JudikaturJustiz4Ob6/96

4Ob6/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Tittel und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N***** AG, 2. N*****gesellschaftmbH, beide ***** beide vertreten durch Dr.Eugen Wiederkehr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E***** GesellschaftmbH, ***** vertreten durch Mag.Dr.Franz Hafner und Dr.Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in Altmünster, wegen Unterlassung, Beseitigung und Rechnungslegung (Streitwert im Provisorialverfahren S 250.000), infolge Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 6.November 1995, GZ 1 R 180/95-12, mit dem der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 28. Juli 1995, GZ 10 Cg 124/95f-7, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

1. Die Revisionsrekursbeantwortung der Erstklägerin wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs der Beklagten wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsrekurses endgültig selbst zu

tragen.

Text

Begründung:

Die Erstklägerin ist Inhaberin des am 15.3.1995 unter der Nummer 174 im Gebrauchsmusterregister eingetragenen und im Gebrauchsmusterblatt veröffentlichten Gebrauchsmusters. Angemeldet wurde das Gebrauchsmuster am 29.11.1994, die Schutzdauer begann am 15.3.1995; als Prioritätszeitpunkt wurde unter Bezugnahme auf das deutsche Gebrauchsmuster G 9320219 der 28.12.1993 beansprucht.

Nach der Gebrauchsmusterschrift betrifft die Erfindung "ein Spielgerät, insbesondere Spielautomat gegebenenfalls in Form eines Wurfpfeilspiel-, Poker- oder Rouletteautomaten mit einem Gehäuse, in dessen oberen Bereich die Spielanzeigen und das Spielfeld bzw. die Zielscheibe angeordnet bzw. auf einem Fernsehbildschirm bzw. mit Lichtanzeigen dargestellt sind. Erfindungsgemäß ist vorgesehen, daß das Gehäuse des Spielgerätes in einen oberen und einen unteren Gehäuseteil gegliedert ist, der obere Gehäuseteil von dem unteren Gehäuseteil getragen bzw. abgestützt oder mit diesem einstückig ausgebildet ist, und daß im unteren Gehäuseteil eine von vorn zugängliche Ausnehmung zur Aufnahme, Aufbewahrung, Ablage oder dgl. von Gegenständen, zB Ersatzteilen, Wurfpfeilen, Gewinngegenständen oder dgl. ausgebildet ist".

Die Gebrauchsmusterschrift enthält siebzehn Schutzansprüche; der erste Schutzanspruch ist mit der oben wiedergegebenen Beschreibung im wesentlichen inhaltsgleich.

Die Beklagte vertreibt seit 1995 unter der Bezeichnung "C*****-Dart's" Wurfpfeilautomaten. Bei dem in ihrem Prospekt beschriebenen Spielgerät ist der Anspruch 1 des Gebrauchsmusters der Erstklägerin verwirklicht. Die Erstklägerin hat der Beklagten den Vertrieb solcher Spielgeräte nicht gestattet.

Die Klägerinnen begehren zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung die Herstellung, den Vertrieb sowie jedwedes Inverkehrbringen von Münzspielgeräten, insbesondere Wurfpfeilspielen (Dart's), bestehend aus einem oberen und einem unteren Teil, zu untersagen, wenn der untere Gehäuseteil eine - gegebenenfalls mit einer durchsichtigen Türe verschließbare - Ausnehmung zur Aufnahme, Aufbewahrung oder Ablage von Gegenständen, insbesondere Ersatzteilen, Wurfpfeilen oder Gewinngegenständen aufweist.

Die von den Klägerinnen entwickelten Spielgeräte bestünden regelmäßig aus zwei Bauteilen. Im unteren Bauteil biete eine Ausnehmung Platz für die Aufnahme von Gegenständen, der obere Teil enthalte die Zielscheibe und die Spielanzeigen. Bei herkömmlichen Geräten diene der untere Teil nur dazu, den oberen Teil zu tragen. Mit ihrem "Standgerät mit integriertem Shop für Pfeile" verletze die Beklagte das Gebrauchsmuster der Erstklägerin. Sie habe dieses Gerät als die "neue Dart's Generation 1995" in Verkehr gebracht. Die Erstklägerin habe ausschließlich der Zweitklägerin Rechte am Gebrauchsmuster eingeräumt.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen.

Die Spielgeräte der Streitteile stimmten nur darin überein, daß im Sockel der Dartspielautomaten eine Ausnehmung mit Glastüre zur Aufnahme von Gegenständen eingebaut sei. Dieses Detail sei für sich allein nicht schutzwürdig; das Einbauen von Glastüren in Kästen gehöre schon seit dem Mittelalter zum Stand der Technik. Der Beklagten stehe ein Vorbenützerrecht zu. Die V*****GesellschaftmbH in T***** biete die beanstandeten Dartspielautomaten schon seit Anfang 1994 an; seit Mitte 1994 würden sie auch von der Beklagten in Verkehr gebracht. Darts-Automaten hätten schon vor der Registrierung des Gebrauchsmusters zum Stand der Technik gehört. Etwaige optische Übereinstimmungen hätten ihren Grund in technischen Notwendigkeiten.

Das Erstgericht verbot der Beklagten zur Sicherung des Unterlassungsanspruches der Erstklägerin, Münzspielgeräte, insbesondere Wurfpfeilspiele (Dart's) feilzuhalten und/oder zu vertreiben, die folgende Merkmale aufweisen: Spielgerät, insbesondere Spielautomat in Form eines Wurfpfeilspielautomaten mit einem Gehäuse, in dessen oberen Bereich die Spielanzeigen und die Zielscheibe angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, daß das Gehäuse des Spielgerätes in einen oberen und einen unteren Gehäuseteil gegliedert ist, der obere Gehäuseteil von dem unteren Gehäuseteil getragen bzw. abgestützt wird und daß im unteren Gehäuseteil eine von vorne zugängliche Ausnehmung zur Aufnahme, Aufbewahrung, Ablage oder dergl. von Gegenständen, zB Wurfpfeilen, ausgebildet ist. Den Sicherungsantrag der Zweitklägerin wies das Erstgericht ab.

Das Spielgerät der Beklagten verletze Anspruch 1 des Gebrauchsmusters der Erstklägerin. Die Erstklägerin nehme die Priorität 28.12.1993 zu Recht in Anspruch, wie ein Vergleich ihres österreichischen Gebrauchsmusters mit dem deutschen Gebrauchsmuster zeige. Allfällige Handlungen der Beklagten Mitte 1994 könnten daher kein Vorbenützerrecht begründen. Auf eine allfällige Vorbenutzung durch die V*****GesellschaftmbH könne sie sich nicht berufen. Ob es zulässig sei, im Provisorialverfahren die Nichtigkeit des Gebrauchsmusters einzuwenden, könne auf sich beruhen, weil die Beklagte keinen derartigen Einwand erhoben habe. Der Unterlassungsanspruch stehe nur der Klägerin als Inhaberin des Gebrauchsmusters zu.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Die Erstklägerin habe die Priorität 28.12.1993 zu Recht beansprucht. Die Beklagte habe weder behauptet noch bescheinigt, gutgläubige Vorbenützerin des Gebrauchsmusters iS des § 5 Abs 1 GMG zu sein. Von einer mangelnden Schutzwürdigkeit des Gebrauchsmusters der Erstklägerin könne keine Rede sein; die Beklagte habe auch nicht behauptet, daß das Gebrauchsmuster nichtig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil zu den hier relevanten Fragen des Gebrauchsmusterrechts eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Erstklägerin ist verspätet. Der Beschluß über die Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung wurde ihrem Vertreter am 21.12.1995 zugestellt. Die Revisionsrekursbeantwortung wurde am 9.1.1996, und somit nach Ablauf der 14-tägigen Frist des § 402 Abs 3 EO, überreicht. Die Gerichtsferien haben auf das Exekutionsverfahren und damit auch auf das Provisorialverfahren keinen Einfluß (§ 223 Abs 2 ZPO).

Die Beklagte verweist darauf, daß als Gebrauchsmuster Erfindungen geschützt werden, die auf einem erfinderischen Schritt beruhen. Die Leistung der Erstklägerin erschöpfe sich darin, ein bereits bekanntes Spielgerät auf ein Kästchen (eine Vitrine) herkömmlicher Art aufzusetzen.

Als Gebrauchsmuster werden auf Antrag Erfindungen geschützt, die neu sind, auf einem erfinderischen Schritt beruhen und gewerblich anwendbar sind (§ 1 Abs 1 GMG). Für Gebrauchsmuster wird demnach eine gewisse erfinderische Leistung gefordert. Die Erfindungsqualität muß jedoch bloß in geringerem Ausmaß, als dies für die Patentierung erforderlich ist, gegeben sein (1235 BlgNR 18. GP 14; Kucsko, Österreichisches und europäisches Wettbewerbs-, Marken-, Muster- und Patentrecht 114; s auch Puchberger/Jakadofsky, Gebrauchsmusterrecht 20; Feil, Gebrauchsmustergesetz 12).

Im Anmeldeverfahren nach dem Gebrauchsmustergesetz erfolgt keine Prüfung auf Neuheit, erfinderischen Schritt, gewerbliche Anwendbarkeit sowie darauf, ob der Anmelder Anspruch auf Gebrauchsmusterschutz hat (§ 18 Abs 1 GMG). Als Ausgleich dafür kann jedermann die Nichtigerklärung (§ 28 GMG) beantragen, wenn das Gebrauchsmuster (ua) nicht neu ist oder ihm kein erfinderischer Schritt zugrundeliegt (s Kucsko aaO 113). Bestehen keine Bedenken gegen die Veröffentlichung und Registrierung, erstellt das Patentamt einen Recherchenbericht, in dem die vom Patentamt zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichtes ermittelten Schriftstücke genannt werden, die zur Beurteilung der Neuheit und des erfinderischen Schritts in Betracht gezogen werden können (§ 19 Abs 1 GMG). Die im Recherchenbericht enthaltenen Informationen erleichtern dem Anmelder die Entscheidung, ob er seine Anmeldung weiterverfolgen will, und geben der Öffentlichkeit Aufschluß über die Rechtsbeständigkeit angestrebter Gebrauchsmuster (1235 BlgNR 18. GP 14, 20; 1523 BlgNR

18. GP). Gemäß § 27 GMG kann der Anmelder die sofortige, vom Zeitpunkt der Fertigstellung des Recherchenberichtes unabhängige Veröffentlichung und Registrierung des Gebrauchsmusters beantragen. Damit verzichtet der Anmelder auf die Möglichkeit, die Ergebnisse des Recherchenberichtes noch vor Veröffentlichung und Registrierung des Gebrauchsmusters zu verwerten (1235 BlgNR 18. GP 20).

§ 4 Abs 1 GMG gibt dem Gebrauchsmusterinhaber das Recht, andere davon auszuschließen, den Gegenstand der Erfindung betriebsmäßig herzustellen, in Verkehr zu bringen, feilzuhalten oder zu gebrauchen;

§ 41 GMG räumt bei Gebrauchsmusterverletzungen (ua) einen Unterlassungsanspruch ein. Im Verfahren über Gebrauchsmusterverletzungen sind die §§ 147 bis 157 und § 164 des Patentgesetzes sinngemäß anzuwenden. Nach § 156 Abs 1 PatG kann die Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patentes, auf das die Verletzungsklage gestützt wird, vorbehaltlich des Absatz 3 vom Gericht als Vorfrage selbständig beurteilt werden; Absatz 3 ordnet die Unterbrechung des Verfahrens an, wenn ein Urteil (also nicht ein Beschluß im Verfahren über eine einstweilige Verfügung [EB 1977 in Friedl/Schönherr/Thaler, Patent- und Markenrecht 233 FN 5) davon abhängt, ob das Patent nichtig ist. Im Provisorialverfahren ist die Rechtsbeständigkeit des Patentes (des Gebrauchsmusters) eine widerlegbare Vermutung (s Hermann/Schmidt, Österreichisches Patentgesetz**2 Anm 9 zu § 156 mwN).

Den Ausführungen der Beklagten ist - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - zu entnehmen, daß sie die Schutzwürdigkeit des Gebrauchsmusters bestreitet. Wird dieser Einwand erhoben, so ist im Verletzungsstreit zu prüfen, ob das Gebrauchsmuster schutzfähig ist (zum insoweit vergleichbaren deutschen Recht s Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz9 § 13 GebrMG Rz 3; Bühring, Gebrauchsmustergesetz4 § 19 Rz 2; Gaul/Bartenbach, Handbuch des gewerblichen Rechtsschutzes5 Rz 131).

Die Erstklägerin stützt ihren Anspruch auf das zu ihren Gunsten eingetragene Gebrauchsmuster, das - mangels eines Antrages auf Nichtigerklärung nach § 28 GMG - bisher ungeprüft blieb. Ihr steht aber dennoch ein Unterlassungsanspruch zu, weil § 41 GMG jedem in seinem Gebrauchsmuster Verletzten (ua) einen Unterlassungsanspruch einräumt, ohne diesen Anspruch davon abhängig zu machen, daß der Gebrauchsmusterinhaber die materielle Berechtigung seines Gebrauchsmusters nachweist. Daß das Gebrauchsmuster nicht neu oder nicht erfinderisch sei, muß der Beklagte behaupten und - im Provisorialverfahren - bescheinigen. Das gilt ungeachtet dessen, daß ein Gebrauchsmuster, dem (zB) die Neuheit oder der erfinderische Schritt fehlen, ein bloßes Scheinrecht ist, dessen Nichtigerklärung jedermann beantragen kann (§ 28 GMG; s zum insoweit vergleichbaren deutschen Recht Benkard aaO § 15 Rz 2; Gaul/Bartenbach aaO). Solange "dieser Schein nicht zerstört ist" (Benkard aaO), hat der Gebrauchsmusterinhaber den Rechtsschein eines wirksamen Gebrauchsmusters für sich und es ist Sache des Eingreifers, das Fehlen der sachlichen Voraussetzungen des Gebrauchsmusterschutzes zu behaupten und zu bescheinigen.

Dem Vorbringen der Beklagten kann zwar - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - die Behauptung mangelnder Neuheit und des Fehlens eines erfinderischen Schrittes entnommen werden; sie hat ihre Behauptungen jedoch nicht bescheinigt. Eine Bescheinigung wäre erforderlich gewesen, weil das Fehlen der Schutzvoraussetzungen nicht offenkundig ist. In dem vom erkennenden Senat beigeschafften Recherchenbericht vom 8.8.1995 sind vier Patentschriften angeführt, von denen drei als Veröffentlichung von besonderer Bedeutung gekennzeichnet sind. Von besonderer Bedeutung sind Veröffentlichungen, die schon für sich allein genommen dazu führen können, daß die beanspruchte Erfindung bzw. der angeführte Teil nicht als neu oder nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhend betrachtet werden kann. Daraus folgt einerseits, daß die Einwendungen der Beklagten möglicherweise berechtigt sind; andererseits zeigt aber die Existenz der Patentschriften, daß offenbar vergleichbare technische Einrichtungen sogar als patentfähig erachtet wurden. Dem Gericht fehlt das Fachwissen, allein aufgrund der im Akt erliegenden Abbildungen und Beschreibungen zu beurteilen, ob das Spielgerät der Erstklägerin neu ist und seine Ausgestaltung auf einem erfinderischen Schritt beruht. Die Beklagte hätte ihre Behauptung daher bescheinigen müssen.

Der Revisionsrekurs mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50, 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
7