JudikaturJustiz7Ob172/00w

7Ob172/00w – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. September 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Viviana F*****, und Norepxy F*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Viviano F*****, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in Wien als Abwesenheitskurator, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Mai 2000, GZ 43 R 292/00h-10, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 12. April 2000, GZ 3 P 27/00v-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag des Vaters auf Zuspruch von Kosten des Revisionsrekurses wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die beiden Minderjährigen sind österreichische Staatsbürger und seit

August 1997 im Inland aufhältig. Die Ehe ihrer Eltern wurde mit

Urteil des Volkskreisgerichtes Alt-Havanna, Kuba, vom 15. 3. 1993

geschieden, wobei dieses Gericht hinsichtlich der Minderjährigen ua

folgendes bestimmte: "Die Mutter ... erhält das Sorgerecht. Der Vater

darf die Kinder stets ohne Einschränkung besuchen und mit ihnen am

Wochenende spazierengehen.... Beide Elternteile erhalten das

Erziehungsrecht."

Über Antrag der Mutter fasste das Erstgericht am 12. 4. 2000 den Beschluss, die Minderjährigen in deren alleinige Obsorge "einzuweisen". Die Mutter lebe mit den beiden Töchtern seit August 1997 in Österreich. Der Vater sei als Schiffsingenieur die meiste Zeit des Jahres auf Schiffen unterwegs. Er sei die nächsten fünf Jahre auf asiatischen Schiffsrouten eingesetzt und werde daher seinen Erziehungsrechten gegenüber den Kindern nicht nachkommen können.

Das vom Abwesenheitskurator für den Vater angerufene Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Beide Minderjährigen hätten dem Obsorgeantrag der Mutter zugestimmt, wobei der Wille der 17 Jahre bzw 15 Jahre alten Töchter nicht negiert werden könne. Die vom Vater angestrebte gemeinsame Ausübung des Sorgerechts durch die (getrennt lebenden) Eltern sei dem - hier anzuwendenden - österreichischem Recht fremd. Auf derzeit in Diskussion stehende Änderungen des Kindschaftsrechtes sei nicht einzugehen. Der unbekannte Aufenthalt des Vaters rechtfertige es, die Obsorge der Mutter allein zuzuteilen. Die behaupteten telefonischen Kontakte des Vaters zu seiner Familie "mehrmals jährlich", seien nicht geeignet, eine effektive Ausübung der Elternrechte zu gewährleisten. Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter bestünden auf Grund der Aktenlage nicht und seien im Rechtsmittel des Vaters auch nicht vorgetragen. Die Obsorgezuteilung an die Mutter entspreche demnach dem Kindeswohl.

Da Rechtsfragen von der in § 14 Abs 1 AußStrG umschriebenen Qualifikation nicht zur Entscheidung vorlägen, sei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zuzulassen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen diesem Ausspruch der zweiten Instanz iSd § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, weil oberstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob - wie der Revisionsrekurswerber meint - die österreichischen Gerichte an eine (außerhalb des Wirkungsbereiches des europäischen Sorgerechtsübereinkommens ergangene) ausländische (insbesondere kubanische) Obsorgeentscheidung gebunden sind, fehlt; er ist aber nicht berechtigt.

Ganz unstrittig ist, dass - da die beiden Minderjährigen österreichische Staatsangehörige sind - auf die vorliegende Obsorgeentscheidung österreichisches Recht anzuwenden ist (§ 9 Abs 1 IPRG). Ungeachtet der ausländischen Staatsangehörigkeit des Vaters der Kinder sind die internationale Zuständigkeit des österreichischen Gerichtes und die Anwendung österreichischen Rechtes im Hinblick auf die österreichische Staatsangehörigkeit der Kinder und ihren Aufenthalt in Österreich auch nach den Bestimmungen des (von Österreich ratifizierten) Haager, Minderjährigenschutzabkommens, BGBl 1975/446 (MSÜ) zu bejahen (Art 1 und 2 MSÜ; JBl 1981, 434). Das Aufenthaltsrecht und das Heimatrecht der Kinder (für letzteres ist die Staatsbürgerschaft entscheidend) sind im vorliegenden Fall identisch. Probleme auf Grund gesetzlicher Obsorgeregelungen nach dem Heimatrecht, die von der Aufenthaltsbehörde gemäß Art 3 MSÜ anzuerkennen wären, können daher hier nicht auftreten (vgl 6 Ob 2191/96s).

Ein multi- oder bilaterales Übereinkommen zwischen Österreich und Kuba, nach dem auf das (auch) die Obsorge für die mj. ehelichen Kinder regelnde Scheidungsurteil des kubanischen Gerichtes Bedacht zu nehmen wäre, besteht nicht.

Eine grundsätzliche Bindung an eine ausländische Sorgerechtsentscheidung kann es entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Meinung schon deshalb nicht geben, da das zentrale Beurteilungskriterium bei allen die Rechte eines Kindes betreffenden Entscheidungen, so auch für die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung bzw der dagegen ins Treffen geführten Versagungsgründe das Wohl des Kindes sein muss (7 Ob 2331/96m = ZfRV 1997, 130; vgl Verschraegen, Gemeinsame Obsorge - ausländisches Recht und UN -Kinderrechtekonvention in ÖJZ 1996, 257 [262]).

Der vom Revisionsrekurs betonte Umstand, dass bis zur gegenständlichen Antragsstellung der Mutter das Erziehungsrecht von den Eltern - offenbar auch nach deren Verständnis - gemeinsam ausgeübt wurde, wäre nur insofern bedeutsam, als damit unter Umständen von einer konkludenten Vereinbarung der Eltern über die Zuteilung der Obsorge auszugehen gewesen wäre. Wie sich aus dem gegenständlichen Antrag der Mutter ergibt, ist dieses Einverständnis aber jetzt nicht mehr gegeben (vgl 3 Ob 504/94 = EFSlg 75.174).

Der Vater wendet nun, ausgehend davon, dass er bislang ebenso wie die Mutter obsorgeberechtigt gewesen sei, ein, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes müssten für eine Entziehung oder Einschränkung der Obsorge ganz besonders wichtige Gründe vorliegen; eine solche Maßnahme müsse im Interesse des Kindes dringend geboten sein; die Beschränkung der Obsorge sei das letzte Mittel; eine Änderung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse solle nach Möglichkeit vermieden werden; eine einmal getroffene Regelung solle nur bei Gefährdung des Kindeswohles geändert werden, also bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe und wenn die Änderung dringend geboten sei. Da Voraussetzungen, die nach stRsp die Entziehung oder Einschränkung der Obsorge für seine Töchter rechtfertigten, nicht vorlägen, weiche die Entscheidung des Rekursgerichtes von der oberstgerichtlichen Judikatur ab und sei entsprechend abzuändern.

Dabei wird vom Revisionsrekurswerber übersehen, dass die über Antrag der Mutter zu fällende gegenständliche "neue" Obsorgeentscheidung § 167 ABGB zu beachten hat, der nach § 177 Abs 3 ABGB "entsprechend gilt". Nach § 167 Satz 1 ABGB ist die Obsorge über ein (uneheliches) Kind dann beiden Eltern gemeinsam zuzuerkennen, wenn sie mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben und diese Verfügung für das Wohl des Kindes nicht nachteilig ist. Bei dauernder Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft zwischen den Eltern ist § 177 Abs 1 und Abs 2 ABGB entsprechend anzuwenden (§ 167 Satz 2 ABGB). Für das Tätigwerden des Gerichts müssen somit die in § 176 ABGB genannte Voraussetzung der Kindeswohlgefährdung oder gleich gewichtige besondere Gründe nicht gegeben sein. Die gegenständliche Sachlage ist jener Situation vergleichbar, die der Oberste Gerichtshof in der bereits erwähnten Entscheidung 3 Ob 504/94 zu beurteilen hatte: dort wurde die anlässlich der einvernehmlichen Scheidung ihrer Ehe getroffene Vereinbarung der Eltern über eine gemeinsame Obsorge pflegschaftsgerichtlich genehmigt, obwohl keine dauernde häusliche Gemeinschaft mehr vorlag. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass zufolge §§ 167 letzter Satz, 177 Abs 1 und 2 ABGB die Obsorge einem Elternteil allein übertragen werden müsse, ohne dass Entziehungsgründe nach § 176 ABGB gegeben sein müssten. Damit wurde der in stRsp (5 Ob 536/91 = EFSlg XXVIII/11 uva) vertretene Rechtssatz fortgeschrieben, wonach dann, wenn die Eltern nach erfolgter Scheidung ihrer Ehe nicht mehr in dauernder häuslicher Gemeinschaft leben, die Obsorge über ein eheliches Kind gemäß § 177 ABGB nur einem Elternteil übertragen werden kann. Unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 504/94 hat der Oberste Gerichtshof auch zu 6 Ob 378/97z betont, dass die in diesem vergleichbaren Verfahren verfügte alleinige Obsorge der Mutter und die Entziehung der Obsorge des Vaters entgegen dessen Ansicht nicht das Vorliegen von Entziehungsgründen des § 176 ABGB, sondern nur den Wegfall des Einverständnisses der Eltern über die gemeinsame Obsorge voraussetzten.

Dass die Zuteilung der (alleinigen) Obsorge an die Mutter hier nicht sachgerecht wäre, dh nicht dem Wohl der Kinder entspräche, hat der Revisionsrekurswerber gar nicht behauptet. Sein Kontakt mit den Kindern beschränkt sich, wie er selbst ausführt, auf "mehrmals jährlich" stattfindende Telefonate, weshalb er praktisch keinerlei Erziehungsagenden wahrnehmen kann (vgl die Stellungnahme des Amts für Jugend und Familie 1., 8., 9. Bezirk Wien, ON 4).

Der Revisionsrekurs musste daher erfolglos bleiben.

Abgesehen von der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels findet in Außerstreitverfahren - mit Ausnahme von gesetzlichen Sonderfällen, zu denen das Obsorgeverfahren nicht zählt - kein Kostenersatz statt. Der Antrag des Revisionsrekurswerbers auf Zuspruch der Rechtsmittelkosten war daher abzuweisen.

Rechtssätze
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