JudikaturJustiz6Ob78/22x

6Ob78/22x – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Petra Patzelt, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. K* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Gerhard Huber, Rechtsanwalt in Linz, 2. G* Versicherung Aktiengesellschaft, FN *, vertreten durch Mag. Alexander Appelius, Rechtsanwalt in Wien, wegen 108.007,57 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. März 2022, GZ 1 R 135/21k-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508 Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Erstbeklagte ist die Rechtsträgerin einer Krankenanstalt, an der sich die Klägerin am 16. 12. 2014 einer Operation unterzog; die Zweitbeklagte ist ihr Haftpflichtversicherer. Die nach der Operation bestehenden Beschwerden, die weiteren Behandlungen und die von der Klägerin angestellten Erkundigungen wurden im Einzelnen festgestellt.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren wegen Verjährung ab.

[3] Das Berufungsgericht ließ die Revision nicht zu.

[4] Rechtlich erörterte es, da für die Klägerin im Sommer 2015 klar gewesen sei, dass die Operation nicht so verlaufen war, wie erwartet, sie das Vertrauen in den Operateur verloren und immer noch erhebliche Beschwerden gehabt habe, seien zu diesem Zeitpunkt deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten worden seien, vorgelegen. Diese Umstände hätten eine Erkundigungspflicht der Klägerin ausgelöst. Die Klägerin hätte bei entsprechenden Erkundigungen bei anderen Fachärzten im Jahr 2016 Kenntnis der relevanten Umstände erlangt, weshalb mit diesem Zeitpunkt der Beginn der Verjährungsfrist anzusetzen sei. Ausgehend davon bejahte das Berufungsgericht – ungeachtet der Verjährungshemmung gemäß § 58a ÄrzteG von 9. 1. 2018 bis 11. 2. 2019, auf die es nicht ausdrücklich Bezug nahm – die Verjährung der Ansprüche vor der Klageeinbringung am 29. 3. 2021.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig.

[6] 1. Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RS0034335; RS0034327 [T1]). Die Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten darf aber nicht überspannt werden (RS0034327 [T6, T27]). Welche Erkundigungsmaßnahmen ihm zumutbar sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0113916; RS0034327 [T20, T27]; zur Einholung eines Sachverständigengutachtens vgl auch [T3, T7, T10, T39]; RS0034603 [T8]). Auch die Beurteilung, wann im Einzelfall die Erkundigungsobliegenheit entsteht, hängt von den konkreten Umständen ab (RS0034327 [T45]).

[7] Diese Grundsätze gelten auch in Fällen behaupteter medizinischer Fehlbehandlungen oder Aufklärungsfehler (vgl bloß 4 Ob 96/20a; 5 Ob 22/15v; 4 Ob 144/11x).

[8] In der Entscheidung 4 Ob 144/11x wurde zu dem Zeitpunkt, zu dem der dortige Kläger die subjektive Überzeugung vom Vorliegen eines Sorgfaltsverstoßes gewonnen hatte, der Beginn einer Obliegenheit angenommen, Schritte zur Objektivierung dieser bis dahin bloß auf Mutmaßungen beruhenden „Überzeugung“ zu setzen (ErwGr 3.2.; vgl 5 Ob 22/15v [ErwGr 4]).

[9] 2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, angesichts der Nachbehandlungen und Beschwerden der Klägerin hätte diese ab dem Sommer 2015 ausreichende Anhaltspunkte für einen Pflichtverstoß des behandelnden Arztes gehabt, aufgrund derer sie zumutbare Erkundigungen über die Zusammenhänge anstellen hätte müssen, hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung. Die außerordentliche Revision zeigt nicht auf, dass die berufungsgerichtliche Beurteilung des Entstehens einer Erkundigungsobliegenheit der Klägerin unvertretbar wäre.

[10] 3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerin, so sie sich spätestens ab Anfang des Jahres 2016 bei anderen Fachärzten aus dem Gebiet der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie entsprechend erkundigt hätte, im Laufe des Jahres 2016 Kenntnis über die relevanten Zusammenhänge betreffend die Operation erlangt hätte, konkret davon, ob diese allenfalls nicht lege artis erfolgt oder die Klägerin nicht ausreichend aufgeklärt worden sei.

[11] In der außerordentlichen Revision wird in diesem Zusammenhang eine – eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO bildende – unrichtige Beurteilung des Inhalts der Erkundigungsobliegenheit der Klägerin gerügt. Die Klägerin sei nicht gehalten gewesen, andere Fachärzte zu konsultieren, weil nach der Entscheidung 6 Ob 273/98k nur ein Sachverständigengutachten Klarheit über ein Verschulden des Operateurs bringen könne.

[12] Diese Beurteilung betraf jedoch nur den konkret zu 6 Ob 273/98k entschiedenen Fall. In der Rechtsprechung ist vielmehr anerkannt, dass in unterschiedlichen Fallkonstellationen unterschiedliche Erkundigungen zumutbar sein können, was von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl RS0113916; RS0034327 [T20, T27]). So kann eine geeignete Maßnahme etwa auch darin bestehen, dass sich der Patient zur Durchsetzung seiner Ansprüche an die Patientenvertretung wendet (4 Ob 144/11x; 5 Ob 22/15v), wie es die Klägerin – wenn auch ohne Ergebnis – getan hat. Im hier vorliegenden Fall hätten nach den Feststellungen allerdings Erkundigungen bei anderen Fachärzten die Zusammenhänge aufklären können. Auf die Zumutbarkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens kommt es daher nicht an.

[13] 4. Es trifft zwar zu, dass die Beweislast für eine Verletzung von Erkundigungspflichten den Schädiger trifft (4 Ob 96/20a; RS0034456 [T5]). Aufgrund der von den Vorinstanzen positiv getroffenen Feststellungen zur Möglichkeit zielführender Erkundigungen kommt es auf die Beweislastverteilung allerdings hier nicht an (vgl RS0039939 [T26]).

[14] 5. Dass die mit Ende des Jahres 2016 in Gang gesetzte Verjährungsfrist auch unter Berücksichtigung der Fortlaufshemmung (vgl RS0121579) gemäß § 58a ÄrzteG bei Klageeinbringung abgelaufen war, wird in der außerordentlichen Revision nicht in Zweifel gezogen.

Rechtssätze
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