JudikaturJustiz1Ob125/18s

1Ob125/18s – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. September 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Schuster, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 50.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2018, GZ 14 R 60/18y 34, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Februar 2018, GZ 30 Cg 17/16i 27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gegenstand der von der Klägerin eingebrachten „Klage wegen europarechtlicher Staatshaftung“ ist der von der Klägerin erhobene Vorwurf, die in unionsrechtswidriger Weise erfolgte Besteuerung ihrer Tochtergesellschaft im Zeitraum von 1. 9. 2010 bis zum 31. 12. 2012 habe zu ihrer materiellen Enteignung wegen Wertlosigkeit ihrer Beteiligung daran geführt.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte im ersten Rechtsgang die a limine erfolgte (gänzliche) Zurückweisung der Klage gegenüber den (damals noch) beiden beklagten Parteien Bund und Land Vorarlberg nur insoweit, als die Klägerin ihr Begehren auf Entscheidungen des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofs gestützt hatte. Anlässlich dieser Entscheidung stellte der erste Senat für das weitere Verfahren klar, dass es der Präzisierung des Feststellungsbegehrens durch die Klägerin bedürfe, weil ein solches Begehren so konkret zu fassen sei, dass im Falle der Stattgebung in Zukunft möglichst wenig Zweifel über dessen Reichweite auftreten könnten; dem Begehren der Klägerin fehle aber jedwede Konkretisierung des haftungsbegründenden Verhaltens (1 Ob 215/16y).

Das Erstgericht trug dementsprechend im fortgesetzten Verfahren der Klägerin auf, anzugeben, aus welchem Handeln welcher Organe eine Staatshaftung abgeleitet werde, weshalb der Bund und das Land solidarisch in Anspruch genommen würden und weshalb es auf Bescheidzustellungen sowie die Eröffnung des Konkursverfahrens in Wien ankommen solle.

Nach Verbesserung durch die Klägerin wies das Erstgericht die Klage gegenüber dem Land Vorarlberg wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück und überwies die Rechtssache an das Landesgericht Feldkirch.

Gegenüber dem – als einzige beklagte Partei verbliebenen – Bund wies es das Klagebegehren (nun gerichtet auf Zahlung und Feststellung der Haftung für „sämtliche weiteren über den Betrag von EUR 50.000,-- hinausgehenden Schäden, die aus der Anwendung des § 57 GSpG [Glücksspielabgabe], der §§ 2 und 3 Kriegsopferabgabegesetz für das Land Vorarlberg [Kriegsopferabgabe] und des § 3 Vorarlberger VgStG gegenüber dem Unternehmen [ihrer Tochtergesellschaft] resultieren“) ohne Durchführung eines Beweisverfahrens mit der Begründung ab, für das Vollzugsverhalten von Landesorganen hafte nur das Land, dessen (Ausführungs )Gesetz vollzogen werde, nicht aber auch der Bund. Vollzugshandlungen von Bundesorganen habe die Klägerin auch nach Erörterung nicht schlüssig darstellen können.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es erachtete die Rechtsansicht des Erstgerichts als zutreffend, und zwar umso mehr, als sich die Klägerin in der Berufung nicht (mehr) auf den Vollzug der Glücksspielabgabe nach § 57 Glücksspielgesetz gestützt habe, sondern alleine und ausschließlich auf eine von ihr als „Solidarhaftung“ bezeichnete Mithaftung des Bundes für den Vollzug eines behauptetermaßen unionsrechtswidrigen Landesgesetzes. Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Konle (C 302/97, ECLI:EU:C:1999:271 Rn 63f) sei es bei einem Bundesstaat ausreichend, wenn nicht dieser als solcher die Erfüllung der Staatshaftungsansprüche sicherstelle, sondern lediglich ein Gliedstaat. Daraus ergebe sich, dass das Gemeinschaftsrecht nicht in das innerstaatliche Kompetenz- und Haftungsgefüge der Mitgliedstaaten eingreife und es seien auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch die Bestimmungen des AHG analog anzuwenden. Nach dem funktionellen Organbegriff des § 1 Abs 1 AHG hafte aber immer nur jener Rechtsträger für ein Vollzugsverhalten, in dessen Namen das jeweilige Organ das inkriminierte Verhalten verwirklicht habe. Der Bund sei daher für die behaupteten Schadenersatzansprüche schon grundsätzlich nicht passiv legitimiert.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision kann eine erhebliche Rechtsfrage nicht aufwerfen, was nur kurz begründet werden muss (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Die Revisionswerberin behauptet, es könne unter Zugrundelegung des funktionellen Organbegriffs kein Zweifel daran bestehen, dass neben dem Land auch der Bund für das unionsrechtswidrige Verhalten der Landesorgane einzustehen habe, weil die dabei tätigen Organe mit der Vollziehung des Landesgesetzes auch die diesem zugrundeliegende Grundsatzbestimmung des § 31a GSpG vollzögen. Es fehle aber Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Mithaftung des Bundes für Fehlverhalten von Organen eines Bundeslandes in jenen Fällen, in denen das Organ des Landes neben den Abgabenbestimmungen des Landes zugleich auch Abgabenbestimmungen des Bundes „für Bundeszwecke“ vollziehe.

2. Diesen Erwägungen, die sich allein mit der Frage der Zurechnung von Vollzugshandlungen befassen, ist Folgendes zu entgegen:

2.1. Bei ihrer Argumentation zum (Mit-)Vollzug der Grundsatzbestimmung nach § 31a GSpG übersieht die Klägerin schon ganz grundsätzlich, dass damit die Besteuerung ihrer Tochtergesellschaft nicht angeordnet wurde. Nach § 31a GSpG dürfen die Länder und Gemeinden bloß die Konzessionäre und Bewilligungsinhaber nach den §§ 5, 14 und 21 GSpG und deren Spielteilnehmer sowie Vertriebspartner weder dem Grunde noch der Höhe nach mit Landes- und Gemeindeabgaben belasten, denen keine andere Ursache als eine nach dem GSpG konzessionierte Ausspielung zu Grunde liegt; die Norm trägt damit die „Besteuerung“ anderer Ausspielungen nicht auf. Es liegt (allein) in der Hand der Länder, ob sie andere Veranstaltungen (Ausspielungen) als jene der zuvor genannten Konzessionäre in ihrem Gebiet besteuern (oder nicht). Die Vorschreibung der Steuer nach dem Vorarlberger Kriegsopferabgabegesetz (Vlbg KOAG; LGBl 1989/40 idgF) beruhte folglich nicht auf dieser Bestimmung als (Bundes-)Grundsatzgesetz; es wurde § 31a GSpG dabei also auch nicht „mitvollzogen“.

2.2. Soweit die Klägerin auf dem Standpunkt steht, es könne unter Zugrundelegung des funktionellen Organbegriffs „keine Zweifel bestehen, dass neben dem Land Vorarlberg auch der Bund für das unionsrechtswidrige Verhalten der Landesorgane einzustehen“ habe, scheint sie die von den Vorinstanzen herangezogene Rechtsprechung zur „Funktionstheorie“ misszuverstehen.

Für die Frage, welchem Rechtsträger ein Fehlverhalten eines Organs (amts )haftungsrechtlich zuzurechnen ist, kommt es auf die funktionelle Zuordnung an. Gehört das die schädigende Handlung setzende Organ allerdings organisatorisch einem anderen Rechtsträger an, haftet gemäß § 1 Abs 3 AHG auch dieser Rechtsträger solidarisch mit jenem, dem das Organ funktionell zugeordnet ist (1 Ob 120/09t mwN).

Darauf, dass (im organisatorischen Sinn) Bundesorgane bei der Vorschreibung der Abgaben tätig gewesen wären, berief sich die Klägerin gar nicht. Nach der Funktionstheorie ist das schädigende Organhandeln aber jenem Rechtsträger zuzurechnen, in dessen Namen und für den das betreffende Organ im Zeitpunkt der angeblich schuldhaften Handlung agierte; es kommt also darauf an, in wessen funktionellen Bereich das Organ dabei tätig war (RIS Justiz RS0087680 [T1]; RS0038400 [T4, T7]). Eine Haftung des Bundes für Landes- oder Gemeindeorgane ist damit nach der Funktionstheorie durchaus möglich. So haftet der Bund für gesetzwidrige Handlungen von Landes- oder Gemeindeorganen, wenn diese im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung tätig sind (vgl RIS Justiz RS0038400 [T9, T11]). Auch eine Solidarhaftung mehrerer Rechtsträger wurde bereits anerkannt, und zwar in den Fällen, in denen das Organverhalten (nach der Funktionstheorie gleichzeitig oder untrennbar) mehreren Rechtsträgern zuzuordnen ist (vgl 1 Ob 35/87 = RIS Justiz RS0050069 [T1]: Schulwesen [Bund] und Feuerpolizei [Gemeinde]; 1 Ob 7/86: Straßenpolizei [Land] und Kraftfahrwesen [Bund]). Die Klägerin meint nun offenbar, es komme für die Haftung darauf an, „wessen“ Gesetz vollzogen werde. Damit stellt sie für die Frage der Zurechnung – zu Unrecht – auf die Gesetzgebungskompetenz und nicht auf die Vollzugskompetenz ab.

2.3. Zwar ist gemäß Art 10 Abs 1 Z 4 B VG der Kompetenztatbestand Monopolwesen in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Im vorliegenden Fall geht es aber um den Vollzug von abgabenrechtlichen Regelungen. Solche sind im Hinblick auf die in Art 10 ff B VG geregelte Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bund und den Ländern als grundsätzlich neutral anzusehen („Kompetenzneutralität des Abgabenwesens“; VfGH B 1895/06 = VfSlg 18.183 mwN). Die Gesetzgebungs-kompetenz des Bundes für die Erlassung des § 31a GSpG als Grundsatzbestimmung des Abgabenrechts beruht auf § 7 Abs 4 Finanzverfassungsgesetz (F VG).

2.4. Wie schon die Gesetzgebungskompetenz ist auch die Kompetenz zur Vollziehung im Abgabenrecht im F VG geregelt ( Mayer/Kucsko Stadlmayer/Stöger , Bundes-verfassungsrecht 11 Rz 275, 283; Köhler , Neuregelung der Gesetzgebungskompetenz für das Abgabenverfahren nach § 7 Abs 6 F VG, FS Mayer [2011] 199). Das F VG unterscheidet in seinem § 11 zwischen Bundesabgaben und den für Zwecke der Länder (Gemeinden) erhobenen Zuschlägen zu Bundesabgaben einerseits und den übrigen Abgaben der Länder (Gemeinden). Erstere sind, soweit durch Bundesgesetz nichts anderes bestimmt wird, durch die Organe der Bundesfinanzverwaltung zu bemessen und einzuheben (§ 11 Abs 1 und 2 F VG). Letztere werden, soweit durch Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, durch die Organe jener Gebietskörperschaft bemessen und eingehoben, für deren Zwecke sie ausgeschrieben werden (§ 11 Abs 3 F VG). Wenn nun in § 11 Vlbg KOAG die Verwendung des Abgabenertrags zur Abdeckung jener Beiträge vorgeschrieben ist, die das Land dem Landeskriegsopferfonds zu gewähren hat, ein übersteigender Abgabenertrag für Zwecke der Behindertenhilfe zu verwenden ist, die Gemeinde gemäß § 8 Abs 1 Vlbg KOAG die [...] an sie abgeführten Abgabenbeträge [...] an das Landesabgabenamt (nun an die Landesregierung [LGBl 2013/44]) zu überweisen hatte und die Gemeinden hinsichtlich der Vorschreibung und Einhebung der Abgaben vom Landesabgabenamt (nun von der Landesregierung [LGBl 2013/44]) beaufsichtigt wurden (§ 9 Abs 1 Vlbg KOAG), ist eine Vollziehung durch Landesorgane namens des beklagten Bundes nirgendwo ersichtlich. Dessen („Mit“-)Haftung für ein behauptetermaßen unionsrechtswidriges Verhalten der Landesorgane kommt damit nicht in Betracht.

3. Da sich die Zurechnungsfrage also bereits anhand der vom Obersten Gerichtshof dazu entwickelten Grundsätze beantworten lässt und die Abweisung der gegen den Bund gerichteten Klage durch die Vorinstanzen mit diesen in Einklang steht, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.