Ob 284/01t = RS0011319 [T2]; 7 Ob 85/07m = RS0032693 [T1]; 7 Ob 68/21g = RS0032693 [T2]). Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Bedingungen schlossen eine Abtretung von „Versicherungsansprüchen“ nicht generell aus, sondern beschränkten deren Abtretbarkeit vielmehr insoweit, als die Zession erst dann zulässig war, wenn die Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach eindeutig festgestellt waren. Die gröbliche Benachteiligung im Sinn von § 879 Abs 3 ABGB wurde verneint und dies insbesondere damit begründet, dass das Abtretungsverbot den berechtigten Interessen des Versicherers dient, zu verhindern, dass dem zunächst anspruchsberechtigten Versicherungsnehmer in einem vom Zessionar gegen den Versicherer angestrengten Prozess die Stellung eines Zeugen zuerkannt werde und gewährleistet sein soll, dass der Versicherer bei der Abwicklung des Schadenfalls nur mit seinem Vertragspartner zu tun hat.

[42] 3.2 Ein vertragliches Abtretungsverbot kann in AGB grundsätzlich wirksam vereinbart werden, die entsprechende Klausel unterliegt aber jeweils der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB.

[43] 3.3 Die vorliegende Klausel schränkt die Abtretung des Versicherungsanspruchs insoweit ein, als sie für die Wirksamkeit der Abtretung die Zustimmung des Versicherers voraussetzt. Die Klausel nennt keine Gründe, die zur Erteilung (oder Verweigerung) der Zustimmung führen. Diese kann vom Versicherer damit, jedenfalls bei kundenfeindlichster Auslegung, willkürlich erteilt oder verweigert werden. Die für die Abtretung des Geldanspruchs erforderliche Zustimmung des Versicherers liegt damit ausschließlich im – veränderlichen – Ermessen der Beklagten, für welches Vorgehen sie keine sachlichen Gründe ins Treffen führt. Bereits aufgrund dieser Ungleichgewichtslage fällt die Interessenabwägung – selbst bei Berücksichtigung der bereits allgemein dargelegten Interessen des Versicherers an Abtretungsverboten oder -einschränkungen – zu Lasten der Beklagten aus. Ein Grund für das Fehlen jedweder Determinierung von Zustimmungs oder Verweigerungsgründen kann nicht gesehen werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten unterscheidet sich das von ihr ins Treffen geführte generelle Abtretungsverbot von der vorliegenden Einschränkung schon dadurch, dass dem Versicherungsnehmer im ersten Fall die fehlende Abtretungsmöglichkeit von Beginn an bekannt ist, während das hier gewählte Zustimmungserfordernis ihn bis zu einer – vom Gutdünken der Beklagten abhängigen – Entscheidung im Ungewissen lässt. Die Klausel ist damit schon aus diesem Grund gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB.

[44] 4. Der Revision der Beklagten war daher keine Folge zu geben.

[45] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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