JudikaturJustiz2Ob311/65

2Ob311/65 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. November 1965

Kopf

SZ 38/185

Spruch

Kein allgemeiner Rechtssatz, wonach die gesetzliche Vertretungsmacht des Ehemannes nicht die nach § 1008 ABGB. erforderliche Spezialvollmacht ersetzt

Entscheidung vom 5. November 1965, 2 Ob 311/65

I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien

Text

Die Klägerin ist Eigentümerin des auf dem Grundstück Nr. 194/1 befindlichen Hauses W.straße 29. In dem dahinter gelegenen Hof befindet sich auf dem im gleichteiligen Miteigentum der beklagten Ehegatten stehenden Grundstück Nr. 194/7 deren Anwesen, auf dem der Erstbeklagte das Faßbindergewerbe betreibt. Rechts vom Haus W.straße 29 liegt die aus den im Alleineigentum der Klägerin stehenden Grundstücken Nr. 286/2 und 194/5 gebildete Hofeinfahrt. Den Beklagten steht auf Grund des Kaufvertrages vom 17. (richtig 19.) November 1951 hinsichtlich dieser beiden Grundstücke die Dienstbarkeit des unentgeltlichen, unbehinderten und jederzeitigen Fahrtrechtes zu. Sie haben ferner das Recht, auf dem Grundstück Nr. 194/5 einen 20 m2 großen Schaukiosk zu errichten. Gemäß Punkt IX des Vertrages steht dem jeweiligen Eigentümer des Grundstückes Nr. 194/7 das Recht auf Unterlassung zu, das Grundstück Nr. 194/5 weder als Lagerplatz zu verwenden noch darauf eine Baulichkeit ohne Einverständnis des Servitutsberechtigten zu errichten. Die Klägerin beantragte bei der Gemeinde G., ihr die Baubewilligung zum Anbau einer Veranda in der Breite von 2.50 m im Anschluß an ihr Wohnhaus zu erteilen. Bei der Bauverhandlung am 16. August 1962 erhob der Erstbeklagte Einwendungen, so daß die Klägerin mit ihrem Anspruch auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde. Den Beklagten wurde die baubehördliche Bewilligung erteilt, auf dem Grundstück Nr. 194/5 im Zug der W.straße, einen 4 m breiten Kiosk zu errichten. Die Veranda, die die Klägerin zu errichten beabsichtigt, soll 2.35 m breit und

8.50 m lang sein. Die Einfahrt zwischen dem Haus der Klägerin und der Grenze des Grundstückes Nr. 194/5 zu dem östlich benachbarten Grundstück Nr. 282/4 beträgt in Verlängerung der Straßenfront des klägerischen Hauses 9.62 m. Nach Errichtung der 2.35 m breiten Veranda und des 4 m breiten Kiosks verbleiben für die Einfahrt 3.27

m. Würde bloß der Kiosk errichtet, so verbliebe eine Einfahrtsbreite von 5.62 m. Auch nach Einlassung von Türangeln an der Veranda und am Kiosks, die zusammen 104 mm in den Luftraum ragen würden, verbliebe noch eine Einfahrtsbreite von 3.166 m. Bei einer Einfahrtsbreite von

3.15 m ist die Durchfahrt zwischen den geplanten Bauwerken für einen

2.40 m breiten, 7.10 m langen und 2.60 m hohen 9 t Lastkraftwagen ohne Einweiser jedoch nur mit äußerster Aufmerksamkeit und Sorgfalt möglich. Der geplante Verandabau kommt zur Gänze auf dem Grundstück Nr. 286/2 zu liegen. Bei der Bauverhandlung am 17. Jänner 1963, betreffend den von den Beklagten geplanten Kiosk, vereinbarten die Klägerin und der Erstbeklagte, daß jeder mit seinem Bauprojekt zurückrücke, so daß die Klägerin eine 2.50 m breite Veranda, die Beklagten einen 4 m breiten Kiosk bauen dürfen. Diese Vereinbarung kam zustande, nachdem der Bausachverständige Dipl. Ing. B. auf die Klägerin eingewirkt hatte, ihre Einwendungen gegen den Kioskbau zurückzuziehen. Im Februar 1963 stimmte der Erstbeklagte nach einer Aussprache mit dem Sachverständigen, der sich um eine gütliche Einigung zwischen den Streitteilen bemühte, durch Unterfertigung einer vom Sachverständigen gezeichneten Handskizze der geplanten Bauführung der Klägerin zu. Die anschließend auch von dieser unterschriebene Handskizze überreichte der Sachverständige der Baubehörde in der Meinung, es sei damit eine gütliche Einigung erzielt worden. An den Bauverhandlungen vom 16. August 1962 (Verandabau) und vom 17. Jänner 1963 (Kiosk) nahm der Erstbeklagte allein teil. Die Zweitbeklagte hat dem Erstbeklagten die Verwaltung ihres Vermögens nicht entzogen und wußte vom Stattfinden dieser Verhandlungen. Bei diesen und bei seiner Aussprache mit dem Sachverständigen erweckte der Erstbeklagte den Anschein, über die Liegenschaft zur Gänze verfügungsberechtigt zu sein und auch im Namen der Zweitbeklagten aufzutreten. Die Zweitbeklagte war mit der bei der Bauverhandlung am 17. Jänner 1963 vom Erstbeklagten vorgenommenen teilweisen Abänderung des Kioskprojektes auf eine Breite von 4 m anstatt 4.50 m einverstanden.

Das Erstgericht gab dem - eingeschränkten - Klagebegehren, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, die Errichtung eines

2.35 m breiten Verandazubaues auf dem Grundstück Nr. 286/2 der KG. G. im Anschluß an das bestehende Wohnhaus G., W.straße 29, zu dulden, statt.

Rechtlich kam das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß der Erstbeklagte berechtigt gewesen sei, bei den Bauverhandlungen für die Zweitbeklagte rechtsverbindlich zu verhandeln, aber auch den äußeren Anschein erweckt habe, als Verfügungsberechtigter für die Zweitbeklagte aufzutreten. Die von ihm gegebenen Zustimmungen zur Bauführung der Klägerin seien daher auch für die Zweitbeklagte rechtsverbindlich. Der Klageanspruch bestehe daher schon auf Grund vertraglicher Vereinbarung zu Recht. Auch der Servitutsberechtigung der Beklagten stehe ihm nicht entgegen. Von einer ernstlichen Erschwerung in der Ausübung der Dienstbarkeit der Beklagten könne keine Rede sein, da die Einfahrt mit einem 9 t Lastkraftwagen samt Anhänger möglich sei und die Notwendigkeit einer solchen Einfahrt wohl eine Ausnahme darstelle. Dem Erstbeklagten sei zuzumuten, in Ausnahmefällen einen Einweiser zu verwenden. Es müßte als schikanöse Rechtsausübung durch die Beklagten angesehen werden, wollte man die Errichtung der Veranda bei einer ungenützten Einfahrtsbreite von

5.62 m selbst nach Errichtung des Kiosks nicht gestatten. Punkt IX. des Kaufvertrages komme nicht zum Tragen, weil er sich nicht auf das Grundstück Nr. 286/2 beziehe, auf dem allein die Veranda zu stehen komme.

Das Berufungsgericht bestätigte und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen mit Ausnahme jener, daß die Durchfahrt mit einem 9 t Lastkraftwagenzug möglich sei. Nach dem Verhalten des Erstbeklagten bestehe kein Zweifel, daß er selbst der Ansicht gewesen sei, seine Ehefrau in Erfüllung der ihm nach § 91 ABGB. obliegenden Pflichten zu vertreten. Vorliegend gehe es um die nähere Bestimmung der den Beklagten hinsichtlich einer 9.70 m breiten Einfahrt zustehenden Dienstbarkeit durch die Errichtung von Baulichkeiten. Darin liege keine Verfügung über die Substanz. Für die im Rahmen des normalen Wirkungskreises einer Vermögensverwaltung nach § 1238 ABGB. gelegene Verfügung bedürfe es keiner Spezialvollmacht im Sinne des § 1008 ABGB. Bei seiner Zustimmung zu einer Verandabreite von 2.50 m sei der Erstbeklagte offenbar davon ausgegangen, daß er bei Ausübung seines Faßbindergewerbes mit der verbleibenden Einfahrtsbreite sein Auslangen finde. Die Klägerin habe zu Bedenken in bezug auf seine Vertretungsmacht keinen Anlaß gehabt. Ob die Beklagten auch ohne Rücksicht auf die Vereinbarung verpflichtet gewesen wären, den Verandabau zu dulden, sei in Hinblick auf das Zustandekommen der Vereinbarung nicht mehr zu erörtern, ebensowenig die Frage einer schikanösen Rechtsausübung durch die Beklagten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision wendet sich vor allem gegen die Rechtsansicht, die vom Erstbeklagten gegenüber der Klägerin hinsichtlich der Breite der Veranda abgegebenen Zustimmungserklärungen bänden auch die Zweitbeklagte. Ihre Ausführungen sind jedoch nicht stichhältig. Was die von ihr herangezogene Entscheidung 7 Ob 349/56 vom 12. September 1956 (EvBl. 1957 Nr. 201) betrifft, so handelte es sich in dem ihr zu Gründe liegenden Fall um den Verkauf von Grundstücken und um die Einräumung eines bisher nicht vorhandenen Zuganges, somit um sehr einschneidende Rechtsveränderungen, die eindeutig eine Verfügung über die Substanz darstellen. Die dort ausgedrückte Meinung, die gesetzliche Vertretungsmacht des Ehemannes nach § 1238 ABGB. ersetze nicht die nach § 1008 ABGB. erforderliche Spezialvollmacht, kann daher in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten werden. So hat auch Stanzl (bei Klang Komm.[2] IV 813 Anm. 42) den wiedergegebenen Rechtssatz als "unrichtig und gefährlich" bezeichnet. Seiner Meinung nach kann diese Frage nur nach dem jeweiligen Sachverhalt im Einzelfall beantwortet werden. Maßgeblich ist hiebei, ob unter Bedachtnahme auf alle Besonderheiten des Falles gesagt werden kann, daß das Geschäft zum gewöhnlichen Betrieb der in Frage stehenden Verwaltung des Frauenvermögens gehört. Diesfalls ist nun festzuhalten, daß es vorliegend lediglich darum geht, inwieweit sich die Beklagten, denen die Dienstbarkeit des ungehinderten Fahrtrechtes über Grundstücke der Klägerin zusteht, eine Beschränkung dieses Rechtes gefallen lassen müssen. Da Dienstbarkeiten schon ex lege eingeschränkt werden müssen, soweit es ihre Natur und der Zweck der Bestimmung gestattet (§ 484 ABGB.), fallen Vereinbarungen über Beschränkung der Servitut, soweit dadurch ihre Ausübung nicht ernstlich erschwert oder gefährdet wird, in den Rahmen des üblichen Umfanges der Verwaltung. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf die Lehrmeinung Weiß" (bei Klang a. a. O. V 834 f.) mit dem Ergebnis verwiesen, daß der Erstbeklagte bei Abgabe seiner Zustimmungserklärungen auch die Zweitbeklagte berechtigte und verpflichtete und daß für die Klägerin kein vernünftiger Grund bestand, die Vertretungsmacht des Erstbeklagten in Zweifel zu ziehen. Es ist daher auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Klägerin selbst die zwischen ihr und dem Erstbeklagten getroffene Abmachung als Vergleich bezeichnet, für dessen Abschluß § 1008 ABGB. eine Gattungsvollmacht verlangt. Völlig bedeutungslos ist es, ob die Zweitbeklagte vorher mit dem Erstbeklagten die Möglichkeit eines Vergleichsabschlusses erörterte. Denn die im Rahmen seiner Verwaltungsvollmacht gesetzten Rechtshandlungen muß sie auch ohne vorherige Kenntnis gegen sich gelten lassen. Daß die Zweitbeklagte zu den Bauverhandlungen nicht geladen war, mag zutreffen. Allein sie hat nicht nur nicht behauptet, über den Gegenstand dieser Verhandlungen und über die bei diesen vorliegenden Streitpunkte keine Kenntnis gehabt zu haben, sondern im Gegenteil als Partei selbst zugegeben, sie habe vom Stattfinden der Bauverhandlungen über den Kiosk und die Veranda gewußt.

Hat aber das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum angenommen, daß beide Beklagte auf Grund der zwischen dem Erstbeklagten und der Klägerin zustande gekommenen Einigung über das Ausmaß der Veranda gebunden sind, dann begrundet es auch keinen Verfahrensmangel, wenn das Berufungsgericht bei der Übernahme der Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes dessen Annahme, es könne auch ein 9 t Lastkraftwagenzug die nach Errichtung des Kiosks und der Veranda verbleibende Einfahrt unbehindert passieren, ausklammerte. Denn diesem Umstand käme erst unter dem Gesichtspunkt Bedeutung zu, inwieweit sich die Beklagten eine Einschränkung ihrer Dienstbarkeit durch Richterspruch gefallen lassen müssen. Im Vorgehen des Berufungsgerichtes liegt keine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, weil ja das Berufungsgericht für seine zutreffende rechtliche Beurteilung der Rechtssache die nicht übernommene Feststellung überhaupt nicht benötigte.

Auch mangelnde Spruchreife der Sache liegt entgegen der Ansicht der Revision nicht vor. Diesfalls meint sie, das Erstgericht hätte sich mit der Frage der Rechtskraft des die Veranda betreffenden Baubewilligungsbescheides der Stadtgemeinde G. vom 26. September 1962 auseinandersetzen müssen. Die formelle Rechtskraft dieses Bescheides ergibt sich jedoch bereits aus der Aktenlage. Denn der Bescheid, mit dem u. a. festgestellt wurde, daß das Verandabauvorhaben der Klägerin in öffentlich-rechtlicher Beziehung zulässig sei, und die Parteien auf Grund des Anrainereinspruches (der Beklagten auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurden, wurde dem Erstbeklagten am 26. September 1962 zugestellt. Ein Rechtsmittel wurde dagegen nicht erhoben. Die im Akt der Stadtgemeinde G. befindliche, am 19. Juli 1963 erhobene Berufung der beiden Beklagten richtet sich lediglich gegen einen zum Bescheid vom 26. September 1962 am 10. Juli 1963 ergangenen Berichtigungsbeschluß. Schon aus dieser Erwägung kommt dem Einwand der Beklagten im Sinne eines wesentlichen Verfahrensmangels Berechtigung nicht zu.