JudikaturJustiz6Ob34/14i

6Ob34/14i – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. März 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und die Hofrätin des Obersten Gerichthsofs Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** O*****, vertreten durch Dr. Lieselotte Mucciolo Madler, Rechtsanwältin in Bregenz, als Verfahrenshelferin, gegen die beklagte Partei M***** E*****, vertreten durch Advokaten Pfeifer Keckeis Fiel Scheidbach OG in Feldkirch, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Y***** P*****, vertreten durch Dr. Hans Widerin und Mag. Bernd Widerin, Rechtsanwälte in Bludenz, wegen 157.357 EUR sA, Feststellung (Streitwert 10.500 EUR) und Herausgabe (Streitwert 1.000 EUR, Revisionsinteresse 138.050,56 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2013, GZ 10 R 67/13y 140, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Nach Zustellung des Urteils erster Instanz gab der damalige frei gewählte Vertreter des Klägers mit Schriftsatz vom 26. 3. 2013 (ON 127) die Vollmachtsbeendigung bekannt. Am 29. 3. 2013 langte ein Verfahrenshilfeantrag des Klägers beim Erstgericht ein (ON 128). Dem Kläger wurde nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens mit Beschluss vom 2. 5. 2013 die Verfahrenshilfe im vollen Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 bis 3 ZPO bewilligt (ON 133). Daraufhin wurde mit Bescheid des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 6. 5. 2013 Rechtsanwältin Dr. Lieselotte Mucciolo Madler zur Verfahrenshelferin für den Kläger bestellt (ON 135). Mit Schriftsatz vom 28. 5. 2013 (ON 136) gab der ursprünglich frei gewählte Vertreter, die Rechtsanwaltspartnerschaft Winkler Heinzle Nagel, dem Gericht bekannt, dass er nunmehr wieder den Kläger im Berufungsverfahren vertrete; am 19. 6. 2013 brachte er eine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein (ON 137). Das Urteil des Berufungsgerichts (ON 140) wurde dem im Berufungsverfahren eingeschrittenen Klagevertreter am 5. 11. 2013 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 12. 11. 2013 gab der Klagevertreter die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses zum Kläger bekannt (ON 141).

Am 21. 11. 2013 langte neuerlich ein Antrag des Klägers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Vermögensbekenntnis beim Erstgericht ein (ON 142). Der Antrag wurde vom Erstgericht mit der Begründung zurückgewiesen, dass die ursprünglich bewilligte Verfahrenshilfe samt Beigebung eines Rechtsanwalts noch aufrecht sei (ON 143). Der dagegen erhobene Rekurs wurde mangels Beschwer zurückgewiesen (ON 146).

Der ursprünglich bestellten Verfahrenshelferin wurde das Urteil des Berufungsgerichts am 18. 12. 2013 im Wege des ERV zugestellt. Die außerordentliche Revision langte am 27. 1. 2014 ein.

Rechtliche Beurteilung

Damit erweist sich die Revision als verspätet.

1.1. Das Verhältnis zwischen der Partei und dem im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt ist ausschließlich öffentlicher Natur. Daher hindert die Bewilligung der Verfahrenshilfe die Partei nicht, einem anderen Rechtsanwalt Prozessvollmacht zu erteilen. Dies gilt auch dann, wenn der Partei auch im Rahmen der Verfahrenshilfe ein Rechtsanwalt beigegeben wurde (3 Ob 70/88; Zib in Fasching/Konecny 2 §§ 31, 32 ZPO Rz 13; Fasching Lehrbuch 2 Rz 485 aE).

1.2. Damit war die vom frei gewählten Vertreter bekannt gegebene Prozessvollmacht „im Berufungsverfahren“ wirksam und umfasste jedenfalls auch die Zustellung des Berufungsurteils (vgl § 93 Abs 1 ZPO). Ist eine Partei durch mehrere Bevollmächtigte vertreten, so beginnt ein von der Zustellung abhängiger Fristenlauf mit der zeitlich frühesten Zustellung an einen von ihnen auch dann, wenn dieses Vollmachtsverhältnis nach Zustellung gelöst wird (RIS Justiz RS0035612; vgl RS0102242). Damit wurde aber das Urteil des Berufungsgerichts dem damals mit Prozessvollmacht ausgestatteten Vertreter des Klägers am 5. 11. 2013 wirksam zugestellt.

2.1. Der neuerliche Antrag auf Verfahrenshilfe am 21. 11. 2013 bewirkte keine Verlängerung der Revisionsfrist, weil dem Kläger bereits mit der ursprünglichen Bewilligung der Verfahrenshilfe wirksam ein Rechtsanwalt beigegeben war und daran durch die (zusätzliche) Bevollmächtigung eines frei gewählten Vertreters keine Änderung eingetreten ist (vgl RIS Justiz RS0036213).

2.2. Der Verfahrenshelfer hat so lange Vertretungsmacht, bis er von der Anwaltskammer bzw vom Gericht wirksam „enthoben“ wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt kann er wirksam für die Partei Prozesshandlungen setzen ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny 2 § 64 ZPO Rz 17, 18). Abgesehen von den Fällen des Erlöschens der Verfahrenshilfe ex lege durch den Tod der Partei oder durch endgültige Verfahrensbeendigung kann die Verfahrenshilfe nur durch gerichtlichen Beschluss für erloschen erklärt werden ( M. Bydlinski aaO § 68 ZPO Rz 7).

2.3. Nach der Entscheidung des Landesgerichts Feldkirch 3 R 316/13p führt die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch eine Partei, der ein Verfahrenshelfer bestellt worden ist, zwar nicht ex lege zum Erlöschen der Verfahrenshilfe nach § 68 Abs 1 ZPO, aber dazu, dass die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt werden kann. Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt der Zustellung des Berufungsurteils jedoch keine Enthebung des Verfahrenshelfers erfolgt.

2.4. Im umgekehrten Fall, dass eine Partei, die von einem gewählten Rechtsanwalt vertreten wird, die Beigebung eines Verfahrenshelfers beantragt, ist nach der Rechtsprechung unter Umständen von einem Erlöschen des Vollmachtsverhältnisses auszugehen (RIS Justiz RS0014579 [T5, T8]). Nach dem Schutzzweck des § 464 Abs 3 ZPO muss der Partei die Unterbrechung der Berufungsfrist auch dann zustatten kommen, wenn sie bei der Stellung des Verfahrenshilfeantrags noch durch einen frei gewählten Rechtsanwalt vertreten ist (RIS Justiz RS0041652 [T3]).

2.5. Ein neuerlicher Verfahrenshilfeantrag hätte nur dann eine Unterbrechung einer Rechtsmittelfrist zur Folge, wenn die Partei innerhalb einer Rechtsmittelfrist erstmals einen Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts stellt. Hingegen kann eine Partei, der im Rahmen der Verfahrenshilfe bereits ein Rechtsanwalt als Vertreter bestellt wurde, durch einen (neuerlichen) Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwalts nicht die Unterbrechung der im Lauf befindlichen Rechtsmittelfrist erreichen (RIS Justiz RS0041621; vgl Pimmer in Fasching/Konecny 2 § 464 ZPO Rz 15; E. Kodek in Rechberger ZPO 3 § 464 Rz 4 mwN).

2.6. Aus diesem Grund kann der Auffassung von Fasching (Lehrbuch 2 Rz 485), dass die Partei den Verfahrenshilfeanwalt durch einen frei gewählten Rechtsanwalt mit Prozessvollmacht „austauschen“ kann, nicht gefolgt werden.

2.7. Zusammenfassend war daher der Beschluss des Erstgerichts über die Bewilligung der Verfahrenshilfe auch im Zeitpunkt der Zustellung des Berufungsurteils unverändert aufrecht, sodass der weitere Verfahrenshilfeantrag keine neuerliche Fristunterbrechung auslöste. Damit war aber die Revision als verspätet zurückzuweisen.

3. Der Vollständigkeit halber ist jedoch darauf zu verweisen, dass der Revision auch in der Sache keine Berechtigung zukäme. Die Revisionsausführungen richten sich einerseits gegen die von den Vorinstanzen aufgrund ihrer Beweiswürdigung getroffenen Tatsachenfeststellungen und andererseits gegen die angeblich mangelhafte Durchführung des Verfahrens erster Instanz. Die Richtigkeit der Feststellungen der Vorinstanzen kann aber vom Obersten Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht überprüft werden (RIS Justiz RS0042903 [T2, T5]). Auch vom Berufungsgericht behandelte und verneinte angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz sind im Revisionsverfahren nicht mehr anfechtbar (RIS Justiz RS0042963). Ein Verstoß des Erstgerichts gegen das Überraschungsverbot wurde in der Berufung nicht geltend gemacht und kann daher in dritter Instanz ebenfalls nicht mehr aufgegriffen werden (RIS Justiz RS0043111).

Rechtssätze
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