JudikaturJustiz2Ob240/05s

2Ob240/05s – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Yasmine F*****, vertreten durch Pacher Partner Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach Dr. Horst S*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. Helwig Keber, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 38.989,83 sA über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 18. Mai 2005, GZ 5 R 28/05k-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25. November 2004, GZ 23 Cg 22/04y-17, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist gesetzliche Erbin und Tochter der am 3. 6. 1990 verstorbenen Ruth S*****, deren Nachlass mit Einantwortungsurkunde des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 14. 4. 1995 den aufgrund des Gesetzes erbserklärten Erben, dem Witwer Dr. Horst S***** zu einem Drittel sowie den Kindern der Verstorbenen, der Klägerin sowie Stefanie S*****, Leopold S***** und dem Minderjährigen Ferdinand S***** zu je einem Sechstel eingeantwortet wurde. Während des Verlassenschaftsverfahrens wurde mit Beschluss vom 10. 4. 1992 Dr. Horst S***** gemäß § 810 ABGB die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses eingeräumt. Er legte am 20. 1. 1995 Rechnung über das von ihm verwaltete Verlassenschaftskonto. Am 9. 5. 1995 erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen Dr. Horst S***** mit dem Begründung, es sei im Verlassenschaftsverfahren zu Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Verlassenschaftskonto gekommen und die eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen, nämlich jenes des Nachlasses zu verfügen dadurch wissentlich vom Angezeigten missbraucht worden, dass er Überweisungen durchgeführt habe, zu denen er nicht berechtigt gewesen sei. Dadurch sei den anderen Erben, insbesondere der Klägerin, ein Vermögensnachteil zugefügt worden. Am 7. 3. 1997 zog die Staatsanwaltschaft Graz den wegen des Verdachtes des Vergehens der Untreue im Zeitraum vom 3. 6. 1990 bis 31. 12. 1994 erhobenen Strafantrag zurück. Eine Privatanklage gegen Dr. Horst S***** erfolgte nicht.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Bezahlung von insgesamt EUR 38.989,83 sA mit der Begründung, dass ihr verstorbener Vater Dr. Horst S***** als gemäß § 810 ABGB bestellter Verwalter des Nachlasses nach Ruth S***** unrichtig abgerechnet und näher spezifizierte Gelder missbräuchlich verwendet habe, sodass sie nicht der Klägerin als gesetzlicher Erbin ausgezahlt, sondern zu ihrem Nachteil verbraucht worden seien. Die Klägerin habe Anspruch auf Herausgabe dieser Erbteilsansprüche nunmehr gegenüber der Verlassenschaft nach dem am 12. 12. 2001 verstorbenen Dr. Horst S*****.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung und wandte Verjährung der Ansprüche ein. Der gegen Dr. Horst S***** eingebrachte Strafantrag sei wegen Verjährung zurückgezogen worden, da § 166 StGB Straftaten im Familienkreis derart privilegiere, dass sie zum Privatanklagedelikt würden. Aufgrund der dort ebenfalls normierten geringeren Strafdrohung von maximal sechs Monaten Freiheitsstrafe seien die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nach § 1489 erster Satz ABGB bereits verjährt. Sowohl der Schaden als auch der Schädiger seien der Klägerin bereits seit Einlangen des Gutachtens im Strafakt am 6. 3. 1997 bekannt gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren infolge Verjährung zur Gänze ab. Im Hinblick auf die aus § 166 StGB resultierende Strafdrohung von unter einem Jahr Freiheitsstrafe sei die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB anzuwenden und daher, der Außerstreitstellung der Klägerin folgend, wonach Schädiger und Schaden bereits mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung bekannt gewesen seien, Verjährung eingetreten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Erstgericht habe die Privilegierung des § 166 Abs 1 StGB zu Unrecht angenommen, weil nicht ein naher Angehöriger sondern dessen Verlassenschaft geschädigt worden sei. Überdies sei aktenkundig, dass die Klägerin kein leibliches, sondern ein Wahlkind Dris. Horst S***** sei, wozu das Berufungsgericht auf Urkunden im Straf- bzw Verlassenschaftsakt verwies. Insofern bedürfe es für die Annahme der Privilegierung des Täters nach der genannten Gesetzesstelle überdies des Bestehens einer Hausgemeinschaft zum Tatzeitpunkt, die nicht vorgelegen habe.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde zugelassen zur Frage 1) der Privilegierung bei Handeln zum Nachteil eines Nachlasses nach einem Angehörigen sowie 2) zur Differenzierung zwischen nahen Angehörigen und solchen, die in Hausgemeinschaft mit dem Täter leben müssen, um privilegiert zu sein.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Rekurs der beklagten Partei mit dem Abänderungsantrag, die erstinstanzliche Klagsabweisung wiederherzustellen. Eine Rekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil einschlägige Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht vorliegt, ihm kommt jedoch keine Berechtigung zu. Gemäß § 166 Abs 1 StGB ist unter anderem, wer eine Untreue zum Nachteil seines Ehegatten, eines Verwandten in gerader Linie, seines Bruders oder seiner Schwester oder zum Nachteil anderer Angehöriger begeht, soferne er mit diesen in Hausgemeinschaft lebt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe, wenn die Tat sonst mit einer Freiheitsstrafe bedroht wäre, die drei Jahre erreicht oder übersteigt, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe zu bestrafen.

Ob daher auf die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche die 30 jährige Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 ABGB anzuwenden ist oder die dreijährige des ersten Satzes dieser Bestimmung, hängt davon ab, ob die von der Klägerin behauptete Untreue gemäß § 166 Abs 1 StGB privilegiert und daher mit weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist.

Dazu ist zu prüfen, ob

1. von der privilegierten Begehung auch eine solche zum Nachteil der Verlassenschaft eines der in § 166 StGB genannten Angehörigen umfasst ist, und ob

2. auf den Nachlass des Täters als „Mithaftenden" jedenfalls die kurze Verjährungsfrist anzuwenden wäre.

1. Begehung zum Nachteil der Verlassenschaft:

Zur Anwendung des § 166 Abs 1 StGB ist erforderlich, dass die Tat zum Nachteil eines der dort genannten Angehörigen begangen wird. Sie ist nur dann privilegiert, wenn sie ausschließlich einen solchen Angehörigen benachteiligt und gegen dessen Rechtsgüter gerichtet ist. Träger des Rechtsgutes der Untreue ist derjenige, dessen Vermögenswerte der Tatbestand schützen soll (Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 166 [2006] Rz 17). Mit „Nachteil" wird nicht nur der tatbestandsmäßige Erfolg, sondern umfassender eine vermögensschädigende Veränderung der Güterverteilung, die im konkreten Fall nur den Angehörigen treffen darf, erfasst. Wenn ein Nachlass nach einem Angehörigen des Täters betroffen war, scheidet die Anwendung des § 166 StGB aus, wie Kirchbacher/Presslauer aaO Rz 22 mit Verweis auf SSt 53/18 und EvBl 1997/119 darlegen (vgl auch Kienapfel BT II3 § 166 RN 22).

2. Verjährungsfrist für den Nachlass des Täters:

Die 30jährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB gilt nach der Judikatur nur gegenüber dem Verbrecher selbst, nicht aber gegen Dritte (RIS-Justiz RS0034393). Fraglich könnte daher auch sein, ob, selbst wenn die lange Verjährungsfrist für den Täter zu bejahen wäre, dies auch für seinen Nachlass gilt.

Im Strafverfahren ist eine Privilegierung des Nachlasses eines Angeklagten oder Beschuldigten weder notwendig noch relevant, weil der Tod jede weitere Strafverfolgung ausschließt und damit der staatliche Strafanspruch erlischt (11 Os 41/87 = SSt 58/44 ua). In zivilrechtlicher Hinsicht legen die (überwiegende) Lehre und die ständige Rechtsprechung § 1489 zweiter Satz ABGB dahin aus, dass für Personen, die ohne eigenes Verschulden oder kraft minderen Verschuldens mithaften, bloß die dreijährige Verjährungsfrist gilt (7 Ob 552/88 = RIS-Justiz RS0034423 T2), so nach herrschender Auffassung auch für die juristische Person in Bezug auf ihre Funktionäre oder ihre Erfüllungsgehilfen (3 Ob 120/06b mwN und unter Darlegung der Gegenmeinung M. Bydlinskis und Koziols im Betreff der Repräsentanten einer juristischen Person).

Der Nachlass ist zwar ein eigenständiges Rechtssubjekt (Welser in Rummel, ABGB³, § 547 Rz 2; Eccher in Schwimann, Praxiskommentar ABGB³ § 547 Rz 1), er stellt aber die Summe der erblichen vermögenswerten Rechte und Pflichten des Erblassers dar (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II13 445) und existiert als Rechtssubjekt vom Zeitpunkt des Todes des Erblassers bis zum Eigentumserwerb durch den Erben (RIS-Justiz RS0012206). Nach § 531 ABGB ist die Verlassenschaft bis zur Einantwortung Inbegriff der mit dem Tod nicht untergegangenen

Rechte und Verbindlichkeiten des Erblassers (1 Ob 510/95 = SZ 68/193;

1 Ob 341/99z = SZ 73/87). Daraus folgt, dass sie nicht als dritter,

ohne eigenes Verschulden Mithaftender im Sinne der zu § 1489 Satz 2 ABGB ergangenen Judikatur anzusehen ist und sich daher auch nicht auf die bloß dreijährige Verjährungsfrist dieser Bestimmung berufen kann. Dem Rechtsmittel war damit ein Erfolg zu versagen, ohne dass es noch auf die Frage der Hausgemeinschaft mit einem Adoptivkind ankäme. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.