JudikaturJustiz1Ob124/16s

1Ob124/16s – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj T***** E*****, über den Revisionsrekurs des Vaters W***** C*****, vertreten durch die Poganitsch, Fejan Partner Rechtsanwälte GmbH, Wolfsberg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 26. Februar 2016, GZ 1 R 286/15a 143, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wolfsberg vom 24. September 2015, GZ 1 Pu 222/09i 133, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Erstgerichts wird wiederhergestellt.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom 16. 5. 2008 erkannte das Erstgericht den Vater schuldig, dem Minderjährigen ab 4. Jänner 2008 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 238 EUR zu zahlen; dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft. In einer Stellungnahme vom 16. 2. 2015 zum Inhalt eines Protokolls über die Vernehmung des Vaters hielt die Mutter – erkennbar in Vertretung des Minderjährigen – unter anderem fest, aus dem Zugeständnis des Vaters über die Bemessungsgrundlage von rund 3.050 EUR [monatlich] im Jahr 2011 ergebe sich die Unrichtigkeit einer früheren Angabe über sein Einkommen. Sie ersuchte um Klärung und Auskunft darüber, ob aufgrund dieser Fakten die Verjährungsfrist von drei Jahren in diesem Zusammenhang aufzuheben wäre, was zu einem rückwirkenden Anspruch ab Jänner 2011 (und nicht nur für November und Dezember 2011) führen würde. Weiters erklärte sie, die Einkommensverhältnisse und Bemessungsgrundlagen des Unterhaltspflichtigen seit 2008 nochmals prüfen zu lassen und diesbezüglich im Falle einer Differenz zu Ungunsten des Kindes Nachforderungen zu stellen, sofern dem Antrag auf Aufhebung der Verjährungsfristen zugestimmt wird. Am 31. 7. 2015 stellte sie dann für das Kind einen „Abänderungsantrag § 73 AußStrG“, mit dem sie erkennbar eine Abänderung des Beschlusses vom 16. 5. 2008 dahin anstrebt, dass der Vater in der Zeit von Jänner 2008 bis November 2011 höhere Zahlungen zu leisten hat. Die Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Der Vater habe im seinerzeitigen Verfahren unrichtige Angaben über seine Einkommensverhältnisse gemacht und zwei Gehaltserhöhungen verschwiegen, was insbesondere aus dem Protokoll vom 15. 2. 2015 ersichtlich sei. Im Jahr 2011 hätte der Vater jedenfalls 440 EUR zusätzlich leisten müssen; auch die Jahre 2008 bis 2010 seien neu zu berechnen. Ihrem Antrag legte sie unter anderem Auszüge aus gerichtlichen Protokollen mit Aussagen des Vaters über sein Einkommen in den Jahren 2011 und 2012 vor.

Das Erstgericht wies den Abänderungsantrag zurück. Gemäß § 72 AußStrG könne unter bestimmten Voraussetzungen ein Abänderungsantrag gestellt werden, wenn die Wirkung eines Beschlusses nicht durch die Einleitung eines anderen gerichtlichen Verfahrens beseitigt werden könne oder wenn über die Sache bereits mit einem rechtskräftigen Beschluss entschieden wurde. Die Begehren im Abänderungsantrag seien bereits mehrmals behandelt und teilweise auch bereits mit rechtskräftigen Beschlüssen entschieden worden. Bis heute seien auch keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht worden. Keinesfalls seien den bisherigen Entscheidungen „Falschaussagen und Beweismangel“ zugrunde gelegen.

Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach rechtskräftiger Erledigung eines Antrags des Minderjährigen vom 16. 2. 2015 auf; es erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Nach dem Eintritt der Rechtskraft eines Beschlusses, mit dem über die Sache entschieden wurde, könne seine Abänderung etwa dann beantragt werden, wenn die Partei Kenntnis von neuen Tatsachen erlangt oder Beweismittel auffindet oder zur Benützung in Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten (§ 73 Abs 1 AußStrG). Ein Abänderungsantrag komme nur in Betracht, wenn die Wirkung eines Beschlusses nicht durch die Einleitung eines anderen gerichtlichen Verfahrens beseitigt werden könne (§ 72 AußStrG). Wurde vor dem Abänderungsantrag zur Beseitigung der Wirkungen des Beschlusses ein anderer Antrag gestellt, so beginne im Falle der Zurückweisung dieses Antrags die vierwöchige Frist erst mit dem Eintritt der Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses (§ 74 Abs 3 AußStrG). Diese Erleichterungen beim Fristbeginn sollten verhindern, dass eine Partei durch eine Erhebung eines anderen Antrags, demgegenüber sie den Abänderungsantrag als subsidiär ansieht, Rechtsnachteile erleidet. Damit müsse eine Partei, die einen Beschluss zunächst auf eine andere Weise als mit einem Abänderungsantrag „bekämpft“, nicht befürchten, dadurch die Frist für die Stellung eines Abänderungsantrags zu versäumen. Jede Unterhaltsregelung unterliege der Umstandsklausel, sodass wesentliche Änderungen der Verhältnisse über Antrag zu einer Neufestsetzung des Anspruchs führen. Dabei könne der Erhöhungsantrag auch für die Vergangenheit gestellt werden. Einem Begehren, die Unterhaltsverpflichtung im Hinblick auf eine (wesentliche) Änderung der Verhältnisse in anderer Weise festzusetzen, stehe die Rechtskraft der vorangegangenen Unterhaltsbemessung nicht entgegen. Bei einer Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit sei zu beachten, dass sie nicht in die materielle Rechtskraft einer vorangegangenen Unterhaltsentscheidung eingreifen dürfe. Im vorliegenden Fall erweise sich die Entscheidung über den Abänderungsantrag als „verfrüht“. Der Minderjährige behaupte zwar in geeigneter Weise das Vorliegen eines Abänderungsgrundes nach § 73 Abs 1 Z 6 AußStrG, welchen er ohne sein Verschulden im vorangegangenen Verfahren nicht geltend habe machen können. Allerdings habe er nach Auffassung des Rekurssenats bereits zuvor, nämlich am 16. 2. 2015, erkennbar den Antrag gestellt, den von seinem Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt vom 4. 1. 2008 bis 30. 10. 2011 rückwirkend zu erhöhen, und zunächst auf diese Weise versucht, das von ihm angestrebte Rechtsschutzziel zu erreichen. Über diesen Antrag sei bisher nicht entschieden worden. Bevor der später gestellte, subsidiäre Abänderungsantrag einer Entscheidung unterzogen werden könne, werde das Erstgericht den Antrag auf rückwirkende Erhöhung einer Überprüfung und Entscheidung zuzuführen haben. Sollte das Erstgericht zur Auffassung gelangen, dass diesem Antrag die Rechtskraft des Beschlusses vom 16. 5. 2008 entgegensteht, werde er zurückzuweisen sein; erst nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses sei der Abänderungsantrag einer Bearbeitung und Entscheidung zugänglich. Andernfalls werde der Erhöhungsantrag einer inhaltlichen Behandlung zuzuführen sein. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob vor Entscheidung über einen Abänderungsantrag ein zuvor gestellter, auf Beseitigung der Wirkung desselben Beschlusses abzielender Antrag auf Erhöhung des monatlichen Unterhalts für die Vergangenheit einer Erledigung zuzuführen ist.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Vater erhobene – vom Minderjährigen beantwortete – Revisionsrekurs, mit dem er eine Wiederherstellung des erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses anstrebt, ist zulässig und berechtigt.

Nach dem Eintritt der Rechtskraft eines Beschlusses, mit dem über die Sache entschieden wurde, kann seine Abänderung unter anderem beantragt werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte (§ 73 Abs 1 Z 6 AußStrG). Das Instrument des Abänderungsantrags steht allerdings nur zur Verfügung, wenn die Wirkungen eines Beschlusses nicht durch die Einleitung eines anderen gerichtlichen Verfahrens beseitigt werden können (§ 72 AußStrG). Unzulässige Abänderungsanträge sind zurückzuweisen (§ 77 Abs 1 AußStrG).

Zutreffend verweist der Revisionsrekurswerber daher darauf, dass ein Abänderungsantrag nur dann zulässig ist, wenn die Wirkungen des ursprünglichen Beschlusses nicht durch die Einleitung eines anderen gerichtlichen Verfahrens beseitigt werden können und ein dennoch gestellter Abänderungsantrag entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nicht als „verfrüht“ einfach später zu behandeln, sondern vielmehr als unzulässig zurückzuweisen ist (7 Ob 16/14z = SZ 2014/19 = RIS Justiz RS0129368). Im Hinblick auf Unterhaltsansprüche steht den Parteien für gerichtliche Entscheidungen, die Zahlungspflichten für die Zukunft aussprechen, regelmäßig das Instrument des Erhöhungs bzw Herabsetzungsantrags zur Verfügung (vgl nur Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 72 Rz 8); was immer dann der Fall ist, wenn sich die Verhältnisse nachträglich geändert haben (RIS Justiz RS0107666; RS0053297, RS0047398), da die materielle Rechtskraft nachträglichen Tatbestandsänderungen nicht Stand hält (RIS Justiz RS0007140; RS0007171 [T16, T21, T28]).

Darauf, ob ein derartiger Erhöhungsantrag bereits gestellt wurde – was das Rekursgericht für den vorliegenden Fall bejaht – oder die Partei bloß die Möglichkeit hätte, die angestrebte Korrektur der seinerzeitigen Entscheidung unter Berufung auf die im Abänderungsantrag geltend gemachten Umstände auch im Wege eines Erhöhungsantrags zu erreichen, kommt es im Ergebnis nicht an, ist doch ein Abänderungsantrag nur dann zulässig, wenn kein anderer Antrag zur Geltendmachung der relevanten Umstände zur Verfügung steht.

Im vorliegenden Fall behauptet der Minderjährige, im Nachhinein neue Erkenntnisse über die Einkommensverhältnisse des Vaters in den Jahren 2011 und (für das vorliegende Verfahren ohne Relevanz) 2012 erlangt zu haben. Da die Einkommensverhältnisse für diesen Zeitraum bei der Beschlussfassung im Jahr 2008 noch nicht berücksichtigt werden konnten, steht ihm einerseits zweifellos der Erhöhungsantrag zur Verfügung und liegt andererseits – es werden ja nur nova producta (also neu entstandene Tatsachen bzw Beweismittel) geltend gemacht – auch gar kein Abänderungsgrund iSd § 73 Abs 1 Z 6 AußStrG vor. Da aber auch für den übrigen Zeitraum – insbesondere für die Zeit vom 4. 1. 2008 bis zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt (16. 5. 2008) – kein tauglicher Abänderungsgrund dargelegt wird, sondern nur Vermutungen geäußert werden, mangelt es dem Antrag insgesamt an den gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen.

Damit erweist sich die Zurückweisungsentscheidung des Erstgerichts im Ergebnis als richtig, die daher in Stattgebung des Revisionsrekurses wiederherzustellen ist.