JudikaturJustiz4Ob138/16x

4Ob138/16x – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Juli 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*****Kommanditgesellschaft *****, vertreten durch Atzl Dillersberger Bronauer Rechtsanwaltsgemeinschaft in Kufstein, gegen die beklagte Partei Dr. K***** N*****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 2.000.000 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. April 2016, GZ 2 R 29/16f 14, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 26. November 2015, GZ 66 Cg 156/14i 9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.290,20 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 881,70 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Beklagte vertrat als Rechtsanwalt eine Gesellschaft gegen die klagende Partei wegen Streitigkeiten aus einem Leasingvertrag. Die Gesellschaft unterlag als Leasingnehmerin der klagenden Partei als Leasinggeberin in einem Verfahren über 647.176,24 EUR (Investitionskosten aus dem Leasingvertrag) und in einem daran anschließenden Räumungsprozess nach Auflösung des Leasingvertrags wegen Nichtzahlung der titulierten Forderung. Ein dritter Prozess, in dem die klagende Partei aus dem Leasingvertrag eine Auflösungsforderung von 3.819.378,53 EUR einklagte, wurde durch Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen der Gesellschaft unterbrochen.

Die klagende Partei begehrt die Klagssumme als Ersatz eines Teils des der Gesellschaft wegen Beratungs- bzw Vertretungsfehlern des Beklagten im Zusammenhang mit den drei Prozessen entstandenen Schadens. Durch dessen Prozesseinreden im ersten Leistungsprozess und den Umstand, dass der Beklagte der Gesellschaft nicht zur Zahlung der titulierten Forderung geraten habe, sei es zur Auflösung des Leasingvertrags gekommen, wodurch der Gesellschaft allein ein Zinsschaden von über 20 Millionen EUR entstanden sei. Der Insolvenzverwalter der Gesellschaft habe der Klägerin die Schadenersatzforderungen zum Inkasso abgetreten; sie mache einen Teil der Forderung als Zessionarin geltend.

Der Beklagte wendet die Nichtigkeit der Zession ein, weil es ihm aufgrund der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht verwehrt sei, gegenüber der klagenden Partei Angaben zum Innenverhältnis zur Gesellschaft zu machen. Zudem liege der für die schenkungshalber erfolgte Zession erforderliche Notariatsakt nicht vor. Die Forderung sei schließlich verjährt, weil der Schaden spätestens im Jahr 2010 evident gewesen sei.

Das Erstgericht , das mit Ausnahme des Urkundenbeweises kein Beweisverfahren durchführte, wies das Klagebegehren wegen der von ihm als unwirksam erachteten Zession ab. Wenn der frühere Mandant seinen Rechtsanwalt klagsweise in Anspruch nehme, habe dieser die Verschwiegenheitspflicht grundsätzlich zu beachten. Mangels Entbindung stünden sich zwei gegenläufige Interessen gegenüber, nämlich einerseits das Interesse des Mandanten an der Verschwiegenheit und anderseits das Interesse des Rechtsanwalts, allfällige unberechtigte Schadenersatzfor-derungen gegenüber dem früheren Mandaten abzuwehren. Die Abtretung der Forderung durch den Insolvenzverwalter verstoße gegen das zessionsrechtliche Verschlechterungsverbot, weil der Beklagte gegenüber seinem Prozessgegner die Verschwiegenheitspflicht jedenfalls zu wahren habe.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil nach Berufung der klagenden Partei auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es verneinte das Bestehen einer anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht bei der Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen in „eigener Sache“. Hätte bereits die Gesellschaft oder der Insolvenzverwalter die Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten erhoben, wäre dieser von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit und berechtigt gewesen, die der Abwehr der Ansprüche dienenden Umstände vorzubringen und unter Beweis zu stellen. Daran ändere die Zession nichts. Wenn gegenüber dem Zedenten keine Verschwiegenheitspflicht bestanden habe, so bestehe sie auch nicht gegenüber dem Zessionar, auch wenn es sich dabei um den ehemaligen Prozessgegner des Zedenten und ehemaligen Mandaten des Beklagten handle. Ein Verstoß gegen eine – behauptete – schenkungsweise Zession liege schon deshalb nicht vor, weil der für die Wirksamkeit einer solchen Zession erforderliche Publizitätsakt (Verständigung des Schuldners) durch die im Prozess vorgelegte Vereinbarung erfolgt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil die Verschwiegenheitspflicht eines Rechtsanwalts gegenüber einem ehemaligen Mandaten in höchstgerichtlichen Entscheidungen unterschiedlich beurteilt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs des Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig (§ 519 Abs 2 ZPO).

1. Die im Zusammenhang mit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht gegen die Wirksamkeit der Zession eingebrachten Einwände können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen.

1.1 Nach der gefestigten Rechtsprechung besteht eine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht insoweit nicht, als der Rechtsanwalt ihm Anvertrautes vorbringen muss, um seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchzusetzen (10 Ob 91/00f unter Hinweis auf das Schrifttum; 5 Ob 67/10d; 7 Ob 50/12x mwN). Diese Möglichkeit, alle unumgänglich notwendigen Angaben (vgl OBDK 8. 11. 2010 9 Bkd 2/10) in „eigener Sache“ (RIS Justiz RS0114273 [T2]; RS0127872; RS0055177) zu machen, besteht nach der Judikatur auch dann, wenn der Anwalt einen behaupteten Schadenersatzanspruch abwehren muss (5 Ob 67/10d; 7 Ob 50/12x).

1.2 Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, dass ein Rechtsanwalt zur Abwehr eines Schadenersatzanspruchs wegen Schlechtvertretung die dazu dienlichen Umstände vorbringen kann, hält sich somit im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung, die der einhelligen Lehre entspricht (vgl etwa Arnold, Das Berufsgeheimnis der freien Berufe, in Ruppe , Geheimnisschutz im Wirtschaftleben [1980] 279; Arnold , Einschränkungen des Berufsgeheimnisses, ÖJZ 1982, 4; Csoklich/Scheuba , Standesrecht der Rechtsanwälte 2 [2014] 58; Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [2014] § 9 RAO Rz 20; Herz , Die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts im Honorarprozess, AnwBl 1957, 23 ff; Österreichische Notariatskammer , Handbuch notarielle Verschwiegenheit [2015] Rz H/15 und H/20 mwN; Prohaska-Marchried , Geheimnisschutz berufsmäßiger Parteienvertreter [1998] 45). Die angefochtene Entscheidung bedarf daher keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

1.3 Die referierte Rechtsprechung beschränkt die Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht in „eigener Sache“ nicht auf Auseinandersetzungen, an denen (nur) der Rechtsanwalt und sein ehemaliger Mandant beteiligt sind. So lag den Entscheidungen zu 5 Ob 67/10d und 7 Ob 50/12x jeweils zugrunde, dass die an sich zur Verschwiegenheit verpflichtete Person dem Prozess als Nebenintervenientin auf Seiten des Prozessgegners der von der Verschwiegenheitspflicht begünstigen Partei beitrat. In beiden Fällen wurde die Verschwiegenheitspflicht verneint. Muss der Rechtsanwalt zur Abwehr eines Schadenersatzanspruchs Umstände aus dem Verhältnis zu seinem Mandaten preisgeben, ist für die Frage der Verschwiegenheitspflicht aber kein entscheidender Unterschied zu erkennen, ob der (aktuelle oder ehemalige) Prozessgegner des ehemaligen Mandanten vom Rechtsanwalt als Streithelfer oder als Widerpart von den Interna des Mandatsverhältnisses Kenntnis erlangt.

1.4 Auch die dem Rechtssatz RIS Justiz RS0055105 zugrunde liegenden (älteren) Entscheidungen der OBDK sind für die hier zu prüfende Konstellation nicht einschlägig und können daher schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage begründen.

1.4.1 In der Entscheidung Bkd 92/89 (= AnwBl 1993/4477 [ Strigl ]) vom 14. 10. 1991 war nicht – wie hier – der Umfang der Verschwiegenheitspflicht eines davon nicht entbundenen Rechtsanwalts in „eigener Sache“ zu beurteilen, sondern dessen Aussage als Zeuge, wobei im Anlassfall das Bestehen einer Verschwiegenheitspflicht auch ungeachtet der Entbindung deshalb bejaht wurde, weil der Klient der Gefahr eines Strafverfahrens ausgesetzt war. Die weiteren sehr allgemein gehaltenen Ausführungen zum Honorarprozess bewirken als bloßes obiter dictum noch keine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0042672).

1.4.2 Ebensowenig kann die Zulässigkeit des Rekurses auf die Entscheidung der OBDK vom 24. 1. 2000 zu 11 Bkd 4/99 gestützt werden, weil auch diese Entscheidung von einem mit der hier vorliegenden Konstellation nicht zu vergleichenden Sachverhalt geprägt war, wonach „ der Rechtsanwalt ein Strafverfahren, das er selbst durch eine gegen seinen ehemaligen Klienten gerichtete Äußerung bewusst ausgelöst hat, als Podium für die weitere Bloßstellung seines ehemaligen Mandanten verwendete“.

1.5 Mit seinem Hinweis, dass eine Entbindung der Verschwiegenheitspflicht bei höchstpersönlichen Rechten nicht in Frage kommt (vgl 4 Ob 228/04i; 6 Ob 222/13k) zeigt der Beklagte keine im Zusammenhang mit der vom Zweitgericht bejahten Wirksamkeit der Zession erhebliche und präjudizielle Rechtsfrage auf, zumal die Rechtsprechung schon hinreichend geklärt hat, dass die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nicht per se höchstpersönliche Angelegenheiten betrifft, sodass stets auf den Inhalt der von der Verschwiegenheitspflicht umfassten Umstände abzustellen ist (vgl RIS Justiz RS0122813). In der hier vorliegenden Konstellation ist nicht ansatzweise zu erkennen, inwieweit der gegen den Beklagten geltend gemachte Schadenersatzprozess, der sich auf Anwaltsfehler in vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen stützt, überhaupt höchstpersönliche Rechte der ehemaligen Mandantin (eine Gesellschaft!) betreffen soll.

2. Auch sonst begründet die angefochtene Entscheidung zur vom Berufungsgericht bejahten Wirksamkeit der Zession keine erhebliche Rechtsfrage.

2.1 Das Berufungsgericht erachtete den Umstand, dass der Insolvenzverwalter und nicht die insolvente Gesellschaft die Zession vorgenommen hat, als unbedenklich. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung, wonach der Insolvenzverwalter der gesetzliche Vertreter des Insolvenzschuldners bezüglich des Massevermögens ist und ihm die Vertretung und Wahrung der Interessen des Schuldners obliegt (vgl 4 Ob 2397/96w; 1 Ob 209/14p; RIS Justiz RS0106041; RS0107698; Schubert in Konecny/Schubert , KO § 3 Rz 9), was auch im Zusammenhang mit der Abtretung einer Forderung gilt (7 Ob 137/02s mwN).

2.2 Von der Rechtsprechung wurde bereits geklärt, dass eine Inkassozession durch (zB 4 Ob 183/11g) oder an (zB 7 Ob 137/02a) den Insolvenzverwalter wirksam ist.

2.3 Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Formgültigkeit der Zession entsprechen der zutreffend dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung (2 Ob 246/08b mwN).

3. Das Erstgericht prüfte bisher ausschließlich die Frage der Wirksamkeit der Zession, wobei es die damit im Zusammenhang stehende Aktivlegitimation der klagenden Partei verneinte. Das Berufungsgericht, das die Wirksamkeit der Zession und die Aktivlegitimation bejahte, hat das Urteil des Erstgerichts folgerichtig aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Schon mangels ausreichender Feststellungen zur allfälligen Verjährung der Klagsforderung musste eine Auseinandersetzung mit dem (noch offenen) Verjährungseinwand durch das Berufungsgericht unterbleiben, weshalb auch dieser Umstand die Zulässigkeit des Rekurses nicht stützen kann.

Der Rekurs des Beklagten ist daher zurückzuweisen.

Da die klagende Partei auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hinwies, hat der Beklagte gemäß §§ 41, 50 ZPO die Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen (RIS Justiz RS0123222).

Rechtssätze
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