JudikaturJustiz15Os26/96

15Os26/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.März 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Petschnigg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ernst W***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18.Oktober 1995, GZ 8 c Vr 9494/94-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Fabrizy, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Wegrostek zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Ernst W***** wurde der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2) sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB (3) und des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (4) schuldig erkannt, weil er im Frühjahr 1994 in Wien als (leiblicher) Vater der am 15.Juli 1988 (außerehelich) geborenen, sohin unmündigen Tamara P*****

(zu 1) mit der Genannten den außerehelichen Beischlaf unternommen hat,

(zu 2) die Genannte dadurch wiederholt auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht hat, daß er sie am Geschlechsteil ableckte, ihr mit einem Finger in den After fuhr und sein Glied von ihr ablecken ließ,

(zu 3) durch die zu Punkt 1 geschilderte Handlung eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf verführt hat und

(zu 4) durch die unter Punkt 2 geschilderte Handlung sein minderjähriges Kind zur Unzucht mißbraucht hat.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Z 3, 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berech- tigung zukommt.

Nicht stichhältig ist die Beschwerdebehauptung, die minderjährige Zeugin Tamara P***** sei anläßlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung (§ 162 a Abs 2 StPO) in der Beweistagsatzung vom 20.Juni 1995 unter Mißachtung der im § 152 Abs 5 StPO normierten Belehrungspflicht über das ihr gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO als leiblicher Tochter des Angeklagten zustehende Entschlagungsrecht nicht in Kenntnis gesetzt worden, weshalb die Verwertung dieser nach § 152 Abs 5 StPO nichtigen Zeugenaussage Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO bewirke.

Indes ist dem Beweistagsatzungsprotokoll (61) ebenso wie den in der Beschwerdeschrift zitierten Passagen aus der seinerzeitigen Videoaufzeichnung über die Vernehmung der genannten Zeugin mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß dem fast siebenjährigen Mädchen vom - als Sachverständigen beigezogenen - Kinderneuropsychiater Univ.Prof.Dr.med.Max H.F***** in einer dem noch kindlichen Alter entsprechenden Weise (vgl die Sonderregelung des § 162 a Abs 4 letzter Satz StPO) die Gesetzeslage vor Augen geführt und von ihm (mit seiner intellektuellen Ebene angepaßten Worten) die Entscheidung abverlangt wurde, ob es im Verfahren gegen den Vater als Zeugin aussagen wolle oder nicht. Es kann auch keine Rede davon sein, daß der gerade in seinem speziellen Fachgebiet als hervorragend bekannte Sachverständige das Kind gleichsam als Autoritätsperson (unzulässig) in suggestiver Weise beeinflußt habe, wie dies in der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung der Sache nach vorgebracht wird. Die zu Protokoll gegebene Bereitschaft zur Zeugenaussage, womit Tamara P***** den Verzicht auf die Inanspruchnahme des ihr zustehenden Entschlagungsrechtes unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat, entspricht vollauf den Voraussetzungen eines wirksamen Entschlagungsverzichts. Daß - wie dem Beschwerdeführer augenscheinlich vorzuschweben scheint - eine derartige Verzichtserklärung an eine bestimmte Förmlichkeit (etwa an die Ersichtlichmachung des Wortes "Verzicht" im Protokoll) gebunden wäre, ist der Norm des § 152 Abs 5 StPO nicht zu entnehmen.

Als Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten (Z 4) rügt der Beschwerdeführer die entgegen der verpflichtenden Anordnung des § 162 a Abs 4 StPO vom Untersuchungsrichter unterlassene Belehrung der minderjährigen Zeugin Tamara P***** über die Möglichkeit der Verlesung des mit ihr aufgenommenen Protokolls und der Vorführung der Bild- und Tonaufzeichnung in der Hauptverhandlung.

Die erfolgreiche Geltendmachung dieses formellen Nichtigkeitsgrundes setzt jedoch unabdingbar voraus, daß in der Hauptverhandlung über einen Antrag des Angeklagten überhaupt nicht oder nicht im Sinne des Antragstellers entschieden worden ist oder daß durch ein förmliches Zwischenerkenntnis im Sinne des § 238 StPO Gesetze oder Grundsätze, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verfolgung oder Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist, hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind (Foregger/Kodek StPO6 S 393). Da der Beschwerdeführer inhaltlich des Hauptverhandlungsprotokolls, dessen Berichtigung von keiner der Prozeßparteien begehrt worden ist, einerseits der Vorführung der fraglichen Videokassette in der Hauptverhandlung nicht widersprochen (97), andererseits der Verlesung des Vernehmungsprotokolls (ON 10) zugestimmt (101) und auch sonst keinen Antrag gestellt hat, über den der Gerichtshof entscheiden hätte müssen, ist er zur Ergreifung der Verfahrensrüge nicht legitimiert.

Aber davon abgesehen vermag die (aktenkundige) Verletzung der Belehrungspflicht nach § 162 a Abs 4 StPO mangels ausdrücklicher Zitierung des § 162 a StPO im Katalog des § 281 Abs 1 Z 3 StPO keine Nichtigkeit nach dieser oder einer anderen Gesetzesstelle zu begründen (vgl 13 Os 163/94).

Unbeachtlich ist die Mängelrüge (Z 5), die sich darin erschöpft, nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteile in den Verfahrensgesetzen nicht vorgesehenen Schuldberufung einen Satz aus der Beweiswürdigung (US 5 unten) herauszugreifen und die darin zum Ausdruck gebrachten (im Nichtigkeitsverfahren unanfechtbaren) Erwägungen der Tatrichter über die (nach ihrer Meinung) besondere Bedeutung der von unmündigen Unzuchtsopfern in zeitlicher Nähe zum Tatgeschehen gemachten Angaben in einer spekulativen Argumentation in Zweifel zu ziehen. Solcherart wird aber kein formeller Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes dargetan.

Verfehlt ist schließlich auch die Subsumtionsrüge (Z 10), mit der der Angeklagte die Unterstellung des ihm zu Punkt 3 des Urteilsspruchs angelasteten Sachverhalts unter den Tatbestand der (bloß) versuchten Blutschande nach §§ 15, 211 Abs 2 StGB mit dem Einwand anstrebt, daß nach den Urteilsfeststellungen zwar eine über eine reine Berührung hinausgehende "Vereinigung" der Geschlechtsteile des Ange- klagten und seiner Tochter stattgefunden habe, "ein Samenerguß oder ein Einspritzen des Samens in die Scheide des Mädchens" aber nicht hätte konstatiert werden können; ein solcherart nur "unternommener" Beischlaf - argumentiert die Beschwerde weiter - reiche zu der den "Vollzug" des Beischlafs voraussetzenden Tatvollendung nach § 211 Abs 2 StGB nicht aus.

Das Vergehen der Blutschande nach § 211 StGB verlangt - wie auch die Beschwerde zutreffend erkennt - auf der äußeren Seite "vollzogenen" Beischlaf, mithin eine Vereinigung der Geschlechtsteile - gleichgültig ob mit oder ohne Samenerguß. Bloß "unternommener" Beischlaf, zu dem nur "angesetzt" worden ist, genügt demnach zur Vollendung dieses Deliktes nicht. Ein solcher begründet, sofern der Vorsatz auf Vollendung des Beischlafs gerichtet war, vielmehr lediglich Versuch der Blutschande (vgl SSt 48/8 mit Literaturhinweisen = EvBl 1977/165; 11 Os 56/94, 12 Os 107/94). Nach gesicherter Rechtsprechung ist aber selbst ein nur "unvollständiges Eindringen" des Gliedes des Vaters in das Geschlechtsorgan der Tochter als "Vollzug" des Bei- schlafs im Sinn des § 211 StGB anzusehen (vgl 10 Os 159/85, 13 Os 21/92).

Da es nach den unbedenklichen und insoweit unangefochten gebliebenen Urteilsfeststellungen (US 4 ff) in dem hier aktuellen Fall zumindest zum Beginn des Ein- dringens des Penis des Angeklagten in die Scheide seiner Tochter gekommen ist, hat er den Beischlaf nicht bloß "unternommen" (zu der im § 206 Abs 1 StGB umschriebenen Tathandlung genügt hingegen die bloße Berührung der Geschlechtsteile - vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 206 RN 3), sondern bereits "vollzogen", sodaß die (vom Beschwerdeführer angezweifelte) Frage der Deliktsvollendung vom Erstgericht rechtlich einwandfrei gelöst wurde.

Sonach war die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 1 StGB zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe, wobei es das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit zwei Vergehen, die mehrfache Tatwiederholung zu den Schuldspruchsfakten 2 und 4 sowie das niedrige Alter des Kindes als erschwerend berücksichtigte, hingegen den zuvor ordentlichen Lebenswandel als mildernd annahm.

Dagegen richten sich die Berufungen des Angeklagten und des öffentlichen Anklägers. Während jener nicht nur die Herabsetzung der verhängten Freiheitsstrafe, sondern auch deren bedingte (§ 43 Abs 1 StGB) oder zumindest deren teilweise bedingte Nachsicht (§ 43 a Abs 4 StGB) anstrebt, beantragt der öffentliche Ankläger die Erhöhung der ausgesprochenen Sanktion.

Keine der Berufungen ist begründet.

Das Erstgericht hat nämlich die gegebenen Strafzumessungsgründe nicht nur richtig und vollständig erfaßt - was selbst die beiden Berufungswerber einräumen -, sondern ihnen auch das entsprechende Gewicht beigemessen und über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe verhängt, die sowohl seiner gravierenden personalen Täterschuld als auch dem bedeutenden Unwert der von ihm verschuldeten Taten gerecht wird, zumal - der Berufung des Angeklagten zuwider - dabei auch mitberücksichtigt wurde, daß sich der zur Tatzeit 49 Jahre alte Ernst W***** bis dahin gesetzestreu verhalten hatte und die inkriminierten Taten im auffallenden Widerspruch zu seinem sonstigen Verhalten stehen (US 3 f, 7). Den Berufungsausführungen der Anklagebehörde hinwieder steht entgegen, daß das Fehlen "jeglicher Reue und Schuldeinsicht" des Angeklagten keinen (zusätzlichen) Erschwerungsgrund darstellt (Leukauf/Steininger aaO § 33 RN 15), er sich vielmehr damit bloß des Milderungsgrundes eines Geständnisses begibt.

Schon angesichts der Strafhöhe von zweieinhalb Jahren ist die vom Angeklagten zudem begehrte Anwendung des § 43 Abs 1 StGB nicht möglich.

Aber auch die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht gemäß § 43 a Abs 4 StGB, dessen Anwendung auf Extremfälle beschränkt ist (NRsp 1994/256; Leukauf/Steininger aaO § 43 a RN 16), scheidet vorliegend aus, weil dem Angeklagten die hiefür erforderliche qualifizierte Prognose - ungeachtet seines bisher ordentlichen Lebenswandels und der Behauptung, er habe künftighin keine Kontaktmöglichkeiten mehr mit seiner außerehelichen Tochter - nicht erstellt werden kann. Obgleich fehlendes Geständnis und mangelnde Schuldeinsicht nicht schlechthin geeignet sind, die Anwendung des § 43 a Abs 4 StGB zu versagen (vgl Leukauf/Steininger aaO § 43 RN 8), weisen die Umstände gerade in dem hier besonders gelagerten Fall (insbesonders wegen mehrfacher und verschiedenartiger schwerer sexueller Angriffe trotz "sozialer und familiärer Integration" des verheirateten Angeklagten auf seine damals nicht einmal sechs Jahre alte leibliche Tochter verbunden mit der hohen Gefahr psychischer Folgeschäden) auf einen gravierenden Charaktermangel des Rechtsmittelwerbers hin, der keineswegs eine hohe Wahrscheinlichkeit für zukünftiges straffreies Verhalten indiziert.

Bei Ernst W***** ist daher nicht nur aus spezialpräventiven Gründen der gänzliche Strafvollzug erforderlich, sondern stehen seiner beantragten Maßnahme auch erhebliche Momente der Generalprävention entgegen.

Somit war den Berufungen insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
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