JudikaturJustiz15Os46/23p

15Os46/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi in Gegenwart des Schriftführers Mag. Wunsch in der Strafsache gegen * Y* wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 41 Hv 97/22d des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 10. November 2022, GZ 41 Hv 97/22d 25, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

Spruch

Im V erfahren AZ 41 Hv 97/22d verletzt der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 10. November 2022, soweit er sich auf die mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Juni 2022, AZ 28 U 23/22v, gewährte bedingte Strafnachsicht bezieht, § 53 Abs 1 und § 55 Abs 3 StGB sowie § 494a Abs 1 und 6 und § 495 Abs 2 StPO.

Der Beschluss wird im Umfang des Ausspruchs der Verlängerung der mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Juni 2022, AZ 28 U 23/22v, gewährten Probezeit ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

[1] Mit (am 14. Juni 2022 in Rechtskraft erwachsenem, gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Juni 2022, GZ 28 U 23/22v 102, wurde * Y* des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt (angeschlossen bei ON 19).

[2] Mit ebenso gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. November 2022, GZ 41 Hv 97/22d-25, wurde der Genannte des (am 13. Mai 2022 begangenen) Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG sowie des (in einem unbekannten Zeitraum bis zum 12. April 2022 begangenen) Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG schuldig erkannt und zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

[3] Unter einem fasste das Landesgericht Salzburg – nach Beischaffung der entsprechenden Urteilsvermerke und in Anwesenheit des Bewährungshelfers des Genannten – gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO den Beschluss, (auch) vom Widerruf der mit dem eingangs bezeichneten Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, jedoch die dort bestimmte Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern (ON 25 S 4).

[4] Erst nachträglich (zur Zulässigkeit der Berücksichtigung ursprünglich übersehener aktenkundiger Umstände vgl Ratz in WK² StGB § 31a Rz 4) deklarierte das Landesgericht Salzburg mit Beschluss vom 23. Jänner 2023, GZ 41 Hv 97/22d-29, die mit Urteil vom 10. November 2022 verhängte Strafe als Zusatzstrafe nach § 31 StGB mit Bezug auf das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Juni 2022, GZ 28 U 23/22v 102, und reduzierte die verhängte Freiheitsstrafe (§ 410 StPO iVm § 31a StGB; vgl RIS Justiz RS0107405; Lässig , WK StPO § 410 Rz 2).

Rechtliche Beurteilung

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt, steht der Beschluss vom 10. November 2022 in Bezug auf das Verfahren AZ 28 U 23/22v des Bezirksgerichts Salzburg mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[6] Da die dem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. November 2022 zugrundeliegenden Taten noch vor Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Juni 2022, GZ 28 U 23/22v 102, – und demzufolge (§ 49 StGB) vor Beginn der zu jenem Verfahren bestimmten Probezeit – begangen wurden, lag kein Anwendungsfall des § 53 StGB vor. § 53 Abs 1 und 3 StGB ermöglicht eine Entscheidung im Sinn des § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO durch das über eine neue Straftat erkennende Gericht gemeinsam mit dessen Urteil – abgesehen von hier nicht aktuellen Ausnahmen des § 53 Abs 1 dritter Satz StGB – nur wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung (RIS Justiz RS0092019, RS0112811).

[7] Mit dem in Rede stehenden Beschluss wurde – neben einer (zulässigen) Beschlussfassung gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO in Bezug auf die in einem weiteren Urteil gewährte bedingte Strafnachsicht – der Sache nach auch über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung im Sinn des § 55 StGB abgesprochen, weil die abgeurteilten Taten nach der Zeit ihrer Begehung schon im früheren Verfahren AZ 28 U 23/22v des Bezirksgerichts Salzburg hätten abgeurteilt werden können (§ 31 Abs 1 erster Satz StGB). Die Zuständigkeit zu einer solchen Entscheidung aber richtet sich nach § 495 Abs 2 StPO, denn bei Beachtung der Wortlautgrenze scheidet eine Zuständigkeit des nach § 494a Abs 1 StPO erkennenden Gerichts aus (RIS-Justiz RS0111521).

[8] § 495 Abs 2 StPO ist dabei ungeachtet der zunächst unterbliebenen Verknüpfung beider Urteile nach § 31 StGB im Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. November 2022 maßgebend: § 55 StGB, auf den § 495 Abs 2 StPO Bezug nimmt, stellt nämlich nicht auf die im nachträglichen Strafurteil erfolgte Anwendung oder Nichtanwendung des § 31 StGB ab, sondern nur auf das tatsächliche Verhältnis der nachträglichen Verurteilung zu derjenigen, in der die bedingte Strafnachsicht gewährt wurde (RIS Justiz RS0111521 [T6]).

[9] Da gemäß § 495 Abs 2 StPO für die Beschlussfassung nach § 55 StGB jedenfalls nur jenes Gericht zuständig ist, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält (vgl 13 Os 143/04), vorliegend aber nur das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg eine bedingte Strafnachsicht enthält, war dieses Gericht, nicht aber das Landesgericht Salzburg für die in Rede stehende Entscheidung zuständig.

[10] Da sich fallbezogen der vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 10. Juni 2022 gewährten bedingten Strafnachsicht absehende Teil des Beschlusses des gemäß § 495 Abs 2 StPO unzuständigen Landesgerichts Salzburg nur zum Vorteil des Verurteilten auswirkte, war insoweit lediglich die Gesetzesverletzung festzustellen (vgl 15 Os 140/13x).

[11] Im Umfang der in den Fällen des § 55 StGB gesetzlich nicht vorgesehenen und daher unzulässigen (vgl § 55 Abs 3 StGB sowie RIS Justiz RS0090596 [T5]) konstitutiven Probezeitverlängerung auf fünf Jahre hingegen wirkt sich der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 10. November 2022 nachteilig für den Verurteilten aus, weshalb er in diesem Umfang ersatzlos zu beseitigen war.