JudikaturJustiz3Ob81/17h

3Ob81/17h – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. September 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** und 2. B*****, 3. M*****, sowie 4. N*****, alle vertreten durch die Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1. M***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, und 2. A***** Limited, *****, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 21.248,12 EUR sA (erstklagende Partei) und 13.871,17 EUR sA (zweitklagende Partei), über die Revision der erst und zweitklagenden Parteien (Revisionsinteresse 21.248 EUR bzw 9.211,91 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2016, GZ 4 R 80/16p 24, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 30. März 2016, GZ 55 Cg 26/15g 20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die erstklagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 1.449,85 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 241,64 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 621,37 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 103,56 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Zweitbeklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey, deren Namensaktien an der Wiener Börse mittelbar – im Wege von (kurz:) M*****-Zertifikaten – gehandelt werden. Die Erstbeklagte ist das für die Platzierung der Zertifikate zuständige Kreditinstitut. Bei ihr als Depotbank (im Wege des Selbsteintritts) erwarben die Klägerinnen am 10. Oktober 2005 M*****-Zertifikate.

In dritter Instanz ist allein die Frage strittig, ob die Anfechtung wegen arglistiger Irreführung dieser von der Erst und der Zweitklägerin jeweils mit der Erstbeklagten geschlossenen Verträge bei Klageerhebung am 10. Juli 2015 – mangels arglistigen Verhaltens der Erstbeklagten – bereits verjährt war. Das Erstgericht bejahte dies, weil es den Verdacht der Arglist nicht als erwiesen und die dreijährige Verjährungsfrist als abgelaufen ansah. Das von den beiden Klägerinnen nur hinsichtlich der Erstbeklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und ließ die ordentliche Revision zu, weil zur auf Arglist gestützten langen Verjährungsfrist nach §§ 870, 874 ABGB im Zusammenhang mit der Schulung des risikobehaftete Wertpapiere vermittelnden Personenkreises höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision der Erst- und Zweitklägerinnen ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig . Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Der listig Irregeführte ist für die Voraussetzungen der §§ 870 und 872 ABGB behauptungs und beweispflichtig (RIS Justiz RS0014792 [T2]). Listige Irreführung beim Vertragsabschluss setzt in tatsächlicher Hinsicht stets Irreführungsabsicht voraus (RIS Justiz RS0014821 [T6]). Ob der Irreführende absichtlich oder doch bewusst vorgegangen ist, ist dem entsprechend – als eine der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogene Frage der Beweiswürdigung – eine Frage tatsächlicher Natur (1 Ob 1538/95; 10 Ob 74/05p; RIS Justiz RS0014776); auch die Frage, ob eine List Einfluss auf die Willensbildung des anderen hatte, ist keine Rechtsfrage, sondern eine Tatfrage (RIS Justiz RS0014762).

2. Die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen hängt nicht vom Aufbau des Urteils ab (RIS Justiz RS0043110). Daher sind auch in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen als Tatsachenfeststellungen zu behandeln (dislozierte Feststellungen; RIS Justiz RS0043110 [T2]). Für die Beurteilung, ob es sich bei außerhalb der Feststellungen vorzufindenden Urteilsausführungen um Tatsachenfeststellungen handelt, kommt es also auf die Qualität der Aussage in den Entscheidungsgründen eines Urteils an (jüngst 3 Ob 88/17p mwN).

3. Das Erstgericht führte (wenn auch im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung) aus, dass es den Verdacht der Arglist als widerlegt ansieht. Das bedeutet die Verneinung der entscheidungsrelevanten Tatfrage, ob die Erstbeklagte mit der Absicht oder mit dem bedingten Vorsatz zur Irreführung handelte. Die Beweiswürdigung dazu findet sich im Hinweis auf zwei voneinander unabhängige Hilfstatsachen; nämlich einerseits auf den Einsatz konzessionierter Wertpapierdienstleistungsunternehmen (WPDLU) beim Vertrieb und andererseits auf gegebene Risikohinweise. Am Vorliegen einer dislozierten Feststellung ist daher nicht zu zweifeln. Der Umstand, dass sich das Erstgericht auf frühere Entscheidungen des Berufungsgerichts berief, ändert daran nichts, weil auch dort Tatfragen zu beurteilen waren.

4. Diese Feststellungen sind nur mit der Berufung zu bekämpfen, wofür entweder eine Beweis- oder eine Mängelrüge in Frage kommt.

4.1. Eine Beweisrüge enthielt die Berufung allerdings nicht.

4.2. Die Mängelrüge wegen unterbliebener Einvernahme von Zeugen betraf das (in der Berufung so beschriebene) Beweisthema, die mit dem Vertrieb betrauten Anlageberater durch die Erstbeklagte bzw deren Tochter seien regelmäßig und ständig dahingehend geschult worden, dass sie die Wertpapiere als sichere Immobilienveranlagung mit geringem Schwankungsrisiko anpreisen sollten. Auch die Mängelrüge griff die dislozierte Feststellung also gar nicht an, sondern zielte auf die Entkräftung der ersten vom Erstgericht verwerteten Hilfstatsache (Einsatz von WPDLU) ab, ohne die weitere, davon unabhängige und im Widerspruch zur angeblichen Einflussnahme auf die Schulungen stehende Hilfstatsache (Risikohinweise) zu bekämpfen. Die Klägerinnen gestanden in der Berufung (unter dem Titel sekundäre Feststellungsmängel) vielmehr sogar ausdrücklich zu, dass diese Risikohinweise in den Konto- und Depoteröffnungsanträgen dargestellt wurden, die „in der Beratung gemeinsam mit den Werbeunterlagen“ Verwendung fanden. Soweit also die Feststellung, die Erstbeklagte habe nicht arglistig gehandelt, mit den gegebenen Risikohinweisen selbständig begründet wurde, blieb beides unbekämpft, sodass es der Mängelrüge jedenfalls an Relevanz fehlte, und d er in der Revision geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens (unterbliebene Erledigung der Mängelrüge der Berufung) schon deshalb nicht vorlag.

5. Die Urteile der Vorinstanzen leiden auch nicht an sekundären Feststellungsmängeln: Zum einen urgieren die Klägerinnen ohnehin getroffene Feststellungen (Inhalt der Werbeunterlage ./LLL; Risikohinweise), zum anderen ignorieren sie, dass sie entsprechendes Tatsachenvorbringen in erster Instanz nicht erstattet haben (bewusste Inkaufnahme, dass Anleger in Fehleinschätzung der Risken erwerben) und übergehen die gegenteilige, den Obersten Gerichtshof bindende Feststellung, die Erstbeklagte habe nicht arglistig gehandelt.

6. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, mangels arglistigen Handelns der Erstbeklagten komme den beiden Klägerinnen keine 30 jährige Frist für die Vertragsanfechtung zugute, sondern nur die dreijährige, ab Abschluss des Vertrags laufende Frist des § 1487 ABGB, wird in der Berufung – zutreffend – nicht in Frage gestellt.

7. Der in erster Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 und 2 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (RIS Justiz RS0129365 [T1]). Diese gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Erstbeklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS Justiz RS0112296). Das Revisionsinteresse für die Erst- und die Zweitklägerin steht im Verhältnis von ca 70 % zu 30 %.