JudikaturJustiz16Ok52/05

16Ok52/05 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Gerhard Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Mag. Dorothea Herzele als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, wider die Antragsgegnerin W***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG, Tuchlauben 17, wegen Auferlegung einer Geldbuße gem § 142 Z 2 lit a KartG, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 19. Oktober 2005, GZ 24 Kt 7/05-7, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die anwaltlich vertretene Antragsgegnerin meldete mit am 24. 11. 2004 beim Erstgericht eingelangtem Schriftsatz den beabsichtigten Erwerb von 74 % der Geschäftsanteile der S***** GmbH (in der Folge: Zielunternehmen) an. In ihrer Zusammenschlussanmeldung führte die Antragsgegnerin zu ihrer Geschäftstätigkeit aus, diese erstrecke sich „in erster Linie" auf den Vertrieb von Pkw der Marke M***** in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland sowie dem damit verbundenen Werkstätten- und Finanzierungsgeschäft; zu weiteren Einzelheiten der Geschäftsaktivitäten wurde unter Angabe der Domain auf den Internetauftritt des Unternehmens verwiesen. Das Zielunternehmen sei im Vertrieb von leichten und schweren Nutzfahrzeugen der Marke D***** tätig und verkaufe gebrauchte Nutzfahrzeuge sämtlicher Marken, vertreibe Ersatzteile und erbringe Wartungs- und Reparaturleistungen für die von ihr vertriebenen Nutzfahrzeuge. Die Antragsgegnerin und das Zielunternehmen seien im Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen, einschließlich des damit verbundenen Werkstätten-, Gebrauchtwagen- und Finanzierungsgeschäfts, tätig. Dabei beschränke sich die Tätigkeit der Antragsgegnerin „im wesentlichen" auf den Vertrieb von Pkw der Marke M***** und S*****; zum Vertrieb von Nutzfahrzeugen der Marke M***** sei die Antragsgegnerin nicht autorisiert. Das Zielunternehmen sei ausschließlich im Vertrieb von Nutzfahrzeugen der Marke D***** tätig; es gebe also keine Überschneidungen im Tätigkeitsbereich der Antragsgegnerin und des Zielunternehmens. Der angemeldete Zusammenschluss wurde in der Wiener Zeitung vom 27. 11. 2004 veröffentlicht. Die Zusammenschlussanmeldung wurde der Bundeswettbewerbsbehörde am 29. 11. 2004 zugestellt. Mit Schreiben vom 1. 12. 2004 übersandte die Bundeswettbewerbsbehörde den Vertretern der Antragsgegnerin einen Fragenkatalog, der unter anderem folgende Fragen enthält:

"5. Reichen Sie bitte ebenfalls eine Darstellung für folgende Märkte nach, in denen das Zielunternehmen laut Anmeldung tätig ist:

Wartungs- und Reparaturdienstleistungen, Ersatzteilvertrieb, Gebrauchtfahrzeugvertrieb. 6. Laut Punkt 4.1.2. der Anmeldung kommt es zu keinen Überschneidungen der Tätigkeiten der Parteien. Nach Angaben auf der Homepage der W***** Gruppe [Antragsgegnerin] werden aber zumindest an einem Standort (Zwettl) neue Nutzfahrzeuge vertrieben sowie an mehreren weiteren Standorten Werkstättenleistungen für Nutzfahrzeuge erbracht. Bitte klären Sie diesen Widerspruch auf und stellen Sie die diesbezüglichen Tätigkeiten, insbesondere auch unter Angabe der Umsätze und Marktanteile, der W*****-Gruppe [Antragsgegnerin] näher dar. 7. W***** ist mit 49 % an der G***** AG beteiligt. Dieses sowie weitere Unternehmen der P*****-Gruppe sind ebenfalls im Vertrieb von neuen und gebrauchten Nutzfahrzeugen und Ersatzteilen sowie in der Erbringung von Wartungs- und Reparaturdienstleistungen tätig. Stellen Sie die Aktivitäten dieser gemäß § 41 KartG verbundenen Unternehmen, insbesondere auch unter Angabe der Umsätze und Marktanteile, näher dar. Erläutern Sie welchen Einfluss W***** auf die G***** AG (sowie ggf auf andere Unternehmen der P*****-Gruppe) ausübt."

Mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 13. 12. 2004 beantwortete die Antragsgegnerin den Großteil der Frageliste der Bundeswettbewerbsbehörde. Sie gab unter anderem bekannt, dass - außerhalb des Zielunternehmens - insgesamt zehn Vertriebs- und Servicestützpunkte bestünden, an denen Fahrzeuge der Marke D***** vertrieben und/oder wo Serviceleistungen für solche Fahrzeuge erbracht würden. Zwei dieser Stützpunkte würden von Unternehmen betrieben, die zur Gruppe der Antragsgegnerin zählen. In einem weiteren Schreiben vom 16. 12. 2004 gab die Antragsgegnerin bekannt, dass W***** in St.Pölten/Radlberg ausschließlich im after-sales-Bereich für Nutzfahrzeuge (darunter auch Fahrzeuge der Marke D*****) tätig sei, W***** in Zwettl verkaufe auch Pkw. Kein Unternehmen der W*****-Gruppe sei im Vertrieb von Nutzfahrzeugen (neu oder gebraucht) tätig. Im Geschäftsjahr 2003 habe die Antragsgegnerin Umsatzerlöse im after-sales-Bereich von etwa 7,253.000 EUR erwirtschaftet, wovon 3,510.000 EUR auf Wartungs- und Reparaturdienstleistungen sowie etwa 3,743.000 EUR auf den Vertrieb von Ersatzteilen entfielen. Auf Fahrzeuge der Marke D***** entfielen davon weniger als 5 %. Die Umsätze der Gruppe der Antragsgegnerin im after-sales-Bereich erreichten einen geschätzten inländischen Marktanteil von rund 9,7 % (Wartungs- und Reparaturdienstleistungen) und rund 4,3 % (Ersatzteilvertrieb).

Mit Schreiben vom 21. 12. 2004 teilte die Bundeswettbewerbsbehörde der Antragsgegnerin mit, sie sei der Auffassung, die Anmelderin habe in ihrer Zusammenschlussanmeldung unrichtige bzw unvollständige Angaben gemacht, weshalb der Tatbestand des § 142 Z 2 lit a KartG erfüllt sei. In ihrer Stellungnahme führte die Antragsgegnerin aus, leider sei ihre Zusammenschlussanmeldung insoweit irreführend gewesen, als darin nicht auf ihre after-sales-Aktivitäten betreffend Nutzfahrzeuge hingewiesen worden sei. Dies sei auf ein Missverständnis bei der Information ihrer Rechtsvertreter zurückzuführen, denen sie mitgeteilt habe, keinen Handel mit Nutzfahrzeugen zu betreiben und keine Umsätze im Nutzfahrzeugbereich zu erzielen. Diese Angabe hätte sich jedoch - was ihren Rechtsvertretern nicht klar gewesen sei - ausschließlich auf den Verkauf von Neufahrzeugen bezogen. Dieses Missverständnis möge entschuldigt werden. Dass keine „Vertuschung" wesentlicher Informationen beabsichtigt gewesen sei, zeige sich daran, dass in der Anmeldung auf den Internet-Auftritt der Antragsgegnerin hingewiesen worden sei, wo auch deren Nutzfahrzeugaktivitäten beschrieben seien. Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Erstgerichts vom 29. 12. 2004, 24 Kt 555/04-7, wurde der angemeldete Zusammenschluss freigegeben und zur Kartellzahl Z 3007 ins Kartellregister eingetragen.

Die Antragstellerin begehrte mit am 7. 1. 2005 beim Erstgericht eingelangtem Schriftsatz, der Antragsgegnerin gemäß § 142 Z 2 lit a KartG eine angemessene Geldbuße wegen unvollständiger und unrichtiger Angaben in einer Anmeldung nach § 42a KartG aufzuerlegen. Die Zusammenschlussanmeldung zu 24 Kt 555/04 sei relevant unvollständig gewesen, weil der after-sales-Bereich für Nutzfahrzeuge als jenes Geschäftsfeld, in dem sich die Tätigkeitsbereiche von Anmelderin und Zielunternehmen überschnitten, nicht erwähnt worden sei, ja das Vorliegen von Überschneidungen sogar ausdrücklich verneint worden seien.

Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde auf Verhängung einer Geldbuße abzuweisen. Die falschen Angaben in der Zusammenschlussanmeldung seien nicht geeignet gewesen, eine unrichtige Entscheidung der Amtsparteien und/oder des Kartellgerichts herbeizuführen. Die Amtsparteien hätten in der Vorprüfungsphase bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts den Zusammenschluss als wettbewerbsrechtlich unproblematisch beurteilt. Auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten hätte das Verfahren nicht anders geendet. Insbesondere bei Berücksichtigung des Formblatts der Bundeswettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts seien in Zusammenschlussanmeldungen nach § 42a KartG eine Fülle von Angaben zu machen, und selbst bei sorgfältiger Arbeit könnten sich Fehler einschleichen. Nicht jede unrichtige oder unvollständige Angabe verwirkliche den Bußgeldtatbestand nach § 142 Z 2 lit a KartG. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Mindestbuße 3.500 EUR betrage. Für reine Formalverstöße sei eine Geldbuße von nur (mindestens) 700 EUR vorgesehen (§ 142 Z 3 KartG). Die Verhängung einer Geldbuße nach dem KartG setze Vorsatz voraus, der im Anlassfall fehle. Das der Antragsgegnerin zur Last gelegte Verhalten sei nicht strafwürdig; die Irrtümer in der Zusammenschlussanmeldung seien nämlich durch ein bloßes Versehen unterlaufen und hätten keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen, weil der Sachverhalt noch während des Verfahrens vollständig aufgeklärt worden sei und sich selbst bei einer von Anfang an vollständigen Anmeldung kein anderes Verfahrensergebnis ergeben hätte. Mangels einer entsprechenden Regelung im KartellG seien § 42 StGB und § 21 Abs 1 VStG analog auf das kartellgesetzliche Bußgeldverfahren anzuwenden. Der Bundeskartellanwalt hat sich am Verfahren nicht beteiligt. Das Erstgericht wies den Antrag, eine Geldbuße aufzuerlegen, ab. Die in der Zusammenschlussanmeldung enthaltene unrichtige Aussage, dass es keine Überschneidungen der Tätigkeitsbereiche der Anmelderin und des Zielunternehmens gebe, sei ein qualifizierter Mangel, der auch durch den Hinweis auf den Internet-Auftritt der Beteiligten nicht beseitigt werde. § 142 KartG verlange keinen Vorsatz; auch ein geringerer Verschuldensgrad erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen. Art 15 der VO EG 17/62 habe der österreichischen Regelung der kartellgesetzlichen Geldbuße als Vorbild gedient und sehe Geldbußen auch für den Fall fahrlässigen Verhaltens vor. Dass über Internet Informationen abrufbar gewesen seien, die die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der Zusammenschlussanmeldung aufgezeigt hätten, ändere nichts an der Verpflichtung, dass eine Anmeldung nach § 68a KartG richtig und vollständig sein müsse. Zu berücksichtigen sei aber, dass die Anmelderin innerhalb der Vorprüfungsphase mit der Bundeswettbewerbsbehörde zusammengearbeitet habe. Nach der durch das KartG 2005 geschaffenen neuen Rechtslage sei die Vorprüfphase von Zusammenschlüssen der Bundeswettbewerbsbehörde übertragen. Es sei daher davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber eine Kenntnis der richtigen und vollständigen Angaben in Zusammenschlussanmeldungen bei den Amtsparteien wesentlicher sei, als beim Kartellgericht. Es schade daher nicht, dass die ergänzenden Ausführungen der Anmelderin in ihrem Auskunftsschreiben an die Bundeswettbewerbsbehörde zwar die Amtsparteien, nicht aber das Kartellgericht vollständig und richtig über die Umstände des Zusammenschlusses informiert habe. Wäre das in die Vorprüfungsphase fallende Auskunftsschreiben der Anmelderin an das Kartellgericht weitergeleitet worden, wären die darin enthaltenen richtigstellenden und ergänzenden Ausführungen als Ergänzung oder Modifikation der Anmeldung zu beurteilen gewesen, ohne dass ein Bußgeldtatbestand erfüllt gewesen wäre. Lege man die Wertungen des Gesetzgebers zugrunde, sei davon auszugehen, dass die Zusammenschlussanmeldung an das Gericht mit den Ergänzungen und Richtigstellungen in den Auskunftsschreiben an die Bundeswettbewerbsbehörde eine Einheit bilde. Es liege demnach insgesamt eine (vollständige) Anmeldung nach § 42a KartG vor, die den Tatbestand des § 142 Z 2 lit a KartG 1988 nicht erfülle, zumal der Bundeswettbewerbsbehörde noch in der Vorprüfungsphase der vollständige und richtige Sachverhalt zur Kenntnis gelangt ist. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass eine Geldbuße verhängt werde.

Die Antragsgegnerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Bundeswettbewerbsbehörde bezeichnet die Auffassung des Erstgerichts als problematisch, wonach eine ursprünglich unvollständige Anmeldung durch nachträgliche Ergänzungen heile; gerade beim fristgebundenen Fusionskontrollverfahren sei nämlich entscheidend, dass schon zu Beginn der Prüfungsfrist der vollständige und richtige Sachverhalt bekanntgegeben werde. Der Antragsgegnerin sei vorzuwerfen, dass die Anmeldung in zurechenbarer Weise - nämlich unter Verletzung der gebotenen Sorgfalt - objektiv unvollständig und unrichtig gewesen sei. Der Mangel einer bösen Absicht sowie die nachfolgende Mitwirkung bei der Klärung des Sachverhalts könnten allenfalls bei der Bemessung des Bußgelds berücksichtigt werden. Das Erstgericht übersehe, dass auch in der Vorprüfungsphase die zweite Amtspartei Bundeskartellanwalt vom vollständigen Sachverhalt keine Kenntnis erlangt habe. § 142 Z 2 KartG könne nicht so ausgelegt werden, dass diese Bestimmung in der ersten Prüfungsphase nicht anwendbar sei.

Dazu ist zu erwägen:

1. Mit der Novelle 2002 zum KartG 1988 wurde das Sanktionensystem des Kartellgesetzes durch Einführung einer einheitlichen, allein vom Kartellgericht aufzuerlegenden Geldbuße neu gestaltet. Nach den Materialien (abgedruckt bei Auer/Urlesberger, Kartellrecht5 113ff) sollte die Ausgestaltung des Geldbußensystems unter Bedachtnahme auf die Rechtsentwicklung in der EG erfolgen; verwiesen wird dabei auf die entsprechende Geldbußebestimmung des Art 15 der VO Nr 17/62 des Rates (zwischenzeitlich ersetzt durch die VO EG Nr 1/2003). Gem § 142 Z 2 lit a KartG hat das Kartellgericht auf Antrag einer Amtspartei Unternehmern Geldbußen zwischen 3.500 EUR und 35.000 EUR aufzuerlegen, wenn sie in einer Anmeldung nach § 42a KartG unrichtige oder unvollständige Angaben machen. Dass Geldbußen nur bei Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) auferlegt werden können, hat der Senat - unter Hinweis auf § 143 KartG - schon ausgesprochen (16 Ok 12/04).

Unrichtig oder unvollständig im Sinne des § 142 Z 2 lit a KartG ist eine Angabe dann, wenn sie in ihrer Gesamtheit geeignet ist, beim Adressaten ein in erheblichen Punkten von der Wirklichkeit abweichendes Bild vom angezeigten Sachverhalt herbeizuführen. Ob die unrichtige oder unvollständige Angabe einen erheblichen Punkt betrifft, ist an § 68a KartG zu messen, der die inhaltlichen Mindesterfordernisse von Anmeldungen nach § 42a KartG bestimmt; dazu zählen ua genaue und erschöpfende Angaben zu den Umständen, durch die eine marktbeherrschende Stellung entstehen oder verstärkt werden kann. Gemessen an diesen inhaltlichen Vorgaben ist der Antragstellerin darin beizupflichten, dass die Zusammenschlussanmeldung der Antragsgegnerin den Tatbestand des § 142 Z 2 lit a KartG (schuldhafte unrichtige oder unvollständige Angaben in erheblichen Punkten) erfüllt, weil darin - entgegen der gebotenen Sorgfalt - der after-sales-Bereich für Nutzfahrzeuge als jenes Geschäftsfeld, in dem sich die Tätigkeitsbereiche der Anmelderin und des Zielunternehmens überschneiden, nicht angeführt und das Vorliegen von Überschneidungen sogar ausdrücklich verneint wird.

2. Das Erstgericht hat sich bei seiner Auslegung der Vorschriften über die Geldbuße daran orientiert, welche Wertungen der Gesetzgeber der Neugestaltung des Zusammenschlussverfahrens durch das mit 1. 1. 2006 in Kraft tretende KartellG 2005 zugrunde gelegt hat, und daraus den Schluss gezogen, der angezeigte Geldbuße-Tatbestand sei nicht verwirklicht. Dem kann nicht gefolgt werden: Der 2004 verwirklichte Sachverhalt unterliegt den geltenden gesetzlichen Vorschriften, bei deren Auslegung ein erst künftig in Kraft tretendes Gesetz - das auf den Fall nicht zur Anwendung kommt - nicht berücksichtigt werden kann; solches käme einer Rückwirkung entgegen dem Gesetz (§ 5 ABGB) gleich (vgl RIS-Justiz RS0008716; RS0109148; RS0008692).

3. Die Antragsgegnerin ist für ein Absehen von der Verhängung einer Geldbuße infolge mangelnder Strafwürdigkeit ihres Verhaltens eingetreten. Es ist daher die Rechtsnatur der kartellrechtlichen Geldbuße zu prüfen, um danach beurteilen zu können, ob eine durch strafrechtliche Bestimmungen zu ergänzende Gesetzeslücke vorliegt, wonach bei Geringfügigkeit des Verschuldens und unbedeutenden Folgen von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden kann (in der Entscheidung 16 Ok 21/04 hat der Senat diese Frage einer Strafnachsicht wegen Geringfügigkeit offengelassen, weil dort die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen).

Die Geldbuße nach der KartGNov 2002 ist eine Neuerung im österreichischen Recht. Sie dient nicht nur als Beugemittel der Erzwingung gebotener Handlungen, sondern verfolgt nach der Lehre (Rosbaud, Das Kartellstrafrecht ist tot! Lang lebe das „Kartellstrafrecht"! Zur Rechtsnatur der Geldbuße nach § 142 Z 1 KartG idF KartG-Novelle 2002, JBl 2003, 907ff; Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht, 56) auch den Zweck, begangenes Unrecht zu ahnden (Repression) und der Begehung weiterer Zuwiderhandlungen vorzubeugen (Prävention). Damit weist sie die typischen Merkmale einer Strafe auf (Rosbaud aaO 926 spricht von einer „zivilrechtlichen Strafe"). Der Senat stimmt dieser Auffassung zu. Dass die kartellrechtliche Geldbuße pönalen Charakter besitzt, entspricht auch Lehre und Rechtsprechung des EuGH zum Bußgeld des europäischen Kartellverfahrensrechts (Schwarze/Weitbrecht, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrecht, 148 f mwN), welches ja - wie zuvor zu Punkt 1. ausgeführt - der inländischen Neuregelung des kartellrechtlichen Sanktionensystems als Vorbild gedient hat.

4. Ist die kartellrechtliche Geldbuße somit nach ihrem Zweck und ihrer Wirkung eine Sanktion mit strafrechtsähnlichem Charakter, bedeutete es nach Auffassung des Senats einen Wertungswiderspruch, gäbe es im Kartellrecht - anders als im Straf- und Verwaltungsstrafrecht - keine Möglichkeit, von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Insoweit ist das Kartellrecht daher planwidrig unvollständig. Die nicht gewollte Gesetzeslücke kann im Wege der Analogie geschlossen werden (RIS-Justiz RS0008866; RS0008931).

5. Gem § 42 StGB ist ua dann, wenn eine von Amts wegen zu verfolgende Tat nur mit Geldstrafe bedroht ist, die Tat nicht strafbar, wenn 1. die Schuld des Täters gering ist, 2. die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat oder, sofern sich der Täter zumindest ernstlich darum bemüht hat, die Folgen der Tat im wesentlichen beseitigt, gutgemacht oder sonst ausgeglichen worden sind und 3. eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Gem § 21 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

Aus diesen Bestimmungen kann das allgemeine Prinzip abgeleitet werden, dass von einer Strafe im Fall geringer Schuld und unbedeutender Folgen abzusehen ist, wenn eine Bestrafung weder aus spezial- noch generalpräventiven Gründen erforderlich ist. Diese Wertung des Gesetzgebers ist nach dem Gebot, gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln, auch auf das kartellrechtliche Bußgeldverfahren zu übertragen.

6. Im Anlassfall liegen die Voraussetzungen dafür vor, trotz Verwirklichung des Tatbestands nach § 142 lit a letzter Fall KartG von der Verhängung einer Geldbuße über die Antragsgegnerin abzusehen. Die unvollständigen und unrichtigen Angaben in der Zusammenschlussanmeldung erfolgten zwar sorgfaltswidrig, aber nicht vorsätzlich, wurden noch in der Vorprüfungsphase der Anmeldung gegenüber der allein verfahrensbeteiligten Antragstellerin richtiggestellt und haben zu keinem unrichtigen Ergebnis geführt. Es bedarf auch keiner Geldbuße in Höhe des Mindestbetrags, um die Antragsgegnerin künftig von unvollständigen oder unrichtigen Angaben abzuhalten. Der Verstoß der Antragsgegnerin gegen kartellrechtliche Vorschriften wurde nach der Aktenlage nicht allgemein bekannt, weshalb eine Geldbuße auch nicht zur Abschreckung künftiger Anmelder notwendig ist.

Das Erstgericht hat somit im Ergebnis zutreffend von der Verhängung einer Geldbuße abgesehen. Dem Rekurs kann deshalb kein Erfolg beschieden sein.

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