JudikaturJustiz3Ob186/11s

3Ob186/11s – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Oktober 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers D*****, ohne bekanntgegebenen Aufenthalt, vertreten durch Dr. Ingrid Köhler, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner Dkfm. E*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß ua Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Feststellung der Abstammung, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 5. Juli 2011, GZ 48 R 166/11h 6, womit infolge Rekurses des Antragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 17. Mai 2011, GZ 1 FAM 49/11f 3, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs des Antragsgegners wird dahin Folge gegeben, dass die den Antrag zurückweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung:

Der Antragsteller begehrt nach Verbesserung die Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners sowie die Feststellung, dass der Ehemann seiner Mutter nicht sein leiblicher Vater sei. Er bringt im Wesentlichen vor, er sei tschechischer Staatsbürger und am 30. September 1990 in aufrechter Ehe des Ing. Architekt B***** mit Ing. Architekt S***** geboren worden. Der Antragsgegner habe seiner Mutter innerhalb von nicht mehr als 300 und nicht weniger als 180 Tagen vor seiner Geburt beigewohnt. Eine Reihe von Indizien, insbesondere die äußerliche Ähnlichkeit, sprächen für die Vaterschaft des Antragsgegners (und nicht derjenigen des Ehemannes seiner Mutter).

Im ursprünglichen Antrag wurde nur der Antragsgegner als solcher bezeichnet; im Verbesserungsschriftsatz des Antragstellers (ON 2) auch die Mutter und deren Ehemann. Die beiden letztgenannten Personen wurden bisher nicht in das Verfahren einbezogen; der Antragsgegner mit Zustellung der rekursgerichtlichen Entscheidung.

Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Nach dem im Hinblick auf die Staatsbürgerschaft des Antragstellers anzuwendenden tschechischen Recht könne der Ehemann der Mutter innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Kenntnis der Geburt vor Gericht seine Vaterschaft bestreiten. Innerhalb derselben Frist könne auch die Mutter bestreiten, dass ihr Ehemann der Vater sei. Nach Ablauf dieser Frist könne nur mehr der Generalstaatsanwalt, falls dies das Interesse des Kindes erfordere, den Antrag auf Bestreitung der Vaterschaft stellen. Das Kind sei demnach nach dem anzuwendenden Sachrecht nicht berechtigt, die Vaterschaft zu bestreiten.

Über Rekurs des Antragstellers änderte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es diesen aufhob und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund auftrug. Es bejahte die inländische Gerichtsbarkeit und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass tschechisches Abstammungsrecht anzuwenden sei. Dieses wahre die Interessen des Kindes an der Feststellung seiner Vaterschaft nicht ausreichend und verstoße daher gegen das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art 8 EMRK. Der Verstoß führe auch zu einer ordre public Widrigkeit der entsprechenden tschechischen Regelung, weshalb an ihrer Statt das einschlägige österreichische Sachrecht anzuwenden sei (wonach dem Kind ein Recht auf Feststellung seiner biologischen Abstammung zukomme).

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob im Abstammungsverfahren tschechisches Recht anzuwenden sei und ob dieses gegen den inländischen ordre public verstoße.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung der Rekursentscheidung als nichtig, in eventu auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbeschlusses.

Der Antragsteller hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Zusammenhang mit der Klärung der Grenzen des ordre public-Vorbehalts zulässig; er ist auch im Sinne einer Wiederherstellung des Beschlusses erster Instanz berechtigt.

In seinem Revisionsrekurs macht der Antragsgegner im Wesentlichen folgende Punkte geltend:

(a) Es sei ihm im Rekursverfahren die Möglichkeit, „vor Gericht zu verhandeln“, entzogen worden, weshalb das vor dem Rekursgericht geführte Verfahren ebenso wie die Entscheidung des Rekursgerichts „als nichtig aufzuheben“ seien. Die versäumte Rechtshandlung werde aber nun durch Erstattung einer Rekursbeantwortung nachgeholt, die gleichzeitig den Inhalt eines Revisionsrekurses bilde.

(b) Der Umstand, dass der Antragsteller seine Wohnadresse bzw seinen tatsächlichen Aufenthalt verschweige, hätte zu einer Antragszurückweisung bzw zu einer Verbesserung führen müssen.

(c) Der Antrag richte sich nicht nur auf Feststellung der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers, sondern auch auf „Aberkennung“ der Vaterschaft des Ehemannes der Mutter; dafür könne keinesfalls die Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts gegeben sein. Da aber die Frage der Vaterschaft entweder des Ehemannes der Mutter oder des Antragsgegners untrennbar miteinander verbunden sei, wirke sich die Unzuständigkeit des österreichischen Gerichts (hinsichtlich des Ehemannes der Mutter) auch dahingehend aus, dass ein Verfahren auch nicht gegen den Antragsgegner in Österreich geführt werden könne, sondern nur in der Tschechischen Republik.

(d) Das Rekursgericht habe die von der höchstgerichtlichen Judikatur geforderte Voraussetzung eines „ausreichenden Inlandsbezugs für Nichtanwendung einer fremden Bestimmung wegen Verstoß gegen den ordre public“ mit Stillschweigen übergangen. Allein aus dem Umstand des Aufenthalts des behaupteten Vaters in Österreich sowie dessen Staatsbürgerschaft ergebe sich kein ausreichender Inlandsbezug, zumal alle anderen Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Tschechischen Republik haben und auch Staatsbürger dieses Staates sind. Auch für eine Zeugung im Inland gebe es keinen Anhaltspunkt.

(e) Eine ordre public Widrigkeit der entsprechenden Regelung des tschechischen Rechts liege nicht vor; vielmehr sei die rechtspolitische Entscheidung des tschechischen Gesetzgebers zu billigen, dass er dem Kind kein unbeschränktes Antragsrecht auf Feststellung der biologischen Abstammung zubillige.

Auch der österreichische Verfassungsgerichtshof habe mit dem in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2003, G 78/00, enthaltenen Ausspruch, dass die Aufhebung der §§ 156 159 ABGB erst am 30. Juni 2004 in Kraft trete, zum Ausdruck gebracht, dass kein so gravierender Verstoß gegen Art 8 EMRK vorliege, dass infolge Unerträglichkeit der Situation eine sofortige Aufhebung geboten gewesen wäre.

(f) Es fehle an „vitalen Interessen“ des Antragstellers, warum die Vaterschaftsfeststellung erfolgen müsse.

(g) Es bestehe kein Anlass, das Abstammungsverfahren in Österreich durchzuführen; der Antragsteller könne ohne weiteres ein Verfahren in seinem Heimatstaat einleiten, der EU-Mitgliedstaat und EMRK Vertragsstaat sei. Wäre die tschechische Rechtslage EMRK widrig, müsste darauf auch in der Tschechischen Republik Bedacht genommen werden. Der Antragsteller habe es unterlassen zu dokumentieren, dass er in der Tschechischen Republik nicht zu seinem Recht kommen könne.

Dazu wurde erwogen:

1. Zur Frage des rechtlichen Gehörs:

Nach § 8 Abs 2 AußStrG sind verfahrenseinleitende Anträge nur dann, wenn sie nicht sogleich ab oder zurückzuweisen sind, den aktenkundigen Parteien zuzustellen. Sind der der Entscheidung zugrunde liegende Antrag und die Entscheidung selbst dem Gegner noch nicht zugestellt worden, ist das Rekursverfahren einseitig (vgl Fucik/Kloiber , AußStrG [2005] § 48 Rz 4).

Der Antragsgegner hat in seinem Revisionsrekurs nicht dargelegt, zu welchen konkreten Ausführungen im Rekurs des Antragstellers er im Rekursverfahren gehört werden hätte müssen. Dazu wäre er aber allein schon deshalb verpflichtet gewesen, weil der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs im Außerstreitverfahren dadurch gekennzeichnet ist, dass er nicht mehr absolut wie die Nichtigkeitsgründe der Zivilprozessordnung wirkt (6 Ob 182/06t; RIS Justiz RS0120213). Im Gegenteil kann gerade auch aus dem Umstand, dass der Antragsgegner die „versäumte Rechtshandlung“ der Rekursbeantwortung im Rahmen des Revisionsrekurses „nachholt“, abgeleitet werden, dass ihm eben nun im Revisionsrekursverfahren wirksam nachträgliches Gehör eingeräumt werden kann. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende, weil für den Verfahrensausgang wesentliche Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragsgegners im Rekursverfahren ist somit nicht zu erkennen.

2. Zur inländischen Gerichtsbarkeit (im Sinne der internationalen Zuständigkeit):

Die Feststellung und die Anfechtung des Eltern-Kind-Verhältnisses fallen weder in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO noch sind das Haager Minderjährigenschutz-Abkommen (MSA) oder das Haager Kinderschutz-Übereinkommen (KSÜ) auf sie anzuwenden ( Mayr in Rechberger , ZPO 3 § 108 JN Rz 4). Die internationale Zuständigkeit für Abstammungsverfahren ergibt sich daher (allein) aus § 108 Abs 3 JN (idF AußStr BegleitG). Sie ist ua gegeben, wenn das Kind, der Mann, um dessen Vaterschaft es geht, oder die Mutter des Kindes österreichischer Staatsbürger ist. Insgesamt betrachtet hat der österreichische Gesetzgeber mit dem AußStr BegleitG die internationale Zuständigkeit für Abstammungsverfahren recht weit gezogen (RV 225 BlgNR 22. GP 10).

Angesichts der unstrittigen österreichischen Staatsangehörigkeit des Antragsgegners ist die inländische Gerichtsbarkeit (im Sinne der internationalen Zuständigkeit) zu bejahen. Ein darüber hinausgehender Inlandsbezug ist nicht erforderlich (anstatt vieler Mayr in Rechberger , ZPO 3 § 27a JN Rz 3 mit Hinweis auf die „potenzielle Universalität“ der österreichischen Gerichtsbarkeit). Daher kommt auch eine Ablehnung der inländischen Gerichtsbarkeit auf der Grundlage von Interessenabwägungen (etwa in Richtung der im angloamerikanischen Bereich vertretenen Doktrin von forum non conveniens) nicht in Betracht.

3. Zum anzuwendenden Recht:

Für die Abstammung des ehelichen Kindes (und auch für deren Bestreitung: Neumayr in KBB 3 § 21 IPRG Rz 2) beruft § 21 Satz 1 IPRG das Personalstatut der Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes, hier tschechisches Sachrecht. Das tschechische Recht nimmt die Verweisung an, denn sowohl die Feststellung und Bestreitung der Vaterschaft (§ 23 Abs 1 czIPRG) als auch die Beziehungen zwischen den Eltern und dem Kind (§ 24 Abs 1 czIPRG) werden grundsätzlich nach dem Heimatrecht des Kindes beurteilt ( Bergmann/Ferid , Tschechische Republik [184. Lfg] 32 [III.A.3.]).

4. Rechtslage in der Tschechischen Republik:

Nach § 51 Abs 1 czFamG gilt der Ehemann der Mutter als Vater, wenn das Kind in der Zeit von der Eheschließung bis zum Ablauf des 300. Tages nach der Beendigung der Ehe oder nach ihrer Ungültigerklärung geboren wurde. Der Ehemann kann innerhalb von sechs Monaten ab dem Tag, an dem er erfahren hat, dass seine Frau ein Kind geboren hat, vor Gericht seine Vaterschaft bestreiten (§ 57 Abs 1 czFamG). Auch die Mutter kann nach § 59 Abs 2 czFamG innerhalb von sechs Monaten seit der Geburt des Kindes bestreiten, dass ihr Ehemann der Vater des Kindes ist. Ist die für einen Elternteil festgesetzte Frist zur Bestreitung der Vaterschaft abgelaufen, so kann der Generalstaatsanwalt, falls dies das Interesse des Kindes erfordert, den Antrag auf Bestreitung der Vaterschaft gegenüber dem Vater, der Mutter und dem Kind stellen (§ 62 Abs 1 czFamG).

Ein Bestreitungsrecht des Kindes ist den einschlägigen Bestimmungen des tschechischen bürgerlichen Rechts nicht zu entnehmen (s Bergmann/Ferid , Tschechische Republik [172. Lfg] 42 [III.A.7.]).

5. Zum Vergleich: Die Entwicklung der Rechtslage in Österreich und ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen

5.1. Vor seiner Novellierung durch das FamErbRÄG 2004 (BGBl I 2004/58) enthielt § 138 Abs 1 ABGB (in der Fassung des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBl 1977/403, und des KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135) eine Vaterschaftsvermutung dahin, dass bei einem während aufrechter Ehe geborenen Kind dessen Ehelichkeit vermutet wurde. Diese Vermutung konnte durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden, mit der festgestellt wird, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt. Für die mit Klage gegen das Kind geltend zu machende Bestreitung der Ehelichkeit durch den Ehemann der Mutter sah § 156 ABGB (in der Fassung dRGBl 1943 I 80) eine Jahresfrist ab Kenntnis von für die Unehelichkeit des Kindes sprechenden Umständen vor; nach Ablauf der Frist konnte der Staatsanwalt (im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Kindes) die Ehelichkeit bestreiten. Eine Ehelichkeitsbestreitung durch die Mutter und das Kind war nicht vorgesehen.

5.2. Mit Erkenntnis vom 28. Juni 2003, G 78/00, hat der Verfassungsgerichtshof § 156 ABGB (in der Fassung dRGBl 1943 I 80), § 157 ABGB (idF BGBl 1983/136), § 158 ABGB (idF dRGBl 1943 I 80) und in § 159 Abs 1 ABGB (idF dRGBl 1943 I 80) dessen zweiten Satz „Die Klage ist gegen das Kind zu richten.“ als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 30. Juni 2004 in Kraft tritt.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Aufhebung im Wesentlichen damit begründet, dass es dem Recht auf Achtung des Familienlebens (Art 8 EMRK) widerspreche, dem Kind in jedem Fall einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Feststellung seiner Abstammung zu verwehren. Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 27. Oktober 1994, 29/1993/424/503, Kroon gegen Niederlande, ÖJZ 1995/20) verlange die Achtung des Familienlebens (auch), dass die biologische und die gesellschaftliche Realität Vorrang vor einer Rechtsvermutung hätten. Der Staat müsse zwar nicht zulassen, dass sich ein Mann, der sich für den leiblichen Vater des Kindes hält, sich in die soziale Familie „hineindränge“; wenn jedoch eine Störung des Familienlebens nicht in Betracht komme, müsse dem Kind ein Verfahren bereitgestellt werden, das in rechtsförmlicher und verbindlicher Weise die Feststellung einer biologischen Vaterschaft gegen die bloß rechtlich vermutete ermögliche. Durch das Bestreitungsrecht des Staatsanwalts würden die Interessen des Kindes an der Feststellung seiner Abstammung nicht ausreichend gewahrt.

Die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen wurde vom Verfassungsgerichtshof nicht näher begründet.

5.3. Der österreichische Gesetzgeber hat auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs mit dem FamErbRÄG 2004 (BGBl I 2004/58) reagiert. Mit 1. Juli 2004 wurde ein unbefristetes eigenes Klagerecht (später: Antragsrecht) auch des Kindes eingeführt und die Klagebefugnis des Staatsanwalts auf Ehelichkeitsbestreitung beseitigt. Weiters wurde dem Kind die Möglichkeit eingeräumt, ein Verfahren zur Feststellung der Abstammung auch dann in Gang zu bringen, wenn bereits die Abstammung eines anderen Mannes feststeht (§ 163b ABGB). Diese Regelung soll gewährleisten, dass das Kind in einem geordneten gerichtlichen Verfahren Aufschluss darüber erhält, wer sein Vater ist; gleichzeitig dient ein solches Verfahren auch dem Rechtsschutz des zu Unrecht als Vater Feststehenden (RV 471 BlgNR 22. GP 9).

6. Schlussfolgerungen für die Frage einer ordre public Widrigkeit eines Fehlens einer Regelung über ein Klage /Antragsrecht des Kindes im tschechischen Recht

6.1. Nach Ansicht des Rekursgerichts widerspreche die (der bis vor wenigen Jahren geltenden österreichischen Rechtslage ähnliche) tschechische Rechtslage, wonach lediglich dem Generalstaatsanwalt und nicht dem Kind ein Bestreitungsrecht der ehelichen Vaterschaft eingeräumt wird, insoweit dem österreichischen ordre public, weshalb anstelle des tschechischen Sachrechts einschlägiges österreichisches Sachrecht anzuwenden sei. Das Rekursgericht zitiert dazu vergleichsweise eine entsprechende Entscheidung des Landesgerichts Linz vom 9. Februar 2011, AZ 15 R 457/10x. Aus der Veröffentlichung dieser Entscheidung in EF Z 2011/59, 99 gehen allerdings weder die Staatsbürgerschaft noch der gewöhnliche Aufenthalt des betroffenen Kindes hervor.

6.2. Wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel (ordre public) des § 6 IPRG ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Rechts inländische Grundwertungen verletzt, wozu auch eine ausreichende Inlandsbeziehung gehört (4 Ob 199/00v = SZ 73/142; RIS Justiz RS0110743; Sonnenberger , Wandlungen und Perspektiven des familienrechtlichen ordre public, in Freitag/Leible/Sippel/Wanitzek [Hrsg], Internationales Familienrecht für das 21. Jahrhundert [2006] 29 [33 f]; Neumayr in KBB 3 § 6 IPRG Rz 1). Der Respekt vor anderen Rechtsordnungen verbietet es, ausländischen Lebenssachverhalten ohne Rücksicht auf ihren Binnenbezug inländische Gerechtigkeitsvorstellungen aufzuoktroyieren ( S. Lorenz in Bamberger/Roth [Hrsg], BeckOK 20 Art 6 EGBGB Rz 16).

Worin diese ausreichende Inlandsbeziehung liegt, kann nur im Einzelfall bestimmt werden. Anhaltspunkte sind etwa gewöhnlicher Aufenthalt, Geburt oder Eheschließung im Inland, oder die österreichische Staatsangehörigkeit. Je stärker die Inlandsbeziehung, desto weniger werden befremdliche Ergebnisse der Anwendung ausländischen Rechts hingenommen, und umgekehrt ( Nademleinsky/Neumayr , Internationales Familienrecht [2007] Rz 01.22). Es besteht also ein nach Ausmaß und Bedeutung des Inlandsbezugs abgestufter Prüfungsmaßstab („Relativität des ordre public“; anstatt vieler Thorn in Palandt 70 [2011] Art 6 EGBGB Rz 6). Als stärkste und in der Regel ausreichende Inlandsbeziehungen kommen insbesondere die österreichische Staatsangehörigkeit (wenn auch teilweise durch das Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV relativiert) und/oder der gewöhnliche Aufenthalt eines Beteiligten im Inland in Betracht. Das bloße Bestehen der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte ist in der Regel außer bei besonders krassen Verstößen nicht ausreichend ( Sonnenberger in MünchKomm BGB 5 [2010] Art 6 EGBGB Rz 82). In der gerichtlichen Praxis wird ein ausreichender Inlandsbezug tendenziell vor allem dann angenommen, wenn die von der Norm betroffene Person hier der Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (vgl die Beispiele bei Verschraegen in Rummel 3 § 6 IPRG Rz 3 f; in diesem Sinn auch BverfG 1 BvL 1/04 ua = NJW 2007, 900 [Rz 73]).

6.3. Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger der Tschechischen Republik, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht offengelegt; aufgrund der aktenkundigen Umstände ist nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich (sondern in der Tschechischen Republik) auszugehen. Mit Ausnahme der Staatsangehörigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragsgegners hat der Fall somit nur Beziehungen zur Tschechischen Republik.

Unter diesen Umständen kann nicht von einem ausreichenden Inlandsbezug, der eine Beurteilung der in Frage stehenden tschechischen Sachrechtsnormen als ordre public-widrig rechtfertigen würde, gesprochen werden. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass bei einer anderen Sicht der internationale Entscheidungseinklang massiv gestört würde (die in der Tschechischen Republik bestehende rechtliche Vaterschaft würde allenfalls mit einer davon abweichenden Vaterschaft in Österreich kollidieren). Diese Dissonanz könnte nur durch einen besonders starken Inlandsbezug ausgeglichen werden. Ein solcher ist aber wie erwähnt nicht gegeben, weshalb die antragszurückweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen ist.

7. Kostenentscheidung

In Verfahren über die Abstammung minderjähriger Kinder sind Kosten nicht zu ersetzen (§ 83 Abs 4 AußStrG).

Rechtssätze
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