JudikaturJustiz4Ob224/04a

4Ob224/04a – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. November 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch Dr. Gerhard Daxböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** KG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Konradsheim, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 36.000 EUR), infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Juli 2004, GZ 4 R 130/04x-18, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. April 2004, GZ 5 Cg 253/02f-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide Rekurse werden zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Im Markenregister des Österreichischen Patentamtes ist unter Nummer 191376 zu Gunsten der Klägerin mit Priorität vom 20. 7. 2000 die Wortmarke "DETRUSAN" eingetragen. Sie ist für Arzneimittel, und zwar Urologika, geschützt. Seit der Registrierung vertreibt die Klägerin unter dieser Marke in Österreich Tabletten zur Behandlung von Inkontinenz.

Die Beklagte vertreibt seit 1997 Geräte zur Behandlung von Inkontinenz unter der nicht registrierten Bezeichnung "DETRUSAN 500". Die Geräte bewirken die Wiederherstellung der Kontrolle des Miktionsvorganges beim Patienten nach fünf bis zehn Behandlungen in der Dauer von jeweils 15 Minuten. Die Beklagte hat seit 1997 einen Entwicklungs- und Werbeaufwand von mehr als 50.000 EUR betrieben, um die Geräte innerhalb der beteiligten Verkehrskreise bekannt zu machen. Die Beklagte verkaufte bis zum 12. 7. 2000 etwa 80 Geräte in Österreich und 150 Geräte international. Bis zum Jahr 2003 wurden in Österreich weitere 125 Geräte und international weitere 150 Geräte verkauft. Die Tabletten der Klägerin und die Geräte der Beklagten zielen auf denselben Kundenkreis, nämlich Ärzte (speziell Gynäkologen und Urologen) sowie den Krankenhaus-, Anstalts- und Klinikbereich, ab. Die Bezeichnung "DETRUSAN" leitet sich von dem für die Harnentleerung verantwortlichen Muskel (detrusor) und dem Hinweis auf ein Heilmittel (san) ab.

Während des Rechtsstreites führte die Beklagte eine Umfrage durch. Sie bediente sich dabei eines von ihr gestalteten Fragebogens, auf dem folgende Frage mit nein oder ja zu beantworten war: "Mir ist der Markenname DETRUSAN als Geräte-System für die Behandlung von Inkontinenz bereits seit etwa 1996, jedoch sicherlich bereits vor dem Juni 2000 bekannt, und ich verbinde diesen mit der Herstellerfirma [Firma der Beklagten]." Jeder Fragebogen nahm an einer Verlosung teil, bei der drei Preise zu gewinnen waren (erster Preis eine zweiwöchige Reise für zwei Personen in die Karibik). 259 Fragebögen wurden ausgefüllt; in 222 Fragebögen wurde "Ja", in 37 Fragebögen wurde "Nein" angekreuzt. Zum 12. 7. 2000 erfasste die österreichische Ärztekammer 1.214 Gynäkologen und Urologen mit Ordination. Gestützt auf § 10 MSchG und § 9 Abs 1 UWG begehrte die Klägerin das Urteil, die Beklagte sei schuldig, den Vertrieb eines Gerätes zur Behandlung von Inkontinenz unter Verwendung der Bezeichnung "DETRUSAN" zu unterlassen, die Bezeichnung "DETRUSAN" von den vorhandenen Geräten zur Behandlung von Inkontinenz zu entfernen und über die bisher von ihr unter Verwendung der Bezeichnung "DETRUSAN 500" in den Verkehr gebrachten Geräte Rechnung zu legen und nach erteilter Rechnungslegung den sich daraus ergebenden Betrag gem § 53 MSchG und § 9 Abs 5 UWG zu zahlen; sie stellt auch ein Begehren auf Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung. Die Beklagte verwende unbefugt ein zu Gunsten der Klägerin geschütztes Zeichen. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie greife in keine Rechte der Klägerin ein. Das von ihr verwendete Zeichen habe zur Zeit der Anmeldung der Wortmarke der Klägerin innerhalb beteiligter Verkehrskreise eine solche Verkehrsbekanntheit gehabt, dass es als Kennzeichen der Geräte aus ihrem Unternehmen gegolten habe. Zum Beweis der Verkehrsgeltung beantragte sie die Einholung eines Gutachtens der Wirtschaftskammer und legte zu diesem Thema die Ergebnisse der von ihr durchgeführten Umfrage zur Bekanntheit des Zeichens vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auf Grund der vorgelegten Umfrageergebnisse sei bewiesen, dass die Beklagte für die von ihr verwendete Warenbezeichnung innerhalb der beteiligten Verkehrskreise Verkehrsgeltung erlangt habe. Das durch Registrierung begründete Markenrecht der Klägerin müsse sich daher eine Einschränkung durch das ältere und stärkere Recht der Beklagten an der Führung der Warenbezeichnung gefallen lassen. Eine Prüfung der Verkehrsgeltung durch Kammergutachten sei nicht erforderlich.

Das Berufungsgericht hob diese Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Eignung einer vergleichbaren Umfrage zum Beweis der Verkehrsgeltung noch nicht Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gewesen sei. Die von der Beklagten durchgeführte Fragebogenaktion zeige die Schwächen einer vom betroffenen Unternehmen selbst durchgeführten Umfrage. Die Beklagte hebe das Markenwort und ihre Firma zu Beginn ihres Schreibens blickfangartig hervor, informiere im Einleitungssatz und im Rahmen der zu beantwortenden Frage über das Produkt, dessen Einsatzmöglichkeit, den Markennamen und die Herstellerfirma und fördere dadurch die Zuordnung des Zeichens zur Beklagten. Im Hinblick auf eine wünschenswerte umfassende Kenntnis der Ärzte von neuen Entwicklungen in ihrem Tätigkeitsbereich verstärke die gewählte Fragestellung die Tendenz zur Bejahung, weil sich Ärzte keine Blöße geben und den Eindruck von Unwissenheit vermeiden wollten. Diese Tendenz werde noch durch das Gewinnspiel verstärkt, bei dem wertvolle Preise zu gewinnen seien; eine nicht unbeträchtliche Zahl der Befragten hoffe, durch eine positive Antwort ihre Chance auf einen Preis zu vergrößern. Die Beklagte habe nur Adressen von Adressenverlagen zur Verfügung gehabt, deren Zuverlässigkeit fraglich sei (auch ein Reifenhaus, ein Hotel und eine Tierarztpraxis hätten den Fragebogen mit "Ja" angekreuzt). Die Zahl von Antworten stehe in keinem sinnvollen Verhältnis zur Zahl der Gynäkologen und Urologen mit Praxis. Teilweise trügen die vorgelegten Fragebögen nur einen Praxisstempel ohne Unterschrift, einen unleserlichen Praxisstempel ohne Unterschrift oder gar keinen Stempel und bloß ein unleserliches Zeichen. Die vorliegenden Umfrageergebnisse reichten somit für die Bejahung der Verkehrsgeltung nicht aus. Damit sei noch der unerledigt gebliebene Beweisantrag auf Einholung eines Kammergutachtens offen. Das Verfahren sei daher in einem entscheidungswesentlichen Punkt unvollständig geblieben, sodass sich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung an das Erstgericht als erforderlich erweise.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse beider Parteien, die jeweils Sachentscheidung im Sinne ihrer Prozessanträge anstreben.

Die Klägerin teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, die Umfrage der Beklagten sei zum Nachweis der Verkehrsgeltung schon ihrer Methode nach nicht geeignet; damit sei der Beklagten aber der ihr obliegende Beweis der Verkehrsgeltung nicht gelungen und die Sache spruchreif im Sinne einer Klagestattgebung. Das Berufungsgericht habe ohne darauf abzielenden Antrag oder Rüge eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz (Nichtaufnahme des beantragten Beweismittels Kammergutachten) wahrgenommen, was nicht zulässig sei. Demgegenüber steht die Beklagte auf dem Standpunkt, mittels ihrer Fragebogenaktion sei ihr der Nachweis der Verkehrsgeltung gelungen.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rechtsmittel sind unzulässig, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1, § 519 Abs 2 ZPO) aufzeigen:

Ob ein Zeichen Verkehrsgeltung besitzt, ist eine auf Grund der entsprechenden tatsächlichen Grundlagen zu lösende Rechtsfrage (MR 1992, 257 - Pickfein mwN; RIS-Justiz RS0043586). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zum Thema Verkehrsgeltung einen Beweis durch Urkunden (Vorlage der Ergebnisse einer von ihr durchgeführten Umfrage) geführt. Über die materielle (innere) Beweiskraft der Urkunden, die die Bedeutung der beurkundeten Erklärung für das Beweisthema bezeugt, hat der Richter aber grundsätzlich im Rahmen freier Beweiswürdigung zu entscheiden (ÖBA 2001, 328 mwN; RIS-Justiz RS0040444); diese Frage ist der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof als reine Rechtsinstanz entzogen.

Hier ist das Berufungsgericht zur Auffassung gelangt, die Umfrage der Beklagten weise (näher angeführte) Schwächen auf und lasse keine Beurteilung der Verkehrsgeltung des strittigen Zeichens zu. Ob der Beweis einer behaupteten Tatsache gelungen ist oder nicht, ist aber das Ergebnis richterlicher Beweiswürdigung - hier des Berufungsgerichts - und keine rechtliche Beurteilung.

Fehlen Beweisergebnisse zu entscheidungserheblichen Tatsachen (hier: zur Frage der Verkehrsgeltung), liegt ein rechtlicher Feststellungsmangel vor, der bei Vorliegen einer (gesetzmäßig ausgeführten) Rechtsrüge auch von Amts wegen aufgegriffen werden muss (Kodek in Rechberger, ZPO² § 496 Rz 4). Das Berufungsgericht hat dem Erstgericht deshalb zu Recht einen entsprechenden Ergänzungsauftrag zur notwendigen Vervollständigung der Tatsachengrundlage erteilt. Zweck des Rekurses gem § 519 Abs 1 ZPO ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz in jeder Richtung; ist - wie hier - die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek aaO § 519 Rz 5 mwN).

Die Rekurse waren daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Die Parteien haben jeweils in ihren Rekursbeantwortungen nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Gegenseite hingewiesen.