JudikaturJustiz5Ob29/22h

5Ob29/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Juli 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Grundbuchsache der Antragstellerin W*, vertreten durch Dr. Christian Prader, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Grundbuchshandlungen ob den Liegenschaften EZ * und EZ * je KG *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Dezember 2021, AZ 52 R 137/21k, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 126 Abs 2 GBG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Eintragung einer Dienstbarkeit des „Unterlassens der Erhebung von Einwendungen gemäß §§ 364 ff ABGB durch das Heranbauen“ durch den jeweiligen Eigentümer der herrschenden Liegenschaft „in den Mindestabstandsbereich“ der dienenden Liegenschaft.

[2] Die zu verbüchernde Vereinbarung findet sich im Punkt C 1) des zwischen der Antragstellerin als der Eigentümerin der herrschenden Liegenschaft und Ing. J* M* als dem Eigentümer der dienenden Liegenschaft abgeschlossenen Vertrags „über eine Vereinbarung gemäß § 6 Abs. 4 lit. a und Abs. 7 TBO sowie Dienstbarkeitseinräumung gemäß §§ 364ff, 473 ABGB, § 12 GBG“. Sie lautet:

„1) Ing. J* M* verzichtet für sich und seine Rechtsnachfolger der EZ * KG *, Einwendungen gemäß §§ 364ff ABGB zu erheben, die daraus resultieren, dass die W* oder deren Rechtsnachfolger der EZ * KG * gemäß dieser Vereinbarung Maßnahmen gemäß § 6 Abs 4 lit a und/oder Abs 7 TBO im Mindestabstandsbereich zur EZ * KG * vornehmen. Diese Verpflichtung wird als Dienstbarkeit im Sinne der §§ 471 (473) ff ABGB begründet.“

[3] Das Erstgericht wies den Antrag ab, diese Dienstbarkeit auf der dienenden Liegenschaft einzuverleiben und auf der herrschenden Liegenschaft ersichtlich zu machen.

[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf; dieser ist daher unzulässig und zurückzuweisen.

[6] 1.1. Die – gemäß § 9 GBG einverleibungsfähige – Dienstbarkeit ist das dingliche Recht der beschränkten Nutzung einer fremden Sache. Der Eigentümer der belasteten Sache ist verpflichtet, „in Rücksicht seiner Sache“ etwas zu unterlassen, wozu er an sich befugt wäre, oder etwas zu dulden, was er sonst untersagen dürfte (§ 472 ABGB; 5 Ob 59/18i; 5 Ob 151/17t mwN).

[7] 1.2. Die Aufzählung der Grunddienstbarkeiten in den §§ 475 bis 477 ABGB ist nicht erschöpfend (RIS Justiz RS0011558). Eine Grunddienstbarkeit besteht aber nur dann, wenn sich die Duldung oder Unterlassung, zu der der Eigentümer der belasteten Liegenschaft verpflichtet ist, auf die Nutzung des belasteten Grundstücks selbst bezieht. Duldung „in Rücksicht seiner Sache“ erfordert also stets eine unmittelbare Beziehung zur Nutzung der belasteten Sache (5 Ob 59/18i; 5 Ob 151/17t; RS0011510 [T2, T4]).

[8] 1.3. Eine Grunddienstbarkeit muss außerdem der vorteilhafteren oder bequemeren Benützung des herrschenden Grundstücks dienen (§ 473 ABGB; RS0011597 [T1]; RS0011582). Auch das Erfordernis der Nützlichkeit oder Bequemlichkeit bezieht sich immer auf das Grundstück selbst, nicht auf persönliche Vorteile seines Eigentümers (RS0011593 [T1]). Entscheidend für die Einordnung als Dienstbarkeit sind also nur liegenschaftsbezogene Utilitätserwägungen (5 Ob 130/10v). Bei deren Beurteilung ist freilich kein strenger Maßstab anzuwenden (RS0011593); nur völlige Zwecklosigkeit verhindert das Entstehen einer Dienstbarkeit oder vernichtet diese (9 Ob 43/21w mwN).

[9] 1.4. Grunddienstbarkeiten müssen demnach das Eigentum am dienenden Grundstück beschränken und das am herrschenden Gut bestehende Eigentum erweitern oder fördern. Fehlt auch nur eine dieser beiden Eigenschaften, sind die Voraussetzungen einer Grunddienstbarkeit nicht gegeben (5 Ob 59/18i; 5 Ob 151/17t; RS0011546).

[10] 2.1. Eine von Liegenschaftsnachbarn vertraglich übernommene Verpflichtung zur wechselseitigen „Erteilung einer Bauabstandsnachsicht“ kann nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht als Dienstbarkeit verbüchert werden (RS0122142).

[11] 2.2. In den diese Rechtsprechungslinie begründenden Entscheidungen 5 Ob 16/07z und 5 Ob 32/07b lag der tragende Grund für diese Beurteilung darin, dass eine solche Verpflichtung zur Abgabe einer Zustimmungserklärung im Bauverfahren inhaltlich eine Verpflichtung zu einem aktiven Tun war, ein aktives Tun aber nicht Hauptleistungspflicht einer Dienstbarkeit sein kann (vgl auch 7 Ob 125/10y).

[12] 2.3. In der Entscheidung 5 Ob 43/12b stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass diese Erwägung im Fall der dort zu beurteilenden Verpflichtung der „Duldung des Heranbauens“ nicht einschlägig ist, weil eine solche weder auf die Erteilung einer „Bauabstandsnachsicht“ Bezug nimmt noch eine entsprechende Zustimmungserklärung nach den dort maßgeblichen Bebauungsvorschriften Relevanz hätte. Der Verpflichtung der „Duldung des Heranbauens“ fehle es aber an dem für eine Grunddienstbarkeit wesentlichen Tatbestandsmerkmal der Eigentumsbeschränkung am dienenden Gut. Der Eigentümer des dienenden Gutes werde lediglich zur Duldung des Heranbauens bis zu seiner Grundstücksgrenze verpflichtet, nicht aber zu einer Beschränkung des Eigentumsrechts an seinem Grundstück selbst. Anders etwa als im Fall des Verzichts auf eine bestimmte bauliche Ausgestaltung der Liegenschaft sei in diesem Fall nicht zu erkennen, inwiefern die Duldung des Heranbauens bis zur Grundstücksgrenze eine Einschränkung der Nutzung der dienenden Liegenschaft selbst bewirke. Es sei zwar durchaus denkbar, dass aus der grenznahen Verbauung Beeinträchtigungen der Nachbarliegenschaft resultieren könnten. Eine freiwillige vertragliche Einschränkung eines allenfalls bestehenden Abwehranspruchs nach den §§ 364 ff ABGB könnte nach der Rechtsprechung den Inhalt einer Dienstbarkeit bilden. Allerdings sei gerade dieser Fall von der zu beurteilenden vertraglichen Vereinbarung unmittelbar nicht erfasst.

[13] 2.4. Gegenstand der Entscheidung 5 Ob 151/17t war die vom jeweiligen Eigentümer des dienenden Grundstücks übernommene Verpflichtung, in einem künftigen baubehördlichen Verfahren über die Bebauung eines Nachbargrundstücks jegliche wie immer gearteten Einwendungen, Rechtsbehelfe, Rechtsmittel hinsichtlich der Unterschreitung der im Salzburger Bebauungsgrundlagengesetz geregelten Mindestabstände zu unterlassen. Der Fachsenat teilte die Auffassung der Vorinstanzen, wonach (auch) diese Verpflichtung nicht als Grunddienstbarkeit eintragungsfähig sei (vgl RS0122142 [T2]), weil es an dem für eine Grunddienstbarkeit wesentlichen Tatbestandsmerkmal der Eigentumsbeschränkung am dienenden Gut mangle. Die vereinbarte Unterlassungsverpflichtung beschränke – gleich der Verpflichtung zur Duldung des Heranbauens – nicht unmittelbar die Nutzung der belasteten Sache. Auch in diesem Zusammenhang gelte, dass vertraglich nicht erfasste, nur mittelbar aus einer allfälligen baubehördlich bewilligten grenznahen Verbauung resultierende Beeinträchtigungen der Nachbarliegenschaft die Annahme einer Dienstbarkeit nicht zu rechtfertigen vermögen. Eine freiwillige vertragliche Einschränkung eines allenfalls bestehenden Abwehranspruchs nach den §§ 364 ff ABGB, die nach der Entscheidung 5 Ob 93/70 den Inhalt einer Dienstbarkeit bilden könne, sei (auch) hier von der vertraglichen Vereinbarung unmittelbar nicht erfasst.

[14] 3.1. Das Grundbuchsgericht darf eine grundbücherliche Eintragung unter anderem nur dann bewilligen, wenn das Begehren durch den Inhalt der beigebrachten Urkunden begründet erscheint (§ 94 Abs 1 Z 3 GBG). Das Ansuchen kann somit nur dann bewilligt werden, wenn der Urkundeninhalt ein derartiger ist, dass er nicht nur in formaler Beziehung unbedenklich erscheint, sondern auch bezüglich der materiell-rechtlichen Frage keine Zweifel aufkommen lässt (RS0060878).

[15] 3.2. Ob die dem Grundbuchsgesuch angeschlossenen Urkunden iSd § 94 Abs 1 Z 3 GBG zu Zweifeln Anlass geben, ist eine Frage des Einzelfalls, die nur dann eine erhebliche Rechtsfrage begründet, wenn dem Rekursgericht eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (RS0060573 [T18]; RS0060878 [T55]). Eine solche Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurs der Antragsstellerin nicht auf.

[16] 3.3. Nach der in jüngeren Entscheidungen des Fachsenats bloß zitierten Entscheidung 5 Ob 93/70 kann eine freiwillige vertragliche Einschränkung des Abwehranspruchs nach §§ 364 ff ABGB den Inhalt einer Dienstbarkeit bilden (vgl RS0011575). Konkret ging es in dieser Entscheidung um die Einverleibungsfähigkeit einer Verpflichtung, Störungen, die mit der Ausübung eines Gewerbebetriebs verbunden sind, soweit sie das bei Betrieben dieser Art übliche Ausmaß nicht überschreiten, zu dulden; dies im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern und aus dem Blickwinkel des Utilitätserfordernisses. Die vertragliche Einschränkung der Abwehransprüche nach §§ 364 ff ABGB insofern, als das bei einem Betrieb dieser Art übliche Ausmaß an Störungen gestattet sein solle, auch wenn diese das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung der anderen Miteigentumsanteile wesentlich beeinträchtigen, diene zweifellos der nützlicheren oder bequemeren Ausübung des Gewerbebetriebs des Berechtigten und stelle daher insofern eine Dienstbarkeit dar.

[17] Nach 5 Ob 78/90 kann auch die Verpflichtung des Eigentümers einer Liegenschaft (als dem dienenden Gut), die vom Gasthausbetrieb auf einer Nachbarliegenschaft (als herrschendem Gut) ausgehenden Emissionen, insbesondere Geräusche, Gerüche und Dünste, zu dulden, Inhalt einer verbücherungsfähigen Grunddienstbarkeit sein. Dasselbe gelte daher für den Verzicht des Eigentümers der dienenden Liegenschaft, gegen den Eigentümer der herrschenden Liegenschaft, wegen dieser Emissionen nachbarrechtliche Schritte zu setzen und Schadenersatzansprüche aus dem Nachbarrecht geltend zu machen. Dieser Verzicht sei lediglich eine nähere Umschreibung der Duldungspflicht (vgl RS0011526).

[18] In beiden Fällen betraf die freiwillige Einschränkung eines Abwehranspruchs nach §§ 364 ff ABGB demnach die Duldung von mehr oder weniger konkretisierten Immissionen durch einen benachbarten Gewerbebetrieb. Die hier zu beurteilende Vereinbarung ist damit nicht vergleichbar. Der vereinbarte Verzicht bezieht sich zwar auf „Einwendungen gemäß §§ 364ff ABGB“, gilt aber ausdrücklich nur für nicht weiter konkretisierte Abwehrrechte und Ansprüche, die im ursächlichen Zusammenhang mit den Maßnahmen, die die Eigentümerin der herrschenden Liegenschaft im Rahmen bestimmter baurechtlicher Möglichkeiten im Mindestabstandsbereich zur dienenden Liegenschaft vornimmt. Nach Auffassung des Rekursgerichts sind damit konkrete abwehrfähige direkte oder indirekte nachbarrechtlichen Immissionen iSd § 364 ABGB von der Vereinbarung nicht unmittelbar umfasst; eine Beschränkung des Eigentumsrechts durch Duldung derartiger Beeinträchtigungen sei nicht deren unmittelbarer Gegenstand. Vergleichbar mit der Verpflichtung der „Duldung des Heranbauens“ (5 Ob 43/12b) und der Verpflichtung, in einem baubehördlichen Verfahren Einwendungen, Rechtsbehelfe, Rechtsmittel hinsichtlich der Unterschreitung der baurechtlich geregelten Mindestabstände zu unterlassen (5 Ob 151/17t), fehle damit das für eine Grunddienstbarkeit wesentliche Tatbestandsmerkmal der Eigentumsbeschränkung am dienenden Gut.

[19] Diese auf Basis der dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorgenommene Beurteilung des Einzelfalls ist nicht korrekturbedürftig. In dem im gegebenen Zusammenhang maßgeblichen Aspekt unterscheidet sich die zu beurteilende Vereinbarung nicht wesentlich von den vom Fachsenat in den vom Rekursgericht zur Begründung seiner Rechtsauffassung zitierten Entscheidungen entschiedenen Fällen. Hier bezieht sich die Verpflichtung zur Unterlassung von Einwendungen in Bezug auf die Unterschreitung der baugesetzlich geregelten Mindestabstände zwar nicht auf das Bauverfahren und subjektiv-öffentliche Rechte, sondern auf zivilrechtliche Abwehrrechte und Ansprüche. Der Bezugspunkt und damit der Vereinbarungszweck ist aber derselbe, nämlich das Ermöglichen der grenznahen Verbauung. Der im Sachenrecht herrschende Typenzwang gebietet eine enge Auslegung (5 Ob 244/20y; 5 Ob 219/20x) des im Grundbuchsverfahren maßgeblichen Wortlauts der Grundbuchsurkunde (RS0060573 [T10]). Die Beurteilung des Rekursgerichts, (auch) hier sei die Duldung von Beeinträchtigungen der Nachbarliegenschaft, die mit der allfälligen grenznahen Verbauung mittelbar verbunden sind, vertraglich nicht unmittelbar erfasst, ist daher kein infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage unvertretbares Auslegungsergebnis (vgl RS0042936). Nur mittelbar (und allenfalls) aus dem Einwendungsverzicht resultierende Beschränkungen des Eigentums rechtfertigen die Annahme einer Dienstbarkeit aber eben nicht (RS0122142).

[20] 4. Der Umstand, dass ein gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sein mag, bedeutet noch nicht, dass eine Rechtsfrage von der im § 62 Abs 1 AußStrG umschriebenen Bedeutung vorliegt. Das gilt insbesondere, wenn – wie hier – der Streitfall bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann und vom Rekursgericht auch so gelöst wurde (5 Ob 93/21v mwN).

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