JudikaturJustiz1Ob162/99a

1Ob162/99a – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sandra S*****, vertreten durch Dr. Christian Prem, Dr. Michael Mathis und Mag. Dieter Hauser, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Thomas H*****, derzeit unbekannten Aufenthalts, vertreten durch den Kurator Dr. Alfons Adam, Rechtsanwalt in Neulengbach, wegen S 70.000 sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 21. Jänner 1999, GZ 36 R 159/98w 31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom 28. Mai 1998, GZ 1 C 444/96y 23, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Zuspruch von S 18.937 sA und in der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens als unangefochten unberührt bleibt, wird darüber hinaus in der ersatzlosen Behebung des erstinstanzlichen Zuspruchs von S 51.063 sA aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin nahm im Sommer 1994 für den Beklagten, mit dem sie in Lebensgemeinschaft lebte, einen Privat Sofortkredit in der Höhe von S 78.000 auf, um einen Autokauf zu finanzieren. Der Beklagte sagte die Zahlung der Kreditraten zu. Von September bis Dezember 1994 überwies die Klägerin die monatlichen Raten in der Höhe von S 2.000 aus dem gemeinsamen Haushaltsgeld. Am 6. 1. 1995 trennten sich die Parteien. Der Beklagte leistete keine Zahlungen und verzog in der Folge nach Puerto Rico.

Mit ihrer am 30. 5. 1996 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, den Beklagten zur Zahlung von S 26.937 sA schuldig zu erkennen, und brachte vor, dass sie auf den für den Beklagten aufgenommenen Kredit bisher Raten in der Höhe des Klagsbetrags gezahlt habe.

Mit Beschluss vom 10. 6. 1996 wurde für den Beklagten ein Abwesenheitskurator bestellt. Dieser gestand in der Folge die Verpflichtung des Beklagten, den von der Klägerin aufgenommenen Kredit zurückzuzahlen, zu, stellte allerdings die Fälligkeit der noch nicht gezahlten Beträge und die Rückzahlungspflicht für jene Belastungen, die infolge einer unregelmäßigen oder verspäteten Zahlung durch die Klägerin verursacht worden seien, in Abrede.

In der Verhandlungstagsatzung vom 4. 12. 1996 dehnte die Klägerin das Klagebegehren auf S 78.000 sA aus und brachte dazu vor, dass tatsächlich an den Beklagten S 78.000 zugezählt worden seien.

Mit Urteil vom 21. 1. 1997 (ON 7) gab das Erstgericht dem Klagebegehren mit einem Betrag von S 70.000 sA statt und wies das Mehrbegehren in der Höhe von S 8.000 ab. Es begründete den Zuspruch mit einer "Schuldübernahme" gemäß § 1404 ABGB. Der Betrag von S 8.000 sei noch während der gemeinsamen Haushaltsführung der Streitteile bis Dezember 1994 zurückgezahlt worden. Die Klägerin habe nicht dartun können, ob oder wieviel sie selbst von diesem Betrag gezahlt habe.

Aus Anlass der gegen stattgebenden Teil erhobenen Berufung des Beklagten hob das Gericht zweiter Instanz das in seinem klagsabweisenden Teil mangels Anfechtung unberührt gebliebene Urteil in seinem stattgebenden Teil sowie im Kostenzuspruch ebenso als nichtig auf wie das gesamte erstinstanzliche Verfahren ab der Bestellung des Abwesenheitskurators. Es verwies die Rechtssache zur Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage an das Erstgericht zurück. Die Voraussetzungen der Kuratorbestellung seien gemäß den §§ 115 und 116 ZPO von der Klägerin glaubhaft zu machen, was jedoch bislang nicht geschehen sei.

Nach Nachforschungen und der Bescheinigung deren Ergebnisse durch die Klägerin führte das Erstgericht die Verhandlungstagsatzung vom 28. 5. 1998 (ON 21) durch, an deren Beginn die "Wiederholung der bisherigen Verfahrensergebnisse" protokolliert wurde. Nach Verlesung des berufungsgerichtlichen Beschlusses sowie der Schriftsätze der Klägerin ON 15 bis ON 19 über die Erhebungen zur Feststellung des Aufenthaltsorts des Beklagten vernahm das Erstgericht die Klägerin und verkündete sodann das Urteil, wonach der Beklagte zur Zahlung des Betrags von S 70.000 sA schuldig erkannt werde. Der Beklagte habe sich zur Rückzahlung des von der Klägerin aufgenommenen Kredits verpflichtet. Die Klägerin habe auf diesen bis zum Schluss der Verhandlung im zweiten Rechtsgang S 79.000 an die kreditgewährende Bank geleistet. Es hafte noch ein Kreditrest von S 23.256 unberichtigt aus. Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten finde seine Rechtsgrundlage in § 1404 ABGB.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Gericht zweiter Instanz der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten teilweise Folge, behob den erstinstanzlichen Zuspruch von S 51.063 sA ersatzlos und erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin S 18.937 sA zu bezahlen. Ein Zinsenmehrbegehren wies das Berufungsgericht ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die unter dem Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemachte Überschreitung des Klagebegehrens gemäß § 405 ZPO sei in der Tat gegeben. Die in dem für nichtig erklärten Verfahrensabschnitt vorgenommene Klagsausdehnung sei im fortgesetzten Verfahren nicht wiederholt worden. Die in der Verhandlungstagsatzung vom 28. 5. 1998 protokollierte "Wiederholung der bisherigen Verfahrensergebnisse" umfasse die Klagsausdehnung schon deshalb nicht, weil diese kein Verfahrensergebnis, sondern eine Parteiprozesshandlung sei. Im Hinblick auf den in § 176 ZPO verankerten Verfahrensgrundsatz der Mündlichkeit könne eine Klagsausdehnung bzw ein Prozessvorbringen nur dann Verhandlungsbestandteil und damit Entscheidungsgrundlage sein, wenn und soweit diese mündlich vorgetragen wurden. Maßgebend sei daher nur der ursprüngliche Klagsbetrag von S 26.937 sA, von dem bereits ein Betrag von S 8.000 mit Urteil vom 21. 1. 1997 rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Revision der Klägerin, mit der diese die ersatzlose Behebung des erstinstanzlichen Zuspruches von S 51.063 sA bekämpft, kommt Berechtigung zu.

Die Ergebnisse und Beweisaufnahmen eines vom Berufungsgericht als nichtig erklärten Verfahrens dürfen vom Erstgericht nach Zurückverweisung der Rechtssache nicht verwertet werden (Fasching, LB2 Rz 1796). Vielmehr hat das Erstgericht neu zu verhandeln und auf Grund dieser Verfahrensergebnisse seine Sachentscheidung zu fällen (SZ 70/104; 5 Ob 149/98t). Eine dem § 476 Abs 2 ZPO vergleichbare Bestimmung, nach der bei Zurückverweisung der Sache wegen Unzuständigkeit das neu befasste zuständige Erstgericht die Ergebnisse des Verfahrens vor dem unzuständigen Gericht verwerten darf, findet sich in den §§ 478 Abs 2, 479 Abs 1 ZPO über die Zurückverweisung im Falle der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils wegen Nichtigkeit nicht.

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass die Klagsausdehnung in der Verhandlungstagsatzung vom 4. 12. 1996 (ON 5) infolge Nichtigerklärung dieses Verfahrensabschnitts beseitigt wurde und es daher eines entsprechenden Parteienvortrags im neu durchzuführenden Verfahren bedurft hätte. Ebenso ist ihm darin zuzustimmen, dass der auf die ursprüngliche Klagsausdehnung entfallende Zuspruch im zweiten Rechtsgang grundsätzlich gegen die Bestimmung des § 405 verstieße und damit nach gesicherter Rechtsprechung einen Verfahrensmangel begründete (SZ 42/138; ZVR 1983/30; MR 1989, 104; 4 Ob 285/97h u.a.; Rechberger in Rechberger ZPO2 § 405 Rz 6).

Allerdings darf in diesem Zusammenhang die Rügepflicht des § 196 ZPO nicht unbeachtet gelassen werden. Die Unterlassung der gebotenen Neudurchführung der Verhandlung ist kein der Rügepflicht entzogener Stoffsammlungsmangel (vgl JBl 1995, 320; 2 Ob 2073/96h), sondern die Verletzung prozessualer Förmlichkeit. Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit der gemäß § 412 Abs 2 ZPO infolge geänderter Senatszusammensetzung erforderlichen Neudurchführung der Verhandlung schon wiederholt ausgesprochen, dass der in der teilweisen Unterlassung der Neudurchführung liegende Verfahrensmangel nur nach entsprechender Rüge im Verfahren wahrgenommen werden könne (SZ 49/106; 2 Ob 564/78; 8 ObA 226/94). Gleiches gilt in dem hier zu entscheidenden Fall. Für den Kurator des Beklagten war es klar erkennbar, dass der Erstrichter mit der protokollierten Erklärung der "Wiederholung der bisherigen Verfahrensergebnisse" gemäß § 138 ZPO an die vorhergehende Verhandlung anknüpfen wollte. Es wäre an ihm gelegen, diese Vorgangsweise zu rügen. Mangels Wahrnehmung der ihn treffenden Rügepflicht konnte er sich daher im Rechtsmittelverfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Verfahren deshalb mangelhaft geblieben sei, weil der Urteilsfällung die im nichtigen Verfahrensabschnitt erklärte Klagsausdehnung zu Grunde gelegt wurde. Dies umso weniger, als der Ansatz der vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz gelegten Kostennote zeigt, dass auch der Beklagtenvertreter davon ausging, dass die Wiederholung der Verfahrensergebnisse eingangs der Verhandlung auch die bisherigen Parteienanträge umfasste.

Der Revision ist Folge zu geben.

Das Berufungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Berufung des Beklagten insoweit als diese den Betrag von S 51.063 zum Gegenstand hat, neuerlich unter Bindung an die voranstehenden Erwägungen zu behandeln haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.