JudikaturJustiz1Ob18/08s

1Ob18/08s – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. April 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Angelika S*****, vertreten durch Dr. Axel Fuith, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Agrargemeinschaft O*****, vertreten durch Offer Partner KEG, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Zuhaltung eines Vertrags (Streitwert 11.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. September 2007, GZ 2 R 168/07h-14, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 31. Mai 2007, GZ 18 Cg 105/06z-10, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 686,88 EUR (darin enthalten 114,48 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

1972 beschloss die Vollversammlung der beklagten Agrargemeinschaft, dass jedes Mitglied sowie ein Kind eines Mitglieds von der Agrargemeinschaft ein stark verbilligtes Grundstück erwerben könne. Es war vorgesehen, dass dem Erwerber durch den günstigen Grundpreis die Errichtung eines Einfamilienhauses ermöglicht werde; gleichzeitig sollte das Wegziehen von Kindern vermieden werden. Die Beschränkung der Bebauung auf Eigenheime (Einfamilienhäuser) wurde nicht schriftlich festgelegt, war jedoch den Mitgliedern der beklagten Partei allgemein bekannt. Bisher wurden ca 20 Grundstücke an Mitglieder verkauft. Die Erwerber errichteten jeweils ein Einfamilienhaus bzw eine - einem Einfamilienhaus gleich zu haltende - „Arbeiterwohnstätte". Keiner der bisherigen Erwerber betreibt eine Zimmervermietung. Auch die Klägerin - die Tochter eines Mitglieds der Agrargemeinschaft - wusste bereits bei Vertragsabschluss, dass sie auf dem Grundstück lediglich ein Einfamilienhaus (mit Einliegerwohnung) errichten dürfe. Der (schriftliche) Kaufvertrag enthält in dieser Richtung keine ausdrückliche Regelung. Ebensowenig enthält dieser Vertrag eine Regelung bezüglich einer - jedenfalls erforderlichen - Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über ein im Eigentum der beklagten Partei stehendes Grundstück sowie der Errichtung, Benützung und Erhaltung dort notwendiger Leitungen. Über die Einräumung einer Dienstbarkeit war beim Vertragsabschluss auch nicht gesprochen worden. Erstmals bei der Bauverhandlung erfuhr die beklagte Partei, dass die Klägerin ein Gebäude mit vier Wohneinheiten und vier überdachten Autoabstellplätzen zu errichten plante. Die Klägerin beabsichtigte die Vermietung „von Einheiten". Hätten dies die Vertreter der beklagten Partei bereits vor oder bei Vertragsabschluss gewusst, hätten sie den Grundverkauf zu dem ermäßigten Kaufpreis nicht genehmigt. In der Folge übersandte die Klägerin der beklagten Partei einen von ihr bereits unterzeichneten Entwurf eines Dienstbarkeitsvertrags, der die Einräumung eines immerwährenden, unbeschränkten und unentgeltlichen Rechts des Geh- und Fahrwegs sowie das Recht der Errichtung, Benützung und Erhaltung aller notwendigen Ver- und Entsorgungsleitungen vorsah. Die Vertreter der beklagten Partei unterzeichneten diesen Dienstbarkeitsvertrag nicht, sondern unterbreiteten einen Gegenvorschlag, der die Einräumung dieser Rechte „eingeschränkt ausdrücklich auf ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung, welches ausschließlich für Wohnzwecke zum Eigenbedarf zu nutzen ist", enthielt. Die Klägerin begehrte, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, den einen integrierenden Vertragsbestandteil des Urteils bildenden Dienstbarkeitsvertrag (entsprechend dem von ihr übersandten Vertragsentwurf) in grundbuchsfähiger Form zu unterfertigen und an die Klägerin zu übergeben. Eventualiter begehrte sie, die beklagte Partei sei schuldig, ihr das immerwährende, unbeschränkte und unentgeltliche Recht des Geh- und Fahrwegs sowie das Recht der Errichtung, Benützung und Erhaltung aller notwendigen Ver- und Entsorgungsleitungen über das Grundstück 3553/18 einzuräumen und in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrwegs zur Wiedererrichtung, Benützung und Erhaltung aller Ver- und Entsorgungsleitungen einzuwilligen. Da es ausschließlich auf den Inhalt des Kaufvertrags ankomme, der eine Beschränkung der Bebauung nicht vorsehe, sei eine solche nicht wirksam vereinbart worden. Die beklagte Partei wäre durch die Errichtung eines Gebäudes mit vier Wohneinheiten in keiner Weise beeinträchtigt. Es liege vielmehr nahe, dass die beklagte Partei lediglich die Interessen des Eigentümers eines Nachbargrundstücks (eines bekannten Politikers) verfolge, der offensichtlich bestrebt sei, die Bebauung der von der Klägerin erworbenen Liegenschaft zu verhindern.

Die beklagte Partei wendete ein, der der Klägerin in Rechnung gestellte Kaufpreis habe nur 7,25 EUR/m2 betragen. Dem stehe der übliche, von Nichtmitgliedern zu entrichtende Baulandpreis von 100 EUR/m2 gegenüber. Ausschließlich im Falle der Bezahlung des nicht begünstigten Kaufpreises wäre der jeweilige Käufer bei der beabsichtigten Bebauung nicht beschränkt. Der eindeutige Vertragswille der beklagten Partei sei darauf gerichtet gewesen, einem Mitglied bzw dessen Kind die Errichtung eines Eigenheims finanziell zu ermöglichen, nicht aber Vermietungsobjekte zu schaffen. Dies sei auch der Klägerin bei Kaufvertragsabschluss bekannt gewesen. Wenn sich die Klägerin - zum Unterschied von allen anderen bisherigen „begünstigten" Erwerbern - an diese Vorgabe nicht halte, könne die beklagte Partei nicht zur Einräumung eines unbeschränkten Dienstbarkeitsrechts auf ihrer Liegenschaft gezwungen werden. Das Geh- und Fahrrecht zu einem Gebäude mit mehreren Wohneinheiten stellte im Übrigen eine viel größere Belastung für das dienende Grundstück dar als eine solche Dienstbarkeit für ein Einfamilienhaus. Eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen „begünstigten" Erwerbern bestehe nicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Klägerin stünde lediglich ein beschränktes (und zugestandenes) Dienstbarkeitsrecht zu, weil der gemeinsame Parteiwille auf ein solches bei Errichtung eines Einfamilienhauses gerichtet gewesen sei. Dass die Beschränkung der Bebauungsweise nicht im schriftlichen Kaufvertrag ihren Niederschlag gefunden habe, ändere diese Beurteilung nicht. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und ließ letztlich die ordentliche Revision zu. Die Beschränkung der Bauweise sei als Bedingung des Kaufvertrags zu sehen, die nach dem übereinstimmenden Parteiwillen zum Vertragsinhalt geworden sei. Die erstmals in der Berufung erstatteten Ausführungen, die 1972 erfolgte Beschlussfassung der beklagten Partei sei ungültig, weil sie nicht schriftlich festgelegt worden sei, verstießen gegen das Neuerungsverbot. Selbst wenn das Vorbringen, gemäß der Satzung der beklagten Partei hätte der Beschluss der Vollversammlung im Beschlussbuch schriftlich vermerkt werden müssen, zulässig sein sollte, ließe sich allein aus dem Fehlen der Eintragung im Beschlussbuch nicht das Fehlen des Beschlusses sowie die Ungültigkeit der Vertretungshandlung der Organe der beklagten Partei ableiten, weil es sich hiebei um eine bloße Organisationsvorschrift handle und nicht um eine Anordnung, die die Handlungsfähigkeit der Organe der beklagten Partei im Außenverhältnis beschränken könnte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) - nicht zulässig.

1. Agrargemeinschaften sind nach § 34 Abs 3 des Tiroler Flurverfassungslandesgesetzes (TFLG), LGBl 1996/74, Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihr Organisationsrecht, also ihre Einrichtung und Tätigkeit, ist - abhängig von der Anzahl ihrer Mitglieder - von Amts wegen oder auf Antrag mit Bescheid (Satzung) zu regeln (§ 34 Abs 2 TFLG). § 36 Abs 1 lit d TFLG normiert, dass die Satzungen der Agrargemeinschaften ua insbesondere Bestimmungen über die Führung des Protokollbuchs zu enthalten haben. Nach dem Berufungsvorbringen normiert § 7 der Satzung der beklagten Partei, dass die Beschlüsse der Vollversammlung sogleich im „Beschlussbuch" einzutragen, die Eintragung noch in derselben Versammlung zu verlesen und nach allfälliger Richtigstellung vom Obmann und mindestens einem weiteren Mitglied zu unterfertigen sind. Zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer Agrargemeinschaft ist deren Obmann. § 35 Abs 7 TFLG legt fest, dass in Angelegenheiten, die der Beschlussfassung durch die Vollversammlung oder den Ausschuss unterliegen, der Obmann zur Vertretung „nur im Rahmen entsprechender Beschlüsse" befugt ist. Von der Revisionswerberin wird nicht in Frage gestellt, dass - soweit eine Agrargemeinschaft als Trägerin von Privatrechten auftritt - das wirksame Zustandekommen eines Vertrags nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln zu prüfen ist. Die Agrargemeinschaft kann ihren Willen somit auch durch schlüssiges Verhalten im Sinne des § 863 ABGB erklären, wenn die zu ihrer Vertretung berufenen Organe ein den Voraussetzungen des § 863 ABGB entsprechendes Verhalten setzen (SZ 52/165; RIS-Justiz RS0014110) und der durch das TFLG oder die Satzung festgelegte Umfang der Vertretungsmacht nicht überschritten wird (SZ 72/114; vgl Bollenberger in KBB2 § 867 ABGB Rz 5). Haben beide Teile einen gleichgerichteten Willen, wird dieser unabhängig von der objektiven Erklärungsbedeutung Vertragsinhalt (Bollenberger aaO § 863 ABGB Rz 4).

2. In ihrer Revision hält die Klägerin daran fest, in Ansehung der Beschränkung der Bebauungsweise mangle es an einem gültigen Beschluss der Vollversammlung der beklagten Partei, weil der 1972 gefasste mündliche Beschluss entgegen § 7 der Satzung nicht ins Beschlussbuch eingetragen worden sei, was von den Vorinstanzen von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wäre. Dazu ist auszuführen:

Gemäß § 867 ABGB hat derjenige, der mit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts einen Vertrag abschließt, die für ihre Willensbildung geltenden und in den Organisationsvorschriften enthaltenen Handlungsbeschränkungen der zur Vertretung berufenen Organe zu beachten und selbst dann gegen sich gelten zu lassen, wenn er sie nicht gekannt hat (siehe RIS-Justiz RS0014699), weil diese zum Schutz der Interessen der juristischen Person öffentlichen Rechts auch im Außenverhältnis wirksam sind (SZ 54/111; SZ 64/154; 2 Ob 7/98p ua). Welche Rechtsfolgen an die Außerachtlassung bloßer Formgebote geknüpft sind, ist mangels einer unmittelbaren Regelung im Einzelfall aus dem jeweiligen Sinn und Zweck des Formgebots zu entnehmen (JBl 1989, 307). Im vorliegenden Fall ist das Formgebot (nach dem Vorbringen der Revisionswerberin) in § 7 der Satzung enthalten. Der Zweck dieser Satzungsbestimmung liegt eindeutig bloß in der Feststellung des Inhalts des gefassten Beschlusses im Sinne einer Beurkundungsvorschrift. Beurkundungsvorschriften sind in der Regel aber nicht als Gültigkeitsvoraussetzung für Handlungen nach außen zu verstehen, sondern als bloß im Innenverhältnis zu beachtende Ordnungsvorschriften (vgl JBl 2004, 243; Bollenberger aaO § 867 ABGB Rz 6). Die Gültigkeit des hier zu beurteilenden Beschlusses ergibt sich aber auch aus § 6 der Satzung, auf den die Revisionswerberin in ihrer Revisionsschrift hinweist. Nach dieser Satzungsbestimmung werde ein Antrag zum „gültigen" Beschluss, sobald so viele Mitglieder dafür stimmen, dass sie mehr als die Hälfte der Anteilsrechte der Anwesenden und Vertreter erreichen. Schon aus diesem Wortlaut ist klar ersichtlich, dass die nachfolgende Eintragung im Beschlussbuch kein Gültigkeitserfordernis bzw mit keiner Vollmachtsbegrenzung verbunden ist (siehe Schwimann, ABGB3 § 867 Rz 10 mwN). Daraus folgt, dass das Fehlen der Eintragung im Beschlussbuch auch bei Beachtung der Vorschriften des TFLG sowie der besonderen Bestimmungen der Satzung nicht die Unwirksamkeit der Beschlussfassung zu bewirken vermag. Liegt aber ein wirksam zustande gekommener Vollversammlungsbeschluss vor, erfolgte die (konkludente) Vertretungshandlung des Obmanns „im Rahmen der Beschlussfassung" im Sinne des § 35 Abs 7 TFLG. Seine Vertretungshandlung diente ja gerade dazu, den in der Beschlussfassung zum Ausdruck kommenden Verbandswillen in Ansehung der Beschränkung der Bebauungsweise umzusetzen.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, es könnte selbst das Fehlen der Eintragung des Vollversammlungsbeschlusses im Beschlussbuch der Wirksamkeit der vom Obmann abgegebenen (schlüssigen) Willenserklärung nicht entgegenstehen, stellt demnach jedenfalls keine grobe Fehlbeurteilung dar. Nur unter dieser Voraussetzung läge aber eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, die vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden müsste.

3. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen kann dahingestellt bleiben, ob die Gerichte im vorliegenden Fall die Satzungen der Agrargemeinschaft von Amts wegen durch entsprechende Erhebungen bei der Agrarbehörde oder beim Grundbuch zu erforschen gehabt hätten. Festzuhalten ist aber, dass dem Gericht die Erforschung des anzuwendenden Rechts und seiner Normen grundsätzlich nur im Rahmen der geltend gemachten Ansprüche und Einwendungen obliegt. Es muss nicht durch Erforschung der anzuwendenden Sachnormen dem Beklagten Einwendungen gegen den Klageanspruch überhaupt erst ermöglichen (vgl RIS-Justiz RS0009201).

Da weder die vom Berufungsgericht aufgeworfene, noch die von der Klägerin in deren Revision für bedeutsam erachtete Rechtsfrage über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinaus von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO sind, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass die Kosten der Revisionsbeantwortung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nötig erscheinen.

Rechtssätze
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