JudikaturJustiz1Ob199/21b

1Ob199/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E *****, vertreten durch Dr. Sacha Pajor, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 26.946,25 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Mai 2021, GZ 14 R 27/21z-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 20. Jänner 2021, GZ 23 Cg 28/20f 15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei ihre mit 1.438,20 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin stürzte auf einem vereisten Gehsteig vor einem Kindergarten. Sie begehrte von der mit dem Winterdienst betrauten Unternehmerin Schadenersatz. Das Berufungsgericht im Anlassverfahren wies die Klage ab, erklärte die Revision für nicht zulässig und wies – woraus die Klägerin nunmehr Amtshaftungsansprüche ableitet – den von ihr gemäß § 508 Abs 1 ZPO erhobenen Abänderungsantrag zurück.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Amtshaftungsklage und ließ die Revision zur Frage des an die Streupflicht eines im Bereich eines Kindergartens gelegenen Gehwegs anzulegenden Sorgfaltsmaßstabs zu.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird.

[4] Im Amtshaftungsverfahren ist nur zu prüfen, ob eine Rechtsansicht vertretbar war (RIS Justiz RS0049951; RS0049955). Die Beurteilung der Vertretbarkeit als Verschuldenselement hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0110837; RS0049955 [T10]; RS0049912 [T5, T11]).

[5] Aus den im Anlassverfahren getroffenen erstinstanzlichen Feststellungen ergibt sich, dass sich am Vortag des Unfalls stellenweise Schmelzwasser gebildet hatte, das in der Nacht lokal gefror und am Unfalltag (ab 6:00 Uhr) stellenweise Eisglätte bildete, die auch noch zum Unfallzeitpunkt um 8:00 Uhr bestehen „konnte“. Zudem kam es zwischen 7:00 Uhr und 7:30 Uhr zu Glatteisbildung durch (unerwarteten) gefrierenden Regen.

[6] Die Klägerin leitete die Haftung der mit dem Winterdienst beauftragten Unternehmerin im Anlassverfahren daraus ab, dass diese es trotz erkennbarer Gefahr gefrierenden Schmelzwassers bei ihrer am Unfalltag um 4:00 Uhr vorgenommenen Kontrolle unterließ, die Unfallstelle zu bestreuen.

[7] Die erstinstanzlichen Feststellungen des Anlassverfahrens lassen nicht klar erkennen, ob die Klägerin auf einer durch gefrorenes Schmelzwasser oder durch den nicht vorhersehbaren gefrierenden Regen vereisten Stelle stürzte. Selbst wenn man davon ausginge, dass das damalige Berufungsgericht eine Sorgfaltspflichtverletzung der mit dem Winterdienst beauftragten Unternehmerin annehmen hätte müssen, weil sie nach den im Anlassverfahren getroffenen Feststellungen mit gefrierendem Schmelzwasser an der Unfallstelle rechnen musste, hätte dies nur dann zu ihrer Haftung führen können, wenn festgestanden wäre, dass der Sturz tatsächlich auf einer dadurch vereisten Fläche erfolgte, weil sich sonst nicht jene Gefahr verwirklicht hätte, deren Vermeidung die verletzte Pflicht zur Bestreuung von Flächen, auf denen mit gefrierendem Schmelzwasser zu rechnen war, bezweckte.

[8] Die Klägerin behauptete in ihrer im Anlassverfahren erhobenen Revision und dem damit verbundenen Abänderungsantrag nicht, auf einer durch gefrorenes Schmelzwasser vereisten Stelle gestürzt zu sein. Somit zeigte sie – da ihr Klagebegehren nur in diesem Fall berechtigt gewesen wäre – keine die Zulässigkeit ihrer Revision begründende erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Beurteilung, es sei rechtlich vertretbar gewesen, diese nicht (nachträglich) zuzulassen, ist damit nicht korrekturbedürftig.

[9] Im Übrigen ist der Revisionswerberin die vom Erstgericht im Anlassverfahren getroffene Feststellung entgegenzuhalten, wonach die Wirksamkeit einer am Unfalltag vor dem Niederschlag durchgeführten Streuung durch den nachfolgenden (gefrierenden) Regen stark beeinträchtigt „wurde“ (worden wäre). Einer Streumaßnahme, deren Unterlassung Ersatzansprüche begründen soll, hätte aber praktisch ins Gewicht fallende Wirkung für die Verkehrssicherheit zukommen müssen (2 Ob 2289/96y mwN; 2 Ob 178/17s). Da dies nach der genannten – vom Berufungsgericht im Anlassverfahren in seiner rechtlichen Beurteilung berücksichtigten – Feststellung auf die von der Klägerin geforderte Bestreuung der Unfallstelle vor dem in der Früh einsetzenden gefrierenden Regen nicht zugetroffen hätte, konnte die Revision im Anlassverfahren auch aus diesem Grund rechtlich vertretbar als nicht zulässig beurteilt werden.

[10] Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Sie hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung.

Rechtssätze
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