JudikaturJustiz7Ob111/06h

7Ob111/06h – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Emil Wolfgang D*****, vertreten durch Dr. Josef Hofer und Mag. Dr. Thomas Humer, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei P*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer und Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in Wels, und der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Bernhard W*****, 2. G***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Gerald Haas und andere Rechtsanwälte in Wels, wegen EUR 10.500 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2006, GZ 6 R 209/05f-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 1. August 2005, GZ 3 Cg 151/04x-21, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei und die Nebenintervenienten haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 508a Abs 1 ZPO ist der Oberste Gerichtshof an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulassung der Revision nicht gebunden. Entgegen diesem Ausspruch ist die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage unzulässig. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung eines solchen Rechtsmittels auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Den nachträglich abgeänderten (§ 508 Abs 3 ZPO) Zulässigkeitsausspruch begründete es damit, ein Verfahrensfehler von erheblicher Bedeutung könne nicht ausgeschlossen werden; die vom Revisionswerber „aufgezeigte Problematik" sei mit diesem im Berufungsverfahren nämlich nicht erörtert worden und (auch) die Erörterungen des Erstgerichtes zur Anfechtbarkeit des Vertrages wegen Verkürzung über die Hälfte hätten sich auf den vom Kläger aufgezeigten „Umstand" nicht ausdrücklich bezogen.

Die Zulassungsbegründung nimmt dabei auf folgende Argumentation des Rechtsmittelwerbers in seinem Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO Bezug:

In der Berufungsentscheidung werde zum Einwand der laesio enormis die Auffassung vertreten, dass hier nicht nur der Teilaspekt des Aktienkaufs, sondern das gesamte Vetragsverhätnis einzubeziehen sei, das auch beinhaltet habe, dem Kläger die Nutzung des bestehenden Strukturvertriebes (für das Nahrungsergänzungsmittel „J*****") zu ermöglichen. In der Berufung habe sich jedoch „keine Notwendigkeit ergeben", auf den Wert dieser angeblichen Vertragspflicht einzugehen, weil sich das Erstgericht mit dem Einwand der Verkürzung über die Hälfte nicht befasst habe, und in der Berufungsverhandlung sei dieser Umstand (ob dies eine vermögenswerte Gegenleistung darstelle) nicht erörtert worden.

Der als Mangel des Berufungsverfahrens gerügte Verstoß gegen das Überraschungsverbot (§§ 182, 182a ZPO) liegt jedoch nicht vor:

Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunktes kann nur dann einen Verfahrensmangel darstellen, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen - wie hier - nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zu Grunde lagen, rechtlich anders gewertet, kann die Verletzung des § 182a ZPO keine Rechtsfolgen haben (stRsp; RIS-Justiz RS0120056 [T1]; 7 Ob 181/04z mwN; 7 Ob 278/05s; Schragel in Fasching/Konecny² II/2 §§ 182, 182a ZPO Rz 10 Abs 3).

Außerdem handelt es sich bei der Verletzung des Überraschungsverbotes um eine nach den Umständen des Einzelfalles zu lösende Frage (RIS-Jusitz RS0037300 [T 31]; 10 Ob 58/04h mwN; 7 Ob 181/04z), wobei im vorliegenden Fall schon aus folgenden Erwägungen keine die Parteien mit neuen rechtlichen Gesichtspunkten überraschende und daher mangelhafte Entscheidung des Berufungsgerichtes zu erkennen ist:

Der Zulassungsantrag und - diesem folgend - auch die Zulassungsbegründung übersehen, dass das Berufungsgericht die dazu getroffenen, in der Berufung erfolglos bekämpften Feststellungen (wonach es sich beim gegenständlichen Aktienkauf nicht um eine Geldanlage, sondern um eine Unternehmensbeteiligung zur Gründung einer Gesellschaft zum Strukturvertrieb des Produktes „J*****" gehandelt habe, „wobei sich dies auch aus der Sicht des Klägers derart darstellte") als unbedenklich übernommen und dabei - zutreffend - darauf hingewiesen hat, dass diese Feststellungen der Aussage des Klägers (AS 70 = ON 14 Seite 8) entsprechen (Seite 10 des Berufungsurteils). Die vermisste Erörterung war also schon deshalb nicht erforderlich, weil die Tatsacheninstanzen damit ohnehin dem ausdrücklichen Klagevorbringen gefolgt sind (AS 17 = ON 7 Seite 2), sodass die (andere) rechtliche Wertung dieses unstrittigen Umstandes für den Kläger keinesfalls „überraschend" im Sinne der §§ 182, 182a ZPO sein konnte.

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO wird in diesem Zusammenhang (Punkt 2 und 4 des Zulassungsantrags aber auch aus folgender Überlegung nicht aufgezeigt:

Der vom Kläger in erster Instanz behauptete Irrtum über den Wert der gekauften Aktien ist nicht Tatbestandsvoraussetzung für eine Anfechtung des Vertrages nach § 934 ABGB wegen Verkürzung über die Hälfte (Koziol/Welser13 II 94); die laesio enormis ist vielmehr (selbst) als „fortentwickelter standardisierter Wertirrtum" anzusehen, bei dem der Gesetzgeber von den einschränkenden Anfechtungsvoraussetzungen des § 871 ABGB absieht und dem Verkürzten generell ein Anfechtungsrecht eröffnet (Apathy/Riedler in Schwimann³ IV § 871 ABGB Rz 11 aE). Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, dem Kläger sei der ihm obliegende Nachweis der Voraussetzungen des § 934 ABGB nicht gelungen, ist nicht zu beanstanden. Ob dem Kläger die Berufung auf das Gestaltungsrecht der laesio enormis allenfalls (auch) wegen des Anfechtungsausschlusses gemäß § 351a HGB (anders nunmehr § 351 UGB) verwehrt war, weil er - wie die Revisionsbeantwortung der Beklagten meint - im Hinblick auf das „bereits ausgeübte Grundhandelsgewerbe" (betreffend den Provisionsbezug des Klägers beim Kauf des Produktes „J*****" durch seine Patienten) als Kaufmann zu behandeln sei, ist daher nicht mehr zu prüfen.

Den weiteren Ausführungen des Zulassungsantrags (Punkt 1 und 4) ist zuzugestehen, dass die Abgrenzung zwischen dem Wertirrtum, der im Regelfall einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt (Bydlinski aaO § 871 Rz 9 und § 934 Rz 2), und dem Irrtum über die Eigenschaft der Sache, der Geschäftsirrtum ist, schwierig sein kann (6 Ob 146/97g mwN = ecolex 1998, 197 [Wilhelm]). Erst durch Vertragsauslegung kann jeweils festgestellt werden, ob der Umstand, über den geirrt wurde, zum Geschäft selbst gehört (Koziol/Welser13 I 152). Die herrschende Ansicht lehnt die Erheblichkeit des Wertirrtums ab. Als Irrtum im Beweggrund gemäß § 901 ABGB hat er auf die Gültigkeit entgeltlicher Verträge keinen Einfluss (1 Ob 339/98d; Koziol/Welser13 I 152 f; Apathy/Riedler aaO § 871 ABGB Rz 11; Bydlinski aaO § 871 Rz 10). Anderes gilt nur bei listiger Irreführung oder wenn die Parteien ihre Vorstellungen über den Verkehrswert des Gegenstandes wenigstens stillschweigend zur Bedingung gemacht (also etwa zum Börsen- oder Marktpreis gekauft) haben, wenn der Gegner des Anfechtenden gesetzliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzte, oder wenn der Irrtum ohne Mitwirken des anderen Teils nicht vermeidbar war (RIS-Justiz RS0014920 [T6]; RS0016101; 6 Ob 147/97g = ecolex 1998, 197 [zust Wilhelm]; 1 Ob 339/98d; Koziol/Welser13 aaO; Apathy/Riedler aaO; Bydlinski aaO). In diesen Fällen liegt allerdings kein Motiv-, sondern ein Geschäftsirrtum vor (6 Ob 147/97g; 1 Ob 339/98d jeweils mwN).

Keiner der genannten Fälle ist hier zu erkennen; es steht vielmehr fest, dass weder die Werthaltigkeit der gekauften Aktien noch das künftige Geschäftsergebnis der Beklagten beim Vertragsabschluss eine Rolle spielten, weil es den Parteien lediglich um den zukünftigen gemeinsamen Strukturvertrieb ging (Seite 20 des Ersturteils). Davon ausgehend entspricht es aber den dargestellten Grundsätzen, wenn das Berufungsgericht den Standpunkt vertritt, es wäre dem Kläger oblegen, seine Interessen selbst wahrzunehmen und die Aufnahme der vertraglichen Beziehungen mit der Beklagten von einer Aufklärung über deren wirtschaftliche Situation abhängig zu machen (falls dies für ihn tatsächlich [als Motiv für den Vertragsabschluss] maßgeblich gewesen wäre).

Die Feststellungen der Tatsacheninstanzen bieten also keine Grundlage dafür, den hinsichtlich der erworbenen Unternehmensbeteiligung behaupteten Wertirrtum des Klägers einem der angeführten Fälle zuzuordnen, in denen kein Motiv-, sondern ein Geschäftsirrtum vorliegen würde. Da die Vereinbarung tatsächlich den zukünftigen gemeinsamen Strukturvertrieb der Parteien hinsichtlich des Produktes J***** zum Gegenstand hatte (und nicht eine Vermögensveranlagung in Aktien), fehlt schon von vornherein jeder Anhaltspunkt dafür, dass bestimmte Vorstellungen über den Wert der Aktien zur Bedingung des Vertrages gemacht worden wären oder dass die Beklagte den Kläger über ihre wirtschaftliche Situation hätte aufklären müssen. Demgemäß stellt sich auch die in der Revision primär angesprochene Frage der Verletzung allfälliger Aufklärungspflichten betreffend die dort angeführten, für den konkreten Geschäftsabschluss jedoch bedeutungslosen Umstände nicht. Den Ausführungen, wonach das Rechtsmittel auch im Zusammenhang mit der „Auslegung des Vertrages" zulässig sei, ist aber noch Folgendes zu erwidern:

Der Auslegung einer konkreten Vereinbarung (hier: eines zukünftigen gemeinsamen Strukturvertriebes des Produktes J***** durch die Parteien) kommt ebenfalls keine Bedeutung nach § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS-Justiz RS0042776; RS0042936; RS0044298; RS0044358; RS0112106 ua). Dabei ist unerheblich, ob es um die Auslegung ausdrücklicher oder konkludenter Willenserklärungen geht. Ob diese im Einzelfall richtig ausgelegt wurden, ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann eine Rechtsfrage im Sinne der zitierten Bestimmung, wenn - wie die Zulassungsbeschwerde selbst festhält - in krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042769; RS0042776; RS0042936; RS0044298; RS0044358; RS0112106 ua; zu allem: 7 Ob 215/06b mwN), was etwa dann der Fall ist, wenn die Interpretation mit Sprachregeln, allgemeinen Erkenntnissätzen oder gesetzlichen Auslegungsregeln in (unversöhnlichem) Widerspruch steht (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 86; 10 Ob 27/06b; 7 Ob 265/06f).

Ein derartig gravierender, korrekturbedürftiger Beurteilungsfehler liegt hier aber selbst nach den Rechtsmittelausführungen nicht vor. Ob auch die darin dargelegte andere Auslegung (im Sinn der dort vorgetragenen Argumente dafür, dass die Nutzung des Strukturvertriebes lediglich ein Motiv für den Aktienkauf gewesen sei) vertretbar wäre, also ob bloß eine andere Interpretation in Betracht käme, ist nämlich keine erhebliche Rechtsfrage (vgl Zechner aaO; RIS-Justiz RS0042776; RS0042936; RS0112106 ua; 7 Ob 215/06b und 10 Ob 27/06b mwN).

Mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Da die Beklagte und die Nebenintervenienten in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels nicht hingewiesen haben, stellen sich ihre Schriftsätze ncht als zur zwecksentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig dar. Sie haben deren Kosten selbst zu tragen (1 Ob 162/06i; 6 Ob 169/06f).

Rechtssätze
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