JudikaturJustiz4Ob104/17y

4Ob104/17y – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** J*****, vertreten durch Mag. Martin Winter, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Univ. Prof. Dr. M***** R*****, vertreten durch Dr. Michael Ruhdorfer, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Feststellung und Zustimmung (Gesamtstreitwert: 15.100 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. März 2017, GZ 4 R 227/16h 24, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. Oktober 2016, GZ 49 Cg 51/16i 20, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Parteien sind Eigentümer angrenzender Grundstücke, die nicht im Grenzkataster eingetragen sind. Im Verlauf eines (noch anhängigen) Unterlassungsprozesses des hier Beklagten gegen den Kläger wegen behaupteter Eingriffe (Schlägerungen) in das Liegenschaftseigentum des Beklagten brachte der Kläger einen Antrag auf Festsetzung der Grenze durch den Außerstreitrichter gemäß § 851 Abs 1 ABGB ein. Dem Grenzfestsetzungsantrag wurde in zweiter Instanz rechtskräftig entsprochen und die Grenze anhand bestimmt bezeichneter Punkte eines Sachverständigengutachtens festgesetzt.

Der Kläger begehrt nunmehr die urteilsmäßige Feststellung der gemeinsamen Grenze im Sinne des außerstreitigen Beschlusses im Grenzfestsetzungsverfahren sowie die Verurteilung des Beklagten, der Vermarkung in der Natur und der Eintragung in den Grenzkataster bezüglich der festzustellenden Grenze zuzustimmen. Der Kläger beruft sich auf eine einvernehmliche Grenzfestlegung, die von den Rechtsvorgängern der Streitteile 1930 geschlossen worden sei. Zudem sei das Ergebnis im Grenzfestsetzungsverfahren bindend.

Der Beklagte wandte die Unbestimmtheit des Klagebegehrens ein und verwies auf den anhängigen Unterlassungsprozess, in dem der Grenzverlauf zu prüfen sei.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Es vertrat die Ansicht, dass der Kläger nicht ein und denselben Grenzverlauf im streitigen Verfahren begehren könne, der bereits im außerstreitigen Verfahren festgesetzt worden sei. Die Klage sei schon deshalb abzuweisen, weil der Kläger auch bei vollständigem Obsiegen nicht schlechter gestellt wäre als bei vollständigem Unterliegen. Zudem bestehe keine Bindungswirkung der außerstreitigen Entscheidung für den gegenständlichen (streitigen) Prozess.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Ungeachtet der außerstreitigen Entscheidung nach § 851 Abs 1 ABGB bleibe es jeder Partei vorbehalten, ihr besseres Recht nach Abs 2 leg cit im Prozessweg geltend zu machen, wobei der Streitrichter nicht an das Ergebnis des Außerstreitverfahrens gebunden sei. Der Kläger strebe im Prozess die Feststellung an, dass die im Außerstreitverfahren nach billigem Ermessen festgesetzte Grenze tatsächlich auch die richtige Grenze sei, womit er ein besseres Recht geltend mache. Ohne eine solche Klage hätte der Kläger nie die Gewissheit, dass die im Außerstreitverfahren festgesetzte Grenze tatsächlich Bestand habe, weil der Beklagte jederzeit und fristungebunden seinerseits Klage nach § 851 Abs 2 ABGB anstrengen könnte. Damit werde dem (nur) vorläufigen Charakter der außerstreitigen Entscheidung Rechnung getragen. Der Klage stehe auch nicht das Hindernis der Streitanhängigkeit zum Unterlassungsprozess entgegen, weil mit der zweiten Klage nicht das Gegenteil des ersten Begehrens verlangt werde.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt, und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil das Berufungsgericht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen sei.

Der Rekurs des Beklagten ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hatte zu 7 Ob 518/80 die hier aufgeworfene Frage bereits in einer ähnlichen Konstellation zu beurteilen. Dem Fall lag zugrunde, dass eine schon seinerzeit strittige Grenze zwischen den Grundstücken der Streitteile in einem früheren Außerstreitverfahren nach den §§ 850 ff ABGB rechtskräftig berichtigt und anerkannt wurde. In der Entscheidung wurde das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache bejaht. Demnach „steht einer Klage auf wortgetreu gleiche Feststellung des Grenzverlaufes die Rechtskraft der seinerzeitigen Entscheidung entgegen“.

2. Abgesehen davon, dass diese Entscheidung vereinzelt geblieben ist und sich insoweit von der vorliegenden Konstellation unterscheidet, weil die Grenze im Prozess zu 7 Ob 518/80 nach Abschluss des außerstreitigen Verfahrens von den dortigen Parteien (auch) in einem gerichtlichen Vergleich ausdrücklich anerkannt wurde, liegt das Prozesshindernis der entschiedenen Streitsache aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen, auf die verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO), im hier zu beurteilenden Fall nicht vor.

3.1 Die Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft (bzw das Prozesshindernis der entschiedenen Streitsache) verhindert eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über eine bereits entschiedene Hauptfrage (zB RIS Justiz RS0041115 [T2, T4, T6]). Die Zurückweisung einer Klage wegen der Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setzt die Identität der Parteien und der Ansprüche im Folgeprozess sowie im rechtskräftig entschiedenen Vorprozess voraus (RIS Justiz RS0041340). Die Einmaligkeitswirkung greift bei einem identen Begehren dann ein, wenn die rechtlich relevanten Tatsachenbehauptungen im Folgeprozess im Kern dem festgestellten rechtserzeugenden Sachverhalt des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses entsprechen (RIS Justiz RS0039347).

3.2 Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich der Verfahrensgegenstand des außerstreitigen Grenzfestsetzungsverfahrens nicht mit dem Streitgegenstand des gegenständlichen Feststellungsprozesses deckt, zumal im Außerstreitverfahren die Grenze nur nach Billigkeit und bloß vorläufig festgesetzt wird, während es im Zivilprozess um die (endgültige) Feststellung der richtigen Grenze geht (2 Ob 139/14a mwN). Während das Außerstreitverfahren damit auf eine vorbeugende bzw rechtsgestaltende Verfügung abstellt, ist im streitigen Verfahren über den Anspruch auf Feststellung der richtigen Grenze eines Grundstücks zu entscheiden (1 Ob 624/81; RIS Justiz RS0013882). Der Kläger strebt somit nicht die Feststellung einer Rechtsposition an, die ihm bereits nach der außerstreitgerichtlichen Entscheidung bindend zusteht.

3.3 Die aufgezeigten Unterschiede zwischen den Verfahrensarten schließen damit das Prozesshindernis der bereits entschiedenen Streitsache aus.

4.1 Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, dass die begehrte urteilsmäßige Feststellung wegen der bereits im Außerstreitverfahren festgelegten Grenze auf die Rechtsposition des Klägers keinen Einfluss habe könne, sodass es unerheblich sei, ob er im Prozess unterliege oder obsiege. Aufgrund der unter Punkt 3 angeführten Erwägungen kann diese Rechtsansicht, die erkennbar auf ein fehlendes rechtliches Interesse an der Feststellung des Grenzverlaufs abstellt, nicht überzeugen.

4.2 Unabhängig von der Frage, ob hier wegen der Qualifikation der Klage als Unterfall der Eigentumsklage (RIS Justiz RS0013885) ein rechtliches Interesses im Sinne des § 228 ZPO überhaupt erforderlich ist (vgl RIS Justiz RS0112360; RS0011506), ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die durch den Außerstreitrichter erfolgte Festsetzung der Grenzen in einem Folgeprozess in Frage gestellt werden könnte, sodass das rechtliche Interesse des Klägers an einer gerichtlichen Feststellung schon wegen der erforderlichen (endgültigen) Klärung der (noch strittigen!) Rechtslage zu bejahen ist (vgl RIS Justiz RS0039202).

4.3 Das Argument, bereits der Außerstreitbeschluss biete dem Kläger all das, was er mit einem Feststellungsurteil erreichen könnte, übersieht, dass das Außerstreitverfahren und der Zivilprozess in diesem Zusammenhang – wie aufgezeigt – unterschiedliche Zwecke verfolgen (1 Ob 985/29 = JBl 1930, 124; 1 Ob 624/81; 2 Ob 139/14a; Parapatits in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.03 § 851 ABGB Rz 3).

5. Der Rekurswerber kann auch nicht schlüssig erklären, warum die begehrte Feststellung unter Hinweis auf den Grundsatz „ne bis in idem“ schon deshalb unzulässig sein soll, weil im Unterlassungsprozess ohnedies das Eigentumsrecht als Vorfrage geklärt werden müsse. Eine bloße Vorfragebeurteilung in einem Vorprozess macht einen weiteren Prozess nicht unzulässig, wenn sich in beiden Verfahren eine idente Vorfrage stellt. Liegt bereits ein rechtskräftiges Urteil eines anderen Prozesses vor, verhindert das Prozesshindernis der Einmaligkeitswirkung nur eine neuerliche Entscheidung über die bereits entschiedene Hauptfrage (4 Ob 185/16h; RIS Justiz RS0041126). Ist der Vorprozess (wie hier) noch nicht entschieden, steht der Klage damit nicht das Hindernis der Streitanhängigkeit, die sich in ihren Auswirkungen mit der Einmaligkeitswirkung deckt (RIS Justiz RS0109015), entgegen.

6. Schließlich können auch die im Rekurs gegen die begehrte Einwilligung zur Vermarkung vorgebrachten Argumente nicht überzeugen. Nach zutreffender herrschender Meinung handelt es sich bei der Klage nach § 851 Abs 2 ABGB um eine Eigentumsklage besonderer Art (RIS Justiz RS0013885), bei der das Klagebegehren auf Feststellung der richtigen Grenze und Einwilligung in die Vermarkung lautet (zB 6 Ob 7/13t; Parapatits in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.03 § 851 ABGB Rz 8 mwN).

7. Eine die Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO begründende Widersprüchlichkeit der Entscheidung liegt nicht vor, zumal der Nichtigkeitsgrund nur dann gegeben ist, wenn ein Widerspruch im Spruch selbst und ein Mangel der Gründe überhaupt, nicht aber, wenn eine mangelhafte Begründung vorliegt (RIS Justiz RS0042133). Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf eines „willkürlichen Begründungsmangel“ ist nicht nachvollziehbar.

8. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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