JudikaturJustiz2Ob356/99p

2Ob356/99p – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Dezember 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rupert W*****, vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei D***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Gunter Griss und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen (restlich) S 268.681,32 sA und Feststellung (Streitinteresse S 10.000), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 12. Jänner 1999, GZ 2 R 229/98h-111, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Gegenstand der außerordentlichen Revision ist die vom Erstgericht verneinte, vom Berufungsgericht bejahte und vom Revisionswerber negierte Annahme eines Mitverschuldens (in der Höhe von einem Drittel) für das Zustandekommen des Primärunfalles (Lenker M*****), im Anschluss dessen sich der zur Verletzung des Klägers (welche Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist) führende Sekundärunfall (durch den Lenker des Versicherungsnehmers der beklagten Partei, dessen [Mit-]Verschulden nicht mehr strittig ist) ereignete. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen zum Primärunfall war der Kläger als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges auf der Tauernautobahn A 10 gegen 2,00 Uhr nachts bei anhaltendem Regen mit einer Geschwindigkeit von rund 90 km/h unterwegs, als er von M***** mit rund 100 km/h zu überholen versucht wurde, wobei dieser auf Höhe des Hecks des Sattelkraftfahrzeuges ins Schleudern geriet und ohne Kontakt zwischen beiden Fahrzeugen gegen die Mittelleitschiene prallte, quer über den ersten Fahrstreifen zum Stillstand kam und dabei teilweise in den zweiten (Überhol )Fahrstreifen ragte. Als der Kläger - der sein Sattelfahrzeug, da er den Unfall wahrgenommen hatte, auf dem Pannenstreifen rund 140 m nach der Anprallstelle angehalten hatte - im Kofferraum des verunglückten PKW ein Warndreieck mit seiner Taschenlampe zu suchen begann, wobei zunächst nachkommende Fahrzeuge die Unfallstelle problemfrei passiert hatten, wurde er von Ivan K*****, der sich mit einer Geschwindigkeit von rund 110 km/h dem unbeleuchteten Unfallfahrzeug des M***** genähert hatte, erfasst und schwer verletzt.

Das Berufungsgericht begründete seine Mitverschuldensannahme am Primärunfall (im Wesentlichen) damit, dass der Kläger gemäß der Verordnung BGBl 1989/527 nur eine Geschwindigkeit von 60 km/h einhalten hätte dürfen; diese Verordnung diene auch der Vermeidung von Gefahren, die bei hohen Geschwindigkeiten größer seien als bei geringeren. Im vorliegenden Fall habe der sodann verunfallte M***** nicht nur auf Grund dieser absolut überhöhten Geschwindigkeit des überholten Sattelkraftfahrzeuges eine seinerseits wesentlich höhere Geschwindigkeit einhalten müssen als dies bei entsprechend geringerer Geschwindigkeit der Fall gewesen wäre; die dadurch ausgelöste Gefahr des Überholvorganges sei auch noch durch den Regen und die nasse Fahrbahn wesentlich erhöht worden (Sichtbehinderung durch Spritzwasser; erhöhte Schleudergefahr). Je schneller das überholte Fahrzeug fahre, umso mehr werde der an sich riskante Überholvorgang ausgedehnt, was bei einem langen und breiten überholten Fahrzeug besonders gefährlich sei, weil dem trotzdem Überholenden nur die Wahl zwischen einem gefährlich lange dauernden Überholvorgang oder einer gefährlich hohen Geschwindigkeit bleibe. Dadurch, dass der Kläger eineinhalbmal so schnell gefahren sei, als er hätte fahren dürfen, habe er somit ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB verletzt und sei deshalb am Schleudern des von Martius gelenkten Fahrzeuges mitschuldig.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 1 (Einleitungssatz) der zitierten Verordnung BGBl 1989/527 dient die gemäß Z 3 ua für die Tauernautobahn A 10 verordnete Geschwindigkeitsbeschränkung in der Zeit von 22,00 Uhr bis 5,00 Uhr für Lenker von Lastkraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t mit 60 km/h nicht bloß der "Fernhaltung von Gefahren und Belästigungen, insbesondere durch Lärm und Schadstoffe", sondern in erster Linie der "Sicherheit des Verkehrs". Bereits in der Entscheidung 2 Ob 2028/96s (= ZVR 1997/45 = RIS-Justiz RS0102780) hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass die Normen über die Bauartgeschwindigkeit von Fahrzeugen nach § 58 KDV einerseits und gegen eine im Unfallbereich und zur Unfallszeit (so wie hier) für die Nachtzeit geltende Geschwindigkeitsbeschränkung andererseits auch "die Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr (mit-)bezwecken, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringen."

Dies hat auch für den hier zur Beurteilung anstehenden Fall zu gelten. Auch die hier maßgebliche Verordnung, deren Gesetzmäßigkeit der VfGH übrigens geprüft und in seinem Erkenntnis Slg 13.351 bejaht hat, ist ein derartiges Schutzgesetz. Der Kläger wäre nicht bloß bei optimalen Verkehrsverhältnissen (trockene Fahrbahn, niederschlagsfreies Wetter) gehalten gewesen, sich daran zu halten, sondern umso mehr bei den zur Unfallszeit herrschenden widrigen Wetterverhältnissen. Dass dadurch ein überholendes Fahrzeug aus den vom Berufungsgericht bereits zutreffend erkannten Umständen in seinem Überholvorgang (Zeitfaktor; längere Wegstrecke; höhere Überhol- und damit Differenzgeschwindigkeit; Gefährdung durch größere Spritzwassergischt bei durch die Breite des Sattelfahrzeuges an sich schon eingeengter Durchfahrtsspur) einer größeren Gefahrenlage ausgesetzt wurde als dies auch bei Einhaltung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit der Fall gewesen wäre, liegt auf der Hand. Zutreffend ist das Berufungsgericht demgemäß davon ausgegangen, dass diese (eklatante!) Geschwindigkeitsüberschreitung auch kausal für den Primärunfall war und damit auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen ist (ZVR 1997/45). Da dies ein Ergebnis der rechtlichen Beurteilung ist, kann dem Berufungsgericht diesbezüglich auch kein "Entfernen von den erstinstanzlichen Feststellungen" vorgeworfen werden. Der Umstand, dass der Kläger sein Sattelfahrzeug während des Überholvorganges nicht auch "nach links verlagerte" und so (zusätzlich) zu einer Behinderung des PKW-Lenkers M***** Anlass gab, wie dies von den Vorinstanzen festgestellt wurde, bietet damit keinen Anlass, ihn vom Geschwindigkeitsverstoß zu exkulpieren.

An diesem Ergebnis vermag auch die Kritik Harrers in Schwimann, ABGB2 Rz 16 zu § 1311 an der zitierten Entscheidung nichts zu ändern. Soweit dieser Autor die Entscheidung 2 Ob 2028/96s nämlich als "wenig plausibel" ablehnt, weil "kein Grund ersichtlich (sei), der eine derartige Verdünnung schutzzweckorientierter Erwägungen rechtfertigen könnte", da eine Geschwindigkeitsbeschränkung, die verordnet wurde, um die Lärmbelästigung der Anrainer zu reduzieren, "offensichtlich nicht der Gefahrenabwehr im Straßenverkehr dient", so dass "der Rechtswidrigkeitszusammenhang - entgegen der Auffassung des Obersten Gerichtshofes - zu verneinen" sei, ist ihm nämlich entgegenzuhalten, dass der Verordnungsgeber - was vom genannten Autor übergangen wird - ausdrücklich selbst die "Sicherheit des Verkehrs" und die "Fernhaltung von damit in Verbindung stehenden Gefahren" als Zielsetzung (gleichsam programmatisch) an den Beginn (Einleitungssatz!) des Verordnungstextes gesetzt und vorangestellt hat; dass es im Straßenverkehr gerade bei so widrigen Umständen wie den hier zur Unfallszeit herrschenden durch die Einhaltung einer letztlich um 50 % überhöhten Geschwindigkeit zu einer wesentlichen Gefahrenerhöhung kommt, zeigt gerade der hier zu beurteilende Fall mit besonderer Nachdrücklichkeit. Die wenig substantiierten Ausführungen Harrers eignen sich daher nicht, von den Grundsätzen der zitierten Vorentscheidung dieses Senates abzurücken; an ihr ist vielmehr festzuhalten.

Das Zustandekommen weiterer Unfälle nach einem Primärunfall ist nach der Rechtsprechung ebenfalls eine geradezu typische Folge einer Behinderung des Verkehrs durch ein Unfallfahrzeug, speziell auf Autobahnen (zuletzt ausführlich ZVR 1999/67 = JBl 1999, 533). Die zweite Kollision (Sekundärunfall), bei welcher der Kläger schwer verletzt wurde, ist daher ebenfalls adäquate Folge des Erstunfalls.

Die Gewichtung eines Mitverschuldens bildet grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (MGA EKHG6 E 18a zu § 7; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 502). Die Annahme eines Mitverschuldens von einem Drittel begegnet dabei selbst dann keinen Bedenken, wenn der vom Berufungsgericht als weiterer Mitverschuldensvorwurf ins Treffen geführte Umstand, dass der Kläger auf der Fahrbahn mit seiner mitgenommenen Stabtaschenlampe auf sich hätte aufmerksam machen können, für sich allein weniger gewichtet würde.

Soweit im Rechtsmittel (Schlussabsatz) ausdrücklich nur "der Vollständigkeit halber" auch die Ermittlung des Verdienstentganges durch das Berufungsgericht beanstandet wird, fehlen Ausführungen dazu, welcher Betrag insoweit (rechnerisch) richtig zuzuerkennen gewesen wäre. Die diesbezüglichen Ausführungen sind sohin unsubstantiiert und gleichfalls nicht geeignet, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu begründen.

Aus allen diesen Erwägungen ist das Rechtsmittel daher als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtssätze
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