JudikaturJustiz3Ob505/94

3Ob505/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lieselotte H*****, vertreten durch Dr.Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ing.Gerhard H*****, vertreten durch Dr.Johann-Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 200.000,--), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 13.April 1993, GZ 47 R 2021/93-14, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 14. September 1992, GZ 7 C 955/92y-7, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Zwischen den Streitteilen ist vor dem Bezirksgericht Döbling ein Scheidungsverfahren anhängig. Unstrittig ist, daß im Zuge eines von der Klägerin angestrengten Besitzstörungsverfahrens vom Bezirskgericht Döbling ein in Rechtskraft erwachsener Endbeschluß erlassen wurde, mit welchem dem Beklagten die Anbringung neuer Schlösser an der Ehewohnung Z*****gasse ***** untersagt wurde. Weiters ist unstrittig, daß die Klägerin gegen den Beklagten ein weiteres Besitzstörungsverfahren angestrengt hat, in welchem sie die Unterlassung des Abmontierens der Telefonapparate, des Abdrehens von Warmwasser und des Gasanschlusses in der genannten Wohnung sowie des Entfernens von Sachen der Klägerin aus der Wohnung begehrt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, in Zukunft zu unterlassen,

1) die Schlösser am Haus Z*****gasse ***** in W***** zu ändern,

2) Gas, Wasser und Telefon an dem genannten Haus abzudrehen,

3) ihre Sachen zusammenzupacken und zu verräumen, und

4) die derzeitige Lebensgefährtin und Ehebrecherin Gerda D***** in die Ehewohnung mitzunehmen.

Der Beklagte wendete ein, daß es der Klägerin am für das Unterlassungsbegehren erforderlichen Rechtsschutzinteresse mangle, da sie bereits im Besitzstörungsverfahren zu AZ 7 C 876/92f des Bezirksgerichtes Döbling ein Unterlassungsbegehren gestellt habe, welches inhaltlich mit dem nunmehr erhobenen Begehren - mit Ausnahme des geforderten Verbots, die Lebensgefährtin in die Ehewohnung mitzunehmen - völlig ident sei. Er erhob ausdrücklich die Einrede der Streitanhängigkeit. Das neue Begehren (Verbot der Mitnahme der Lebensgefährtin) sei nicht berechtigt, weil der Beklagte kein ehebrecherisches Verhältnis zu Gerda D***** unterhalte und sich die Klägerin bezüglich dieses Unterlassungsbegehrens auf keinerlei Rechtsgrundlage stützen könne.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, es in Zukunft zu unterlassen, die Schlösser am Haus Z*****gasse ***** zu ändern, Gas, Wasser und Telefon an dem oben genannten Haus abzudrehen sowie die Sachen der Klägerin zusammenzupacken und zu verräumen, ohne Durchführung eines Beweisverfahrens zurück. Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, es in Zukunft zu unterlassen, seine Lebensgefährtin Gerda D***** in die Ehewohnung mitzunehmen, wies es ab. Es ging davon aus, daß die Klägerin in dem zu 7 C 876/92f des Bezirksgerichtes Döbling anhängigen Besitzstörungsverfahren die Unterlassung des Abmontierens der Telefonapparate, des Abdrehens von Warmwasser und des Gasanschlusses sowie des Entfernens von Sachen der Klägerin aus der Wohnung geltend gemacht habe. Zu AZ 7 C 870/91 des Bezirksgerichtes Döbling sei bereits ein rechtskräftiger Endbeschluß ergangen, mit welchem dem Beklagten die Anbringung neuer Schlösser an der Ehewohnung Z*****gasse ***** untersagt worden sei. Bezüglich dreier Punkte des Klagebegehrens liege im Hinblick auf die angebrachten Besitzstörungsklagen Streitanhängigkeit vor, sodaß die Klage in diesem Umfang zurückzuweisen sei. Das auf Unterlassung der Mitnahme der Lebensgefährtin in die Ehewohnung gerichtete Begehren könne aus den §§ 90, 91 ABGB nicht abgeleitet werden, sodaß diesbezüglich mit Abweisung vorzugehen sei.

Das Rekursgericht gab dem von der Klägerin wider diesen Beschluß des Erstgerichtes erhobenen Rekurs Folge. Es änderte die Entscheidung, soweit dadurch das Urteilsbegehren laut Punkt 1 bis 3 der Klage zurückgewiesen wurde, dahin ab, daß der vom Beklagten erhobenen Einrede der Streitanhängigkeit nicht Folge gegeben und dem Erstgericht in diesem Umfang die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen wurde. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der wider die Abweisung eines Teils des Klagebegehrens erhobenen Berufung gab es (als Berufungsgericht) Folge, hob das Urteil in Ansehung der Abweisung des Klagebegehrens laut Punkt 4 - unanfechtbar und unbekämpft - auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurück. Das Rekursgericht ging davon aus, daß Streitanhängigkeit nicht vorliege. Eines der beiden Besitzstörungsverfahren sei bereits rechtskräftig abgeschlossen, weshalb diesbezüglich keinesfalls Streitanhängigkeit bestehen könne. Die von der Klägerin geltend gemachten rechtserzeugenden Tatsachen seien hinsichtlich der Besitzstörungsverfahren und des hier vorliegenden Rechtsstreites nicht ident. Das vom Beklagten behauptete mangelnde Rechtsschutzinteresse der Klägerin sei keine allgemeine Prozeßvoraussetzung, deren Fehlen zu einer Zurückweisung des Klagebegehrens führen könne.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Im possessorischen Verfahren werden die dem Besitz zugrundeliegenden, weiterreichenden dinglichen oder obligatorischen Rechte nicht geprüft, es ist auf die Erörterung des Besitzes und auf die Gewährung des Besitzesschutzes beschränkt. Die materielle Rechtskraft eines Besitzstörungsendbeschlusses steht einer Klage aus dem petitorischen oder obligatorischen Recht nicht entgegen (§ 459 2.Satz ZPO; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1647 bis 1649, 1656). In einer Unterlassungsklage sind die das geschützte Recht begründenden Tatsachen und der Eingriff in das Recht zu behaupten. Im vorliegenden Fall wurde die - außer Streit gestellte - Behauptung aufgestellt, daß die Streitteile aufrecht verheiratet seien und daß sich daraus die Verpflichtung des Beklagten zu "ordnungsgemäßem Zusammenleben" ergebe. Damit hat die Klägerin die ihr Recht begründenden Tatsachen ebenso behauptet wie sie auch die angeblichen Eingriffshandlungen des Beklagten angeführt hat (Fasching, aaO, Rz 1069). Die vorliegende Unterlassungsklage enthält also andere rechtserzeugende Tatsachen als die beiden Besitzstörungsklagen. Dies schließt aber die Annahme der Streitanhängigkeit und naturgemäß auch den Einwand, es liege res iudicata vor, aus (siehe Fasching, aaO, Rz 1187; JBl. 1973, 425; 6 Ob 59/72; MietSlg. 35.774, 40.790; SZ 41/103; JBl. 1988, 655; 7 Ob 604, 605/85; 7 Ob 683/81; 1 Ob 122/75; SZ 21/124 ua).

Der Beklagte beruft sich auch noch in seinem Revisionsrekurs weiters darauf, daß es der Klage am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis mangle. Dies kann aber nicht zu dem in erster Linie gestellten Rechtsmittelantrag auf Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichtes führen.

In der österreichischen Prozeßrechtslehre stehen sich zur Frage, ob Rechtsschutzbedürfnis eine allgemeine Prozeßvoraussetzung sei, zwei Theorien unvereinbar gegenüber: Die eine bejaht eine solche allgemeine Prozeßvoraussetzung, die folgerichtig von Amts wegen in jeder Instanz zu beachten wäre, fehle dieses Rechtsschutzbedürfnis oder wie auch gesagt wird das Rechtsschutzinteresse, wäre daher die Klage (der Antrag, das Rechtsmittel) mit Beschluß als unzulässig zurückzuweisen (Holzhammer, ZPO2 167; derselbe, Praktisches ZPR3 136 f; Dolinar, Ruhen des Verfahrens 134; Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozeßrecht3 36; Sprung, Konkurrenz von Rechtsbehelfen 53; Novak in ÖJZ 1952, 27; derselbe in JBl. 1964, 3 ff); die Vertreter der anderen Ansicht lehren, aus den Vorschriften der Zivilprozeßordnung ergebe sich keine gesetzliche Grundlage, aus der abgeleitet werden könne, daß Rechtsschutzbedürfnis eine allgemeine Prozeßvoraussetzung wäre. Ausnahmsweise hindere sie ein Verfahren, wenn dies im Einzelfall gesetzlich angeordnet sei (Fasching, Zivilprozeßrecht3 Rz 740 ff; derselbe, Kommentar III 4, 48 f, 170; Böhm in JBl 1974, 1 ff; Hoyer in ZfRV 1975, 192; Rechberger-Simotta, Zivilprozeßrecht3 Rz 14).

Ebenso unterschiedlich sind zu dieser Frage die Aussagen der Judikatur. Während in der Entscheidung SZ 51/157 ausgesprochen wurde, daß der Exekutionsordnung ein Rechtsschutzbedürfnis als besondere Voraussetzung der Exekutionsbewilligung überhaupt fremd sei, verwenden zahlreiche andere Entscheidungen den Begriff "Rechtsschutzbedürfnis", wenn sie auch zu widersprüchlichen Ergebnissen gelangen, welche Folgen das Fehlen eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses in erster Instanz habe. In den Entscheidungen MietSlg. 17.027 und SZ 26/99 wurde ausgesprochen, Leistungsklagen seien zurückzuweisen, wenn aus besonderen Gründen das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Von Amts wegen wäre das Fehlen nur bei offenkundigem Mangel zu beachten. In der Entscheidung 6 Ob 630, 631/80, die den Fall der Schaffung eines Doppeltitels (Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis und Klage; nunmehr geänderte Rechtslage!) betraf, sprach der Oberste Gerichtshof aus, daß der Urteilsersatz der Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis dem Kläger das Rechtsschutzinteresse an einem urteilsmäßigen Leistungsbefehl nehme, das trotz Vorliegen des Exekutionstitels durchgeführte Verfahren sei nichtig, die Klage sei allerdings nicht zurückzuweisen, das Verfahren sei vielmehr analog § 239 Abs.3 ZPO einzustellen. In JBl. 1981, 656, hatte das Gericht zweiter Instanz die Klage wegen Annahme eines Scheinprozesses zurückgewiesen. Der Oberste Gerichtshof billigte zwar, daß die Führung eines Scheinprozesses mangelndes Rechtsschutzbedürfnis begründe, in caso verneinte er aber das Vorliegen eines Scheinprozesses. Eine neue Entwicklung bahnte sich mit der Entscheidung EvBl. 1972/20 an. Dort wurde zwar das Bestehen des Rechtsschutzbedürfnisses als Voraussetzung für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen durchaus bejaht, das Fehlen dieses Bedürfnisses führe aber dazu, daß "die Fällung eines dem Klagebegehren stattgebenden Urteiles zu verweigern" sei. Als Begründung wurde angeführt, das Urteil sei für den erhobenen Anspruch entbehrlich geworden. Seit der Entscheidung HS 8139/7 wurde die Verweigerung eines dem Klagebegehren stattgebenden Urteiles als Abweisung des Klagebegehrens verstanden. An dieser Linie hielt die Rechtsprechung in der Folge fest (SZ 48/116; ÖBl. 1979, 81; JBl. 1981/41; ÖBl. 1983, 16; 3 Ob 132/82; MietSlg. 38.777; 7 Ob 638/87; 8 Ob 713/89; MuR 1990, 237; 8 Ob 535/91; EvBl. 1992/153; ecolex 1992, 770 ua). In EFSlg. 25.323 wurde, soweit ersichtlich, das einzige Mal die Lehre Böhms aaO erwähnt. Seine Thesen wurden aber nicht abschließend beurteilt. Bei einer auf § 406 2.Satz ZPO gestützten Verurteilung auf zukünftige Alimentationsleistungen erscheine es geboten, den Nachweis eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses ähnlich wie bei Feststellungsklagen zu fordern. In JBl. 1980, 488 wurde ausgesprochen, die Behandlung des mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als eine Sachvoraussetzung sei nur dort möglich, wo die Ablehnung des Rechtsschutzbedürfnisses nicht bereits aufgrund ausdrücklich im Gesetz geregelter negativer Prozeßvoraussetzung ein Hindernis für die neuerliche Einklagung darstelle. In MietSlg. 38.777 wurde der Begriff der materiellrechtlichen Einwendung der verglichenen Streitsache und das Vorliegen des mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses synonym verwendet.

Der erkennende Senat hat erwogen:

Durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1982 BGBl. 370 wurden unter anderem die Bestimmungen der §§ 54 Abs.4 AO, 60 Abs.2, 156a Abs.3 KO geändert. Ungeachtet des Umstandes, daß nunmehr zumindest im Inland die Eintragungen in den Anmeldungsverzeichnissen in den Wirkungen mit Urteilen völlig gleichgestellt wurden, normiert der Gesetzgeber, daß Leistungsbegehren dennoch zulässig blieben, dem unterlegenen Beklagten aber die Prozeßkosten zu ersetzen sind, es sei denn, er habe die Abweisung des Klagebegehrens beantragt oder der Kläger benötigt das Urteil zur Zwangsvollstreckung in einem Staat, der Auszüge aus dem Anmeldungsverzeichnis eines österreichischen Gerichtes nicht als Exekutionstitel anerkennt. Wie die RV 3 BlgNR

15. GP 41 dazu ausführen, sollte damit der wichtige Streit gelöst werden, ob und inwieweit die Möglichkeit der Beschaffung eines Exekutionstitels aufgrund der Ergebnisse des Insolvenzverfahrens in nachfolgende Verfahren über Geldleistungsansprüche einwirke. Dem berechtigten Schutz des Schuldners vor willkürlicher Inanspruchnahme diene eine besondere Kostenersatzbestimmung, sie sei dem § 45 ZPO verwandt. Jedenfalls für einen der Hauptanwendungsfälle der Lehre vom allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis, nämlich der Schaffung eines Doppeltitels, hat der Gesetzgeber damit klar zu erkennen gegeben, daß er ein solches Prinzip in analoger Erweiterung der ausdrücklich im Gesetz angegebenen negativen Prozeßvoraussetzungen ablehnt. Es würde einen kaum erklärbaren Wertungswiderspruch bedeuten, wenn man in anderen gleichgelagerten Fällen (gerichtlicher Vergleich oder vollstreckbarer Notariatsakt - nachfolgende Leistungsklage oder wie hier im Fall eines rechtskräftigen Endbeschlusses und der nachfolgenden Klage des siegreichen Besitzstörungsklägers aus dem Recht), denen die Prozeßhindernisse der Streitanhängigkeit oder der Rechtskraft nicht entgegenstehen, durch eine allgemeine Rechtsanalogie, die eine bisher unbewiesen gebliebene Gesetzeslücke vorausetzen würde, der Ablehnung gerichtlichen Rechtsschutzes das Wort redete (in diesem Sinn Konecny in RdW 1986, 37 und Rechberger-Simotta aaO Rz 16/1). Dies könnte weder den Verfahrensgarantien des Art.6 MRK noch den Bestrebungen des österreichischen Gesetzgebers entsprechen, den Zugang zum Recht zu verbessern. Die dogmatisch nicht ableitbare Rechtsfigur des Rechtsschutzbedürfnisses als einer allgemeinen negativen Prozeßvoraussetzung soll nicht zum Zentralbegriff der Verhinderung anstelle der Gewährung von Rechtsschutz (so Schuhmann in FS Fasching 447) führen.

Der im Revisionsrekurs gestellte Eventualantrag auf Sachabweisung ist verfehlt, weil dieser Teil des Urteilsbegehrens bisher nicht Gegenstand des Verfahrens war.

Der Revisionsrekurs des Beklagten erweist sich sohin insgesamt als nicht berechtigt.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.