JudikaturJustiz2Ob273/53

2Ob273/53 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Mai 1953

Kopf

SZ 26/124

Spruch

Vorzeitige Vertragsauflösung ist statthaft, wenn einem Vertragsteil die von ihm als wesentlichen Vertragspunkt übernommene Verpflichtung, dem anderen das Hauptmietrecht zu übertragen, infolge der Weigerung des Hauseigentümers unmöglich geworden ist.

Entscheidung vom 13. Mai 1953, 2 Ob 273, 274/53.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger ist Rechtsanwalt, die Beklagte die Witwe eines gewesenen Rechtsanwaltes. Zwischen den Streitteilen wurde am 4. Dezember 1949 vereinbart, daß die Beklagte dem Kläger die Räume, in denen ihr verstorbener Mann seine Kanzlei geführt hatte, samt Einrichtungsgegenständen und Utensilien zur Verfügung stellte und ihm auch das "Mithauptmietrecht" an diesen Räumen mit der Maßgabe übertrug, daß der Kläger bei Auflösung des - auf die Dauer von zehn Jahren abgeschlossenen - Vertragsverhältnisses verpflichtet sei, dieses (Mit )Hauptmietrecht an die Beklagte zurückzuübertragen. Der Kläger, der die Agenden des verstorbenen Gatten der Beklagten mitübernahm, hatte die Einnahmen der solcherart vereinigten Kanzleien zusammenzurechnen und der Beklagten einen bestimmten Prozentsatz des Gesamtreingewinnes auszubezahlen. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten über den einen oder anderen Vertragspunkt sollte ein vom jeweiligen Präsidenten der Wiener Rechtsanwaltskammer zu bestellender Schiedsrichter entscheiden. Als der Kläger in Erfahrung brachte, daß dieHausinnehabung einer Mietrechtsübertragung an ihn nicht zustimme, richtete er an die Beklagte das Schreiben vom 28. September 1950, in dem er unter Hinweis auf die ablehnende Haltung der Hausinnehabung zum Ausdruck brachte, daß er den Vertrag vom 4. Dezember 1949 nunmehr "als gelöst bzw. als überhaupt nicht zustandegekommen" betrachte. Die Beklagte nahm diese Erklärung nicht zur Kenntnis, worauf der Kläger das Schiedsgericht anrief. Der vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer bestellte Schiedsrichter entschied dahin, daß sowohl das Hauptbegehren, festzustellen, daß die am 4. Dezember 1949 abgeschlossene Vereinbarung rechtsunwirksam, ungültig und nichtig sei, als auch das Eventualbegehren, auszusprechen, daß die Aufkündigung des auf der Vereinbarung vom 4. Dezember 1949 basierenden Vertragsverhältnisses wirksam sei, abgewiesen werde.

Diesen Schiedsspruch focht der Kläger beim ordentlichen Gericht unter Berufung auf die Bestimmung des § 595 Z. 6 ZPO. an. Er stellte das Urteilsbegehren, den Schiedsspruch zur Gänze aufzuheben und für unwirksam zu erklären und sodann gerichtlich festzustellen, daß die zwischen den Streitteilen am 4. Dezember 1949 geschlossene Vereinbarung rechtsunwirksam, ungültig und nichtig sei, in eventu festzustellen, daß die vom Kläger erklärte Auflösung des auf dieser Vereinbarung beruhenden Vertragsverhältnisses wirksam sei, allenfalls aber wenigstens festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, mehr als 15% des Reingewinnes der vom Kläger geführten Kanzlei für sich zu begehren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren in allen seinen Punkten kostenpflichtig ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil insoweit als dieses die Aufhebung des Schiedsspruchs über das im schiedsrichterlichen Verfahren erhobene Hauptbegehren (Vertragsungültigkeit) abgelehnt und das damit verbundene Begehren auf gerichtliche Feststellung der Rechtsunwirksamkeit, Ungültigkeit und Nichtigkeit der Vereinbarung vom 4. Dezember 1949 abgewiesen hatte. Hingegen wurde das Ersturteil dahin abgeändert, daß der Schiedsspruch über das im schiedsrichterlichen Verfahren erhobene Eventualbegehren (Wirksamkeit der Aufkündigung) nunmehr aufgehoben wurde. Schließlich wurde die erstinstanzliche Entscheidung über die in diesem Zusammenhang kumulierten Eventualurteilsanträge sowie über den Kostenpunkt aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung und unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte die nur von der Beklagten angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zunächst ist festzuhalten, daß die vom Kläger schon im schiedsrichterlichen Verfahren erfolglos behauptete Rechtsunwirksamkeit (Ungültigkeit, Nichtigkeit) des Vertrags vom 4. Dezember 1949 nicht mehr Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung sein kann, weil der über diese (primäre) Rechtsbehauptung erflossene Schiedsspruch von den Unterinstanzen aufrechterhalten wurde, der mit dem bezüglichen Aufhebungsbegehren kumulierte Antrag auf gerichtliche Feststellung der Vertragsungültigkeit ebenfalls abgewiesen wurde und gerade diese konforme Doppel-Entscheidung unangefochten geblieben ist. Mögen daher auch Bedenken gegen die Zulässigkeit einer gesellschaftlichen oder gesellschaftsähnlichen Beteiligung der Beklagten an der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers bestehen, die Gültigkeit des zwischen den Streitteilen am 4. Dezember 1949 zustandegekommenen Vertrages ist mit Rechtskraftwirkung, und daher auch für das Revisionsgericht bindend, bejaht worden (§§ 505 Abs. 3, 594 Abs. 1 ZPO.).

Festzuhalten ist ferner, daß sich die Ausführung des Rekurses gegen den mitangefochtenen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluß in einer Bezugnahme auf die Rechtsrüge der Revision erschöpft, was gegebenenfalls durchaus verständlich ist, weil der Angelpunkt des Ersturteils, aber auch der nunmehr an die dritte Instanz herangetragenen Gesamtbeschwerde in der Annahme liegt, daß der Schiedsspruch - u. zw. auch hinsichtlich seiner Entscheidung über das dem Schiedsgericht unterbreitete Eventualbegehren - keinen Verstoß gegen zwingende Rechtsvorschriften enthalte. Erst die in der zweiten Instanz erfolgte (und von der Revision bekämpfte) Ablehnung dieser Annahme kann und wird ein näheres Eingehen auf die mit dem kassatorischen Begehren verbundenen Eventual-Sachbegehren (Wirksamerklärung der Auflösung, eventuell Minderung der Gewinnbeteiligung) erforderlich machen (zur Zulässigkeit dieser Anspruchshäufung Sperl, Festschrift ZPO., S. 309). Der gemäß § 519 Z. 3 ZPO. statthafte Rekurs steht und fällt daher mit der Revision gegen den abändernden Teil der Berufungsentscheidung. Die Revision selbst erweist sich aber als unbegrundet.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Schiedsspruches bildete die bedungene Übertragung des (Mit )Hauptmietrechts an den Kläger einen wesentlichen Vertragspunkt, eine essentielle Verpflichtung der Beklagten, deren Erfüllung durch das ablehnende Verhalten der Hausinnehabung unmöglich geworden ist.

Der Schiedsrichter war nun zwar durchaus der Meinung, daß das zwischen den Streitteilen begrundete Dauerschuldverhältnis aus wichtigen Gründen auch vorzeitig aufgelöst werden könne, er vertrat jedoch die Ansicht, daß der vorhandenen rechtlichen Vertragsaufhebungsmöglichkeit eine nur sehr beschränkte wirtschaftliche gegenüberstehe, weil schon die erstmalige Überbindung des Klientenstockes den Wert der Kanzlei konsumiert habe und einer Wiederholung gar nicht zugänglich sei. Diese rein praktische Erwägung und die ebenfalls praktische, zusätzliche Überlegung, daß Vereinbarungen nach Art der gegenständlichen der Versorgung der Witwe des früheren Kanzleiinhabers zu dienen hätten, bewogen den Schiedsrichter dazu, bei der Beurteilung der Rechtsfrage, ob ein Vertragsauflösungsgrund gegeben sei, einen besonders strengen Maßstab anzulegen, dem Kläger vorzuhalten, daß er die - wenn auch negative - Klärung der Mietrechtsübertragung nicht schon früher herbeigeführt habe, darauf hinzuweisen, daß der Kläger in der Benützung der Kanzleiräume von der Hausinnehabung tatsächlich bisher noch nicht behindert worden sei, und dem Kläger aus diesen Gründen das Recht auf eine vorzeitige Vertragsauflösung abzusprechen.

Dieser im Schiedsspruch entwickelten Auffassung ist das Berufungsgericht mit Recht entgegengetreten. Es hat sich dabei durchaus zutreffend auf die Bestimmungen des § 1210 ABGB. und des § 133 HGB. bezogen und richtig erkannt, daß das Bestehen der Beklagten auf der Einhaltung des auf ihrer Seite zum Teil unerfüllbar gewordenen Vertrages vom 4. Dezember 1949 sittenwidrig ist. Auf den Meinungsstreit zwischen Klang - Bettelheim (Komm., 1. Aufl. zu § 1210, S. 499) und Klang - Wahle (Komm., 2. Aufl. zu § 1210, S. 664) über das Ausmaß der Abdingbarkeit der im § 1210 ABGB. verankerten Ausschließungsgrunde braucht dabei gar nicht näher eingegangen zu werden. Es sei nur erwähnt, daß für die in diesem Belang strengere Auffassung Klang - Bettelheim's die Tatsache spricht, daß die Bestimmung des § 133 HGB. heute auch in Österreich gilt, eine Vorschrift, die übrigens sogar in unmittelbarer Analogie auf das vorliegende Vertragsverhältnis angewendet werden kann und deren zweiter Absatz von der Revision nur unvollständig erfaßt wird, weil die Revisionswerberin geflissentlich übersieht, daß ja auch die unverschuldete Unmöglichkeit der Erfüllung wesentlicher Vertragspflichten einen unverzichtbaren Grund zur (vorzeitigen) Gesellschaftsvertrags-Auflösung herstellt. Wenn daher der Schiedsspruch, vorwiegend praktischen Bedürfnissen der Beklagten Rechnung tragend, trotzdem zu dem Ergebnis gelangte, daß dem Kläger ein Recht auf vorzeitige Vertragsauflösung nicht zuzubilligen sei, so hat er gegen zwingende Rechtsvorschriften verstoßen (§ 595 Z. 6 ZPO.).

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes war in ihrem angefochtenen Teil vollinhaltlich zu bestätigen.

Rechtssätze
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