JudikaturJustiz3Ob219/23m

3Ob219/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W*, 2. A*, beide vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen restlicher 13.707 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. September 2023, GZ 2 R 124/23b 51, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 28. Juni 2023, GZ 2 Cg 54/20a 47, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Feststellungsbegehrens unberührt bleiben, werden im Übrigen dahin abgeändert, dass sie insgesamt wie folgt zu lauten haben:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien den Betrag von 2.300 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. August 2020 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien einen weiteren Betrag von 11.680,30 EUR samt 4 % Zinsen seit 13. 10. 2011 sowie weitere 4 % Zinsen aus 2.300 EUR vom 13. 10. 2011 bis 30. August 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 6.187,55 EUR (hierin enthalten 754,44 EUR an 19%iger USt und 1.462,38 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit 3.622,78 EUR (hierin enthalten 385,95 EUR an 19%iger USt und 1.205,51 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger erwarben mit Kaufvertrag vom 12. Oktober 2011 von einer Autohändlerin ein von der Beklagten hergestelltes, mit einem 2.0 l Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5 ausgestattetes Neufahrzeug der Marke VW Sharan SkyBMT TDI um einen Gesamtkaufpreis von 45.690 EUR, der unter der Voraussetzung eines verordnungskonformen Zustands angemessen war. Das Fahrzeug wurde erstmals am 8. März 2012 zum Verkehr zugelassen. Der Erstkläger ging bei Abschluss des Kaufvertrags davon aus, dass das Fahrzeug den technischen Normen entspreche. Wäre ihm damals bekannt gewesen, dass das Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die von der akkreditierenden Behörde als unzulässig eingestuft wird und aufgrund derer der Entzug der Zulassung droht, hätte er den Vertrag nur zu einem geringeren Kaufpreis abgeschlossen.

[2] Der Erstkläger wurde von der nach Bekanntwerden des „Abgasskandals“ erfolgten Rückholaktion informiert und aufgefordert, sich wegen des Updates mit einem VW Betrieb seiner Wahl in Verbindung zu setzen. Dieser Aufforderung kam er nach, wobei er die technischen Gründe für die Rückholung weder verstand noch näher hinterfragte. Das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Software Update wurde am 29. März 2017 auf sein Fahrzeug aufgespielt. Dem Erstkläger (als Zulassungsbesitzer) wurde behördlicherseits weder die Entziehung der Typengenehmigung noch der Betriebserlaubnis in Aussicht gestellt, zumal das deutsche Kraftfahrt Bundesamt von der Rechtmäßigkeit der von ihr erteilten Ergänzung der ursprünglichen Typengenehmigung ausgeht.

[3] Infolge des Software Updates werden die Grenzwerte und andere Anforderungen der Euro Abgasnorm eingehalten. Negative Auswirkungen des Software Updates auf das Fahrzeug in technischer Hinsicht sind nicht objektivierbar. Der Erstkläger hatte bislang keine Probleme mit dem Fahrzeug und konnte es ohne Einschränkung nutzen. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (3. April 2023) war der Erstkläger unverändert Zulassungsbesitzer des Fahrzeugs; er hatte es nach wie vor in Verwendung und bis dahin nicht versucht, es zu verkaufen; allerdings hatte er bereits ein Neufahrzeug bestellt, wobei ihm das konkrete Auslieferungsdatum noch nicht bekannt war. Das Fahrzeug wies bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen Kilometerstand von 230.697 km auf und hatte keine Kollisionsschäden. Es war seit dem Erwerb durch die Kläger zu jeder Zeit betriebs und verkehrssicher und ist uneingeschränkt fahrbar.

[4] Die Dieselmotoren des Typs EA189 Euro 5 verfügen über ein Abgasrückführungssystem, das als innermotorische Maßnahme Abgase (insbesondere Stickoxide) aus dem Auslassbereich des Motors in den Ansaugtrakt zurückleitet. Die bei Auslieferung des Fahrzeugs an die Kläger vorhandene (unzulässige) Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) wurde durch das Aufspielen des Software-Updates beseitigt.

[5] Alle Fahrzeughersteller verwenden eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführungsrate („Thermofenster“). Solche Thermofenster sind in technischen Systemen, in denen Energie und Stoffwandlungsprozesse stattfinden, notwendig bzw physikalisch vorgegeben. Wird der Temperaturbereich des Thermofensters verlassen, finden im Motor Vorgänge statt, die einzelne Bauteile und in weiterer Folge den ganzen Motor beschädigen können.

[6] Unter Zugrundelegung, dass das im Fahrzeug der Kläger installierte Thermofenster, also die temperaturgesteuerte Abgasrückführung, (nur) bei einer Umgebungstemperatur zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius offen bzw unkorrigiert ist, ist es nicht über den überwiegenden Zeitraum eines Jahres aktiv. Sofern die Abgasrückführung (wie von der Beklagten behauptet) bereits bei 10 Grad Celsius beginnt, wäre die temperaturgesteuerte Abgasrückführung dann über den überwiegenden Teil des Jahres aktiv, wenn man von der mittleren Temperatur in Europa (und damit einem Meridian von etwa 12,5 Grad Celsius) ausgeht. Die Durchschnittstemperatur im deutschsprachigen Raum liegt hingegen bei etwa 9 Grad Celsius oder knapp mehr als 8 Grad Celsius; ausgehend davon wäre die mit dem Update verbaute temperaturgesteuerte Abgasrückführung nicht über den überwiegenden Teil des Jahres unkorrigiert.

[7] Wenn ein Käufer im Jahr 2011 fiktiv zwei absolut gleiche Fahrzeuge angeboten bekommen hätte, eines davon mit einer verordnungskonformen Software und ein zweites mit einer zumindest vorerst unzulässigen Software, jedoch mit der Zusage, dass es ein verordnungskonformes Software-Update binnen einer angemessene Frist geben werde, hätte das Fahrzeug mit der vorerst illegalen Software um etwa 10 % billiger als das verordnungskonforme Vergleichsfahrzeug angeboten werden müssen, um gleich gern und gleich wahrscheinlich gekauft zu werden.

[8] Auf dem österreichischen Gebrauchtwagenmarkt war bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Problematik einer eventuell verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung nie ein Thema, daher ein Nachgeben der Gebrauchtwagenpreise nicht feststellbar. Auch bei nachweislich vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen ist kein Wertverlust feststellbar.

[9] Im August 2020 erfuhr der Erstkläger über die Medien und den Klagevertreter, dass die Abschalteinrichtung noch immer nicht funktioniere, und dass es eine „15 Grad Grenze“ gebe.

[10] Die Kläger begehren, soweit in dritter Instanz noch von Interesse (ihr weiters erhobenes Feststellungsbegehren wurde bereits rechtskräftig abgewiesen), von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes den Betrag von 13.980,30 EUR (30 % des Kaufpreises) samt 4 % Zinsen seit 13. Oktober 2011. Die Repräsentanten der Beklagten hätten rechtswidrig und vorsätzlich sittenwidrig in Schädigungsabsicht gehandelt. Aufgrund des schädigenden Verhaltens der Beklagten hätten die Kläger ein überteuertes Fahrzeug erworben. Bei Kenntnis der maßgeblichen Umstände hätten sie um 30 % weniger gezahlt, um das manipulierte Fahrzeug zu erwerben. Dies entspreche dem objektiven Minderwert, der bei Offenlegung der Manipulation für das Fahrzeug am Markt bezahlt worden wäre.

[11] Die Beklagte wendet insbesondere ein, der geltend gemachte Anspruch sei verjährt. Es liege auch weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel vor, das Fahrzeug entspreche dem vertraglich Geschuldeten. Zudem sei ihr kein Verschulden anzulasten. Der Einsatz eines Thermofensters entspreche dem aktuellen Stand der Technik.

[12] Das Erstgericht wies das gesamte Zahlungsbegehren ab. Seit dem Aufspielen des Software Updates sei das Fahrzeug in genau jenem Zustand, wie es bei der Typenprüfung und der Übergabe an die Kläger der Fall sein hätte sollen. Ein Genehmigungsentzug drohe nicht. Es fehle daher bereits an einem bei den Klägern eingetretenen Schaden.

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 13.707 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. August 2020, während es das Mehrbegehren von 273,30 EUR sA sowie das Zinsenmehrbegehren abwies. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei den Klägern sehr wohl ein Schaden entstanden, weil das Fahrzeug im Sinn der zu vergleichbaren Fällen ergangenen Judikatur des EuGH nicht vertragskonform gewesen sei und daher jedenfalls ein Sachmangel vorliege. Das durch das Software Update installierte Thermofenster sei ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung, sodass das Fahrzeug weiterhin mangelhaft sei. Insofern liege ein Rechtsmangel vor, weil wegen der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG Typengenehmigung und daran anschließend auch jene der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werde. Der den Klägern entstandene Vermögensschaden, der darin liege, dass sie infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung einen überhöhten Kaufpreis gezahlt hätten, sei von der Beklagten rechtswidrig und schuldhaft verursacht worden. Die rechtswidrige Handlung liege nämlich bereits im Einbau der ursprünglichen unzulässigen Umschaltlogik, und die Beklagte habe kein hinreichend substanziiertes Vorbringen erstattet, warum ihr dieses Verhalten nicht vorwerfbar gewesen sei. Nach den Feststellungen sei der Marktwert des Fahrzeugs um 10 % geringer gewesen als der tatsächliche Kaufpreis, dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Kauf durch ein Software-Update ein verordnungsgemäßer Zustand hergestellt werden könne. Nunmehr sei allerdings geklärt, dass mit dem Thermofenster weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Der von den Klägern vermissten Feststellungen zur Höhe der Wertminderung in diesem Fall bedürfe es nicht, weil die Beklagte das Vorbringen der Kläger, wonach die Wertminderung 30 % betrage, gar nicht substanziiert bestritten habe. In diesem Umfang sei dem Klagebegehren daher stattzugeben. Auf die behauptete Verjährung der Ansprüche komme die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung zutreffend nicht mehr zurück. Zinsen seien den Klägern allerdings nicht bereits ab Kaufvertragsabschluss, sondern erst ab Zustellung der Klage zuzusprechen.

[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, welche Temperaturen für die Prüfung der vom EuGH zur ausnahmsweisen Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen angenommenen Gegenausnahme maßgeblich seien.

[15] Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des Ersturteils an; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[16] Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig ; sie ist auch teilweise berechtigt .

1. Zum Verjährungseinwand:

[18] 1.1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts führt der Umstand, dass die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung nicht auf den Verjährungseinwand zurückgekommen ist, nicht dazu, dass diese Einrede als fallen gelassen anzusehen wäre. Eine Partei, die – wie die Beklagte – in erster Instanz obsiegte, muss nämlich rechtliche Gesichtspunkte, die das Erstgericht für unwesentlich hielt, in der Berufungsbeantwortung nicht aufgreifen, um sich die Möglichkeit der Geltendmachung in der Revision zu wahren ( Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 503 ZPO Rz 143 mwN). Daraus ist für die Beklagte allerdings im Ergebnis nichts zu gewinnen, weil sich ihr Verjährungseinwand als unberechtigt erweist.

[19] 1.2. Die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (vgl RS0034951 [T1, T5, T7] ua). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (vgl RS0034366 ua). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (vgl RS0034603).

[20] 1.3. Selbst wenn die Kläger – was so aber gerade nicht feststeht – bereits im Herbst 2015 aufgrund der medialen Berichterstattung oder zumindest anlässlich des Aufspielens des Software Updates Ende März 2017 Kenntnis vom „Abgasskandal“ gehabt haben sollten, konnte dies im Ergebnis den Beginn der kurzen Verjährungsfrist nicht auslösen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass das Software-Update nach dem damaligen Standpunkt der Beklagten dazu dienen sollte, die im Fahrzeug vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) zu beseitigen.           Darf der Geschädigte aber annehmen, dass der aufgetretene Schaden behoben ist, besteht für ihn nicht der geringste Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen, und sei es auch in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat (RS0034426). Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Klagserhebung aufzuerlegen, obwohl weitere Schadensfolgen nicht vorhersehbar sind und daher die Überzeugung gerechtfertigt erscheint, dass die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben ist (9 Ob 33/23b mwN; vgl auch jüngst 3 Ob 216/23w). Nach den Feststellungen erlangte der Erstkläger erst im August 2020 – also ganz kurz vor Einbringung der Klage am 17. August 2020 – davon Kenntnis, dass die Abschalteinrichtung noch immer nicht funktionierte.

2. Zum Schadenersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller dem Grunde nach:

[21] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in zahlreichen Entscheidungen unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene Umschaltlogik als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 3/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47]; 10 Ob 16/23k uva). Die deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung trifft (nur) den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat. Die einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen schützen auch die Einzelinteressen des Käufers. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Haftung des Herstellers einer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs (EuGH C 100/21, Mercedes Benz Group , Rn 84 [ Brenn ]) schützen die einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen (Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG und Art 18, 26 und 46 Rahmen RL 2007/46/EG) auch die Einzelinteressen des Käufers eines solchen Kraftfahrzeugs. Aus diesem Grund hat ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 leg cit ausgestattet ist. Ist dem Käufer durch den Einbau der Abschalteinrichtung aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich der Anmeldung, dem Weiterverkauf oder dem Betrieb des Fahrzeugs ein Schaden entstanden, so steht ihm ein Anspruch auf angemessenen Schadenersatz zu (3 Ob 216/23w mwN).

[22] 2.2. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 27/23b schließt die Möglichkeit des Naturalersatzes für den Käufer die Geltendmachung eines objektiven Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs nicht aus. Unionsrechtlich sei nämlich vorgegeben, dass der Schaden bereits in der Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit liegen könne, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen. Der EuGH bejahe damit den Eintritt eines objektiv abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Abschlusses des Kaufvertrags, also bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs. Im Fall des Erwerbs eines mit einer iSd Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liege das – nach den unionsrechtlichen Vorgaben einen Schaden iSd § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der objektiv eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit. Der Schaden des Fahrzeugkäufers bestehe demnach im Erwerb eines Fahrzeugs, das wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen objektiven Minderwert aufweise. Der Nachteil aus der Unsicherheit hinsichtlich der Nutzbarkeit des Fahrzeugs liege auch im Rechtswidrigkeitszusammenhang der übertretenden unionsrechtlichen Abgasnormen.

[23] 2.3. Die Behauptungs und Beweislast, dass das Schutzgesetz von ihr unverschuldet übertreten wurde, trifft die Beklagte als Fahrzeugherstellerin. Die Beweisführung dafür, dass dies bei der Umschaltlogik der Fall gewesen wäre, ist die Beklagte gar nicht angetreten. In der nach dem Kauf erfolgten Aufspielung des Software Update kann aber nur mehr der gescheiterte Versuch einer Schadensbehebung liegen. Irrelevant ist damit, ob der Beklagten beim Thermofenster ein Verschulden vorzuwerfen wäre. Ob der Versuch der Schadensbeseitigung verschuldet oder unverschuldet fehlschlägt, ist ohne Auswirkungen. Es hat dann bei der Haftung zu bleiben (6 Ob 197/23y mwN).

3. Zur Schadenshöhe:

[24] 3.1. Dem Kläger, der das Kraftfahrzeug bei Kenntnis des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art 5 VO 715/2007/EG nicht erworben hätte, hat nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung zwar Anspruch auf Zug-um-Zug-Abwicklung, er ist aber zur Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs berechtigt. Dieser primär nach unionsrechtlichen Anforderungen zu bestimmende Ersatz des Minderwerts muss den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, und ist daher iSd § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen. Dabei kann ein von der Partei angebotener Beweis (Sachverständigengutachten) übergangen werden (vgl 10 Ob 27/23b mwN; RS0134498).

[25] 3.2. Die Beklagte macht zutreffend geltend, dass der vom Berufungsgericht zuerkannte Ersatz im Ausmaß von 30 % des Kaufpreises im vorliegenden Fall weit überhöht ist. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Kläger in den rund elfeinhalb Jahren vom Ankauf bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit dem Fahrzeug 230.697 km – und damit rund 92 % der maximalen Laufleistung von 250.000 km – zurückgelegt haben. In dieser Konstellation hat sich der Ersatz des Minderwerts im unteren Bereich der Bandbreite zu bewegen, weshalb er mit (nur) 2.300 EUR festgesetzt wird.

4. Zur Vorteilsanrechnung:

[26] 4.1. Die von der Beklagten argumentierte Vorteilsanrechnung betrifft die Berechnung der Schadenshöhe, weshalb ein solcher vermeintlicher (Gegen )Anspruch nicht als Gegenforderung geltend zu machen ist (vgl 9 Ob 33/21z; vgl 10 Ob 2/23a [Endurteil; Rz 41]).

[27] 4.2. Allgemein setzt eine schadenersatzrechtliche Vorteilsanrechnung voraus, dass das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Es muss sich demnach um zeitlich und sachlich kongruente Vorteile handeln, die durch das pflichtwidrige Handeln entstehen oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzeln. Die Vorteilsanrechnung setzt im Regelfall eine subjektiv konkrete Schadensberechnung voraus, ist es doch bei der objektiv abstrakten Berechnung beispielsweise unerheblich, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat. Bei objektiv abstrakter Schadensberechnung ist ein Vorteil nach der Rechtsprechung daher nur dann anrechenbar, wenn er am beschädigten Gut selbst entstanden ist. Da im vorliegenden Fall eine objektiv-abstrakte Schadensberechnung erfolgt, fehlen somit die Voraussetzungen für die von der Beklagten gewünschte Vorteilsanrechnung (vgl jüngst 3 Ob 203/23h mwN).

[28] 5. Infolge Abänderung der Urteile der Vorinstanzen ist eine neue Kostenentscheidung zu treffen. Diese beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 43 Abs 1 ZPO und hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO.

[29] In erster und zweiter Instanz haben die Kläger (unter Einbeziehung ihres rechtskräftig abgewiesenen, mit 2.000 EUR bewerteten) Feststellungsbegehrens nur zu rund 14 % obsiegt, sodass sie der Beklagten 72 % der Vertretungskosten und 86 % der von ihr vorschussweise getragenen Sachverständigengebühren zu ersetzen haben. Umgekehrt haben die Kläger Anspruch auf Ersatz von 14 % der Pauschalkosten für die Klage und die Berufung sowie der von ihnen vorschussweise getragenen Sachverständigengebühren. Zu den von den Klägern erhobenen Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten hat bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt, dass die Schriftsätze ON 9 und ON 25 zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren, dies hingegen für den Schriftsatz ON 39 (die bloße Mitteilung, dass kein Einwand gegen die verzeichneten Sachverständigengebühren bestehe) nicht gilt.

[30] In dritter Instanz haben die Kläger zu rund 17 % obsiegt, sodass sie der Beklagten 66 % der Vertretungskosten und 83 % der Pauschalgebühr für die Revision zu ersetzen haben, während ihnen die Beklagte 14 % der Pauschalgebühr für die Berufung zu ersetzen hat.

Rechtssätze
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