JudikaturJustiz15Os56/95

15Os56/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31.August 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Eckert als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas M***** und Peter A***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 zweiter und dritter Fall SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 16. Februar 1995, GZ 35 Vr 2870/94-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Raunig, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten und ihres Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Die österreichischen Staatsbürger Andreas M***** und Peter A***** wurden des Verbrechens nach § 12 Abs 1 zweiter und dritter Fall SGG (A) sowie des Vergehens nach § 16 Abs 1 vierter, fünfter und sechster Fall SGG (B) schuldig erkannt.

Danach haben sie den bestehenden Vorschriften zuwider

(zu A) am 19.September 1994 in den niederländischen Städten Amsterdam und Arnheim im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) Suchtgift in einer großen Menge, nämlich 1.898,11 Gramm Haschisch (mit einem THC-Gehalt von 6,8 %) und 10,85 Gramm Marihuana, von den Niederlanden aus- und nach Deutschland eingeführt;

(zu B) zwischen Frühsommer 1993 und 19.September 1994 in den österreichischen Dörfern Ebbs und Niederndorf und anderen Orten außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG Suchtgifte erworben, besessen und teilweise anderen überlassen, indem

1. Andreas M***** nicht mehr feststellbare Mengen Haschisch von unbekannten Drogenhändlern erwarb und teilweise namentlich nicht bekannten Konsumenten kostenlos überließ,

2. Peter A***** nicht mehr feststellbare Mengen Haschisch sowie 5 Ecstasy-Tabletten erwarb, nicht mehr feststellbare Mengen an Haschisch namentlich nicht bekannten Konsumenten weiterverkaufte bzw diese zum kostenlosen Mitrauchen einlud.

Rechtliche Beurteilung

Nach dem Inhalt der (gemeinsamen) Beschwerdeausführungen (214 Punkt 1. erster Absatz) in Verbindung mit Punkt 1. der Beschwerdeanträge (223) richten sich die nominell allein auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a (soweit damit aber das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit reklamiert wird, nach neuerer Rechtsprechung [vgl JBl 1975, 662; SSt 47/66 = EvBl 1977/133; SSt 51/48; 15 Os 121/94; 11 Os 112/81; Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 9 b E 1] der Sache nach auch auf Z 9 lit b) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten nur gegen den Schuldspruch wegen des Suchtgiftverbrechens (A).

In der Rechtsrüge wird zuerst im wesentlichen vorgebracht, das Erstgericht habe vorliegend seine Zuständigkeit zwar (in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes) nach § 64 Abs 1 Z 4 StGB angenommen, nichtsdestoweniger aber rechtswidriger Weise bejaht, weil bei der konkreten Fallkonstellation die österreichische Strafgerichtsbarkeit nicht gegeben sei; die in der zitierten Norm (unter anderem) genannten strafbaren Handlungen nach § 12 SGG seien im Inland nur unter der Einschränkung verfolgbar, daß durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind oder der Täter nicht ausgeliefert werden kann; letztere Alternative sei nur dann sinnvoll, wenn der Täter nach einer Auslandstat (erst) in Österreich aufgegriffen werde; im Hinblick auf die vom Jugendschöffengericht Solingen (am 27.Oktober 1994, AZ 22 Ls 2 Js 812/94 Sol. 146/94 II a) wegen derselben Tat erfolgten rechtskräftigen Verurteilung der (bereits in Deutschland aufgegriffenen) Angeklagten zu elf Monaten Freiheitsstrafe bestehe keinerlei Strafbedürfnis in Österreich, vielmehr führe die bisherige Auslegung des § 64 Abs 1 Z 4 StGB wegen der "Doppelbestrafung" zu einer massiven Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger, was nicht Sinn des Gesetzes sein könne; gemäß der (nach Meinung der Beschwerdeführer) hier anzuwendenden Bestimmung des § 65 StGB entfalle infolge Vorliegens der Voraussetzungen des § 65 Abs 4 Z 3 und 4 StGB die Strafbarkeit der Rechtsmittelwerber wegen des im Ausland verübten Suchtgiftverbrechens.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund - wenden die Beschwerdeführer sodann ein - werde im konkreten Fall auch dadurch verwirklicht (insoweit Z 9 lit a), daß nach den Urteilsfeststellungen die Ausfuhr des Suchtgiftes (nur) aus den Niederlanden und dessen Einfuhr nach Deutschland erfolgt sei, dennoch im Inland eine Verurteilung nach § 12 SGG (zu Unrecht) erfolgt sei; diese Strafnorm nehme nicht darauf Bezug, ob sich diese Taten gerade auf Österreich bzw die österreichische Staatsgrenze beziehen müssen; tatsächlich bestehe aber kein Grund, diese Bestimmung so weit auszulegen, daß damit jeglicher Grenzübertritt mit Suchtgift, gleichgültig zwischen welchen Staaten er erfolgt, in Österreich nach § 12 Abs 1 SGG bestraft wird; im konkreten Fall fehle eine hinreichende Nahebeziehung zu Österreich, weil weder der Tatort im Inland gelegen, noch der Handlungserfolg dort eingetreten sei; demnach sei das festgestellte Verhalten der Angeklagten im Inland weder strafbar noch sei ein österreichisches Gericht zur Aburteilung zuständig.

Die Beschwerde ist in keinem Punkt im Recht.

Zutreffend stützt das Erstgericht die inländische Gerichtsbarkeit auf § 64 Abs 1 Z 4 StGB (US 7 zweiter Absatz). Danach werden seit Inkrafttreten des StRÄG 1987 unter anderem auch die im Ausland begangenen strafbaren Handlungen nach § 12 Suchtgiftgesetz 1951 unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts nach den österreichischen Strafgesetzen bestraft, wenn durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind oder der Täter nicht ausgeliefert werden kann. Mit der letztgenannten Alternative stellte der Gesetzgeber des StRÄG 1987 klar, daß die inländische Gerichtsbarkeit immer dann gegeben ist, wenn entweder die Auslieferung unzulässig wäre oder rechtlich zulässige Bemühungen erfolglos geblieben sind (Bericht des JA 359 BlgNR 17.GP S 13).

Da nach der Verfassungsbestimmung des § 12 Abs 1 ARHG eine Auslieferung österreichischer Staatsbürger, demnach auch der beiden Nichtigkeitswerber, unzulässig ist, gründet sich vorliegend die originäre österreichische Strafgewalt auf die vorgenannte zweite (alternative) Voraussetzung. Denn nach einhelliger Lehrmeinung (vgl Leukauf/Steininger Komm3 RN 18, Foregger/Kodek StGB5 Erl II, Mayerhofer/Rieder StGB4 E 4, Triffterer Österr.Strafrecht AT2 Rz 61, Liebscher im WK Rz 16 jeweils zu § 64) und Rechtsprechung (SSt 47/66

= EvBl 1977/133; EvBl 1984/72 = ZfRV 1984, 315; ZfRV 1985, 224; EvBl

1986/109 = JBl 1986, 466; SSt 47/80; ZfRV 1976, 147; 13 Os 134/93; 15

Os 121/94 uam) gilt für Auslandstaten der im Abs 1 Z 4 leg cit bezeichneten Art, wenn sie von einem Österreicher begangen wurden, uneingeschränkt die österreichische Strafgewalt, ohne daß es in solchen Fällen einer weiteren Prüfung auch der Frage des Vorliegens der Alternativvoraussetzung bedarf, ob durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind (etwa durch einen geplanten Schmuggel des Suchtgiftes nach Österreich).

Der Beschwerde zuwider hat demnach das Landesgericht Innsbruck die inländische Strafbarkeit des von Österreichern im Ausland begangenen inkriminierten Suchtgiftverbrechens zu Recht nach § 64 StGB und nicht - wie die Nichtigkeitswerber verlangen - nach der gegenüber dieser Bestimmung nur subsidiär heranzuziehenden Vorschrift des § 65 StGB beurteilt, dessen im Abs 4 Z 3 und 4 statuiertes "Erledigungsprinzip" nach der klaren gesetzlichen Regelung nur auf Taten anzuwenden ist, die nicht im § 64 StGB taxativ aufgezählt sind.

Da dem § 64 StGB eine dem § 65 Abs 4 StGB entsprechende Regelung fremd ist, war die inländische Strafbarkeit für das von den Angeklagten zu verantwortende Suchtgiftverbrechen auch ungeachtet dessen gegeben, daß sie (vgl 169, 177) wegen dieser Tat bereits in Deutschland rechtskräftig verurteilt und "auch die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt" wurde (s hiezu erneut die bereits zitierte Judikatur).

Zur Vermeidung der von den Beschwerdeführern zur Stützung ihres Standpunktes zudem ins Treffen geführten, nach ihrer Meinung vom "Zufallsprinzip" des Aufgriffs- bzw Verfolgungsortes abhängenden "Doppelbestrafung" ist durch die - im konkreten Fall ohnehin angewendete - Vorschrift des § 66 StGB vorgesorgt, wonach die im Ausland wegen derselben Tat erlittene Strafe auf die im Inland verhängte Strafe anzurechnen ist (vgl Leukauf/Steininger aaO § 64 RN 38 und § 66 RN 1 ff).

Die weiteren (oben zusammengefaßt wiedergegebenen) Beschwerdeeinwände (Z 9 lit a), die im Kern den Versuch bzw den vollendeten Schmuggel nur nach Österreich gemäß § 12 Abs 1 SGG bestraft wissen wollen, übersehen, daß die in der zitierten Norm pönalisierten Begehungsarten der Aus- und Einfuhr von Suchtgift nicht notwendig nach (oder aus) Österreich geschehen müssen, vielmehr ist damit auch ein Verkehr zwischen anderen Staaten erfaßt (vgl EvBl 1975/202 = ÖJZ-LSK 1975/31).

Österreich erfüllt mit dieser Strafnorm eine in Art 7 des Übereinkommens von 1936 zur Unterdrückung des unerlaubten Handels mit Suchtgiften, BGBl 1950/178, übernommene völkerrechtliche Verpflichtung, deren Zielsetzung der Schutz der menschlichen Gesundheit schlechthin ist und nicht nur jener von Personen, die sich in Österreich aufhalten (SSt 41/50; SSt 47/66 = EvBl 1977/133; ZfRV 1976/147); dieser Teil des genannten Abkommens wurde durch die ESK 1961, BGBl 1978/531, nicht außer Kraft gesetzt (vgl Art 44 Abs 2 ESK 1961).

Der Übersicht halber sei angemerkt, daß die österreichische Strafgewalt auch in Ansehung jener einzelnen Tathandlungen des unangefochten gebliebenen Punktes B des erstgerichtlichen Urteils, die nach der Verantwortung des Angeklagten A***** in Deutschland verübt wurden (53, 59), gemäß § 65 Abs 1 Z 1 StGB gegeben ist, weil diese Tathandlungen auch nach dem deutschen Betäubungsmittelgesetz strafbar wären und die Angeklagten hiefür in Deutschland nicht verurteilt wurden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über die Angeklagten nach § 12 Abs 1 SGG, § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von je einem Jahr, von der jeweils gemäß § 43 a Abs 3 StGB ein Teil von acht Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde; auf die Freiheitsstrafen rechnete das Schöffengericht "gemäß §§ 38, 66 StGB" die (in Deutschland) erlittene Vorhaft jeweils vom 19.September 1994, 21,50 Uhr, bis zum 27.Oktober 1994, 17 Uhr, an.

Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, den langen Zeitraum des Suchtgiftkonsums und die Tatsache, daß die im § 12 Abs 1 SGG angeführte Suchtgiftmenge sechsfach erreicht wurde, als erschwerend; hingegen das umfassende und reumütige Geständnis, die "Unbescholtenheit" der Angeklagten, ferner die Sicherstellung des Suchtgiftes (in Deutschland) sowie beim Angeklagten A***** zudem sein Alter unter 21 Jahren als mildernd.

Mit ihren Berufungen beantragen die Angeklagten, einerseits die Freiheitsstrafe auf "6 Monate herabzusetzen", andererseits diese - in eventu die einjährige - Freiheitsstrafe zur Gänze unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen.

Die Berufungen sind nicht berechtigt.

Das Schöffengericht hat die gegebenen Strafzumessungsgründe nicht nur im wesentlichen vollständig erfaßt, sondern ihnen auch das entsprechende Gewicht beigemessen und unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) über die Angeklagten eine ihrem Verschulden und dem Unrechtsgehalt der Taten - gleichwohl im Hinblick auf ihre Verurteilung durch das Jugendschöffengericht Solingen - angemessene Sanktion verhängt.

Das Berufungsvorbringen enthält demgegenüber lediglich Umstände, die entweder schon in den Feststellungen zum spezifischen Verbrechenstatbestand zum Ausdruck kommen (so etwa: die Einfuhr des Suchtgiftes zum Eigenkonsum ohne Weiterverkaufsvorsatz; kein typischer Rauschgiftdeal; Unterbleiben des Konsums zufolge rechtzeitiger Sicherstellung des geschmuggelten Haschisch durch die Sicherheitsbehörde) oder der Aktenlage widersprechen (zB: die "eigene Sucht der völlig unerfahrenen Suchtgiftkonsumenten" müßte den Unrechts- und Schuldgehalt vermindern, wohingegen die beiden Angeklagten im Vorverfahren ausdrücklich erklärten, vom Haschisch "weder psychisch noch physisch" abhängig zu sein [47 und 59]), demnach insgesamt keine weiteren Gründe, die eine Herabsetzung des vom Erstgericht gefundenen Strafausmaßes rechtfertigen.

Wenngleich die Berufungswerber auf wichtige Milderungsgründe verweisen können, scheitert auch ihr weiteres Begehren auf gänzliche Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafen gemäß § 43 Abs 1 StGB nicht nur aus subjektiven Momenten (insbesonders Verschiedenartigkeit der Suchtgiftdelinquenz und Suchtgiftkonsum nahezu eineinhalb Jahre lang trotz günstiger sozialer - in der Regel tatverhindernder - Umweltverhältnisse; vorausgeplante Fahrt nach Holland zum Zweck des Suchtgifteinkaufs sowie überlegtes und bewußtes Inkaufnehmen des Transport- und Strafrisikos - vgl hiezu 157 f), sondern angesichts der relativ bedeutenden Menge des tatverfangenen Haschisch auch aus generalpräventiven Gründen. Da es sich - den Berufungen zuwider - nach der Aktenlage (vgl 23, 29, 43, 47 f; 53, 59 f; 119 f, 125; 133, 157 ff; 185 f) keineswegs um einen "einmaligen Ausrutscher" der Rechtsmittelwerber handelt, bedarf es - ungeachtet der in Solingen erlittenen Untersuchungshaft - des Vollzuges eines Strafteiles von vier Monaten (wodurch die soziale Integration unter den gegebenen Umständen keineswegs beeinträchtigt wird), um sie künftighin von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 43 a Abs 3 iVm § 43 Abs 1 StGB).

Rechtssätze
7