JudikaturJustiz4Ob21/12k

4Ob21/12k – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. März 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. K***** R*****, 2. E***** R*****, beide vertreten durch Dr. Gerhard Stobich, Rechtsanwalt in Trofaiach, wider die beklagten Parteien 1. W***** R***** F*****, 2. A***** F*****, beide vertreten durch Dr. Franz Grauf und Dr. Bojan Vigele, Rechtsanwälte in Völkermarkt, wegen Unterlassung (Streitwert 2.000 EUR) und Entfernung (Streitwert 2.000 EUR), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 13. Oktober 2011, GZ 4 R 346/11s 15, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Völkermarkt vom 29. August 2011, GZ 5 C 33/10v 10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 514,86 EUR (darin 85,81 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind Nachbarn. Zugunsten des Grundstücks der Kläger ist auf dem Grundstück der Beklagten als Servitut die Verpflichtung einverleibt, Baumaßnahmen zur Errichtung von Gebäuden auf einem 30 m breiten Grundstreifen an der Grundstücksgrenze zu unterlassen. Hintergrund dieser Dienstbarkeitseinräumung war, dass die Kläger von ihrem Grundstück und der Terrasse ihres Hauses aus einen freien unverbaubaren Ausblick haben wollten, ihnen aber ein Erwerb der Liegenschaft nicht möglich war. Außerhalb dieses Bauverbotsstreifens haben die Beklagten auf ihrem Grundstück mittlerweile ein Ferienhaus mit Carport errichtet. Gesehen vom Grundstück der Kläger zwischen Grundstücksgrenze und Ferienhaus der Beklagten, also innerhalb des vereinbarten Bauverbotsstreifens, haben die Beklagten in einer Entfernung von 16 m von der Grundstücksgrenze einen Kinderspielturm aus Holz errichtet. Dieser weist eine Grundfläche von 2 m mal 2 m und eine Höhe von rund 3 m auf und ist mit vier Eckfundamenten in Form von mit Beton ausgegossener Plastikeimer ca 35 cm tief im Boden verankert, besitzt jedoch keine Bodenplatte. Gesehen vom Grundstück der Kläger überragt das Ferienhaus den Kinderspielturm bei weitem.

Die Kläger begehren gestützt auf die zu ihren Gunsten einverleibte Servitut die Unterlassung von Baumaßnahmen zur Errichtung von Gebäuden innerhalb des vereinbarten Bauverbotsstreifens und die Beseitigung des errichteten Gebäudes.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Konstruktion sei eine abgeschlossene bauliche Anlage, die fix mit dem Boden verbunden sei, demnach ein Gebäude im Sinne der Dienstbarkeit, das die Aussicht der Kläger beeinträchtige.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands „hinsichtlich beider Teilbegehren wie insgesamt“ 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs „zur Definition eines Bauwerks“ fehle. Die Servitut beziehe sich auf Gebäude; dieser Begriff sei schon nach seinem Wortsinn enger auszulegen als jener des Bauwerks oder der baulichen Anlage. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sei ein Gebäude eine Konstruktion zur Herstellung eines geschlossenen Raumes, wobei die räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gewähren müsse, und die den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestatte. Diese Voraussetzungen erfülle der Kinderspielturm nicht. Er stehe auch dem Zweck der vereinbarten Dienstbarkeit, einen unverbaubaren Ausblick zu gewähren, nicht entgegen, zumal dahinter ein vielfach größeres Ferienhaus stehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig. Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

1. Bei der Auslegung eines Servitutsbestellungsvertrags ist zunächst vom Wortlaut auszugehen; dem von den Parteien der Vertragsbestimmung beim Vertragsabschluss beigelegten Verständnis gebührt jedoch in jedem Fall der Vorrang, und zwar vor jedem anderen Auslegungskriterium. Lässt sich ein solches übereinstimmendes Verständnis nicht ermitteln, dann hat eine normative Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks der Servitutseinräumung stattzufinden (RIS-Justiz RS0107851 [T1], RS0011720).

2. In erster Linie wird auf die Parteiabsicht bei Begründung der Servitut abzustellen sein, lässt sich eine solche nicht feststellen, ist auf den Zweck der Dienstbarkeit abzustellen (RIS-Justiz RS0016366 [T4]).

3. Ob eine bestimmte Vereinbarung vorliegt und welches Ausmaß die Dienstbarkeit danach hat, ist nach den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB zu bestimmen (RIS Justiz RS0016366 [T8]). Die Auslegung hat den Grundsatz der möglichst schonenden Ausübung der Servitut zu berücksichtigen und die Interessen der Beteiligten abzuwägen (RIS Justiz RS0016366 [T8]).

4. Eine Abwägung der Interessen im Verhältnis zwischen Dienstbarkeitsberechtigten und -verpflichteten findet sich sowohl in Fällen der Anpassung ungemessener Dienstbarkeiten an die zeitbedingten Bedürfnisse des herrschenden Guts als auch im Zusammenhang mit Beschränkungen der Servitutsausübung. Ziel der Interessenabwägung ist es stets, dem Dienstbarkeitsberechtigten den angestrebten Vorteil zu ermöglichen, den Verpflichteten aber so wenig wie möglich zu schaden (4 Ob 217/08b mwN).

5. Als Anwendungsfall des Verbots des Rechtsmissbrauchs folgt der Grundsatz der schonenden Ausübung der Servitut (RIS-Justiz RS0011757).

6. Zweck einer Aussichtsdienstbarkeit ist regelmäßig die Erhaltung einer sich aus einer bestimmten örtlichen Lage ergebenden Wohnqualität für das berechtigte Gebäude oder nach den besonderen Umständen die Erhaltung des Gesamtpanoramas (RIS-Justiz RS0011568).

7.1. Festgestellter Zweck der Servitut war es hier, durch Einräumung einer „Bauverbotszone“ den Klägern eine (möglichst) freie Aussicht zu gewährleisten. Ob die Beklagten mit der Errichtung der Konstruktion servitutswidrig gehandelt haben, ist demnach in erster Linie an Hand der Auswirkungen der Konstruktion auf die Aussicht vom Grundstück der Kläger aus zu beurteilen.

7.2. Das Berufungsgericht hat bei der gebotenen Interessenabwägung darauf abgestellt, dass der in der Sichtachse der Kläger gelegene Kinderspielturm deutlich kleiner ist als das unmittelbar dahinter stehende Ferienhaus und damit keine „zusätzliche“ Sichtbehinderung verursache. Damit werde der Zweck der Servitut nicht beeinträchtigt. Mit dieser Beurteilung ist das Berufungsgericht von den dargestellten Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht abgewichen und hat den ihm in der angesprochenen Frage des Ausmaßes einer vertraglich eingeräumten Dienstbarkeit eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten.

8. Die Auslegung des Umfangs der Dienstbarkeit ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0011720 [T7]; vgl auch RS0042776 [T38], RS0042936 [T15], RS0044298 [T10], RS0021095 [T9]).

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Rechtssätze
6