JudikaturJustiz3Ob210/97x

3Ob210/97x – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Juni 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Lothar Schottenhamml, Rechtanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M-*****gesellschaft mbH, ***** wegen Einwendungen gegen den Anspruch, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 1994, GZ 46 R 1334/94-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Versäumungsurteil des Exekutionsgerichtes Wien vom 2.Mai 1994, GZ 17 C 5/94m-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Versäumungsurteil des Erstgerichtes insgesamt lautet:

"Der Anspruch der beklagten Partei wider die klagende Partei aufgrund des vor dem Handelsgericht Wien zu 30 Cg 459/89 am 14.12.1990 geschlossenen Vergleiches auf Zahlung von S 63.750,--, zu dessen Hereinbringung der beklagten Partei mit Beschluß des Exekutionsgerichtes Wien vom 14.10.1991, 15 E 9592/91 (nunmehr 12 E 112/92 des Bezirksgerichtes Donaustadt) die Fahrnisexekution bewilligt wurde, ist erloschen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.847,52 bestimmten Prozeßkosten (darin enthalten S 377,92 USt und S 580,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.729,28 (darin enthalten S 600,-- Barauslagen und S 406,08 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 14.Dezember 1990 vor dem Handelsgericht Wien zu 30 Cg 459/89 einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich die nunmehr klagende Partei verpflichtete, der beklagten Partei S 63.750,-- Zug um Zug gegen Lieferung eines Magic II Entwicklungssystems Version 410 mit deutschem Referenzhandbuch, deutschen Enduser Reportgeneralhandbuch, englischem Tutorial, 10 Run-Time Module Version 4.10 mit deutschem Enduser Reporthandbuch zu bezahlen, dies bei Wahrung der gesetzlichen Gewährleistungsansprüche und unter Beachtung der Lizenzbestimmungen des Herstellers. Weiters verpflichtete sich die nunmehr beklagte Partei, einen Mitarbeiter in der Dauer von drei Tagen während eines Einführungskurses Magic II im Jänner 1991 einzuschulen.

Aufgrund dieses Vergleiches bewilligte das Exekutionsgericht Wien am 14. Oktober 1992 der nunmehr beklagten Partei zur Hereinbringung ihrer vollstreckbaren Forderung von S 63.750,-- wider die klagende Partei die Fahrnisexekution.

Mit Beschluß vom 6.8.1993, GZ 46 R 742/93, schränkte das Landesgericht für ZRS Wien über Rekurs der klagenden Partei die Exekutionsbewilligung insofern ein, als es diese Exekution nur Zug um Zug gegen Lieferung der im Titel genannten Gegenstände bewilligte.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin auszusprechen, daß der Anspruch der Beklagten aus dem Vergleich des Handelsgerichtes Wien vom 14.12.1990, 30 Cg 459/89, zu dessen Hereinbringung das Exekutionsgericht Wien die Exekution bewilligt habe, erloschen sei bzw die Exekutionsbewilligung aufzuheben.

Zur Begründung führte die Klägerin aus, daß eine von der Beklagten am 2.4.1991 angeblich veranlaßte postalische Zustellung der im Vergleich genannten Gegenstände gegen Nachnahme nicht die Kriterien einer Zug-um-Zug-Lieferung erfülle, insbesondere sei es dem Empfänger unmöglich, vor Bezahlung die Ware zu prüfen. Da auf dem Elektronikmarkt Geräte und Systeme relativ rasch veralterten, sei die Beklagte mit Schreiben vom 19.2.1991 aufgefordert worden, bis 5.3.1991 einen Übergabstermin bezüglich der im Vergleich genannten Gegenstände zu vereinbaren. Tatsächlich habe die Beklagte mit Schreiben vom 8.3.1991 Lieferung und somit Perfektionierung des Vergleichs im Verlauf der 11.Lohnwoche (11. bis 17.3.1991) vorgeschlagen. Die Lieferung sei aber nicht erfolgt, sodaß die Beklagte mit Schreiben vom 26.3.1991 unter Nachfristsetzung bis 4.4.1991 den Rücktritt vom Vertrag erklärt habe. Bis 4.4.1991 sei keine vergleichskonforme Erfüllung des Zug-um-Zug-Begehrens erfolgt.

Bei der vom Erstgericht anberaumten ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung war die Beklagte säumig. Die Klägerin beantragte daher die Fällung eines Versäumungsurteils.

Mit seinem Versäumungsurteil vom 2.5.1994 (ON 8) gab das Erstgericht der Klage insofern teilweise statt, als es den Anspruch der Beklagten als bis zur Erfüllung oder Sicherstellung der Gegenleistung gehemmt erklärte. Das Mehrbegehren wies es dagegen ab. Zwar entspreche die Übersendung der zu erbringenden Gegenleistung per Nachnahme nicht dem Zug-um-Zug-Prinzip, der Anspruch der Beklagten könne jedoch nicht für erloschen erklärt werden, weil die Zug-um-Zug-Leistung nur die Durchsetzbarkeit des Anspruchs hemme, den Leistungsanspruch selbst aber bestehen lasse. Das Mehrbegehren, die gesamt bewilligte Exekution zu hemmen, sei abzuweisen gewesen, weil hinsichtlich der Kosten keine Zug-um-Zug-Leistung bestehe.

Der gegen den abweisenden Teil dieses Urteils erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nach der E EvBl 1966/131 sei ein Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich nicht in Betracht zu ziehen, es wäre denn ein Rücktrittsrecht ausdrücklich oder konkludent vorbehalten worden. Der vorliegende Vergleich lasse aber nur die Auslegung zu, daß die Parteien auf ein Rücktrittsrecht verzichten hätten wollen, sodaß nach dessen Formulierung für die Annahme eines konkludent vereinbarten Rücktrittsrechtes kein Raum bleibe. Daher habe das Erstgericht zu Recht nur die Hemmung des Anspruches ausgesprochen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie begehrt, das angefochtene Urteil aufzuheben bzw dahingehend abzuändern, daß der Klage vollinhaltlich stattgegeben werde.

Die Beklagte, der die Beantwortung der Revision freigestellt worden war, beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Zulässigkeit ergibt sich daraus, daß die über den Einzelfall hinaus bedeutende Frage, ob ein Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich bei Schuldnerverzug generell nur dann zusteht, wenn dieses Recht vorbehalten wurde, vom Höchstgericht in den letzten Jahrzehnten nicht zu entscheiden war und von ihm in der Vergangenheit divergierende Ansichten vertreten wurden.

Vorauszuschicken ist, daß der Oberste Gerichtshof ausdrücklich an seiner einheitlichen Rechtsprechung festhält, daß auf Vergleiche nach § 1380 ABGB die Bestimmungen der §§ 917 ff ABGB anwendbar sind, somit auch das Recht auf Rücktritt nach § 918 ABGB bei Vorliegen von dessen Voraussetzungen zusteht (SZ 7/215; 1 Ob 174/52 (betreffend einen gerichtlichen Vergleich); 2 Ob 420/54; RZ 1964, 118 = HS 4293; 7 Ob 741/77; 7 Ob 587/87). Dies ist auch nahezu einhellige Meinung der Lehre in Österreich (Wolff in Klang2 VI 276; Ertl in Rummel ABGB2 Rz 1, 5 zu § 1380; Schwimann/Harrer/Heidinger ABGB2 VII § 1380 Rz 25 und Schwimann/Binder ABGB2 V § 918 Rz 45; Holzhammer, Prozeßvergleich, in: Schima-FS 224; derselbe ZPR2 229; derselbe in Buchegger/Deixler/Holzhammer, Praktisches ZPR3 179; Fasching ZPR2 Rz 1360; aM zuletzt Schumacher, Der Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich, JBl 1996, 627 ff [631: soweit es die Vergleichsabrede an sich betrifft]) und wohl hM in Deutschland (MünchKomm2/Pecher Rz 25 zu § 779 BGB (mit gewissen Einschränkungen); Sorgel/Lorentz BGB11 § 779 Rz 2 Staudinger/Brändl BGB10/11 Rz 9 zu § 779; mit Einschränkung auf Vergleiche, die gegenseitige synallagmatisch verknüpfte Leistungspflichten enthalten, Staudinger/Marburger BGB12 § 779 Rz 46; gegenteilig Bork, Der Vergleich 417 und [für den Regelfall] Henckel, Fortsetzung des Zivilprozesses nach dem Rücktritt vom Prozeßvergleich? in: Wahl-FS 465 ff [468]). Dasselbe gilt für die deutsche Rechtsprechung (Nachweise bei Schumacher aaO FN 11), die deshalb in die Betrachtung miteinbezogen werden kann, weil § 779 BGB eine § 1380 ABGB vergleichbare Regelung enthält. Vereinbaren allerdings die Parteien im Rahmen ihres Vergleiches neuerlich im Entgeltverhältnis stehende Verpflichtungen, was im vorliegenden Fall geschehen ist, dann tritt auch Schumacher (aaO) für die Zulässigkeit eines Rücktrittes nach § 918 ABGB ein, allerdings nur mit Wirkung auf das durch den Vergleich geänderte Rechtsverhältnis. Damit ist offenbar, wie sich aus dem in FN 43 geschilderten Beispiel ergibt, gemeint, daß die Bereinigungswirkung des Vergleichs im Hinblick auf das ursprüngliche Schuldverhältnis aufrecht bleibt, jedoch die gegenseitigen Verpflichtungen, die erst vergleichsweise begründet wurden, erlöschen (ebenso Staudinger/Marburger BGB12 § 779 Rz 46).

Was nun den gerichtlichen Vergleich angeht, hat der Oberste Gerichtshof in seiner E 1 Ob 174/52 den Rücktritt vom abgeschlossenen Vergleich wegen Nichterfüllung desselben für zulässig erachtet (zum Sachverhalt siehe Schumacher aaO FN 37). Dagegen gelangte er in der E EvBl 1966/131 = HS 5314 = HS 5435 zur Auffassung, daß ein gerichtlicher Vergleich eine prozeßbeendende Prozeßhandlung sei, aber auch einen materiellrechtlichen Vertrag der Parteien darstelle, der nicht zugleich ein Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB sein müsse. Als Vertrag sei er nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte auszulegen. Daraus, daß sich die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich zum Zweck der Beendigung eines Rechtsstreites zu Leistungen verpflichten, die im Exekutionsweg erzwingbar sind, müsse nun der Schluß gezogen werden, daß sie einen Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich nicht in Betracht zögen. Anders wäre es nur, wenn ein solches Rücktrittsrecht unter bestimmten Voraussetzungen, sei es ausdrücklich oder konkludent, vorbehalten worden sei. Die gegenteilige Auffassung müßte zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß jeder gerichtliche Vergleich bei Säumnis eines Teiles - auch wenn sie nur wenige Tage betrage - vom Gegner widerrufen werden könne. Damit würde den Parteien ein Recht eingeräumt werden, das ihnen im Fall einer urteilsmäßigen Verpflichtung auch nicht zustünde. Der E 1 Ob 174/52 sei ein anderer Sachverhalt zugrundegelegen, weil dort mit der Vereinbarung des Eigentumsvorbehalts konkludent auch ein Rücktrittsrecht im Fall der Nichtzahlung vereinbart worden sei. An dieser Rechtsprechung hielt der Oberste Gerichtshof in den folgenden E HS 7295 = HS 7404, 8 Ob 140/71 und 4 Ob 522/76 fest. Ertl (in Rummel ABGB2 § 1380 Rz 8) bezeichnete die E EvBl 1966/131 als unklar in der Begründung und wohl schon überholt.

Bei erneuter Überprüfung der Rechtsfrage vermag der erkennende Senat die Rechtsprechung, wonach der Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich einen ausdrücklichen oder konkludenten Vorbehalt voraussetze, nicht aufrecht zu erhalten.

Unzutreffend ist zunächst schon die in EvBl 1966/131 aufgestellte These, bei einem weitergehenden (gesetzlichen) Rücktrittsrecht würde den Parteien ein Recht eingeräumt, das ihnen im Fall einer urteilsmäßigen Verpflichtung auch nicht zustehe.

Wird ein entgeltlicher Vertrag von einem Teil nicht gehörig erfüllt, kann der andere entweder Erfüllung und Verspätungsschaden begehren oder unter Festsetzung einer angemessenen Frist vom Vertrag zurücktreten (§ 918 Abs 1 ABGB). Dieses Wahlrecht des Gläubigers ist mit dem Begehren der Erfüllung (unter Androhung der Klage) noch nicht konsumiert (SZ 4/89; HS 3143). Der vertragstreue Teil kann auch noch während des Prozesses, in dem er auf Erfüllung klagt, zurücktreten, wenn feststeht, daß dem Beklagten die Erfüllung unmöglich ist oder daß dieser nicht erfüllen will oder daß eine Exekutionsführung zeitraubend wäre (SZ 37/17 = EvBl 1964/293 = JBl 1964, 367 = RZ 1964, 99 = HS 4287). Nach Ansicht des erkennenden Senates ist aber auch der Lehre von Reischauer (in Rummel ABGB2 Rz 4 zu § 918) beizupflichten, daß ein Rücktritt grundsätzlich auch noch während der Exekution, demnach also nach Erlangung eines zur Erfüllung verpflichtenden Exekutionstitels (Urteils) offensteht. Wie sich aus der reichen Rechtsprechung zu § 35 EO ableiten läßt, kann ungeachtet eines (rechtskräftigen) Urteils der Verpflichtete mit Klage geltend machen, der (materielle) Anspruch des betreibenden Gläubigers sei wegen (dem maßgeblichen Zeitpunkt nachfolgender) Erfüllung des Anspruches durch Zahlung, Aufrechnung udgl erloschen. Oppositionsklagegründe bilden insbesondere auch ein Vergleich, der den ursprünglichen Vertrag aufhebt (RZ 1932, 191) und die nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung (Angst/Jakusch/Pimmer, EO13 § 35 E 139). Dasselbe muß aber auch für den nachträglichen Rücktritt vom Vertrag im Exekutionsstadium gelten.

Die in der früheren Lehre vertretene Ansicht, durch Klage auf Erfüllung wäre das Rücktrittsrecht nach § 918 ABGB konsumiert (Heller/Berger/Stix 2621 ff; Pisko in Klang1 II/2 464 ff) wurde schon im Jahre 1964 vom Obersten Gerichtshof (zusammen mit der entsprechenden Vorjudikatur) zutreffend abgelehnt (SZ 37/17 = EvBl 1964/293 = JBl 1964, 367 [Bydlinski] = RZ 1964, 99 = HS 4287). Primär wird nämlich Erfüllung des Vertrages geschuldet und § 918 ABGB begründet demnach bei Schuldnerverzug keineswegs ein bloßes Wahlrecht des Gläubigers im Sinne des § 906 ABGB (zust Bydlinski in Anm zu JBl 1964, 367; ebenso Mayrhofer, Schuldrecht AT3 381; vorsichtig zust jetzt auch Faistenberger/Barta/Eccher, Schuldrecht AT2 123, die wie Gschnitzer in Klang2 IV/1 460 die Auffassung vertreten, das Rücktrittsrecht, auf das durch Einbringung der Leistungsklage verzichtet worden sei, lebe jedenfalls nach fruchtlosem Verstreichen der Leistungsfrist im Urteil wieder auf). Über SZ 37/17 hinaus ist jedoch festzuhalten, daß nicht nur die Einbringung der Leistungsklage, sondern auch ein stattgebendes Urteil und die Einleitung eines Exekutionsverfahrens das Rücktrittsrecht grundsätzlich bestehen lassen, solange nicht voll erfüllt ist, sodaß im Einklang mit den Verfahrensgesetzen sowohl im Prozeß über die Erfüllungsklage als auch im Exekutionsverfahren der Rücktritt erklärt werden kann (vgl § 235 Abs 4 ZPO und § 368 EO). Der entsprechenden Auffassung von Mayrhofer (aaO), Reischauer (in Rummel2 § 918 Rz 4; Schwimann/Binder ABGB2 V § 918 Rz 77 und Bydlinski in Anm zu JBl 1964, 367; ebenso HS 7292) ist daher für das Rücktrittsrecht im Prozeß ebenso zu folgen wie der Lehre von Reischauer und Binder (aaO), die ausdrücklich auch das Rücktrittsrecht während des Exekutionsverfahrens vertreten. Gegen diese Ansicht können auch keine aus den Urteilswirkungen abgeleiteten Argumente eingewendet werden. Weder die Streitbeendigung, die Bindung, die Rechtskraft, die Vollstreckbarkeit noch die Tatbestandswirkung (Fasching2 Rz 1492; ähnlich Rechberger/Simotta ZPR4 Rz 691 ff) sprechen gegen die Rücktrittsmöglichkeit auch noch im Exekutionsverfahren.

Demnach kann entgegen EvBl 1966/131 nicht gesagt werden, im Falle der Zulassung eines Rücktritts vom gerichtlichen Vergleich würde den Parteien ein Recht eingeräumt, das ihnen im Fall einer urteilsmäßigen Verpflichtung nicht zustünde. Entgegen der in dieser Entscheidung vertretenen Auffassung handelt es sich bei der Frage des Rücktritts auch nicht um eine Widerrufsmöglichkeit, weil sich der Rücktritt nach § 918 ABGB anders als ein Widerruf beim gerichtlichen Vergleich nur auf die materiellrechtliche Seite des Prozeßvergleichs bezieht. Nach nunmehr praktisch einhelliger Lehre und Rechtsprechung hat der gerichtliche Vergleich zugleich den Charakter eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäftes und einer Prozeßhandlung, sodaß zwischen den Fragen, ob ein Vergleich den Prozeß beendet, und welche materiellen Wirkungen er hat, streng zu unterscheiden ist (EvBl 1992/76 = RdW 1992, 106 mit zahlreichen Nachweisen).

Während nun die herrschende Lehre bei doppelfunktionellen

Prozeßhandlungen einen Doppeltatbestand annimmt, sodaß sich zwar die

materiellrechtliche Wirksamkeit nach den Regeln des bürgerlichen

Rechts richtet, durch eine erfolgreiche Anfechtung eines Vergleiches

aber nicht die Beendigung des Prozesses und der Bestand des

Exekutionstitels beseitigt wird (Nachweise bei Rechberger/Simotta

ZPR4 Rz 472 FN 38), wird von einer Mindermeinung (Nachweise aaO Rz

470 Anm 34) eine Doppelnatur vertreten, bei der durch die

privatrechtliche Anfechtung des gerichtlichen Vergleichs die gesamten

Vergleichswirkungen beseitigt werden, sodaß der alte Prozeß

ungehindert fortgesetzt werden kann. Fasching vertritt dagegen eine

modifizierte Lehre von der Doppelnatur (aaO Rz 1339). Untersucht man

die vorliegenden höchstgerichtlichen Entscheidungen, so zeigt sich,

daß diese in der Regel einen Doppeltatbestand annehmen (so

ausdrücklich SZ 56/98 = EvBl 1983/165 = JBl 1984, 500), auch wenn

mitunter von Doppelnatur die Rede ist (JBl 1979, 266; SZ 54/14 = EvBl

1981/100). So wurde auch in EvBl 1992/76 = RdW 1992, 106 zunächst

zwar im Anschluß an Fasching ausgesprochen, daß ein gerichtlicher Vergleich mangels materiellrechtlicher Gültigkeitsvoraussetzung als solcher ebenso unwirksam sei wie eine allfällig darin liegende materiell-rechtliche Parteienübereinkunft. In der Folge wird aber ausgeführt, daß die Rechtsordnung der erfolgreich anfechtenden Partei auch die Möglichkeit geben müsse, weitere Exekutionen (aus dem prozessual wirksam bleibenden Vergleich) zu verhindern, sodaß sich die prozessualen Wirkungen des erfolgreich angefochtenen Vergleichs letztlich auf seine prozeßbeendende Wirkung reduzieren. Genau dies ist aber wie dargelegt der Standpunkt der Lehre vom Doppeltatbestand. Im gleichen Sinn vertrat schon Holzhammer 1969 (in Schiema-FS 217 ff [223 f]) die Auffassung, daß bei einem prozessual wirksamen Vergleich das Verfahren ein für alle Mal beendet bleibe, auch wenn etwa das materielle Rechtsgeschäft wegen Irrtums über die Vergleichsbasis oder wegen bewußter Irreführung angefochten, wegen Sachmangels gewandelt, wegen laesio enormis aufgehoben werde oder ein Rücktritt wegen Nichterfüllung erfolge (ebenso derselbe in ZPR2 229).

Daß sich der Rücktritt vom gerichtlichen Vergleich für den vergleichstreuen Partner manchmal als dringend notwendig erweisen kann, räumt auch Schumacher (aaO 632) ein. Diese Notwendigkeit liegt gerade im vorliegenden Fall auf der Hand, in dem die Klägerin die (wegen Säumnis der Beklagten für wahr zu haltende) Behauptung aufgestellt hat, ihr Interesse an der zu liefernden Computer-Software sei erloschen, weil diese durch Zeitablauf völlig überholt sei. Obwohl Schumacher einen Rücktritt vom Vergleich überhaupt ablehnt, sieht er, wie dargelegt, den Rücktritt dann für unproblematisch an, wenn es um den Verzug mit im Vergleich (neu) begründeten Verpflichtungen geht. In diesem Fall sei der Rücktritt von diesen Pflichten ohne weiteres möglich (aaO 631, insbesondere FN 43).

Gerade bei Eingehen synallagmatisch verknüpfter Verpflichtungen im Vergleich kann auch nicht gesagt werden, ohne - hier nicht gegebene - weitere Anhaltspunkte müsse dieser dahin ausgelegt werden, die Parteien hätten das gesetzliche Rücktrittsrecht bei Verzug ausschließen wollen. Demnach ist der Klägerin darin beizupflichten, daß jedenfalls auf der Ebene der mit dem Vergleich vereinbarten gegenseitigen Verpflichtungen der Rücktritt auch vom gerichtlichen Vergleich möglich ist und mit Oppositionsklage geltend gemacht werden kann.

Demnach bedarf es keiner näheren Auseinandersetzung mit der in der dL inzwischen wohl überwiegend abgelehnten (MünchKomm/Pecker BGB2 § 779 Rz 22 mwN; Soergel/Lorentz BGB11 § 779 Rz 2) und mit dem Wortlaut bes. des § 1380 ABGB nur schwer vereinbaren Auffassung von Schumacher (im Anschluß an Henckel), der Vergleich begründe (bloß) die Verpflichtung, das betroffene Rechtsverhältnis entsprechend der Vergleichsabrede zu ändern, welche in der Regel (bes. beim gerichtlichen Vergleich) sofort durch Vergleichsabschluß vollzogen werde (JBl 1996, 630 f, 632 f).

Nicht erforderlich ist in diesem Rechtsstreit die Beantwortung der Frage, ob bei berechtigtem Rücktritt vom Vergleich die Rechtslage quo ante wiederhergestellt wird (so RZ 1964, 118 = HS 4293) oder ob dies unter Umständen nicht der Fall sein muß (so einschränkend für einen Vergleich bei Bestehen von Wandlungsansprüchen 1 Ob 741/77).

Nach den Klagsbehauptungen liegen die Voraussetzungen für einen Rücktritt der Klägerin wegen schuldhaften Verzugs der Beklagten nach § 918 ABGB vor, sodaß materiellrechtlich keine Verpflichtung mehr zur Zahlung der Kaufpreisforderung besteht. Dieser Wegfall bildet einen Oppositionsklagegrund, der zum Erlöschen des Anspruches führt. Da sich aus dem Vergleichstext in keiner Weise ergibt, die Parteien hätten eine Rücktrittsmöglichkeit ausschließen wollen, brauchte die Klägerin auch keine Ausführungen zur schlüssigen Vereinbarung einer Rücktrittsmöglichkeit machen.

Aus diesen Erwägungen war daher der Klage zur Gänze stattzugeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen waren in diesem Sinn abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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