JudikaturJustiz3Ob218/20k

3Ob218/20k – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon. Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Erlassung eines Übergabeauftrags nach § 567 ZPO, Wiederherstellung und Errichtung eines Zauns, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 11. November 2020, GZ 3 R 291/20x 16, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 24. August 2020, GZ 3 C 574/20w 9, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Entscheidung über den Übergabeauftrag und das Räumungsbegehren als unbekämpft unberührt bleiben, werden im Übrigen, somit bezüglich der Entscheidung über das Wiederherstellungsbegehren und das Begehren auf Errichtung eines Zauns und der Kostenentscheidung aufgehoben. Dem Erstgericht wird insofern eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrte die Erlassung eines Übergabeauftrags mit dem Inhalt: „Dem (... [ Beklagten ]) wird aufgetragen, am 31. 12. 2020 um 12:00 Uhr, der (… [ Klägerin ]) die Liegenschaft (...) geräumt von seinen Fahrnissen, so zurückgebautem Lagergebäude (Pferdestall) auf Grundstück (…), dass der gesetzliche Bauabstand von 3,31 m zum Grundstück (...) eingehalten wird – (...) – und wiederhergestelltem ursprünglichen Zustand zu übergeben, sowie innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab 31. 12. 2020 auf dem Grundstück (...) entlang der gesamten Grenze zum Grundstück (...) einen zumindest 1,8 m hohen, für Menschen unpassierbaren Zaun zu errichten und zu erhalten, oder gegen diesen Auftrag seine Einwendungen (...) einzubringen.“ Der Beklagte habe das Grundstück zur Erweiterung seines Gärtnereibetriebs ab 1. Jänner 2009 befristet bis 31. Dezember 2020 gemietet; er habe sich vertraglich verpflichtet, unmittelbar entlang der Grenze zur Liegenschaft der Klägerin einen Zaun in der Höhe von 1,8 m („für Menschen unpassierbar“) zu errichten und zu erhalten.

[2] Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, der Räumungsauftrag sei „überschießend“ und entspreche nicht den getroffenen Vereinbarungen. Es sei unzulässig, im Rahmen des Übergabeauftrags Leistungen, die über die Übergabe der Liegenschaft hinausgingen, festzulegen; der Bestandvertrag sei außerdem nichtig und sittenwidrig.

[3] Das Erstgericht sprach aus, dass der Übergabeauftrag „teilweise zu Recht“ bestehe, verpflichtete den Beklagten zur Räumung (bis „längstens“ 31. Dezember 2020 um 24:00 Uhr) und wies die weiteren Begehren der Klägerin ab.

[4] Das Übergabeverfahren lasse keinen Raum für Leistungspflichten; der Einwand des Beklagten, dass der Vertrag ungültig sei, stehe seiner Räumungsverpflichtung nicht entgegen. Die Uhrzeit sei klarzustellen gewesen, weil darüber keine Vereinbarung vorliege.

[5] Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien dagegen erhobenen Berufungen teilweise Folge und änderte die Räumungsverpflichtung (nur) dahin ab, dass sie „binnen 14 Tagen ab dem 31. 12. 2020“ zu erfüllen sei.

[6] Die Klägerin müsse die Liegenschaft nicht vor dem 31. Dezember 2020 übernehmen, weshalb das Wort „längstens“ zu entfallen habe. Dem Beklagten stehe aber nach § 573 Abs 2 ZPO eine vierzehntägige Leistungsfrist zu, weshalb auch diese zu ergänzen gewesen sei. Weder die Entfernung des von der Klägerin behaupteten Überbaus, noch die darüber hinaus begehrten Leistungen könnten Gegenstand des Übergabeauftrags sein, weshalb dazu weder Feststellungen erforderlich gewesen seien, noch in diesem Verfahren eine derartige Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen werden könne. Die Bewertung des bestätigenden Teils könne unterbleiben; mangels erheblicher Rechtsfrage sei die ordentliche Revision nicht zulässig.

[7] In ihrer außerordentlichen Revision (erkennbar wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung) argumentiert die Klägerin zusammengefasst, die Entscheidung des Berufungsgerichts widerspreche der Rechtsprechung, nach der eine geräumte Übergabe auch das Entfernen eines Objekts umfassen könne. Im Räumungsverfahren sei neben der Räumungsverpflichtung auch zu klären, ob den Bestandnehmer weitere vertraglich vereinbarte Pflichten treffen würden. Das Lagergebäude (Pferdestall) befinde sich teilweise auf dem zu räumenden Grundstück, weshalb auch diesbezüglich eine Räumungspflicht (hier in Form eines Abbruchs des Überbaus) bestehe. Außerdem habe der Beklagte das Gebäude auch soweit rückzubauen, dass der gesetzliche Bauabstand zum Grundstück der Klägerin eingehalten werde.

[8] Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision; hilfsweise die Bestätigung des Berufungsurteils.

[9] Die Revision ist zulässig und im Sinn ihres Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Auch das Übergabeverfahren hat materiell die Frage einer Räumungsverpflichtung zum Inhalt, weshalb auch Entscheidungen darüber unter die Ausnahmebestimmung des § 502 Abs 5 ZPO fallen (RIS Justiz RS0043001). Ein Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts für die nun noch gegenständlichen, über das Räumungsbegehren hinausgehenden Ansprüche war nicht erforderlich, weil Entscheidungsgegenstand der Berufungsentscheidung auch der Übergabeauftrag war und das im Revisionsverfahren noch gegenständliche Wiederherstellungs- und Zaunerrichtungsbegehren in einem rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN mit dem Übergabeauftrag stehen (jeweils Vertragsansprüche aus der Vertragsbeendigung).

[11] 2.1 Die Aufnahme eines Ausspruchs über sonstige Leistungspflichten des Beklagten (wie hier die Errichtung eines Zauns oder eine Verpflichtung zum Rückbau) widerspricht dem Zweck des Übergabeauftrags, der verfahrensrechtlich die gleiche Funktion erfüllt wie die gerichtliche Kündigung (RS0044915). Auch im Kündigungsverfahren nach den §§ 560 ff ZPO kann daher ein im allgemeinen Verfahren zu erhebender Anspruch nicht gemeinsam mit der Kündigung geltend gemacht werden (vgl zum Eventualbegehren 9 ObA 102/04x; Geroldinger in Fasching / Konecny 3 , § 227 Rz 30 mwN).

[12] 2.2 Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob ein Verfahren, das durch einen Antrag auf Erlassung eines Übergabeauftrags eingeleitet wurde, vom Gericht nach Erhebung von Einwendungen mit einem allgemeinen Streitverfahren verbunden werden kann.

[13] Nach Einwendungen gegen die gerichtliche Aufkündigung oder den Übergabeauftrag ist im Verfahren wie in einem allgemeinen Streitverfahren vorzugehen. Nach entsprechender Beweisaufnahme zum widerstreitenden Vorbringen sind Feststellungen zu treffen und es ist über die erhobenen Begehren mit Urteil zu entscheiden. Eine Verbindung eines Verfahrens über eine Aufkündigung oder über einen Übergabeauftrag nach Erhebung von Einwendungen mit einem allgemeinen Rechtsstreit über die Einhaltung vertraglicher Pflichten kommt daher grundsätzlich in Betracht ( Lovrek in Fasching / Konecny 3 , § 560 Rz 50 und Höllwerth in Fasching / Konecny 3 , § 187 Rz 14).

[14] 2.3 Die Klägerin hat hier allerdings bereits ihren Antrag auf Erlassung des Übergabeauftrags mit weiteren, gegen den Beklagten gerichteten Leistungsbegehren verbunden. Das Erstgericht hat dazu weder einen Verbesserungsauftrag erteilt, noch den Antrag der Klägerin insoweit zurückgewiesen. Durch die Einwendungen des Beklagten ist das Verfahren über den Übergabeauftrag aber in ein Stadium übergegangen, in dem eine Verbindung mit einer Klage auf Erfüllung der geltend gemachten Leistungspflichten zulässig gewesen wäre. Die Abweisung dieser zusätzlich erhobenen Begehren der Klägerin allein mit der Begründung, dass diese ursprünglich verfahrensrechtlich unzulässig waren, ist daher in diesem Verfahrensstadium nicht möglich. Nach der wirksamen Erhebung von Einwendungen kommt eine Zurückweisung dieser Begehren wegen des ursprünglich bestehenden Hindernisses unterschiedlicher Verfahrensarten nicht mehr in Betracht. Eine Abweisung der Begehren ist eine meritorische Entscheidung, die eine inhaltliche Prüfung der Berechtigung der Ansprüche voraussetzt, die hier nicht erfolgt ist.

[15] 3. Das Erstgericht hat daher im fortzusetzenden Verfahren zum Vorbringen der Streitteile im Bezug auf die weiteren Begehren der Klägerin nach Durchführung eines Beweisverfahrens entsprechende Feststellungen zu treffen und auch darüber inhaltlich zu entscheiden. Über das Räumungsbegehren hat das Berufungsgericht mit seiner insoweit unbekämpften Entscheidung bereits rechtskräftig abgesprochen.

[16] 4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.