JudikaturJustiz4Ob41/11z

4Ob41/11z – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Mai 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J***** S*****, vertreten durch Dr. Rupert Wolff, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach R***** C***** (auch C*****) H***** M***** B*****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Herausgabe (Streitwert 18.612,25 EUR) und 745.114 EUR sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Jänner 2011, GZ 11 R 231/10m 33, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 8. September 2010, GZ 6 Cg 41/10h 29, hinsichtlich der Legatsforderung von 619.843,42 EUR [1.000.000,00 CHF] sA aufgehoben, das bisherige Verfahren insoweit für nichtig erklärt und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Rekursgericht zurückverwiesen, dem die Fortsetzung des Rekursverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt von der Verlassenschaft nach R***** C***** (auch C*****) H***** M***** B***** (in der Folge: Sohn) die Herausgabe eines Gemäldes, Schadenersatz und rund 619.000 EUR aus einem Legat. Im hier vorliegenden Rechtsmittelverfahren ist allein die internationale Streitanhängigkeit hinsichtlich der Legatsforderung strittig.

Der Kläger brachte vor, die 1989 verstorbene M***** B***** (in der Folge: Mutter) habe ihren Sohn mit mehreren letztwilligen Verfügungen auf den Pflichtteil (drei Viertel seines gesetzlichen Erbteils nach dem von der Mutter gewünschten Schweizer Recht) gesetzt und verfügt, dass er sich Ansprüche gegenüber der Familienstiftung in Vaduz, Liechtenstein, als Vorausempfang auf seinen Erbteil anrechnen zu lassen habe. Den Kläger habe die Mutter als ihren Erben bzw als Legatar hinsichtlich des restlichen Nachlasses eingesetzt. Der Sohn sei am 20. 4. 2005 verstorben, das seinen Nachlass betreffende Verlassenschaftsverfahren vor dem Bezirksgericht Oberwart sei noch anhängig. Der Legatsanspruch des Klägers betrage (unter Berücksichtigung der Vorausempfänge des Sohnes einerseits und der vom Sohn noch zu Lebzeiten in einem seit 15 Jahren anhängigen gerichtlichen Verfahren in Lugano als dortigem Kläger geltend gemachten Herabsetzungsansprüche wegen Schenkungen der Mutter an den Kläger andererseits) rund 21 Mio CHF, von denen er hier einen Teilbetrag von einer Million CHF (rund 619.000 EUR) gerichtlich geltend mache. Gegenstand des Prozesses in Lugano (in der Folge: Schweizer Verfahren), der nach dem Tod des Sohns nunmehr von dessen Erben weitergeführt werde, sei die Anfechtung der Gültigkeit der letztwilligen Verfügungen der Mutter und von Schenkungen der Mutter an den Kläger innerhalb von fünf Jahren vor deren Tod, verbunden mit dem Begehren auf Zahlung in Höhe des Werts der unwirksamen Schenkungen.

Die Beklagte beantragte im Hinblick auf das Schweizer Verfahren die Zurückweisung der Klage nach Art 21 LGVÜ wegen Rechtsanhängigkeit; es liege sowohl Parteienidentität als auch Identität des Streitgegenstands vor. Allenfalls sei das Verfahren nach Art 22 LGVÜ wegen des zwischen beiden Verfahren bestehenden Zusammenhangs auszusetzen.

Im Schweizer Verfahren erging am 2. 4. 2009 ein Urteil in erster Instanz (Beil ./K). Darin wird „erklärt und ausgesprochen“, dass die letztwilligen Verfügungen der Mutter zu Gunsten des Klägers im inländischen Verfahren als dortigem Beklagten, soweit sie die Pflichtteilsquote des Sohnes verletzen (nämlich das Legat eines Viertels und/oder seine Einsetzung zum Erben per Testament, sowie mehrere Eigentumsübertragungen und zwei Zahlungen der Mutter an den Kläger) annulliert werden und der Kläger (dort als Beklagter) in Rückerstattung der annullierten Schenkungen zur Zahlung von rund 5,5 Mio CHF verurteilt wird. Der Kläger (dort als Beklagter) hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Das Erstgericht hat das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des in der Schweiz beim Gericht des Bezirkes Lugano zur Zahl OA.1999.391 27/1990 G SEZ.4, anhängigen Verfahrens unterbrochen. Das LGVÜ komme nicht zur Anwendung, weil gemäß seinem Art 1 Abs 2 Angelegenheiten des Erbrechts von seinem Anwendungsbereich ausgenommen seien. Anwendbar sei der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 16. 12. 1960, BGBl Nr 125/1962 (in der Folge: Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz). Gegenstand des Schweizer Verfahrens sei die Gültigkeit der testamentarischen Verfügungen der Mutter und deren Schenkungen, auf denen die hier geltend gemachten Legats und Schadenersatzansprüche beruhten. Damit sei das Schweizer Verfahren präjudiziell für das inländische Verfahren, welches gemäß § 190 ZPO zu unterbrechen sei.

Der Kläger bekämpfte diesen Beschluss mit Rekurs, soweit damit die Unterbrechung des Verfahrens auch für die Legatsforderung ausgesprochen worden ist, und begehrt insoweit die Fortsetzung des Verfahrens.

Das Rekursgericht hob aus Anlass des Rekurses des Klägers den Beschluss im bekämpften Umfang auf, erklärte das bisherige Verfahren insoweit für nichtig und wies die Klage in diesem Umfang wegen Streitanhängigkeit zurück. Zutreffend habe das Erstgericht nicht das LGVÜ, sondern den Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz angewendet, der nach seinem Art 2 Abs 2 auch für Entscheidungen über erbrechtliche Ansprüche gelte, womit nach Sinn und Zweck des Vertrags im streitigen Rechtsweg zu entscheidende erbrechtliche Ansprüche (und damit auch der hier allein maßgebliche Legatsanspruch des Klägers) gemeint seien. Nach Art 1 des Vollstreckungsvertrags Österreich Schweiz seien die in einem der beiden Staaten gefällten gerichtlichen Entscheidungen in Zivil und Handelssachen, einschließlich der in Strafsachen ergangenen Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche, unter den dort näher genannten Voraussetzungen im anderen Staat anzuerkennen. Nach Art 8 habe das später angerufene Gericht eines Vertragsstaats die Durchführung eines Verfahrens abzulehnen, wenn ein Verfahren über denselben Gegenstand und zwischen denselben Parteien vor einem Gericht des anderen Vertragsstaats anhängig sei und dessen Entscheidung voraussichtlich anzuerkennen sein werde. Somit sei die in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmende Prozessvoraussetzung der Steitanhängigkeit zu prüfen. Identität der Parteien sei gegeben, weil die Umkehr der Parteienrollen unerheblich sei. Es liege auch Identität des Streitgegenstands vor: Im Schweizer Verfahren begehrten die eingeantworteten Erben des Sohnes die Feststellung der Nichtigkeit von testamentarischen Verfügungen der Mutter zu Gunsten des Klägers; hilfsweise werde die „Herabsetzung“ der testamentarischen Verfügungen beantragt, verbunden mit der Verpflichtung des Klägers, jene Sachen dem Nachlass zurückzugeben, welche ihm unter Lebenden von der Mutter geschenkt worden seien, wobei sämtliche Begehren nur soweit geltend gemacht würden, als sie den Pflichtteil des Sohnes verletzten. Dieses Begehren betreffe auch die Anordnung eines Legats zu Gunsten des Klägers. Im inländischen Verfahren gehe es um ein Legat auf das (nach Befriedigung der erbrechtlichen Ansprüche des Sohnes verbleibende) Vermögen der Mutter. Dieser Anspruch habe nach dem Vorbringen des Klägers seinen Rechtsgrund in den testamentarischen Verfügungen der Mutter, wonach sich der pflichtteilsberechtigte Sohn auf seinen Erbanspruch alle Vorausempfänge aus der Familienstiftung anrechnen lassen müsse. Diese Anrechnung bestimme somit den im Inland verfolgten Legatsanspruch des Klägers. Im Schweizer Verfahren müsse zur Prüfung des nach Schweizer Recht auf Rechtsgestaltung gerichteten Begehrens die Höhe des Nachlasses festgestellt werden, um den Pflichtteilsanspruch des Sohnes ermitteln zu können. Vom Ausgang dieses Verfahrens hänge aber der im Inland geltend gemachte Legatsanspruch des Klägers entscheidend ab. Sollte etwa das Urteil erster Instanz im Schweizer Verfahren in Rechtskraft erwachsen, stünde dem Kläger keine Legatsforderung zu. Da somit nach den testamentarischen Verfügungen die Höhe des Pflichtteils für die Berechnung der Legatsforderung notwendig sei, liege hinsichtlich des auf Zahlung des Legats gerichteten inländischen Klagebegehrens im Verhältnis zum Schweizer Verfahren das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit (Art 8 des Vollstreckungsvertrags) vor. Aus Anlass des Rekurses sei diese negative Prozessvoraussetzung von Amts wegen aufzugreifen, das bisherige Verfahren insoweit für nichtig zu erklären und die Klage in diesem Umfang zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist zulässig: Erachtet sich ein als Rekursgericht angerufenes Gericht zweiter Instanz zu einer Nichtigerklärung des Verfahrens unter Zurückweisung der Klage bestimmt, so ist dieser Beschluss wie ein gleichartiger berufungsgerichtlicher Beschluss anfechtbar, ohne dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 528 Abs 2 ZPO vorliegen müssten (RIS Justiz RS0043774). Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1.1. Nach Art 1 Abs 2 Z 1 LGVÜ (sowohl LGVÜ 1988 als auch LGVÜ 2007) ist dessen Anwendung unter anderem auf dem Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts ausgeschlossen.

1.2. Unter diese Ausschlussklausel fallen Streitfälle über die Gültigkeit oder Auslegung eines Testaments (Kodizills) sowie ein Rechtsstreit, in dem die Frage zu klären ist, ob zu Gunsten des Klägers ein gültiges Kodizill errichtet worden ist, das ihn berechtigt, von eingeantworteten Erben die Herausgabe einer Liegenschaft zu begehren (1 Ob 361/98i).

1.3. Die Vorinstanzen haben daher die Frage der internationalen Streitanhängigkeit zutreffend nicht nach dem LGVÜ, sondern nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 16. 12. 1960 (BGBl Nr 125/1962, in der Folge: Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz) beurteilt.

2.1. Art 8 Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz sieht vor, dass dann, wenn ein Verfahren vor einem Gericht eines der beiden Staaten anhängig ist und die Entscheidung über den Gegenstand dieses Verfahrens im anderen Staat voraussichtlich anzuerkennen sein wird, ein später befasstes Gericht dieses anderen Staats die Durchführung eines Verfahrens über denselben Gegenstand und zwischen denselben Parteien abzulehnen hat.

2.2. Unstrittig ist, dass das österreichische Gericht später befasst wurde als das Schweizer Gericht. Österreichische Gerichte dürfen daher die Durchführung des jüngeren inländischen Verfahrens unter Berufung auf Art 8 Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz nur unter der Voraussetzung ablehnen (erg: und die Klage aus diesem Grund zurückweisen), dass es sich um ein Verfahren „über denselben Gegenstand zwischen denselben Parteien“ handelt.

3. Art 8 Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz dient der Verfahrensökonomie und der Rechtssicherheit: Ist eine zwischen Parteien strittige Frage gerichtlich zu entscheiden, dann soll diese Entscheidung auch wenn die nationalen Prozessgesetze einen Gerichtsstand in beiden betroffenen Ländern eröffnen - nach Möglichkeit in einem einzigen Verfahren erfolgen, um doppelte Kosten und die Gefahr widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Eindeutiger Zweck der genannten Bestimmung ist es demnach, in beiden Ländern parallel geführte Verfahren zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand zu vermeiden, sofern die gegenseitige Anerkennung der in diesen Verfahren ergehenden Entscheidungen sichergestellt ist.

4.1. Ob zwei Verfahren denselben Gegenstand betreffen, ist in erster Linie danach zu beurteilen, welches Rechtsschutzziel die Parteien mit dem jeweiligen Verfahren verfolgen, welches Begehren sie stellen und auf welchen Sachverhalt sie ihre Ansprüche gründen (vgl RIS Justiz RS0039347, RS0041229, RS0037522). Parallelverfahren sind (nur) dann unökonomisch und bergen die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen über denselben Gegenstand, wenn die Parteien schon in einem einzigen Verfahren alle ihre Rechtsschutzziele vollständig erreichen können.

4.2. Letzteres ist hier nicht der Fall. Im inländischen Verfahren begehrt der Kläger Zahlung aufgrund letztwilliger Verfügungen. Gegenstand des Begehrens der Erben nach dem Sohn im Schweizer Verfahren ist hingegen eine Rechtsgestaltung dahin, dass bestimmte letztwillige Verfügungen für unwirksam erklärt, hilfsweise ihrer Höhe nach herabgesetzt werden, sowie die Verpflichtung des Klägers im inländischen Verfahren als dort Beklagtem, als Schenkung entgegengenommene Vermögensgegenstände zurückzuerstatten und Rechnung zu legen. Insbesondere hat der Kläger des inländischen Verfahrens im Schweizer Verfahren weder im Weg der Einrede noch der Widerklage ein Zahlungsbegehren gestellt.

4.3. Mag daher auch die Gültigkeit des Testaments der Mutter eine der Hauptfragen im Schweizer Verfahren und zugleich Vorfrage im inländischen Verfahren sein, ändert dies nichts daran, dass sich die von den Parteien in beiden Verfahren jeweils verfolgten Rechtsschutzziele nicht gänzlich decken. Damit betrifft aber das inländische Verfahren entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nicht unmittelbar „denselben Gegenstand“ wie das Schweizer Verfahren, weil der Kläger im Fall eines Prozesserfolgs allein im inländischen Verfahren Zahlung zugesprochen erhalten kann, während er im Schweizer Verfahren bestenfalls die Abweisung des dort gegen ihn geltend gemachten Rechtsgestaltungs und Leistungsbegehrens, niemals aber Zahlung erreichen kann.

4.4. Damit besteht kein Grund, dem Kläger zur Erreichung seines im inländischen Verfahren angestrebten Rechtsschutzziels die (Weiter )Führung dieses Verfahrens zu verweigern. Art 8 Vollstreckungsvertrag Österreich Schweiz bietet dafür keine Grundlage. Ob in den beiden Verfahren Parteienidentität gegeben ist wie die Vorinstanzen angenommen haben , bedarf unter diesen Umständen keiner weiteren Prüfung.

5. Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss ist ersatzlos aufzuheben. Das Rekursgericht wird sich im fortzusetzenden Rekursverfahren mit der im Rekurs aufgeworfenen Frage zu beschäftigen haben, ob die vom Erstgericht angeordnete Unterbrechung des inländischen Verfahrens zu Recht erfolgt ist.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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