JudikaturJustiz7Ob224/11h

7Ob224/11h – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. November 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** M*****, vertreten durch Dr. Mag. Dietmar Fritz, Rechtsanwalt in Bezau, gegen die beklagte Partei S***** AG *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.500 EUR (sA), über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Mai 2011, GZ 60 R 25/11y 14, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 17. Jänner 2011, GZ 15 C 519/10y 10, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Der Kläger stellte bei der beklagten Versicherung am 19. 12. 2004 einen Antrag auf (staatlich geförderte) „prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge“ (im Folgenden: PZV), den die Beklagte am 21. 12. 2004 zur Polizzennummer ***** annahm. Als Anhang des Antrags unterfertigte der Kläger ein (mit Bezeichnung und Anschrift des Versicherers ausgefülltes) Formular, das unter der Überschrift:

Prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge

Antrag auf Erstattung der Einkommensteuer (Lohnsteuer) gemäß § 108g EStG 1988 im Wege der/des [angekreuzt] Versicherungsunternehmens

unter anderem folgenden Text enthielt:

Ich verpflichte mich unwiderruflich, für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren ab Einzahlung des ersten Beitrags auf eine Rückzahlung des aus den geleisteten Beiträgen resultierenden Anspruches (eingezahlte Beträge, Kapitalerträge und staatliche Prämien) zu verzichten.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Rückkaufswert aus dem Versicherungsvertrag, den er gemäß § 165 Abs 1 VersVG zum 30. 6. 2010 gekündigt habe.

Die Beklagte wendete ein, nach der vom Kläger abgegebenen schriftlichen Erklärung, für 10 Jahre auf eine Rückzahlung zu verzichten, sei eine Kündigung nicht möglich gewesen. Dies widerspreche nicht dem VersVG, weil das EStG insoweit die speziellere und auch spätere Norm sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der Beklagten das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dieser Thematik vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene, von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist im Hinblick auf die mittlerweile veröffentlichte Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats für Fragen des Vertragsversicherungsrechts betreffende Rechtssachen (RIS-Justiz RS0127200; 7 Ob 138/11m) nicht zulässig (vgl 10 ObS 181/10f mwN).

Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision maßgeblich (7 Ob 113/11k mwN). Der Oberste Gerichtshof hat die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage im Verfahren 7 Ob 138/11m (einem völlig vergleichbaren Fall, der die auch hier abgegebene Erklärung im Vordruck des Finanzamts zu § 108g EStG 1988 betraf) mittlerweile bereits beantwortet. Die vorliegende Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil den Rechtsmittelausführungen jene Überlegungen entgegenstehen, die der Oberste Gerichtshof in der seit 7. 10. 2011 im gebührenfrei zugänglichen RIS-Justiz veröffentlichten (10 ObS 181/10f) Entscheidung 7 Ob 138/11m festgehalten hat.

Der Oberste Gerichtshof hat in dieser Entscheidung Folgendes erwogen:

„Nach dem durch § 9 ABGB positivrechtlich verankerten Grundsatz ' lex posterior derogat legi priori' tritt eine ältere Gesetzesnorm durch eine dieser widersprechende jüngere Norm außer Kraft. Diese materielle Derogation kann nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre auch in einem anderen Gesetz erfolgen (für viele P. Bydlinski , KBB³ § 9 Rz 2). Nach herrschender Meinung geht ein zeitlich späteres Spezialgesetz einer grundsätzlichen Regelung vor (' lex specialis derogat legi generali' ). Grundsätzlich verdrängt also die jüngere Norm alle mit ihr in Widerspruch stehenden älteren (VfGH VfSlg 12.184; P. Bydlinski aaO Rz 3).

Die eine Rückzahlung der Versicherungsprämien für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren ausschließenden Bestimmungen der §§ 108g Abs 1 Z 2 und 108i Abs 1 EStG stehen eindeutig mit der älteren generellen Kündigungsregelung des § 165 Abs 1 VersVG in Widerspruch. Damit ist von einer Derogation dieser älteren Bestimmung für den Bereich der PZV auszugehen, es sei denn, es handelte sich um zwei voneinander unabhängige Regelungsbereiche. Dass die betreffenden Bestimmungen des EStG die Regelung des Versicherungsvertragsgesetzes nicht tangieren sollen, ist jedoch schon nach dem Wortlaut der Bestimmungen auszuschließen. Ginge es nur darum, die PZV nur jenen zu ermöglichen, die nicht vorzeitig (früher als zehn Jahre) das Kapital rückfordern, wäre die § 165 Abs 1 VersVG widersprechende gesetzliche Verfügungsbeschränkung in § 108i Abs 1 EStG und die Abgabe einer unwiderruflichen Erklärung nach § 108g Abs 1 Z 2 EStG keineswegs erforderlich gewesen. Dass bei der Formulierung dieser Bestimmungen des EStG die Kündigungsregelung des § 165 Abs 1 VersVG nicht bedacht bzw schlicht vergessen worden wäre, kann dem Gesetzgeber insbesondere im Hinblick darauf nicht zugesonnen werden, dass die PZV ja (besonders auch) in Form von Lebensversicherungsverträgen abgewickelt werden soll. Die den Gesetzestexten zu entnehmende eindeutige Absicht des Gesetzgebers, eine Rückforderung der geleisteten Prämien vor dem Zeitraum von zehn Jahren auszuschließen, wird worauf schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat auch durch die Gesetzesmaterialien (AB 1285 BlgNR 21. GP, 9) unterstrichen, die ausdrücklich ausführen, dass die Prämie nur dann zustehe, wenn sich der Steuerpflichtige unwiderruflich zu einer mindestens zehnjährigen Kapitalbindung verpflichte. 'Innerhalb dieser Frist ist es dem Steuerpflichtigen absolut nicht möglich - auch nicht durch Inkaufnahme einer Prämienrückzahlung bzw einer Nachversteuerung -, sein Kapital abzuziehen.' Der Meinung von Kriegner , 'unwiderruflich' sei im Sinn der Einheit der Rechtsordnung als 'jederzeit widerruflich' gemäß dem § 165 Abs 1 VersVG zu verstehen, ist entgegenzuhalten, dass wie der Genannte selbst einräumen muss mit diesem Auslegungsergebnis der äußerste mögliche Wortsinn des Begriffs 'unwiderruflich' überschritten würde. Dass der Ausschluss einer Prämienrückforderung für zumindest zehn Jahre im Hinblick auf den Gesetzeszweck, die Schaffung und Förderung einer privaten Altersvorsorge, sachlich jedenfalls gerechtfertigt ist, hat bereits das Oberlandesgericht Wien in seiner zitierten Entscheidung [Bezugnahme auf 4 R 328/10z] zutreffend erkannt. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die betreffenden Bestimmungen des EStG seien nicht bloß steuerrechtliche Regelungen, sondern beschränkten die Verfügungsmöglichkeiten des steuerpflichtigen Versicherungsnehmers über seine Ansprüche aus im Rahmen der PZV geleisteten Lebensversicherungsprämien, ist daher zutreffend.

Die sozialpolitische Überlegung, in Krisenzeiten müsse es dem Konsumenten (Versicherungsnehmer) möglich sein, vorzeitig auf das eingezahlte Kapital zuzugreifen, auch wenn damit wesentliche Nachteile (Nachversteuerung, Prämienrückzahlungen, eventuelle Stornoabschläge etc) verbunden sind, vermag die Gegenmeinung nicht zu rechtfertigen. Im Übrigen kann der Versicherungsnehmer krisenbedingten Notfällen durch Prämienfreistellung (§ 173 VersVG) begegnen. … Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Annahme eines zumindest zehnjährigen Rückzahlungsausschlusses sind nicht gerechtfertigt (vgl die Ausführungen des VfGH in VfSlg 16.821 betreffend § 108b EStG) und werden vom Revisionswerber auch nicht behauptet.“

Nach den Grundsätzen der Entscheidung 7 Ob 138/11m ist somit davon auszugehen, dass die §§ 108g Abs 1 Z 2 und 108i Abs 1 EStG den Bestimmungen der §§ 165 Abs 1, 178 Abs 1 VersVG derogieren und die Prämienrückforderung einer im Rahmen der staatlich geförderten „prämienbegünstigten Zukunftsvorsorge“ abgeschlossenen Lebensversicherung innerhalb von zumindest zehn Jahren ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0127200); die in der Revision (auch in der Mängelrüge) erörterte Frage, ob der Kläger auch gegenüber der Beklagten eine (von dieser akzeptierte) Verzichtserklärung abgegeben hat stellt sich daher schon mangels Anwendbarkeit der zwingenden Kündigungsregelung des § 165 Abs 1 VersVG auf den vorliegenden Fall nicht.

Da bereits eine Entscheidung für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung ausreicht (RIS-Justiz RS0103384 [T5]), ist die vom Kläger entsprechend dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts aufgeworfene Frage nicht erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO und das Rechtsmittel daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte konnte beim Einbringen der Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht erkennen, weil die maßgebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Zeitpunkt noch nicht im RIS-Justiz zugänglich war. Der fehlende Hinweis darauf schadet daher nicht (RIS-Justiz RS0123861). Barauslagen fielen für die Revisionsbeantwortung nicht an und waren daher auch nicht zuzuerkennen.