JudikaturJustiz2Ob89/95

2Ob89/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine R*****, vertreten durch Dr.Werner Leimer und Dr.Manfred Leimer, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Paula P*****,

2. Fritz P*****, und 3. ***** Versicherungs-AG, ***** sämtliche vertreten durch Dr.Josef Schartmüller, Rechtsanwalt in Pregarten, wegen S 60.222 sA, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 5.Mai 1995, GZ 12 R 36/95-14, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Mauthausen vom 30.12.1994, GZ 1 C 551/94v-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

In der Sache selbst wird das das Klagebegehren abweisende Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 23.307,51 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.781,28 und Barauslagen von S 6.620) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 7.7.1983 stieß die Erstbeklagte als Lenkerin des vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW von hinten gegen das Fahrzeug der Klägerin. Dabei erlitt das Fahrzeug der Klägerin einen Totalschaden, die Klägerin wurde verletzt.

Unmittelbar nach dem Unfall verspürte die Klägerin keine Schmerzen, weshalb sie am Unfallsort noch nicht angab, verletzt worden zu sein. Bei der anschließenden Fahrt zur Arbeit verspürte sie aber bereits Schmerzen im Genick und war danach wochenlang im Krankenstand. Einige Tage nach dem Unfall teilte sie der Erstbeklagten mit, daß sie verletzt wurde.

Am 13.7.1993 erfuhr die drittbeklagte Partei durch das Einlangen der Schadensmeldung des Zweitbeklagten vom Unfall. In der Schadensmeldung sind die Fahrzeugschäden angegeben, die Rubrik über Personenschäden blieb frei; der Schadensreferent der drittbeklagten Partei nahm an, daß nur Sachschaden eingetreten sei.

In der Folge kaufte die Klägerin ein neues Auto, welches sie unter anderem mit dem zu erwartenden Schadenersatzbetrag finanzierte. Im Einverständnis mit der Klägerin forderte der Verkäufer die drittbeklagte Partei auf, den Kfz-Schaden laut Totalschadensabrechnung in der Höhe von S 45.851 direkt an ihn zu überweisen; die drittbeklagte Partei erhielt dieses Schreiben am 16.7.1993.

Am 21.7.1993 schickte sie der Klägerin ein Vergleichsanbot über den Entschädigungsbetrag in der Höhe des Schadens von S 45.851. In der Mitte dieses Formulars steht eher kleingedruckt:

"Nach Erhalt des oben angeführten Betrages bin ich wegen aller wie immer gearteten Ersatzansprüche aus diesem Schadenfall - auch wenn sie noch nicht bekannt, erkennbar oder voraussehbar sind - für jetzt und für die Zukunft gegenüber jedermann vollständig abgefunden".

Der Schadensreferent der drittbeklagten Partei wußte von der Verletzung der Klägerin nichts, er war der Meinung, daß aufgrund dieser Formulierung alle Ansprüche aus dem Unfall abgegolten sind.

Der Verkäufer des von der Klägerin erworbenen Fahrzeuges teilte dieser aufgrund ihrer Anfrage mit, sie solle die Abfindungserklärung unterschreiben, weil er (der Verkäufer) das Geld brauche. Daraufhin schickte die Klägerin am 22.7.1993 die unterfertigte Abfindungserklärung der drittbeklagten Partei zurück. Sie war der Meinung, daß davon nur der Kfz-Schaden, nicht aber ihr Schmerzengeldanspruch umfaßt sei. Sie konsultierte noch am selben Tag den Klagevertreter zur Geltendmachung ihrer Schmerzengeldansprüche.

Mit der vorliegenden Klage begehrt sie von den beklagten Parteien S 60.000 Schmerzengeld und S 222 an Behandlungskosten. Zur Abfindungserklärung brachte sie vor, von der drittbeklagten Partei in Irrtum geführt worden zu sein, zumindest habe ein gemeinsamer Irrtum zwischen ihr und dem Schadensreferenten vorgelegen; außerdem hätten die Erst- und der Zweitbeklagte die Verletzung der Klägerin der drittbeklagten Partei melden müssen; durch die Nichtmeldung trotz Kenntnis sei der Irrtum der Klägerin veranlaßt worden.

Die Beklagten wendeten ein, daß die Klägerin im Wissen um ihre Verletzungen die eindeutige Abfindungserklärung unterschrieben und damit auf alle weiteren Ersatzansprüche verzichtet habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend die - von der Berufung der Klägerin allerdings bekämpfte - Feststellung traf, es sei nicht feststellbar, ob der Erst- und dem Zweitbeklagten die Verletzung der Klägerin bei Absendung der Schadensmeldung schon bekannt war.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Klägerin habe durch ihre Abfindungserklärung auf weitere Ansprüche aus dem Unfall verzichtet. Der Schadensreferent sei bei der Annahme, von der Abfindungserklärung der Klägerin seien sämtliche Unfallsfolgen umfaßt, daher keinem Irrtum unterlegen. Seine weitere Annahme, daß es nur Kfz-Schäden gegeben habe, sei bloß ein unbeachtlicher Motivirrtum. Demgegenüber sei die Annahme der Klägerin, ein Schmerzengeldanspruch sei von ihrer Abfindungserklärung nicht mitumfaßt, nicht von der drittbeklagten Partei veranlaßt worden. Das allfällige Wissen der Erst- und des Zweitbeklagten von der Verletzung der Klägerin stelle allenfalls eine Obliegenheitsverletzung gegenüber der drittbeklagten Partei dar, habe aber keine Wirkungen gegenüber der Klägerin.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.

Das Berufungsgericht vertrat zur Rechtsfrage die Ansicht, der zwischen den Parteien abgeschlossene Abfindungsvergleich umfasse nicht auch die Ersatzansprüche für sämtliche wie immer gearteten Unfallsfolgen. Bei der Auslegung dieser Vereinbarung im Sinne des § 914 ABGB sei eine Erklärung so zu verstehen, wie sie bei objektiver Beurteilung der Sachlage zu verstehen sei, bzw wie sie der Empfänger verstehen mußte; zur Erforschung der Parteienabsicht seien alle Umstände, auch die Entstehungsgeschichte des Vertrages, heranzuziehen. Im vorliegenden Fall sei bei den Verhandlungen zwischen der Klägerin und der drittbeklagten Partei keine Rede von allfälligen Verletzungen der Klägerin die Rede gewesen; die Klägerin habe lediglich die Abrechnung des Kfz-Schadens über den Betrag von S

45.851 der drittbeklagten Partei übermittelt. Berücksichtige man nun, daß die Vergleichssumme genau auf jenen Betrag laute, so hätte die Drittbeklagte nicht darauf vertrauen dürfen, daß die Klägerin mit der Unterfertigung des Vergleichsanbotes auch auf ihre allfälligen übrigen Ansprüche verzichte. Von einer ausdrücklichen Annahme eines Globalabfindungsanbots könne somit nicht ausgegangen werden, sondern seien von der Abfindungserklärung der Klägerin nur die Sachschäden, nicht aber auch allfällige Personenschäden umfaßt.

Zur Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof führte das Berufungsgericht aus, daß die Ansicht des Erstgerichtes nicht minder vertretbar sei wie seine eigene, so daß im Hinblick auf die Häufigkeit derartiger Abfindungsangebote eine Befassung des Obersten Gerichtshofes vertretbar erscheine.

Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Parteien mit dem Antrag, in der Sache selbst zu erkennen und der Berufung der klagenden Partei nicht Folge zu geben.

Die klagende Partei hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.

Der Rekurs der beklagten Parteien ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht habe die Abfindungserklärung unrichtig ausgelegt; es sei ausdrücklich vereinbart worden, daß die Klägerin für alle wie immer gearteten Ersatzansprüche abgefunden werde; es verbleibe kein Raum für eine Interpretation nach der Übung des redlichen Verkehrs. Die primär gebotene Interpretation nach dem Wortsinn führe zu dem eindeutigen Ergebnis, daß der abgeschlossene Vergleich auch Personenschäden umfasse. Auch der Umstand, daß die Vergleichssumme genau auf den Kfz-Schadensbetrag laute, habe keinerlei Bedeutung für die Frage, ob der Vergleich nur für Sach- oder auch für Personenschäden gelte; es sei eben von der klagenden Partei nur ein Schadenersatzanspruch in Höhe der Vergleichssumme geltend gemacht worden und habe die drittbeklagte Partei angeboten, diesen Betrag vollständig zu bezahlen, dies für den Fall, daß die Angelegenheit damit erledigt sei und sich die Klägerin hinsichtlich aller wie immer gearteten Ersatzansprüche für vollständig abgefunden erkläre.

Diesen Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:

Zutreffend hat das Berufungsgericht an sich dargelegt, daß bei der Auslegung von Willenserklärungen nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdruckes zu haften ist; vielmehr ist der Wille der Parteien zu erforschen, worunter die dem Erklärungsgegner erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen ist. Läßt sich auch auf diese Weise kein eindeutiger Sinnn ermitteln, so ist die Willensäußerung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (Koziol/Welser I10, 91 f mwN). Die Auslegung kann allerdings nicht dazu führen, eindeutige Vereinbarungen zu korrigieren (Kletecka, Unerkennbare Ansprüche bei der Schadensregulierung durch Abfindungsvergleich ecolex 1991, 5 [6]; F.Bydlinski, Zur Einordnung der allgemeinen Geschäftsbedingungen im Vertragsrecht, Kastner-FS, 45 [64]); auch die ergänzende Vertragsauslegung darf sich nicht zu dem in Widerspruch setzen, was die Parteien eindeutig vereinbart haben, selbst wenn dies nach der einen oder der anderen Richtung hin unbillig sein sollte (Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts7, 539). Im vorliegenden Fall ist die zwischen der Klägerin und der drittbeklagten Partei getroffene Vereinbarung aber völlig eindeutig. Die Klägerin hat erklärt, nach Erhalt des Betrages von S 45.851 "wegen aller wie immer gearteten Ersatzansprüche aus diesem Schadensfall" abgefunden zu sein. Ihre Erklärung bezieht sich daher jedenfalls auf erkennbare und voraussehbare Folgen. Ob sich diese Vereinbarung auch auf noch nicht erkennbare oder noch nicht vorauszusehende Folgen bezieht (siehe hiezu Kletecka, aaO, 7; JBl 1988, 118), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil die Klägerin keinen Ersatz für solche Schäden geltend macht. Vielmehr spürte die Klägerin bereits bei der an den Unfall anschließenden Fahrt zur Arbeit Schmerzen und war danach wochenlag im Krankenstand.

Die vom Berufungsgericht für den gegenteiligen Standpunkt zitierte Entscheidung SZ 54/58 betraf die Frage, ob eine bestimmte Vertragsbestimmung gemäß § 6 Abs 1 Z 2 KSchG nichtig ist oder nicht, sie kann daher für die Beurteilung des gegenständlichen Rechtsstreites nicht herangezogen werden.

Es liegt auch kein von der schriftlichen Vereinbarung abweichender "natürlicher" Wille der Vertragsparteien vor, weil die drittbeklagte Partei ja den Vergleich so verstanden wissen wollte, wie er auch formuliert wurde, nämlich im Sinne einer Abgeltung aller Ansprüche der Klägerin aus dem Unfall vom 7.7.1993.

Daß der Abfindungsvergleich im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB wegen gröblicher Benachteiligung der Klägerin nichtig wäre, wurde von dieser gar nicht geltend gemacht. Im übrigen wurde durch die Abfindung der vorhersehbaren Ansprüche nur die Hauptleistung des Vergleiches festgelegt, so daß § 879 Abs 3 ABGB nicht anzuwenden ist (JBl 1988, 118; Kletecka, aaO, 8). Es ist zwar richtig, daß der Klägerin ein Erklärungsirrtum unterlaufen ist, weil sie meinte, etwas anderes zu erklären, als sie wirklich erklärte. Während nämlich die von ihr unterfertigte Abfindungserklärung auch Personenschäden umfaßt, war sie der Meinung, ihr Schmerzengeldanspruch sei davon nicht umfaßt. Dieser Irrtum der Klägerin wurde aber weder von den beklagten Parteien veranlaßt noch war er ein gemeinsamer Irrtum. Darin, daß die Drittbeklagte der Klägerin eine vorbereitete Abfindungserklärung übersandte, die ganz eindeutig alle Schäden umfaßt, kann eine Veranlassung des Irrtums der Klägerin über die Bedeutung dieser Erklärung nicht gesehen werden. Es liegt aber auch kein gemeinsamer Irrtum vor, weil der Schadensreferent der drittbeklagten Partei der Meinung war, daß aufgrund der Formulierung in der Abfindungserklärung alle Ansprüche aus dem Unfall abgegolten seien.

Es war sohin in Stattgebung des Rekurses der beklagten Parteien die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO konnte der Oberste Gerichtshof in der Sache selbst durch Urteil im klagsabweisenden Sinn erkennen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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