JudikaturJustiz1Ob218/08b

1Ob218/08b – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin B***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger + partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin Z***** AG, *****, vertreten durch Mag. Martin Schallhart, Rechtsanwalt in Jenbach, wegen Festsetzung einer Enteignungsentschädigung, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 6. August 2008, GZ 2 R 128/08b 11, mit dem der Teilzwischenbeschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 25. April 2008, GZ 60 Nc 10/08g 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Die Parteien haben die ihnen im Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid des zuständigen Landeshauptmanns vom 2. 11. 2007 wurde auf mehreren Grundstücken der Antragsgegnerin die Enteignung durch Einräumung der Dienstbarkeit der Errichtung und des Betriebs eines Eisenbahntunnels zugunsten der Antragstellerin ausgesprochen. Die Enteignungsentschädigung wurde mit 2,84 Mio EUR festgesetzt und darüber hinaus ausgesprochen, dass die „mittels Körperschaftsteuerbescheid vorgeschriebene Körperschaftsteuer der Antragsgegnerin von der Antragstellerin zu ersetzen sei".

Die Verwaltungsbehörde begründete dies damit, dass die zwangsweise Einräumung einer Dienstbarkeit im Enteignungsweg und die hiedurch entstehende Steuerpflicht schadenersatzrechtlich ähnlich zu behandeln sei wie der Ersatz der Lohnsteuer durch den Schädiger bei Verdienstentgang. Auch hier werde dem Umstand Rechnung getragen, dass der vermögensrechtliche Nachteil einer Steuerpflicht nur dann vom Steuerpflichtigen zu tragen sei, wenn dieser auch in vollem Umfang für den Eintritt der Steuerlast verantwortlich sei bzw darüber verfügen könne. Dies sei bei einer Enteignung nicht der Fall. Die Entrichtung der Körperschaftsteuer durch die Antragsgegnerin stünde im Widerspruch zu den materiellen Entschädigungsregeln, wonach der Enteignete jedenfalls so zu entschädigen sei, dass dessen Vermögenslage vor und nach der Enteignung gleich sei. Hinzukomme, dass die zu entschädigende Liegenschaft der Antragsgegnerin aufgrund der vollständigen Abschreibung des damaligen Liegenschaftserwerbs (die Konzession datiert aus dem Jahr 1899!) in der Bilanz massiv unterbewertet sei und daher jegliche Veräußerung oder Dienstbarkeitseinräumung auf Basis der im rechtsgeschäftlichen Verkehr üblichen Verkehrswerte unausweichlich mit steuerrechtlichen Folgen für die Antragsgegnerin verbunden sei. Da das Körperschaftsteuergesetz keine dem Einkommensteuergesetz entsprechende steuerliche Begünstigung für Veräußerungsgewinne, welche aufgrund von stillen Reserven in Grund und Boden entstünden, vorsehe, habe dieser vermögensrechtliche Nachteile im Wege des allgemeinen Schadenersatzrechts berücksichtigt werden müssen. Es sei daher die anfallende Körperschaftsteuer „zusätzlich zur vereinbarten Entschädigungssumme aufzuschlagen" und von der Antragstellerin zu ersetzen.

Mit ihrem rechtzeitig beim Erstgericht eingebrachten Antrag begehrte die Antragstellerin die Festsetzung der Entschädigungssumme mit dem (unstrittigen) Betrag von 2,84 Mio EUR, jedoch ohne eine darüber hinausgehende Verpflichtung zur Vergütung von Körperschaftsteuer. Das (allfällige) Anfallen von Körperschaftsteuer sei lediglich eine mittelbare Folge des Enteignungsakts und der Steuerbetrag daher im Entschädigungsverfahren nicht zu ersetzen.

Die Antragsgegnerin wandte dagegen im Wesentlichen ein, sie sei von der Antragstellerin für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gemäß § 365 ABGB schadlos zu halten. Dem wäre nur dann entsprochen, wenn zusätzlich zur Nettoentschädigung auch die anfallende Körperschaftsteuer ersetzt werde. Andernfalls stünde ihr die Entschädigungssumme nicht in voller Höhe zur Abgeltung der Wertminderung und der sonstigen Nachteile zur Verfügung.

Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenbeschluss aus, dass die Antragstellerin dem Grunde nach verpflichtet sei, der Antragsgegnerin die aufgrund der Zahlung der Entschädigungssumme allenfalls anfallende und nicht vermeidbare Körperschaftsteuerbelastung zu ersetzen. Grundsätzlich spiele der Verkehrswert des enteigneten Grundstücks für die Bemessung der Enteignungsentschädigung eine wesentliche Rolle. Es sei dem Enteigneten aber auch ein darüber hinausgehender Nachteil zu entschädigen, wenn dies dem Grundsatz des § 1323 ABGB entspreche. Danach sei der Geschädigte so zu stellen, wie er ohne die Beschädigung gestellt wäre. Gemäß § 4 Abs 1 EisbEG sei das Eisenbahnunternehmen verpflichtet, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile gemäß § 365 ABGB schadlos zu halten. Das Wesen der Enteignungsentschädigung bestehe in der Ersatzleistung für das dem Enteigneten durch den besonderen Hoheitsakt abgenötigte Sonderopfer an seinem Vermögen, wodurch es zur - auf den positiven Schaden beschränkten - Nachteilsausgleichung kommen solle. Im Zusammenhang mit durch Enteignungsvorgänge ausgelösten Steuerbelastungen habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der Enteignete im Sinn des § 1323 ABGB schadlos zu halten sei, worunter nur die Schaffung einer wirtschaftlich gleichwertigen Ersatzlage verstanden werden könne. Dies setze voraus, dass der Enteignete in die Lage versetzt werde, ein gleichwertiges Grundstück zu erwerben. Grundsätzlich sei daher eine im Vermögen des „konkreten Enteigneten" aufgrund der im Rahmen des Entschädigungsverfahrens festgesetzten Nachteilsausgleichung anfallende Steuerbelastung ersatzfähig. Die enteignete Antragsgegnerin müsse vermögensmäßig so gestellt werden, wie sie ohne Belastung durch die im Enteignungsverfahren eingeräumte Tunneldienstbarkeit gestellt wäre. Ihr Vermögensnachteil bestehe darin, dass sie für den Fall einer zukünftigen Veräußerung der betroffenen Liegenschaftsflächen am Markt nicht jenen Preis erzielen könne, der für den Fall der Lastenfreiheit erzielbar wäre. Dieser Nachteil verwirkliche sich derzeit jedoch nicht, da die Antragsgegnerin nicht daran denke, eine wirtschaftlich gleichwertige Ersatzlage durch Veräußerung der betroffenen Grundflächen herbeizuführen. Der Nachteil des Enteignungsvorgangs manifestiere sich in ihrem Vermögen aber insoweit, als sie (möglicherweise) im Zuge der steuerlichen Behandlung des Zuflusses dieses Entgelts eine außerordentliche Körperschaftsteuerbelastung zu tragen habe, die in dieser Form ungeachtet der sonstigen wirtschaftlichen Gebarung nicht entstanden wäre. Dieser Nachteil wäre nur dann nicht ersatzfähig, wenn aufgrund einschlägiger steuerrechtlicher Bestimmungen ein Ausnahmetatbestand für derartige Vermögenszuflüsse gegeben wäre. Darüber werde das anhängige Verfahren vor den Steuerbehörden Klarheit verschaffen. Vor dessen Abschluss könne daher nur ausgesprochen werden, dass die Antragsgegnerin dem Grunde nach Anspruch auf Ersatz einer solchen allenfalls entstehenden Steuerbelastung habe.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Dem Erstgericht sei beizupflichten, dass eine allfällige Verpflichtung zur Entrichtung der Körperschaftsteuer als Folge der Zahlung einer Enteignungsentschädigung kein mittelbarer Schaden sei, sondern eine unmittelbare Folge der Enteignung. Würde die anfallende Körperschaftsteuer nicht ersetzt werden, so würde der Antragsgegnerin nicht die volle Entschädigungssumme zur Abgeltung der Wertminderung inklusive Dienstbarkeitentgelt zur Verfügung stehen. Bereits die Verwaltungsbehörde habe in diesem Zusammenhang zu Recht darauf verwiesen, dass etwa beim Ersatz des Verdienstentgangs auch die auf den zu leistenden Ersatzbetrag entfallende Einkommensteuer zu ersetzen sei. Eine Verpflichtung zum Ersatz der anfallenden Körperschaftsteuer verstoße auch nicht gegen die gesetzlichen Bewertungsmethoden zur Berechnung der Enteignungsentschädigung, deren Zweck es sei, dass dem Enteigneten jenes Opfer, das er im Interesse der Allgemeinheit bringt, voll abgegolten werde. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, da höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob bei Zahlung einer Enteignungsentschädigung auch die dadurch ausgelöste Körperschaftsteuer zu ersetzen ist, nicht vorhanden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig und berechtigt.

Unzutreffend ist die Rechtsauffassung der Revisionsrekurswerberin, eine Belastung der Antragsgegnerin mit einer durch die Enteignung ausgelösten Körperschaftsteuer könne nicht stattfinden. Hier ist vorerst darauf hinzuweisen, dass § 12 EStG in seiner auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung nur für natürliche Personen gilt. Da auch kein Fall einer Ersatzbeschaffung vorliegt, erübrigen sich Auseinandersetzungen mit der Frage, inwieweit eine zeitnahe Ersatzbeschaffung Einfluss auf die Steuerbelastung der Antragsgegnerin haben könnte.

Zutreffend verweist die Revisionsrekurswerberin allerdings auf eine einschlägige Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs, deren Argumenten weitgehend auch für das österreichische Recht zu folgen ist. In diesem Urteil vom 13. 11. 1975 (III ZR 162/72 = NJW 1976, 232) wurde etwa ausgeführt, dass die für Gegenstände des Betriebsvermögens gemachten (steuerlichen) Wertansätze „stille" Rücklagen enthalten können, die bei einem Ausscheiden solcher Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen gegen Entgelt aufgelöst werden. Dann entstehe ein zu versteuernder Gewinn in Höhe des Betrags, um den das Entgelt den Buchwert des Wirtschaftsguts im Zeitpunkt seines Ausscheidens übersteigt. Dies gelte auch für einen Gewinn, der auf die für einen enteigneten Vermögenswert ausgezahlte Enteignungsentschädigung zurückzuführen ist. Die Enteignungsentschädigung solle dem Betroffenen das volle Äquivalent für das Genommene geben. Habe der Betroffene einen Ausgleich in Höhe des vollen Werts des Genommenen erhalten, so werde weiter nicht darauf abgestellt, ob er sich mit der Entschädigung tatsächlich einen dem enteigneten Gegenstand gleichartigen oder gleichwertigen Gegenstand beschaffen könne oder wolle. Auf die Höhe der Entschädigung sei es hiernach grundsätzlich ohne Einfluss, wie der Enteignete im Einzelfall die Geldentschädigung verwende. Eine durch die Enteignung aufgedeckte „stille" Rücklage zeige nur einen bereits vorhanden gewesenen verborgenen Gewinnposten auf; der Enteignungsvorgang bewirke lediglich, dass an die Stelle des Sachwerts der ihm voll entsprechende Geldbetrag tritt. Die Einkommensteuer knüpfe nicht einmal unmittelbar an diesen (einzelnen) Gewinnposten an; sie ergreife vielmehr den Gewinnüberschuss, der sich nach Abschluss des Wirtschaftsjahres bei einem Vergleich der gewerblichen Einkünfte und Ausgaben ergibt. Bei einer Gesamtbetrachtung der einkommensteuerlichen Folgen einer Enteignung könne nicht außer Betracht bleiben, dass die aufgedeckten „stillen" Rücklagen echte gewerbliche Gewinne aufzeigen, die zu gegebener Zeit ohnehin versteuert werden müssten. Die Zubilligung einer zusätzlichen Entschädigung für einen im Einzelfall spürbar werdenden steuerlichen Zugriff würde sogar zu einer Begünstigung der von der Enteignung betroffenen Steuerpflichtigen führen können, was dem enteignungsrechtlichen Ausgleichsgedanken widerspräche. Das Einkommensteuerrecht trage dem Anliegen, die dem Enteigneten „aufgedrängte" Geldentschädigung steuerneutral wieder anzulegen, in weitem Umfang Rechnung. Wo gleichwohl in Einzelfällen noch Härten auftreten könnten, ergäben sich diese allein aus der Struktur des Einkommensteuerrechts. Es wäre allein Aufgabe des Steuerrechts, allfällige Nachteile für die Enteignungsfälle zu vermeiden. Dieses Ergebnis werde unterstrichen durch die außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die sich bei der Berücksichtigung etwaiger Einkommensteuerfolgen im Enteignungsverfahren ergeben würden. Die Möglichkeit, den Veräußerungsgewinn durch Bildung entsprechender Rücklagen über Jahre hinweg zu neutralisieren, würde das Enteignungsverfahren mit der lange währenden Unsicherheit belasten, ob das Scheitern der Ersatzbeschaffung einen Folgeschaden entstehen lasse. Das würde dem Grundsatz, dass Enteignungsverfahren beschleunigt abgewickelt werden sollen, zuwider laufen.

Die tragenden Argumente dieser Entscheidung haben auch für das österreichische Recht Geltung. „Stille Reserven" sind die Unterschiedsbeträge zwischen den Veräußerungserlösen und den Buchwerten der veräußerten Wirtschaftsgüter (§ 12 Abs 2 EStG). Werden solche stille Reserven bei der Veräußerung von Anlagevermögen aufgedeckt, werden sie im entsprechenden Wirtschaftsjahr bilanzwirksam und können damit zu einem „ungeplanten" Bilanzgewinn führen, auf den die Antragsgegnerin gerade im vorliegenden Fall verweist. Ihrer Auffassung, die mit einem solchen Bilanzgewinn verbundene (zusätzliche) Körperschaftsteuerbelastung sei ihr im Rahmen eines umfassenden Ersatzes im Entschädigungsverfahren auszugleichen, ist das - auch vom Bundesgerichtshof herangezogene - Argument entgegenzuhalten, dass durch die Enteignung lediglich ein wirtschaftlich bereits vorhandener Gewinn aufgezeigt wird, der sich bisher bilanzmäßig - wegen der weit unter dem Verkehrswert liegenden Bewertung des entsprechenden Wirtschaftsguts in der Bilanz - noch nicht auf den Bilanzgewinn und damit auf die Körperschaftsteuerbelastung ausgewirkt hat. Es handelt sich um einen „echten gewerblichen Gewinn", der zu gegebener Zeit ohnehin versteuert werden müsste (vgl auch Brunner , Enteignung für Bundesstraßen 208). Ein zusätzlicher Ausgleich neben der Vergütung des Verkehrswerts der enteigneten Sache für das regelmäßig bloß zeitliche Vorziehen einer Steuerbelastung steht dem Enteigneten daher nicht zu.

Da der Antragsgegnerin keine über die Vergütung des Verkehrswerts hinausgehende Entschädigung zusteht, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Enteignungsentschädigung ohne Berücksichtigung einer allenfalls eintretenden Körperschaftsteuerbelastung festzusetzen haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, in dem die Antragstellerin voll obsiegt hat, beruht auf § 44 Abs 1 EisbEG. Die dort festgelegte Kostenersatzpflicht ist eine einseitige, sodass der Enteignete (= hier: Antragsgegner) niemals kostenersatzpflichtig wird (SZ 60/17; SZ 60/269 mwN). Der Antragsgegnerin steht allerdings für ihre im Rechtsmittelverfahren erstatteten Schriftsätze aufgrund deren Erfolglosigkeit ebenfalls kein Kostenersatz zu (vgl SZ 60/17). Deren Kosten sind lediglich dadurch entstanden, dass sie zu Unrecht die Auffassung vertreten hat, ihr stünde auch der Ersatz einer durch die Enteignung veranlassten Körperschaftsteuerbelastung zu. Das Unterliegen beruht insoweit nicht auf einer unrichtigen Einschätzung des zu vergütenden Werts der enteigneten Sache, sondern auf einer davon unabhängigen unzutreffenden Rechtsansicht, was als ungerechtfertigtes Einschreiten zu werten ist.