JudikaturJustiz7Ob605/94

7Ob605/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Februar 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hirlanda R*****, vertreten durch Dr.Arnulf Summer und Dr.Nikolaus Schertler, Rechtsanwälte in Bregenz, wider die beklagte Partei Republik Österreich (Bundessozialamt für Vorarlberg), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 71.706,60 s. A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 16.Juni 1994, GZ 1 R 271/94-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 8.April 1994, GZ 3 C 1765/93w-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung hinsichtlich des Zuspruchs von Zinsen dahin abgeändert, daß sie insgesamt lautet:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 71.706,60 samt 4 % Zinsen aus S 11.951,10 seit 1.10.1990, aus S 23.902,20 seit 1.11.1990, aus S 35.853,30 seit 1.12.1990, aus S 47.804,40 seit 1.1.1991, aus S 59.755,50 seit 1.2.1991 und aus S 71.706,60 seit 1.3.1991, sowie die mit S 10.612,80 (darin S 1.368,50 USt und S 2.640,-- Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, die mit S 4.058,88 (darin S 676,48 USt) bestimmten Verfahrenskosten zweiter Instanz und die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das Zinsenmehrbegehren wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 28.9.1930 geborene Klägerin wurde am 27.5.1973 von ihrem Ehegatten durch mehrere in Tötungsabsicht abgegebene Schüsse schwer verletzt und ist seither dauernd erwerbsunfähig. Unmittelbar danach beging der Ehegatte Selbstmord. Da die Klägerin mit Ausnahme einer geringen Witwenpension nach ihrem verstorbenen Gatten über kein eigenes Einkommen verfügte, wurde ihr von der beklagten Partei beginnend mit August 1974 eine Geldrente gewährt, die sich primär am Verdienst, den die Klägerin vor der Straftat als Hilfsarbeiterin in einer Papierfabrik bezogen hatte, orientierte. Die beklagte Partei hat aus Anlaß der Erreichung des 60.Lebensjahres durch die Klägerin am 28.9.1990 diese nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zuletzt mit S 10.243,80 erbrachte Leistung auf eine fiktive Alterspension umgestellt und ihr ab Jänner 1991 nur mehr monatlich S 6.274,-- bezahlt.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung von S 71.706,60 s. A. mit der Begründung, daß davon ausgegangen werden müsse, daß sie mit ihrer Pensionierung auch einen Anspruch auf Arbeiterabfertigung in der Höhe von sechs Gehältern und 6/12 der jährlichen Sonderzahlungen gehabt hätte. Die Beklagte habe ihr nach dem VOG auch diesen Verdienstentgang zu ersetzen.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, nach dem VOG sei nur Verdienstentgang zu ersetzen, eine Abfertigung sei aber ein außerordentliches Entgelt und sohin dem entgangenen Gewinn gleichzustellen, der nicht ersatzfähig sei. Die Klägerin habe im Schädigungszeitpunkt nicht einmal ein Anwartschaftsrecht auf eine Abfertigung besessen, weil damals noch kein gesetzlicher Anspruch von Arbeitern auf Abfertigung bestanden habe. Die Bezahlung des Abfertigungsbetrages würde auch die Obergrenze des § 3 Abs.1 VOG überschreiten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der geltend gemachte Ersatz einer entgangenen Abfertigung sei als positiver und somit ersatzfähiger Schaden anzusehen. Eine Abfertigung werde vom Entgeltsbegriff umfaßt und könne daher auch Teil des Verdienstentgangsanspruches sein. Die Orientierung des Gesetzgebers am Normalfall der monatlichen Zahlung bezüglich der Begrenzung des Ersatzes spreche nicht gegen eine Klagsstattgebung. Die zu gewährende Abfertigung sei auf einen längeren Zeitraum aufzuteilen, sodaß die Einkommensgrenze des § 3 VOG nicht überschritten werde. Auch die Höhe des geltend gemachten Anspruches sei berechtigt, da die Sonderzahlungen in die Berechnung der Abfertigung miteinzubeziehen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Revision für zulässig. Zweck der durch das VOG und die nachfolgenden Auslobungen bewirkten Selbstbindung des Bundes sei es, dem Opfer eines Verbrechens, dem es oft unmöglich sei, den gerechtfertigten Schadenersatz vom Schädiger zu erlangen, den Bund als weiteren Haftungspflichtigen zu verschaffen. Das Verbrechensopfer, das privatrechtliche Ansprüche gegen den Bund geltend mache, erhebe einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch aus der Übernahme eines fremden Risikos. Die gegen die beklagte Partei gerichtete Entschädigungsforderung habe ihren Grund nicht in der begangenen Straftat, sondern in der von der beklagten Partei aus sozialen oder gesellschaftspolitischen Erwägungen vorgenommenen Selbstbindung. Für die Beurteilung des Schadens seien daher die §§ 1293 ff ABGB mit den im VOG enthaltenen Besonderheiten heranzuziehen. Eine Einschränkung dahin, daß nur gewisse Verdienstentgangsansprüche ersatzfähig wären, sei diesem Gesetz nicht zu entnehmen. Bezüglich des Ausmaßes des Ersatzes des künftigen Verdienstentganges sei der gewöhnliche Lauf der Dinge zu berücksichtigen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintretender Verdienst sei auch dann zu ersetzen, wenn im Schädigungszeitpunkt noch kein Rechtsanspruch darauf bestanden habe. Entscheidend sei, daß die Klägerin im Falle einer Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit im Jahre 1990 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Abfertigung in der geltend gemachten Höhe erhalten hätte. Der Abfertigungsanspruch falle daher unter den Verdienstentgang der Klägerin. Der Zuspruch des begehrten Abfertigungsersatzes in einem Gesamtbetrag widerspreche weder dem Wortlaut noch den Intentionen des VOG. Daß vom Bund Geldleistungen monatlich zu erbringen seien, sage nichts über deren Höhe aus. Diese richte sich nämlich nach dem Betrag, der dem Beschädigten als Verdienst entgangen sei oder künftighin entgehe, wobei keine Einschränkung auf entgangene, nur regelmäßig wiederkehrende Leistungen zu ersehen sei. Werde der geltend gemachte und der Höhe nach unstrittige Abfertigungsbetrag auf die einzelnen Monate vom Fälligkeitstag bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung am 18.11.1993 (36 Monate) aufgeteilt, so ergebe sich daraus, daß die Einkommensgrenze des § 3 VOG keinesfalls überschritten werde. Ob allenfalls noch weiteres Einkommen im Sinne des § 3 Abs.2 VOG der Klägerin anzurechnen wäre (Witwenpension), sei nicht zu erörtern, weil die beklagte Partei keine diesbezüglichen Einwendungen erhoben habe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der beklagten Partei ist nur teilweise berechtigt.

Das auf Entschließungen des Nationalrates und des Bundesrates vom 26.3. und 25.4.1969 zurückgehende Bundesgesetz vom 9.7.1972, BGBl 288, über die Gewährung von Hilfeleistungen an Opfern von Verbrechen setzte sich, wie in der RV (40 BlgNR 13.GP, 7) dargelegt wurde, zum Ziel, den Opfern von Verbrechen, denen es unmöglich sei, ihre Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger durchzusetzen, staatliche Hilfeleistung zu gewähren. Der Bund tritt dadurch, daß er vorläufig Pflichten des Schädigers übernimmt, als Rechtssubjekt des Privatrechtes auf. Dieses Ziel wurde im Zuge der Gesetzwerdung dadurch erreicht, daß sich der Bund durch Auslobung im Sinne des § 860 ABGB verpflichtete, den Opfern bzw deren Hinterbliebenen Hilfe zu leisten. Solche Auslobungen wurden auch im BGBl kundgemacht (BGBl 497/1973 und 350/1972). Zweck der durch das VOG und die nachfolgenden Auslobungen des Bundesministers für soziale Verwaltung bewirkten Selbstbindung des Bundes ist es, dem Opfer eines Verbrechens, dem es sehr oft unmöglich ist, den gerechtfertigten Schadenersatz vom Schädiger zu erlangen, den Bund als weiteren Haftungspflichtigen zu verschaffen. Der Bund als Rechtssubjekt des Privatrechtes wollte nur Pflichten des Schädigers übernehmen (RV aaO, 7). Das Verbrechensopfer, das privatrechtliche Ansprüche nach dem VOG gegen den Bund geltend macht, erhebt demnach seinem Inhalt nach einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch aus der Übernahme eines fremden Risikos (vgl SZ 61/271 mwN). Damit verpflichtete sich die beklagte Partei den Verbrechensopfern gegenüber zur Erbringung von Leistungen, die der Täter ihnen zu erbringen hätte, schränkt aber diesen Leistungsumfang in den §§ 2 ff VOG wieder ein (vgl Ernst, 20 Jahre Verbrechensopfergesetz ÖJZ 1992, 487 ff, Ernst-Prakesch, VOG, 6 mwN). Nach § 3 Abs.1 VOG ist dem Verbrechensopfer Hilfe nach § 2 Z 1 (Ersatz des Verdienstentganges) monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der ihm durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung als Verdienst ... entgangen ist oder künftighin entgeht. Sie darf jedoch zusammen mit dem sonstigen Einkommen des Opfers (nach § 3 Abs 2) den Betrag von monatlich S 23.411,-- nicht überschreiten. Für die Beurteilung des Schadens gelten sowohl hinsichtlich des Grundes als auch hinsichtlich der Höhe die Vorschriften der §§ 1293 ff ABGB (vgl Ernst aaO, 490). Nach § 1324 ABGB hat der Vorsatztäter seinem Opfer "volle Genugtuung zu leisten", d.h. auch den entgangenen Gewinn zu ersetzen. Eine derartige von der beklagten Partei zu übernehmende Ersatzpflicht liegt hier vor, weil der Täter, der die Klägerin verletzte, vorsätzlich handelte.

Zutreffend hat die beklagte Partei erkannt, daß bei (unselbständig erwerbstätigen) Frauen über dem 60.Lebensjahr nicht mehr mit einer Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit zu rechnen ist, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, denen das Gegenteil zu entnehmen wäre (vgl MGA ABGB34 § 1325/140), sie hat daher eine Reduktion des Verdienstentganges auf die niedrigere Alterspension vorgenommen. Gleichzeitig hätte sie aber berücksichtigen müssen, daß der Klägerin im normalen Erwerbsleben aus diesem Anlaß ein Abfertigungsanspruch zugekommen wäre. Nach dem Arbeiter-Abfertigungsgesetz BGBl. 107/1979 idF des BGBl 335/1993 steht auch Arbeitern bei entsprechend langer, zumindest aber dreijähriger Beschäftigungsdauer ein Abfertigungsanspruch im Sinne der §§ 23, 23a AngG zu. Richtig ist, daß die Rechtsnatur des Abfertigungsanspruches in der Lehre verschieden definiert wird. Die Rechtsprechung hat sich jedoch sehr früh dahin entschieden, daß es sich dabei um einen besonderen Regeln unterworfenen Entgeltanspruch handelt, der dem Arbeitnehmer bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses gebührt, auf den er sohin einen Rechtanspruch hat. Ein derartiger Anspruch geht nur unter, wenn der Arbeitnehmer rechtsvernichtende Tatbestände setzt, die aber vom Arbeitgeber einredeweise geltend gemacht werden müssen (vgl Migsch, Abfertigung für Arbeiter und Angestellte, Rz 158 ff, im besonderen Rz 167 mwN, sowie Kirschbaum in Runggaldier, Abfertigungsrecht, 90 ff mwN). Nach dem hier maßgeblichen gewöhnlichen Lauf der Dinge (vgl ZVR 1979/232, SZ 52/77 uva) hätte die Klägerin, wäre sie nicht durch die Straftat erwerbsunfähig geworden, bei ihrer Pensionierung eine Abfertigung erhalten. Soweit es darum geht, festzustellen, was eine Person unter bestimmten Voraussetzungen erworben hätte, ist nicht volle Gewißheit zu fordern, vielmehr genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit (SZ 56/39). Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich der entgangene Abfertigungsanspruch nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als positiver Schaden dar (vgl MGA ABGB34 § 1293/37 sowie Reischauer in Rummel ABGB2 § 1293 Rz 7 und Harrer in Schwimann § 1293 ABGB Rz 12). Weder dem Wortlaut des VOG noch den Gesetzesmateralien ist zu entnehmen, daß ein derartiger durch eine entgangene Abfertigung entstandener Schaden nicht von der Ersatzpflicht der beklagten Partei umfaßt sein sollte. Zur Zeit der Gesetzwerdung des VOG stand zwar Arbeitern noch kein gesetzlich garantierter Abfertigungsanspruch zu; vereinzelt jedoch wurde dies in Kollektivverträgen zugesichert, Angestellten stand ein solcher Anspruch generell zu. Das Argument der beklagten Partei, daß bei der Ermittlung des Schadens nur auf den Tatzeitpunkt abgestellt werden dürfe, versagt, weil wie bereits zitiert, § 3 VOG ausdrücklich auch den Ersatz künftig entstehenden Schadens zusagt.

Auch die Abgeltung eines Abfertigungsanspruches ist aber den betraglichen Höchstgrenzen des § 3 VOG unterworfen, soferne die mit der Monatsentschädigung mitabzugeltende Abfertigungssumme in ihrem Fälligkeitszeitpunkt die in dieser Bestimmung genannten Grenzbeträge zusammen mit dem sonstigen Einkommen des Verbrechensopfers übersteigt. Die nach den Materialien vom Gesetzgeber angestrebte "angemessene" Entschädigung an wirtschaftlich schwächere Personen (vgl RV 40 der Blg 13.GP, 9 f) findet allein in dieser betraglichen Begrenzung der Monatsentschädigung ihren Ausdruck (vgl NR 13 GP 38. Sitzung vom 9.7.1972, 3411 und 3414).

Die Abfertigung nach fünfzehnjähriger Beschäftigungsdauer in Höhe eines Halbjahresentgeltes ist iS des § 23 Abs 4 AngG in 4 Teilzahlungen zu leisten; der Betrag von drei Monatsentgelten ist mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses fällig, der Rest kann vom 4. Monat an in monatlichen im voraus zahlbaren Teilbeträgen abgestattet werden (vgl Migsch aaO Rz 290). Damit stellt sich aber die Abfertigung als nichts anderes als ein weiteres Halbjahresentgelt dar, dessen erste Hälfte bevorzugt fällig wird. Dennoch darf daraus der Schluß gezogen werden, daß grundsätzlich nur Monatsbezüge vorliegen. Allerdings würde durch die bevorzugte Fälligkeit des Dreifachen des Monatsentgelts mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses der in § 3 Abs 1 VOG genannte monatliche Höchstbetrag bei der Klägerin überschritten. Es ist daher notwendig und zweckmäßig, in sinngemäßer Anwendung des § 23a Abs 2 AngG auch diesen Betrag in gleiche monatliche Teilbeträge aufzuteilen. Bei einer derartigen Aufteilung ergibt sich, daß der durch die Abfertigungsabgeltung um S 11.951,10 erhöhte Monatsbezug der Klägerin unter der Grenze des § 3 Abs 1 VOG gelegen wäre. Der Zuspruch von Zinsen hatte entsprechend dieser Aufteilung zu erfolgen; darin liegt auch der Teilerfolg der Revision.

Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß es Sache der beklagten Partei gewesen wäre, allfällige Einwendungen über eine Vorteilsausgleichung mit dem Bezug der Witwenpension durch die Klägerin zu erheben und zu beweisen, weil sie hiefür die Behauptungs- und Beweislast trifft (vgl Ernst-Prakesch aaO Anm.5b zu § 3).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 2 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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