JudikaturJustiz15Os32/02

15Os32/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kubina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann H***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 9. Jänner 2002, GZ 29 Hv 1094/01k 48, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Laszlo Szabo zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

Hingegen wird der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im freisprechenden Teil und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe :

Johann H***** wurde des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er in Innsbruck seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber der am 4. August 1981 geborenen Anna H***** gröblich verletzt hat, indem er von August 1996 bis 4. August 2000 mit Ausnahme minimaler Teilzahlungen in den Jahren 1996 und 1998 nur unzureichende oder keine Unterhaltszahlungen leistete, und dadurch bewirkte, dass der Unterhalt oder die Erziehung der Unterhaltsberechtigten "gefährdet wurde oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre".

Von der weiters wider ihn erhobenen Anklage, er habe in Innsbruck im März 1998 als Schuldner mehrerer Gläubiger einen Bestandteil seines Vermögens beiseite geschafft, wobei der Schaden 500.000 S übersteige, indem er dem Verein "Innsbrucker Forum für Gesamtkunstwerk" einen Betrag von 1,6 Mio S als Darlehen zuzählte (und hiedurch das Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB begangen), wurde Johann H***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach den wesentlichen (hier zusammengefasst wiedergegebenen) Urteilsfeststellungen war der Angeklagte zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen (und zwar in Höhe von 2.300 S und ab 1. Oktober 1996 in Höhe von 1.900 S) für seine am 4. August 1981 geborene Tochter Anna H***** verpflichtet. Im Tatzeitraum konnten insgesamt nur 3.400 S (und zwar 1996 2.400 S und 1998 1.000 S) einbringlich gemacht werden. Der Angeklagte bewirkte durch das Nichtbezahlen der übrigen vorgeschriebenen Beträge, dass der Unterhalt seiner Tochter gefährdet war. In der Zeit von 1. August bis 30. September 1996 bezog er vom A***** Notstandshilfe. Vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. März 1998 war er beim T***** B***** (mit im Ersturteil näher aufgeschlüsselten Nettobezügen) beschäftigt. Bei entsprechendem Bemühen wäre es ihm ohne weiteres möglich gewesen, seiner Unterhaltsverpflichtung zumindest teilweise nachzukommen. Er hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass durch die Unterlassung der Bezahlung der Unterhaltsbeiträge der Unterhalt und die Erziehung seines minderjährigen Kindes gefährdet wird (US 5 bis 7).

Zum Freispruch stellte das Erstgericht fest, dass gegen Johann H*****, der "auf nicht ganz geklärte Weise in den Besitz von Sparbüchern der am 6. Juni 1996 verstorbenen Kvetoslava D***** mit einem Einlagestand von über 2 Mio S" gelangt war, zum AZ 25 Vr 3060/96 des Landesgerichtes Innsbruck Vorerhebungen wegen §§ 127, 128 Abs 2 StGB unter Bedachtnahme auf §§ 15, 146, 147 Abs 3 StGB geführt wurden. Am 20. März 1998 erklärte der öffentliche Ankläger, dass er keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Johann H***** finde (§ 90 StPO). Mit Beschluss des Untersuchungsrichters vom 25. März 1998 wurde die Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Innsbruck ersucht, die dort erliegenden Sparbücher an den Angeklagten auszufolgen. Noch am selben Tag übernahm er diese und zählte aus dem Realisat dem völlig mittellosen Verein "I*****" (über dessen Vermögen am 13. Dezember 1999 das Konkursverfahren eröffnet wurde) ein Darlehen von 1,6 Mio S zu. Zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung hatte Johann H***** mehrere Gläubiger.

Hinsichtlich der Sparbücher wurde von der Verlassenschaft, vertreten durch den (erbserklärten) Erben J***** *****H***** in Österreich, der sich auf ein Testament der Verstorbenen berufen konnte, am 29. April 1998 eine Klage beim Landesgericht Innsbruck wegen 2,145.520 S sA eingebracht. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. März 1999, GZ 6 Cg 99/98i 15, wurde Johann H***** schuldig erkannt, der J***** H***** in Österreich 1,878.942 S samt Zinsen zu bezahlen. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Oberlandesgericht Innsbruck gab der Berufung des Johann H***** mit Urteil vom 28. September 1999, AZ 2 R 174/99a, nicht Folge.

Das Erstgericht führte dazu aus, dass die Sparbücher (im Urteil irrtümlich: "das Sparbuch"), die der Angeklagte am 25. März 1998 realisierte und aus deren Erlös er dem Verein das Darlehen gewährte, zu keiner Zeit ein Bestandteil seines Vermögens waren, welches der Zwangsvollstreckung durch seine Gläubiger zugänglich gewesen wäre und ihrer Befriedigung hätte dienen können. Sie waren vielmehr, wie es im angefochtenen Urteil heißt, "Bestandteil des Vermögens der 'J***** H***** in Österreich', was ja letztlich auch das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht in seinem Urteil vom 28. September 1999, 2 R 174/99a, feststellte" (US 9).

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch aus Z 9 lit a und (nur nominell) Z 10, die Staatsanwaltschaft den Freispruch aus Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die der Sache nach trotz Behauptung einander widersprechender Feststellungen durchwegs nur materiellrechtliche Kritik des Angeklagten (Z 9 lit a) am Schuldspruch wegen Verletzung der Unterhaltspflicht geht zunächst daran vorbei, dass ihn die angehäuften Schulden (mögen sie einen Ursprung auch in einer weiteren Unterhaltsverpflichtung haben) nicht von seiner hier in Rede stehenden im Familienrecht begründeten Unterhaltspflicht befreien. Dabei spielt es entgegen der vorgebrachten Auffassung keine Rolle, ob diese Schulden vor oder nach "der letzten Verurteilung wegen § 198 Abs 1 StGB" begründet wurden. Mehrere Unterhaltsansprüche sind im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen anteilsmäßig zu befriedigen (Markel in WK2 § 198 Rz 48 bis 51, Mayerhofer StGB5 § 198 E 32, EvBl 1966/253).

Demgemäß waren der Beschwerde zuwider Feststellungen darüber entbehrlich, "wie viel der Angeklagte erwirtschaften hätte müssen, um einen Unterhalt nach Berücksichtigung der Exekutionen und vor allem auch der Unterhaltsexekutionen an Anna H***** auszahlen zu können, der Anna H***** ohne Zuhilfenahme eines Dritten aus der Unterhaltsgefährdungszone bringt".

Zufolge der erwähnten Gleichrangigkeit aller gesetzlichen Unterhaltsansprüche versagt auch der Einwand, dass der Unterhalt für Anna H***** bei einer zwischen 24. Jänner 1997 und 25. März 1998 durchgeführten Lohnexekution zur Hereinbringung von Unterhaltsleistungen nicht berücksichtigt war. Diesfalls war der Angeklagte verpflichtet, die weitere Sorgepflicht dem Exekutionsgericht zur Bestimmung der Freibeträge unter Berücksichtigung solcher für Kinder, hinsichtlich derer noch keine Exekution zur Hereinbringung des Unterhalts geführt wird, bekannt zu geben (Markel in WK2 § 198 Rz 51 mwN).

Soweit der Beschwerdeführer eine Feststellung darüber vermisst, dass Leopoldine H***** "den Angeklagten entlastende Unterhaltsleistungen an Anna H***** erbrachte", ist ihm zu entgegnen, dass die Strafbarkeit dann ausgeschlossen sein könnte, wenn die Unterhaltsleistungen von einer dritten Person anstatt des Unterhaltsschuldners auf Grund einer mit ihm vereinbarten oder von ihm veranlassten Pflichtenübernahme in der ausdrücklichen Absicht erbracht wurden, ihn damit von seiner Leistungspflicht gänzlich zu befreien (Markel in WK2 § 198 Rz 59 mwN). In diese Richtung zeigende Beweisergebnisse sind aber weder der Beschwerde noch dem Akt zu entnehmen.

Als berechtigt erweist sich dagegen die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Zutreffend wird gerügt, dass das Erstgericht bei Beurteilung der in Hinsicht auf § 156 StGB aktuellen Frage, ob die "auf nicht ganz geklärte Weise in den Besitz" des Angeklagten gelangten Sparbücher (US 7) zu dessen Vermögen gehörten, die im Strafrecht gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise (13 Os 77/90, 15 Os 56/93) vernachlässigt und - entsprechend einem juristischen Vermögensbegriff - die betreffenden Werte ausgeklammert hat (US 7 und 12; vgl Kienapfel BT II3 § 156 RN 11, § 146 Rz 138 f, BT II2 § 146 RN 139).

Dabei blieb unbeachtet, dass das die Spareinlage verwaltende Kreditinstitut gemäß § 32 Abs 4 iVm § 31 Abs 3 BWG in der zur Zeit der Behebung aktuellen Fassung berechtigt war, an jeden das Losungswort angebenden Vorleger der Sparurkunde Zahlung zu leisten (zur Leistungspflicht des Institutes Laurer in Fremuth/Laurer/Linc/Pötzelberger/Strobl BWG2 §§ 31, 332 Rz 5). Überdies wurde verkannt, dass Forderungen aus Sparurkunden, die einem anderen als dem tatsächlichen Sparbuchinhaber zustehen, deshalb noch nicht der exekutiven Verwertung zu Gunsten eines Gläubigers des Sparbuchinhabers entzogen sind (Holzhammer Zwangsvollstreckungsrecht4 162, 294 f).

Die unzutreffende Rechtsauffassung des Erstgerichtes (Z 9 lit a) führt zur Kassation des Freispruches und, weil Feststellungen betreffend einen Schadenseintritt (vgl Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 156 Rz 19) und zur subjektiven Tatseite nicht getroffen wurden und daher eine abschließende Beurteilung derzeit nicht möglich ist, zur Anordnung der Verfahrenserneuerung.

Im zweiten Rechtsgang wird im Sinn des weiteren Beschwerdevorbringens der Staatsanwaltschaft zu beachten sein, dass bei entsprechenden Verfahrensergebnissen die Ahndung der (vom Anklagevorwurf umfassten und nicht von einem Verfolgungshindernis betroffenen) Behebung der Spareinlagen realkonkurrierend als Betrug mit der anschließenden Beiseiteschaffung als betrügerische Krida in Betracht kommen kann (vgl Kirchbacher/Presslauer WK2 § 156 Rz 159).