JudikaturJustiz5Ob313/03w

5Ob313/03w – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Dieter S*****, vertreten durch Fischer, Walla Matt, Rechtsanwälte OEG in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Werner K*****, vertreten durch Dr. Gerald Hauska und Dr. Herbert Matzunski, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 36.336,42 samt Anhang, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 20. Oktober 2003, GZ 3 R 263/03d 17, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 14. Juli 2003, GZ 4 C 1962/00i 12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass sie zu lauten haben wie folgt:

"Die Einrede der internationalen Unzuständigkeit wird verworfen .

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.342,16 (darin enthalten EUR 390,36 an USt) bestimmten Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.462,68 (darin enthalten EUR 243,78 an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit EUR 1.754,82 (darin enthalten EUR 292,47 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der in Italien ansässige Beklagte beauftragte den Kläger mit der Lieferung einer spezifisch für ihn entwickelten und konzipierten Farbnebelabsauganlage. Der Beklagte stellte für das Werk kein Material zur Verfügung. Es wurde die Lieferung laut Anbot "Frei Haus" vereinbart. Die erste Teillieferung der Anlage erfolgte am 23. 3. 1998. Am 9. 2. 1998 legte der Kläger die erste Teilrechnung. In der Folge kam es nicht zu einer fristgerechten Abnahme der vom Kläger zu liefernden Anlage durch den Beklagten.

Der Kläger begehrt mit der am 30. 11. 2000 bei Gericht eingelangten Klage nach Rücktritt vom Vertrag mangels definitiver Abnahme der Anlage und Nichtbezahlung der gelegten Teilrechnungen für bereits erbrachte Teilleistungen die Bezahlung von Schadenersatz. Zur Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes B***** brachte der Kläger vor soweit dies für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung ist , dass der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art 5 EuGVÜ geltend gemacht werde. Nach Art 57 Abs 1 lit a UN K sei der Zahlungsort des Kaufpreises auch bei Werklieferungsverträgen der Ort der Niederlassung des Verkäufers. Dies sei auch der Erfüllungsort im Sinne des Art 5 EuGVÜ.

Der Beklagte erhob die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit sowie die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes. Der Kläger mache nicht eine Kaufpreisforderung, sondern einen sekundären vertraglichen Anspruch, nämlich Schadenersatz wegen Nichtabnahme der Ware, geltend. In diesem Falle komme es auf den Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung an, deren Verletzung behauptet werde. Art 57 Abs 1 lit a UN K sei darauf nicht anzuwenden. Ort der Abnahme sei Brixen gewesen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. In rechtlicher Hinsicht kam es zu dem Ergebnis, dass der Kläger eine sekundäre Verpflichtung aus einem Vertrag geltend mache. Der Erfüllungsort richte sich danach, wo die primäre Verpflichtung zu erfüllen gewesen wäre. Der Kläger fordere vertraglichen Schadenersatz wegen Nichtabnahme der Anlage durch den Beklagten. Erfüllungsort der letzten Abnahme sei der Standort des Beklagten in Italien gewesen.

Das Rekursgericht bestätigte im Ergebnis den angefochtenen Beschluss. Im Falle der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, Rückersatzansprüchen oder sekundären vertraglichen Ansprüchen aus einer Leistungsstörung komme es auf den Erfüllungsort jener "primären" vertraglichen Verpflichtung an, deren Nichterfüllung zur Begründung des Anspruches behauptet werde. Art 57 UN K finde seinem Wortlaut nach nur für die Zahlung des Kaufpreises selbst Anwendung. Für andere Geldschulden wie die Rückzahlung des Kaufpreises oder Schadenersatzzahlung bestehe dagegen keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich des Ortes, an dem diese zu erbringen sei. Somit sei die Regelung des Art 57 UN K auch nicht auf diese anderen Zahlungen und Ansprüche anwendbar. Da hier nicht der Kaufpreis Gegenstand des Klagebegehrens sei, lasse sich der Erfüllungsort nicht aus Art 57 UN K ableiten. Der Erfüllungsort nach Art 5 Z 1 EuGVÜ bestimme sich aber nach dem Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend sei. Nach dem hier anzuwendenden § 36 IPRG sei dies das Recht am Sitz des Erbringers der charakteristischen Leistung, hier des Klägers. Es sei daher österreichisches Sachrecht anzuwenden, nach dem sich der Erfüllungsort zu bestimmen habe. Für die Bestimmung des Erfüllungsortes für die sekundäre Pflicht sei der Ort maßgebend, an dem die primäre, das sei die eigentliche, unmittelbar von den Parteien gewollte Hauptleistungspflicht, zu erfüllen gewesen wäre, nicht hingegen der Ort, an dem die aus einer Leistungsstörung hervorgehende sekundäre Pflicht zu erfüllen sei. Die Hauptleistungspflicht des Beklagten habe hier in der Bezahlung des Kaufpreises bzw Werklieferungslohnes bestanden. Geldschulden seien nach österreichischem Sachrecht gemäß § 905 Abs 2 ABGB im Zweifel Schickschulden, ihr Erfüllungsort liege daher am Wohnsitz des Schuldners im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Daraus folge, dass der Erfüllungsort auch für die geltend gemachten Sekundäransprüche des Klägers die Niederlassung des Beklagten in Italien sei.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig sei.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

Der Beklagte beantragt in der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

Die vorliegende Klage wurde am 30. November 2000 eingebracht. Zutreffend gingen daher alle Beteiligten davon aus, dass die erst am 1. 3. 2002 in Kraft getretene Verordnung Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen (EuGVVO) noch nicht anzuwenden ist (vgl dazu 7 Ob 89/03v).

Zwischen den Parteien wurde weder ein Gerichtsstand noch ein Erfüllungsort vereinbart. Aus der Vereinbarung der Lieferung "Frei Haus" lässt sich die Vereinbarung eines Erfüllungsortes (schon gar nicht für die Kaufpreisschuld - wie in der Folge auszuführen ist) nicht festlegen. Es handelt sich regelmäßig um eine Vereinbarung über die Tragung der Transportkosten, der Liefermodalitäten und der Gefahrtragung, die mit Gerichtsstandsfragen nicht sachgemäß zu verbinden sind (2 Ob 208/98x, 8 Ob 239/02h).

Nach Art 5 Z 1 1. Fall des hier anzuwendenden EuGVÜ kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Der Begriff "Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" ist autonom zu ermitteln (7 Ob 89/03v, 7 Ob 76/01d mwN). Unter der erfüllten oder zu erfüllenden "Verpflichtung" versteht Art 5 Z 1 EuGVÜ grundsätzlich diejenige Verpflichtung, die den Gegenstand der Klage bildet (7 Ob 89/03v, RIS Justiz RS0108474). Darunter fallen primäre vertragliche Ansprüche wie Zahlungs- und Lieferungverpflichtung. Zuständigkeitsbegründend ist der Erfüllungsort der jeweils strittigen Hauptleistungsverpflichtung. Werden sekundäre vertragliche Ansprüche geltend gemacht wie Schadenersatz oder Rückerstattung, so kommt es auf den Erfüllungsort jener vertraglichen "primären" Verpflichtung an, deren Nichterfüllung zur Begründung des Anspruches behauptet wird (6 Ob 27/01s, 4 Ob 116/02s je mwN; RIS Justiz RS0109445; Czernich/Tiefenthaler, Das Übereinkommen von Lugano und Brüssel, Art 5 Rz 12; Kropholler , Europäisches Zivilprozessrecht4, Art 5 Rz 9; Rauscher , Zivilprozessrecht Kommentar, Art 5, Rz 37; Schlosser , EuGVÜ, Art 5 Rz 7).

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH seit dem Urteil vom 6. Oktober 1976, Rs 12/76 Tessili Dunlop, Slg 1976, 1473 sind zur Ermittlung der Zuständigkeit durch das Gericht drei Aufgaben zu erfüllen: 1. Muss es unter Berücksichtigung aller verfügbaren Anhaltspunkte die vertragliche Verpflichtung einordnen oder charakterisieren, die der Klage zugrundeliegt. 2. Muss es feststellen, ob der Typ der Rechtsbeziehung, über die es befindet, einer einheitlichen internationalen Regelung unterliegt. Ist auf den Vertrag ohnehin materielles Einheitsrecht anzuwenden (etwa das UN Kaufrechtsabkommen), so erübrigt sich der Rückgriff auf das IPR. Ist das nicht der Fall, muss es 3. auf seine eigene Normen des internationalen Privatrechts (Kollisionsnormen) oder seit dessen Inkrafttreten auf das Übereinkommen von Rom vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) zurückgreifen, um herauszufinden, welches Recht anwendbar ist (6 Ob 27/01s, 7 Ob 189/03z je mwN).

Der vorliegende Vertrag ist unstrittig als Werklieferungsvertrag nach Art 3 Abs 1 UN K dem UN Kaufrechtsabkommen zu unterstellen. Danach stehen Werklieferungsverträge den Kaufverträgen grundsätzlich gleich, es sei denn, dass der Besteller einen wesentlichen Teil der für die Herstellung oder Erzeugung notwendigen Stoffe selbst zur Verfügung gestellt hat (vgl auch Herber/Czerwenka, Internationales Kaufrecht, Art 3 Rz 2; Ferrari in Schlechtriem, Kommentar zum einheitlichen UN Kaufrecht - CISG , Art 3 Rz 4 ff, Siehr in Honsell, Kommentar zum UN Kaufrecht, Art 3, Rz 3). Geltend gemacht wird hier die Bezahlung von Schadenersatz nach Vertragsaufhebung (Art 61 lit b UN K (Art 64 iVm Art 74 ff UN K)).

Nach Art 57 Abs 1 lit a UN K hat der Käufer mangels anderslautender Vereinbarungen wie hier am Ort der Niederlassung des Verkäufers seine Kaufpreiszahlung zu erbringen. Es wird hier also eine Bringschuld normiert. Im Sinne des oben dargelegten Prüfschemas würde sich der Erfüllungsort für die Kaufpreisforderung im Sinne des Art 5 Z 1 EuGVÜ aus dem Einheitsrecht, nämlich Art 57 Abs 1 lit a UN K ergeben (vgl auch 4 Ob 191/03x).

Wegen seiner Formulierung ist nicht unzweifelhaft klar, ob Art 57 UN K nun nur den Erfüllungsort hinsichtlich der Kaufpreiszahlung, sondern auch hinsichtlich sekundärer vertraglicher Ansprüche wie Schadenersatz regelt. Nach dem bereits Dargelegten richtet sich der Erfüllungsort der Sekundärverpflichtung nach demjenigen für die Primärverpflichtung, nämlich in diesem Fall wieder der Kaufpreiszahlungsverpflichtung, also mangels anderslautender Vereinbarungen eben nach Art 57 Abs 1 lit a UN K.

Der Oberste Gerichtshof hat überdies bereits einmal ausgesprochen, dass es als gerechtfertigt anzusehen sei, dass dieser Gerichtsstand auch auf sonstige Geldansprüche analog mit der Wirkung anzuwenden sei, dass auch hier Erfüllungsort der Sitz des Gläubigers der Geldforderung sei (3 Nd 509/02 mwN, Hager in Schlechtriem, Kommentar zum einheitlichen UN Kaufrecht CISG Art 57, Rz 25; Schnyder Straub in Honsell , Kommentar zum UN Kaufrecht, Art 57 Rz 31). Auch danach ergibt sich für die geltend gemachte Forderung der Erfüllungsort am Sitz des Verkäufers und damit des Klägers.

Dies bedeutet, dass ein Rückgriff auf das nationale Recht nicht erfolgt, da Einheitsrecht zur Anwendung kommt.

Für den geltend gemachten Klagsanspruch ist daher die internationale Zuständigkeit zu bejahen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 51 und 52 ZPO. Es handelt sich um einen Zwischenstreit (RIS Justiz RS0036009, RS0035955). Im erstinstanzlichen Verfahren sind nur die Kosten für die abgesonderte Verhandlung über die Einrede zu ersetzen, das sind jene der Tagsatzung vom 17. 6. 2003.

Rechtssätze
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  • RS0117841OGH Rechtssatz

    25. April 2019·3 Entscheidungen

    Gemäß Art 66 Abs 1 EuGVVO sind die Vorschriften dieser Verordnung nur auf solche Klagen anzuwenden, die erhoben wurden, nachdem diese Verordnung in Kraft getreten ist. Damit ist ausdrücklich als Übergangsbestimmung normiert, dass das EuGVVO nicht zurückwirkt.