JudikaturJustiz17Os29/15s

17Os29/15s – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2015 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin A***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. Juni 2015, GZ 37 Hv 11/15z-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Martin A***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 5. November 2013 in B***** als Gerichtsvollzieher des gleichnamigen Bezirksgerichts, somit als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch Josef H***** an dessen Recht auf persönliche Freiheit zu schädigen, seine Befugnis (zu ergänzen: , im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen,) wissentlich missbraucht, indem er die zur Unterstützung herbeigerufenen (vgl § 26 Abs 2 EO) Polizeibeamten Matthias Bu***** und Dominik S***** anwies, den in einem Exekutionsverfahren des genannten Bezirksgerichts Verpflichteten Josef H***** zum Polizeianhaltezentrum (PAZ) B***** „vorzuführen“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Nach den maßgeblichen Feststellungen habe der (hiefür zuständige) Rechtspfleger des Bezirksgerichts B***** nach mehreren erfolglosen Vollzugsversuchen die zwangsweise Vorführung des Verpflichteten Josef H***** zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses, sollte dieser es an seiner Wohnstätte nicht abgeben, angeordnet. Der entsprechende Vollzugsauftrag sei dem Beschwerdeführer zugeteilt worden. Zum damaligen Zeitpunkt habe es eine (generelle) Weisung der für Exekutionssachen zuständigen Richterin an den Gerichtsvollzieher gegeben, vor einer Vorführung (im Interesse einer möglichst kurzzeitigen Freiheitsbeschränkung) Rücksprache mit ihr oder dem zuständigen Rechtspfleger zu halten; Vorführungen seien nur während der Dienststunden des Gerichts vorzunehmen. Am 5. November 2013 habe der Beschwerdeführer den Verpflichteten um etwa 20:15 Uhr an dessen Wohnsitz zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses aufgefordert und nach dessen Weigerung „die Polizei zur Assistenz“ angerufen. Da Josef H***** auch in Anwesenheit der Polizeibeamten Matthias Bu***** und Dominik S***** die Abgabe des Vermögensverzeichnisses verweigert habe, habe der Beschwerdeführer diese angewiesen, den Verpflichteten in das PAZ zu verbringen und dort anzuhalten, er werde „am nächsten Morgen alles Weitere abklären“. Den Polizeibeamten habe er auf Nachfrage mitgeteilt, dies sei „gesetzlich vorgesehen“ und „mit dem BG B***** bereits so abgesprochen“; zur Bekräftigung habe er ihnen eine Visitenkarte mit der handschriftlichen Notiz „Abg. VVZ § 47 Verw.“ übergeben. Die Polizeibeamten hätten Josef H***** zunächst zum PAZ gebracht; eine Festnahme auf Grund eines gerichtlich strafbaren Verhaltens sei nicht erfolgt. Dort habe Matthias Bu***** erfolglos versucht, „Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Amtshandlung“ durch Anrufe beim Beschwerdeführer (der sich mittlerweile entfernt habe), dem Bezirksgericht B***** (etwa um 21:00 Uhr) und der Staatsanwaltschaft auszuräumen. Schließlich hätten die Polizeibeamten Josef H***** wieder nach Hause gebracht (US 3 ff).

Zur subjektiven Tatseite konstatierte das Erstgericht (US 10 f), der Beschwerdeführer habe gewusst, dass eine Vorführung „außerhalb der Dienststunden“ (des Bezirksgerichts) der Weisung der zuständigen Richterin widerspreche. Er habe seine Befugnis, „die Assistenzleistung der Polizei zur Vorführung des Verpflichteten anzufordern“, wissentlich missbraucht und es billigend in Kauf genommen, dadurch Josef H***** an dessen Recht auf persönliche Freiheit „bis zum nächsten Morgen“ zu schädigen.

Der Antwort auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist in rechtlicher Hinsicht voranzustellen:

Gemäß § 48 Abs 1 EO hat das Gericht (in seinem Wirkungskreis der Rechtspfleger [vgl §§ 16 f RpflG]) die zwangsweise Vorführung des Verpflichteten anzuordnen, wenn dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht bei Gericht erscheint, um das Vermögensverzeichnis abzugeben. Der Auftrag an das Vollstreckungsorgan zur zwangsweisen Vorführung erfasst auch die Aufnahme des Vermögensverzeichnisses. Wurde dem Vollstreckungsorgan der Auftrag erteilt, ein Vermögensverzeichnis aufzunehmen, und verweigert der Verpflichtete ungerechtfertigterweise die Abgabe des Vermögensverzeichnisses, so hat das Vollstreckungsorgan den Verpflichteten zwangsweise vorzuführen. Als Vollstreckungsorgane schreiten nach § 24 Abs 1 EO die Gerichtsvollzieher ein, die zur Beseitigung eines ihnen entgegengestellten Widerstands die den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unmittelbar um Unterstützung ersuchen können (§ 26 Abs 2 EO). Grundsätzlich hat das Vollstreckungsorgan die Zeit des Vollzugs selbst zu wählen (§ 30 Abs 1 EO), es ist allerdings an die Weisungen des zuständigen Richters (Rechtspflegers) gebunden (§ 25 Abs 1 und § 61 EO; vgl auch § 551 Abs 1 Geo). Richter sind Rechtspflegern und (auch hinsichtlich in deren Wirkungskreis fallender Geschäfte) Gerichtsvollziehern gegenüber weisungsbefugt (Art 87a Abs 3 B VG, § 8 Abs 1 RpflG; vgl auch §§ 60 f GOG und § 42 Abs 3 Geo; zum Ganzen Jakusch in Angst , EO 2 § 25 Rz 2, § 30 Rz 1a und § 48 Rz 2; zum Weisungsverhältnis zwischen Richtern und Bediensteten einer Geschäftsabteilung 17 Os 25/13z, EvBl 2014/77, 517; vgl auch VwGH 2012/01/0078 [zu polizeilichen Assistenzleistungen in einem gerichtlichen Exekutionsverfahren]).

Die Mängelrüge wendet Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge Unterbleibens einer Erörterung der Aussage des Zeugen Erich R***** ein. Damit kritisiert sie im Ergebnis die Annahme der Tatrichter von der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers. Zwar kann die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen unvollständig sein, wenn sich das Gericht mit gegen die (Un-)Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt einer solchen Kritik besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 432). Zu solchen hat sich der genannte Zeuge jedoch nicht geäußert. Vielmehr schilderte dieser bloß, der Beschwerdeführer habe ihn nach dem inkriminierten Vorfall angerufen und ihm (ebenso wie nach den Feststellungen der für Exekutionssachen zuständigen Richterin [US 9]) seine auch im Strafverfahren präsentierte, von den Tatrichtern jedoch als unglaubwürdig verworfene (US 12 f) Version des Geschehens (es liege ein Missverständnis vor, er habe die Polizeibeamten nur zwecks Unterstützung zur Erzwingung der Abgabe des Vermögensverzeichnisses angefordert, die Festnahme hätten die Polizeibeamten von sich aus wegen eines von Josef H***** zuvor verwirklichten Widerstands gegen die Staatsgewalt durchgeführt) erzählt. Die Tatrichter haben sich mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer diese Version des Vorfalls (unmittelbar nach diesem) anderen Personen geschildert hat, auseinandergesetzt. Zu einer ausdrücklichen Erörterung dieser Zeugenaussage waren die Tatrichter unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit daher nicht verhalten.

Im Übrigen erschöpft sich die Mängelrüge darin, aus vom Erstgericht ohnehin erörterten Verfahrensergebnissen etwa der Aussage des Zeugen Josef H***** (welche die Tatrichter wegen der Annahme dessen geistiger Erkrankung als unerheblich beurteilten [US 13 f]) für den Beschwerdeführer günstige Schlussfolgerungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung zu ziehen.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) einen „Feststellungsmangel“ zu einem „vorsatzausschließenden Tatbildirrtum“ im Zusammenhang mit den Grenzen der dem Beschwerdeführer zukommenden Befugnis moniert, bekämpft sie bloß unzulässig die gegenteiligen Konstatierungen zu dessen insoweit wissentlichem Handeln (US 10 f [zum Irrtum über ein normatives Tatbestandsmerkmal als Kehrseite des Vorsatzes vgl RIS-Justiz RS0088950]).

Der Einwand, der Beschwerdeführer sei zur „Vorführung des Verpflichteten“ (abstrakt) „nicht berechtigt“ gewesen, bleibt ohne Ableitung aus dem Gesetz und entfernt sich vom Urteilssachverhalt (RIS-Justiz RS0099810), demzufolge der zuständige Rechtspfleger eine solche Anordnung samt Vollzugsauftrag erlassen habe (US 3). Weshalb ein Verstoß gegen die Weisung der Exekutionsrichterin, zur Ausübung seiner Befugnis die Tatbestandserfüllung ausschließen soll, erklärt die weitere Rüge nicht (vgl RIS Justiz RS0096134 [T3]).

Die gesetzmäßige Ausführung der Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis des gesamten Urteilssachverhalts unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0124801). Diesen Anforderungen wird die Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerecht. Sie hält dem vom Erstgericht als einem diversionellen Vorgehen entgegenstehend hervorgehobenen Umstand fehlenden Unrechtsbewusstseins (vgl die Verantwortung des Beschwerdeführers, welcher die Veranlassung eines Freiheitsentzugs schon in objektiver Hinsicht in Abrede stellte [US 12 und 16 iVm ON 29 S 5 ff]) bloß entgegen, „der Gesetzestext verlangt keine Einbekenntnis der Schuld“, ohne sich mit dem (solcherart in tatsächlicher Hinsicht bejahten) spezialpräventiven Diversionshindernis (§ 198 Abs 1 StPO) argumentativ auseinanderzusetzen (vgl RIS-Justiz RS0126734; Schroll , WK-StPO § 198 Rz 36/3).

Ebenso wenig legt der Beschwerdeführer dar, weshalb es unter dem Aspekt der Schwere der Schuld (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO) unbeachtlich sei, dass nach seiner Vorstellung Johann H***** die Freiheit bis zum nächsten Morgen entzogen werden sollte (US 6 und 16; vgl auch ON 2 S 23). Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass es sich entgegen der weiteren Beschwerdeansicht bei einem Freiheitsentzug „für ca. eine Stunde“ (vgl US 3 und 7) nicht jedenfalls um „bloß unbedeutende Folgen“ im Sinn des § 198 Abs 3 StPO handelt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.