JudikaturJustiz15Os6/93

15Os6/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.März 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Schindler und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kirschbichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian W***** wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 11.August 1992, GZ 20 p Vr 13482/91-56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1 und das darauf beruhende Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs. 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) und im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

III. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die zu I. getroffene Entscheidung verwiesen.

IV. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Christian W***** auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen (zu 1) des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs. 1 StGB und (zu 2) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

(zu 1) am 16.Dezember 1991 sich eines anderen bemächtigt, um einen Dritten zu einer Handlung zu nötigen, indem er sich in die S***** Bank begab, die linke Hand auf die Schulter des dort anwesenden Bankkunden Dr.Klaus S***** legte, ihm mit der rechten Hand einen silberfarbenen Spielzeugrevolver an der rechten Schläfe ansetzte, mit der linken Hand, die er weiterhin über der Schulter des Dr.S***** hielt, der Kassierin Marina W***** einen Plastiksack reichte, dabei äußerte: "Überfall, alles Geld her, sonst erschieß ich die ganze Familie" und dadurch Marina W***** nötigte, ihm Bargeld zu übergeben, weshalb sie ihm 291.160 S übergab;

(zu 2) am 17.Dezember 1991 durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen oder abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er sich in die S***** Bank begab, einen silberfarbenen Spielzeugrevolver gegen die Kassierin Bettina K***** richtete und dabei äußerte: "Cash - keine Farbe - keine Polizei" und sie dadurch nötigte, ihm Bargeld zu übergeben, weshalb sie ihm 253.000 S übergab.

Die Geschworenen hatten die beiden Hauptfragen 1 und 2 einstimmig bejaht, die zu beiden Hauptfragen gestellten Zusatzfragen nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) jeweils im Stimmenverhältnis 7 : 1 verneint.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf die Z 5, 6, 8, 9 und 10 des § 345 Abs. 1 StPO gestützt wird; der Strafausspruch wird sowohl vom Angeklagten als auch von der Staatsanwaltschaft mit Berufung angefochten, der Angeklagte hat überdies Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis erhoben.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt, soweit sie unter Relevierung des Nichtigkeitsgrundes der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO die Rechtsbelehrung zur Hauptfrage 1 als unrichtig rügt, Berechtigung zu.

Das Verbrechen nach § 102 Abs. 1 StGB begeht, wer, um einen Dritten zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, einen anderen ohne dessen Einwilligung mit Gewalt oder nachdem er die Einwilligung durch gefährliche Drohung oder List erlangt hat, entführt oder sich seiner sonst bemächtigt. Zur Verwirklichung des Tatbildes ist demnach erforderlich, daß das Entführen oder sonstige Sich-Bemächtigen entweder (1.Alternative) ohne Einwilligung des Opfers, aber mit Gewaltanwendung gegen dieses, oder (2.Alternative) zwar mit Einwilligung des Opfers, aber derart erfolgt, daß der Täter diese Einwilligung durch gefährliche Drohung oder List erlangt hat (Kienapfel BT I3 § 102 Rz 11; Leukauf-Steininger Komm.3 § 102 RN 9).

Unter welchen dieser verschiedenen (wenngleich an sich rechtlich gleichwertigen) Tatmodalitäten der Angeklagte sich des Dr.S***** bemächtigt habe, bringt die Formulierung der Anklage und der darauf beruhenden Hauptfrage 1 nicht klar zum Ausdruck; darnach bleibt vielmehr unklar, ob der Angeklagte sich des Opfers ohne dessen Einwilligung mit Gewalt bemächtigte oder ob dies mit dessen durch gefährliche Drohung erlangter Einwilligung geschah. Die Geschworenen hatten demnach die Voraussetzungen beider Alternativen zu beurteilen. Die ihnen diesbezüglich erteilte Rechtsbelehrung zur Hauptfrage 1 ist aber, wie der Beschwerdeführer in der Instruktionsrüge (Z 8) zutreffend geltendmacht, in einem entscheidenden Punkt unrichtig:

Im ersten Absatz dieser Rechtsbelehrung wird zwar der Tatbestand des § 102 Abs. 1 StGB vollständig und richtig wiedergegeben. Im folgenden dritten Absatz heißt es aber wörtlich: "Das Entführen oder sonstige Sich-Bemächtigen muß entweder ohne Einwilligung des Opfers mit Gewalt, oder zwar mit Einwilligung des Opfers, aber derart erfolgen, daß diese Einwilligung ohne gefährliche Drohung oder durch List erlangt wurde".

Für einen sachkundigen Juristen mag es durchaus evident sein, daß die in Rede stehende Passage "daß diese Einwilligung ohne gefährliche Drohung ..." richtig "daß diese Einwilligung durch gefährliche Drohung ..." lauten hätte müssen und daher insoweit ein Schreib- oder Diktatfehler unterlaufen sein müsse. Für die (rechtsunkundigen) Laienrichter hingegen war dieser Fehler jedoch nicht sogleich als solcher zu erkennen und demnach angesichts dessen, daß für sie solcherart auch nicht sogleich erkennbar war, ob die Version im ersten Absatz oder jene im dritten Absatz die richtige ist, geeignet, sie bei der richtigen Beurteilung der dem Angeklagten in der Hauptfrage 1 angelastete Tat irrezuleiten. Nach der Formulierung im dritten Absatz wäre aber der Tatbestand des § 102 Abs. 1 StGB auch erfüllt, wenn die Entführung oder das sonstige Sich-Bemächtigen mit Einwilligung des Opfers, jedoch ohne daß diese durch gefährliche Drohung erlangt wurde, erfolgt und es insoweit nur auf den Einsatz von List ankäme, während eine durch gefährliche Drohung erlangte Einwilligung der Geisel für die Tatbestandsverwirklichung nicht genügte. Eine solche Auslegung widerspricht aber dem Gesetz. Von einem offenkundigen, jedermann sogleich ins Auge springenden Schreibfehler kann bei der gegebenen Sachlage - entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur - jedenfalls nicht gesprochen werden.

Die aufgezeigte Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung verwirklicht den (absoluten) Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z 8 StPO. Sie zwingt zur Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen zur Hauptfrage 1 und des darauf beruhenden Schuldspruchs zu Punkt 1 des Urteilssatzes sowie zur Anordnung der Verfahrenserneuerung in diesem Umfang, ohne daß auf die zu diesem Schuldspruch erhobenen weiteren Einwände eingegangen zu werden braucht.

Nur der Vollständigkeit halber sei beigefügt: Eine Eventualfrage (wie sie die Beschwerde zur Hauptfrage 1 in Richtung "§ 142 StGB" vermißt) ist nur zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten angelastete Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Voraussetzung ist daher ein vom Anklagesachverhalt abweichendes, auf der Verantwortung des Angeklagten oder den Beweisergebnissen beruhendes Tatsachensubstrat. Fehlt es an einer solchen Abweichung, so kann der in der Anklage angeführte Sachverhalt auch dann nicht zum Gegenstand einer Eventualfrage gemacht werden, wenn er nach Ansicht einer Partei rechtlich anders zu beurteilen ist (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO3 E 9 zu § 314).

Die Beschwerdeausführungen zu den Nichtigkeitsgründen der Z 9 und 10 des § 345 Abs. 1 StPO, die auch den Schuldspruch zu Punkt 2 wegen des Verbrechens des Raubes betreffen, lassen eine prozeßordnungsgemäße Darstellung dieser Nichtigkeitsgründe vermissen. Der erstbezeichnete Nichtigkeitsgrund wird nur dann dem Gesetz entsprechend ausgeführt, wenn Undeutlichkeiten, Unvollständigkeiten oder Widersprüchlichkeiten in bezug auf die Antwort der Geschworenen auf die ihnen gestellten Fragen zumindest behauptet werden. Indem sich der Beschwerdeführer aber mit dem Vorbringen zu diesem Nichtigkeitsgrund auf die Niederschrift der Geschworenen und nicht auf deren Verdikt bezieht, wird seine Beschwerde den erwähnten gesetzlichen Voraussetzungen nicht gerecht.

Gleiches gilt auch für das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 345 Abs. 1 StPO. Mit der Behauptung, der Wahrspruch der Geschworenen hätte die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens erfordert, wird weder dargetan, daß der Schwurgerichtshof den Geschworenen die Verbesserung des Wahrspruchs gegen den Widerspruch des Beschwerdeführers zu Unrecht aufgetragen hat, noch daß ein Geschworener oder mehrere Geschworene ein bei der Abstimmung unterlaufenes Mißverständnis behaupteten und der Schwurgerichtshof dennoch den Laienrichtern die Verbesserung des Wahrspruchs nicht aufgetragen hat.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher - soweit sie sich als berechtigt und demnach zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt erweist - gemäß §§ 285 e, 344 StPO schon in nichtöffentlicher Beratung Folge zu geben; im übrigen war sie aber gemäß § 285 d Abs. 1 Z 1 iVm §§ 285 a Z 2, 344 StPO als nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt gleichfalls bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

Die Kassierung des Urteils im Schuldspruch zu Punkt 1 hat auch die Aufhebung des Strafausspruchs und des Adhäsionserkenntnisses - das angesichts dessen, daß sich der erfolgte Zuspruch undifferenziert auf beide Schuldsprüche bezieht, nicht bloß zum Teil, sondern zur Gänze aufzuheben war - zur Folge. Hierauf waren der Angeklagte und die Anklagebehörde mit ihren Strafberufungen und der Angeklagte mit seiner Berufung gegen das Adhäsionserkenntnis zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle (vgl. hiezu Mayerhofer-Rieder StPO3 E 11 zu § 390 a).

Rechtssätze
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